Au revoir, Lucien!
Mehr als zwei Jahre stand Lucien Favre an der Seitenlinie des BVB. Das ist schon mehr als viele prophezeiten. "Spätestens nach den ersten Niederlagen schmeißt er hin", "Dann kann Aki ihn vom Bahnhof zurückholen", "Mr. Rücktritt" waren schon gängige Aussagen, bevor Favre überhaupt einen Tag gecoacht hatte. Bei den vorherigen Stationen war es schließlich auch so. Es wurde ein längeres Engagement, wenn auch kein langes. Dass Lucien Favre nicht die Dauerlösung werden würde und eine ähnliche Ära wie Klopp prägt, war eigentlich von vornherein klar.
Favre als Gegenentwurf
Thomas Tuchel wollte nach Jürgen Klopp alles auf links ziehen. Wahrscheinlich brauchte es das auch, aber die Herangehensweise, gerade im zwischenmenschlichen Bereich war mehr als fragwürdig. Tuchel eckte an und brachte dadurch Uneinigkeit und Unruhe in den Verein. Zusammen mit dem Anschlag auf die Mannschaft verurteilte diese Gemengelage Peter Bosz eigentlich von vornherein zum Scheitern. Sein Ansatz funktionierte nur wenige Spiele, dann zerbrach noch viel mehr. Gräben in der Mannschaft wurden offensichtlicher, der BVB taumelte. Peter Stöger spielte dann den Feuerwehrmann und schaffte immerhin die Qualifikation zur Champions League. Allerdings wurde auch schnell klar, dass er der perfekte Retter ist, aber eben keiner, mit dem man ein langfristiges Konzept verfolgt. Es brauchte Ruhe, Kompetenz, den Willen mit jungen Spielern zu arbeiten und diese weiterzuentwickeln. Aber auch jemanden, der zwar seine Meinung einbringt, aber nicht zu extreme Widerworte gibt. Lucien Favre passte perfekt in diese Rollenbeschreibung. Dazu kommt, dass er in seinem ersten Jahr eigentlich immer überperformt hat, wie man neuerdings sagt. Einer, der Ruhe reinbringt, um sich im Hintergrund neu aufzustellen, Gräben zuzuschütten und wieder Einigkeit herzustellen. Der Punkt der Ruhe wurde ihm irgendwann zur Last gelegt: zu wenig emotional. Und ob die Einigkeit im Hintergrund wieder auf ein produktiveres Level hergestellt werden konnte, ist auch ein streitbarer Punkt.
Kaderplanung am Trainer vorbei?
Lucien Favre ist kein Kaderplaner. Er ist einer, der aus den gegebenen Ressourcen sehr viel herausholen kann. Trotzdem arbeitet er mit einer klaren Idee, wie er Fußball spielen lassen will. Und das war mit dem aktuellen Spielermaterial nicht immer möglich. Exemplarisch sei hier Julian Brandt genannt, der zwar ein begnadeter Fußballer ist, aber nach anderthalb Jahren beim BVB immer noch nicht seine Rolle gefunden hat, was sicherlich auch an den Einsätzen auf der "falschen 9" liegt. Favre hatte ein gewisses Mitspracherecht bei den Transfers, aber selten war es so einfach wie beim Lichtsteiner-Transfer, bei dem Favre ein klares Veto eingelegt haben soll. Paco Alcacer und auch Erling Haaland wären wohl nicht in Dortmund gelandet, weil Favre so viel Für und Wider abwägte, dass er vermutlich erst nach Jahren zu einer echten Entscheidung gekommen wäre. Hier griffen die Transfer-Verantwortlichen schnell zu. Lucien Favre ließ sich aber darauf ein, bestes Beispiel Achraf Hakimi. Ich hätte zu gern die Gedanken von Favre gelesen, als Hakimi seine ersten Testspielminuten absolvierte. Die Hände über dem Kopf zusammenschlagend, Haare raufend und zeternd stand Favre am Seitenrand. Trotzdem nahm er Hakimi im Training immer wieder zur Seite, tolerierte seine Scherze und Mätzchen und zwang ihn im Gegenzug zu konzentrierter Arbeit. Dadurch wurde Hakimi für uns zur Waffe. Vielleicht hätte man Favre noch ein bisschen mehr einbinden sollen, vielleicht war die Vorgehensweise aber auch richtig. Der Kader war am Ende nicht perfekt auf den Favre-Fußball abgestimmt, er entwickelte daraus aber etwas so gut es ging.
Die Mannschaft verloren?
Nun kann man trefflich darüber streiten, ob das, was Favre am Ende erreichte und entwickelte, genug war oder ob er aus der Mannschaft mehr hätte herausholen müssen. Es scheint jedoch so, als wäre Favre nicht immer entscheidend durchgedrungen. Seine unbestrittene Fachkompetenz vermittelte er, allein die Mannschaft setzte es nur viel zu selten um. Wie sollte man sich sonst eine perfekte Verteidigung wie gegen Paris im Hinspiel erklären, wo die Spieler wie ein Uhrwerk verschoben, wo gefühlt jede Lücke zugelaufen wurde? Das wächst nicht auf Bäumen, sondern ist ein Resultat von Trainingseinheiten. Dass die Mannschaft so etwas direkt im nächsten Spiel wieder verlernt hat, ist eher unwahrscheinlich. Die Mannschaft war immer dann sehr stark, wenn sie entweder die Vorgaben umsetzte oder "von der Leine gelassen wurde", wie zum Beispiel gegen Inter, als das Kind nach der ersten Halbzeit in den Brunnen gefallen war und man in der zweiten Halbzeit richtig aufdrehte. Favre und die Mannschaft hätten sich da etwas mehr aufeinander zubewegen sollen, wohl wissend, dass der Trainer das letzte Wort hat. Hier sind auch die Führungsspieler gefragt, solche Stimmungen in der Mannschaft aufzunehmen, zu transportieren und im Umkehrschluss auch die Mannschaft zusammen mit dem Trainer zu führen. Hier stellt sich die Frage, inwiefern die vermeintlichen Wortführer in der Mannschaft dieser Verantwortung nachgekommen sind. Allerdings muss man auch Favre attestieren, dass er manchmal etwas ungeschickt vorging. Vor allem die verspielte Meisterschaft dürfte ihn Einfluss gekostet haben, ging dem ganzen doch eine bärenstarke Hinrunde voraus, die Favre damit kommentierte, dass ihm der Fußball zu wild und wenig kontrolliert sei. In der Rückrunde zeigte der BVB ein etwas verändertes Gesicht und verlor mehr und mehr an Sicherheit.
Ein feiner Mensch
Nichtsdestotrotz ist Lucien Favre ein feiner Typ, der sich in seiner Zeit beim BVB nichts zu Schulden kommen lassen hat. Immer respektvoll im Umgang, immer höflich. Er grüßte grundsätzlich freundlich (was man nicht von allen BVB-Aushängeschildern behaupten kann), nahm sich selbst nicht zu wichtig und hat einen sehr feinen Humor. Er kommt in humoristischen Situationen sogar sehr aus sich heraus. Einen größeren Lacher hatte zum Beispiel unserer Reisegruppe "Trainingslager", als Favre uns einen Käse, den er geschenkt bekommen hatte und auf Grund des unglaublichen Gestanks nicht zu einem Folgetermin mitnehmen konnte, aufquatschen wollte: "Es ist eine gute Käse, aber er stinkt fürchterlisch", warb er mit seinem französischen Akzent. Wir lehnten dankend ab. Nichtsdestotrotz eine sehr sympathische Begegnung mit unserem nun ehemaligen Cheftrainer, der auch deutlich kommunikativer war als in seinen Charakterisierungen berichtet wurde. Vielleicht ist Favre eben doch nicht so eintönig und einsilbig, wie er häufig dargestellt wird. Natürlich, bei den Pressekonferenzen sieht das anders aus. Aber vielleicht sind das auch die Situationen, die Favre für überflüssig hält und die man möglichst schnell abhandelt, um sich wieder auf das Wesentliche konzentrieren zu können. Wir werden es in Gänze wohl nicht erfahren. Seit Jürgen Klopp werden die Trainer beim BVB kommunikativ in Watte gepackt. Nur wenig Gelegenheit bekommen die Trainer des BVB, über ihre Pläne, ihre Herangehensweise und auch ihre Erfahrungen zu berichten. Es könnte sein, dass sich seit Thomas Tuchel eine gewisse Unsicherheit bei Borussia Dortmund breit gemacht hat, die Deutungshoheit zu verlieren, wenn man den Cheftrainer zu ausführlichen Interviews schickt. Lucien Favre äußerte jedenfalls noch gegenüber einer Journalistin, dass es schade sei, dass man nicht mehr so viel miteinander spricht, weil so das Verständnis füreinander verloren ginge. Vielleicht hätte man mehr miteinander sprechen sollen.
Insgesamt ist Lucien Favre jedoch ein sehr sympathischer Mensch, dem an dieser Stelle nur das Beste gewünscht sei!
Die Zukunft
Die Zukunft gehört nun erst einmal oder auch längerfristig Edin Terzic. Er wurde damals im Trainerteam installiert, um eine gewisse Konstante zu sein, der auch trainerunabhängig bleiben soll. Ob er dann im Sommer Cheftrainer bleibt oder ein neuer Trainer kommt, ist jetzt zweitrangig. Zunächst einmal kann man sich freuen, dass mit Edin Terzic ein Borusse an der Seitenlinie steht, der eine ganz andere Emotionalität zum Verein mitbringt als viele andere Trainer. Genauso steht natürlich auch wieder die Mannschaft voll in der Verantwortung. Das Alibi, der Trainer stelle falsch auf oder ein, sollte jetzt erstmal in den Hintergrund rücken. Das Alibi, der Trainer würde nicht ausreichend emotionalisieren, sollte auch abgehakt sein. Die Mannschaft ist jetzt am Zug! Alles Gute und viel Erfolg, Edin!