Spielbericht Profis

Derbysieger

16.05.2020, 18:10 Uhr von:  Nadja
Derbysieger
Einen Derbysieg feiern, es gibt nichts schöneres

Ein Derby ist was spezielles. Es ist kein Spiel wie jedes andere, es geht um alles. Allem voran aber um die Ehre. Ein Derby darf man nicht verlieren. Ein Derby darf man nicht wegschenken. Im Derby muss jeder einzelne alles geben, auf und neben dem Platz.

Die gewonnene Schlacht

Mein erstes Derby im Stadion habe ich in der Saison 2004/2005 erlebt. Es ist möglich, dass ich das Hinspiel verdrängt habe, in meiner Erinnerung ist das erste Derby jedenfalls das Spiel in der Turnhalle am 14. Mai 2005.

Wir sind über Dortmund angereist, mit dem Sonderzug. Ich war die ganze Zeit so unglaublich nervös, da wir seit über sechs Jahren kein Derby mehr gewonnen hatten und die Blauen so richtig arrogant rumstolziert sind. Die ganze Fahrt war eine ziemliche Tortur und hat mich nur noch nervöser und entschlossener gemacht. Von allen Seiten schlug uns der Hass entgegen und das war genau das, was ich sehen wollte. Wir sind nicht willkommen und wir sind gekommen, um euch noch wütender zurückzulassen, wenn wir wieder gehen. An das Spiel selbst kann ich mich kaum mehr erinnern, aber eine Szene auf den Rängen ist mir gut in Erinnerung. Wir hatten Plätze neben dem Gästeblock, es war ein leicht gemischter Block, aber hauptsächlich gelb, da die Karten über den BVB verkauft wurden. Irgendwann hatte der kleine Junge vor uns sein Getränk ausgetrunken und schmiss den Becher ohne Vorankündigung übers Geländer in den Aufgang des Blockes unter uns. Wir erwarteten einen nicht sehr erfreuten Kommentar des Vaters, stattdessen bekamen wir aber ein "Sehr gut, mein Junge, immer auf die Scheisser!" zu hören. Derbystimmung! Kehl und Ricken haben die zwei BVB-Tore geschossen und uns in Ektase versetzt. Mich aber auch noch viel nervöser gemacht, als ich glaubte je sein zu können. Am Ende war es eine ewig lange Zitterpartie, Ball um Ball um Ball flog in den Dortmunder Strafraum, auf den Rängen sangen wir so laut wir konnten gegen eine zahlenmäßig überlegene Heimtribüne an und auf dem Platz kämpften die elf in gelb mit Haut und Haaren und Weidenfeller hielt am Ende den Sieg fest. Die Erleichterung brauch aus uns heraus. Es war ein unglaubliches Gefühl und eine einzige große Feier auf dem Rückweg. Der "Einzug" im Dortmunder Hauptbahnhof fühlte sich an, wie die Rückkehr von mittelalterlichen Soldaten ins eigene Dorf nach einer gewonnenen Schlacht. Wir wurden begrüsst wie Helden und von allen Seiten abgeklatscht.

am Ende war es eine ewig lange Zitterpartie, doch Weidenfeller hielt den Sieg fest

Das wichtigste Spiel aller Zeiten

Fast auf den Tag genau zwei Jahre später, am 12. Mai 2007, war die Situation noch prekärer. Die Blauen kamen zwei Spiele vor dem Ende als Tabellenführer und wir hatten gerade so den Klassenerhalt geschafft. Die großen Klappen waren noch größer als zwei Jahre vorher in GE, doch diesmal hatten wir Heimvorteil. Die ganze Stadt war in einem Fieber, das ich vorher und nachher nie mehr gesehen oder irgendwo anders jemals erlebt habe. Eine ganze Stadt vereint im Wunsch, die Blauen im letzten Moment vom Thron zu stürzen. In jedem Geschäft in der Stadt hing ein "Wir sind Borussia"-Plakat. Am Rathaus wehten BVB-Fahnen, die Bäcker hatten Derbysieger-Amerikaner gebacken. Jeder war angespannt und fest entschlossen, als würde das Leben und Überleben eines jeden vom Resultat dieses Spiels abhängen.

Im Stadion war die Anspannung greifbar, aber auch die Stimmung so unglaublich wie selten vorher oder nachher. Es war eine geballte Macht in schwarz-gelb und die Mannschaft war ein Teil davon. Smolarek und Alex Frei schossen zwei Tore, das Stadion explodierte. Es war unglaublich laut und ganz offensichtlich sehr einschüchternd. Es hatte zu keiner Zeit den Anschein, dass der Gast tatsächlich Tabellenführer war - und als das Spiel abgepfiffen wurde, war er es auch nicht mehr. Wir hatten sie ins Unglück gestürzt und sie konnten sich auch im letzten Spiel nicht mehr davon erholen. Unsere Borussen hingegen feierten gefühlt stundenlang auf und vor dem Zaun der Südtribüne. Zuvorderst Derbyheld Eeeeeeeeeeeeeebi Smolarek, shalalalalalaaaaaaaa!!! Ich musste an dem Tag mit dem Zug zurück nachhause und über die Gleise am Dortmunder Hauptbahnhof hallte selbst um Mitternacht noch der Hit des Tages: "Ein Leben lang keine Schale in der Hand" als Wechselgesang. Es war wie eine Meisterschaft.

Die Süd erwiderte den feiernden Spielern lautstark "Derbysieger, Spitzenreiter, hey, hey!"

Derbysiegertabellenführer

Ende 2011 hatten wir als amtierender Meister einen ziemlich miesen Start in die Saison gehabt und uns erst nach und nach langsam davon erholt. Als die Blauen im November ins Westfalenstadion kamen, waren wir jedoch bereits wieder auf einem ziemlich guten Weg. Das Jahr davor war wie ein Märchen gewesen und die Stimmung zwischen Fans und Mannschaft in der Zeit so eng, wie vorher und nachher nie wieder. Wir erlebten drei Jahre lang unser ganz persönliches Wunder und dieses Derby war - auch wenn wir in dieser Zeit mit Derbysiegen geradezu überhäuft wurden - ein Teil dieses Märchens. Weil es so typisch war für die Zeit. So normal außergewöhnlich. So üblich begeisternd. So alltäglich vollgasig. Ziemlich früh im Spiel schoss Lewandowski die Führung und der BVB hatte genug Chancen, um schon frühzeitig alle Weichen zu stellen, doch es dauerte und dauerte bis weit in die zweite Halbzeit, ehe Santana schließlich das mehr als verdiente zweite Tor nachlegte. Danach ließ die Borussia das Spiel ausklingen, der Gast hatte nichts mehr zu entgegnen.

Auf den Tribünen hingegen ging es ab. Es war nicht nur der Derbysieg, es war auch die Rückeroberung der Tabellenführung. Eine Sache, die noch ein paar Monate vorher unmöglich schien. Der BVB war zwischenzeitlich als Meister auf den 11. Platz abgerutscht, die Tabellenführung zurückzuerobern mit einem Derbysieg war ein Gefühl, das selbst in dieser Phase, diesen Jahren der immer extremer überwältigenden Emotionen, ein Highlight darstellte. Und so wusste man gar nicht so recht, was man mehr feiern sollte. Nach dem Spiel rasteten auch die Spieler aus und kletterten vor der Süd auf den Zaun und ließen sich feiern. Die Süd erwiderte lautstark "Derbysieger, Spitzenreiter, hey, hey!" - es war einer dieser absolut perfekten Tage! Und dabei trotzdem nur ein Vorbote auf die Party, die der Rest der Saison noch werden sollte und die am - man ahnt es - 12. Mai in Berlin endete.

Das hätte zweistellig enden müssen

Wiederum ein paar Jahre später, Februar 2015. Beide Vereine waren nicht in einer Situation, die eine tabellarische Brisanz versprach, doch die Stimmung war schon vor Anpfiff gut und wurde mit dem Anpfiff noch viel besser. Das Spiel war der Wahnsinn. Der BVB spielte die Blauen von Anfang an aus wie eine Schülermannschaft. Chance um Chance um Chance und alle vergaben sie. Ich raufte mir die Haare, schimpfte, schrie. Das konnte doch nicht wahr sein! Dann kam die 78. Minute. Es war ungefähr die 30. Torchance. Und endlich, endlich, endlich war der Ball im Tor. Ich platzte vor Freude, sprang meterhoch in die Luft, von hinten wurde ich angeschubst, fiel daher auf meinen Vordermann. Der hatte sich zu mir umgedreht, hob mich einen Meter in die Luft, schwang mich 180 Grad um seine Achse, dabei gab es einen weiteren Schubser, zusammen fielen wir nach vorne, rissen dabei mehrere Leute mit. Weiter oben hatte einer sein Bier nicht halten können, der offensichtlich noch fast volle halbe Liter entleerte sich über uns. Wir schrien einander an. Nicht aus Ärgernis über das Chaos, sondern aus purer Freude. “JAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAA!!!!!!!!!!!!!” Es dauerte eine Weile, bis wir uns wieder einigermaßen aufgerafft hatten, in dem Moment fiel das zweite Tor.

Diesmal wurde ich von hinten so angesprungen, dass ich gleich nach vorne fiel und mich ein paar Stufen weiter unten wiederfand, hochgehoben von einem anderen Fan, der mich gleich danach in seiner Umarmung drohte zu zerquetschen. Das Bier hatte mich diesmal nicht getroffen, es schien aber noch mehr zu sein, als nach dem ersten Tor, weil sich neben mir eine Pfütze gebildet hatte.

Der Vorsänger forderte uns auf, hin zu sitzen. Das taten wir natürlich, sofern das irgendwie möglich war. Ich sass auf den Knien meines Hintermannes und daher wahrscheinlich kaum 10 cm tiefer als wenn ich gestanden hätte. Das Lied wurde angestimmt, es war so laut, dass man es eigentlich schon fast nicht mehr hörte, weil einem die Ohren bimmelten, doch ich schrie mit. Selbstverständlich. Dann sprangen wir alle zusammen auf, schwenkten unsere Schals, hüpften im Kreis, obwohl eigentlich nicht mal genug Platz da war, um die Arme zu bewegen. Tore können auf der Süd das Raum-Zeit-Kontinuum verändern. Es ist wie der magische Bus von Harry Potter, der zwischen zwei Londoner Doppeldeckern durch passt. Mitten in unsere Feierei fiel auch das 3:0. Wiederum landete ich mehrere Stufen weiter unten, diesmal aber nicht als unterste, sondern als oberste auf der Traube. Neben uns floß das Bier nun in Strömen die Tribüne runter. Nachdem alles wieder einigermaßen sortiert war, begann die Tribüne zu hüpfen. Jeder Einzelne. Einen Moment war ich aus dem Takt, stand daher auf der Tribüne, während der Rest in der Luft war. Ich spürte, wie der Beton unter mir schwang, wie ich von der Landung der Fans durch den Beton hoch katapultiert wurde. Es ist das schönste Gefühl der Welt! Das ist Derby! Hätte der BVB die Chancen besser genutzt, hätte das Spiel zweistellig ausgehen können, doch ein Derbysieg ist ein Derbysieg und dieser war besonders schön, weil er so unglaublich verdient war.

Geisterderbysieger

Heute war auch Derby. Die Borussia gewann mit 4:0. Es hätte so schön sein können...

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