Auswärts zum Geisterspiel nach Paris
Was "der Fußball lebt durch seine Fans" eigentlich wirklich bedeutet, durfte unser Redakteur am Mittwoch beim Champions League Spiel von Paris Saint-Germain gegen Borussia Dortmund eindrücklich beobachten.
Außergewöhnliche Umstände erfordern außergewöhnliche Spielberichte, heißt es im Volksmund (oder so). Wer nun also in den folgenden Zeilen eine ausführliche Analyse des Spielgeschehens erwartet, der möge besser die bekannten Sportmedien zu Rate ziehen.
Das Vorgeplänkel
Da war es nun also: das erste Spiel des BVB unter Ausschluss aller Zuschauer. Das erste von vielen? Vielleicht. Mehr dazu später.
Viele BVB-Fans haben sicherlich mit sich gehadert, ob man die Reise nach Paris trotzdem antreten sollte. Nachdem am Montag der Zuschauerausschluss bekannt gegeben wurde, befanden sich einige Reisefreudige bereits in der französischen Hauptstadt. Nachdem ich kurz vor Abreise die Gewissheit hatte, dass auch die Presseakkreditierung dahin ist, entschloss ich mich ebenfalls für die Anreise. Wenigstens etwas Kultur mitnehmen. Die Situation in der Stadt ist gleichwohl recht „normal“. Klar, man sieht überall die bekannten „Maskierungen“, Passanten drehen sich in der Metro nervös um, wenn von irgendwo ein Husten zu hören ist, alles scheint recht hektisch und zweckmäßig – aber die bekannten Hotspots sind nichtsdestotrotz gut besucht. Vor dem Louvre die gewohnt langen Schlangen, im Inneren drängen sich die Touristen vor die Mona Lisa.
BVB-Fans hingegen nimmt man im Stadtbild weder am Vortag, noch am Spieltag selbst wirklich wahr. Hier und dort sticht ein Trikot ins Auge, vor dem Eiffelturm sieht man missmutige pilsbiertrinkende Personen, die nicht so richtig etwas mit sich anfangen können. Insgesamt also sehr wenig Europapokalfeeling. Woher auch?
Der Spieltag
Am Mittwochmorgen weiß ich immer noch nicht, wo ich eigentlich abends das Spiel verfolgen soll.
Von anderen Dortmundern hört man im Laufe des Tages sehr unterschiedliche Pläne: von "Lass uns wenigstens mal kurz ans Stadion" über "Wir suchen uns mit einigen Leuten irgendwo eine Kneipe" bis hin zu "Ich guck mir das überhaupt nicht an" konnte man alles vernehmen. Ich selbst kehrte nach dem Abendessen spontan in die nächstbeste Bar ein, ohne zu wissen, warum ich mir die Begegnung nicht einfach im Hotelzimmer bei Chips und Bier reinziehe.
Aufgrund einer kurzfristigen Absage saß ich also allein unter ca. 100 jungen Franzosen, die – anders als ich – durchaus vorfreudig und aufgeregt wirkten. Währenddessen kursierten im Internet die ersten Bilder von PSG-Fans, die ihre Mannschaft frenetisch am Stadion empfingen und auch im Rahmen eines Fanmarsches (und mit Schutzanzügen und Masken "verkleidet") unter Einsatz von viel Pyrotechnik gut Rabatz machten. Man sieht also, wie unterschiedlich man diese Ausnahmesituation für sich interpretieren konnte.
Liveticker aus einer französischen Bar
Im Folgenden ein kleiner, sehr persönlicher Liveticker aus der besagten Bar:
1. Minute. Pünktlich zum Anpfiff nehme ich meinen Platz ein. Ein 0,5er Pils schlägt trotz des eher studentischen Publikums mit schlappen 9,- € zu Buche. Dazu werden Oliven gereicht. Ich hasse Oliven. Währenddessen betreten die Mannschaften den Platz. Die Aufstellung auf Dortmunder Seite hielt keine besonderen Überraschungen bereit, lediglich Jadon Sancho rückte wieder in die Mannschaft, für den Julian Brandt auf der Bank Platz nahm. Demgegenüber fiel bei Paris St. Germain natürlich vor allem auf, dass Kilian Mbappé nicht in der Startaufstellung stand.
Kurz nach dem Anpfiff zünden Pariser Fans vor dem Stadion Feuerwerkskörper, die auch im Stadion zu erkennen sind. In der Kneipe sorgt es für viele „Ooohs“ und „Aaahs“, während ich mir zum ersten Mal die Frage stelle, was für Publikum ich hier eigentlich um mich herum habe.
10. Minute. Schon mit den ersten Aktionen des Spiels merke ich, dass trotz der Umstände ein bisschen Rest an Gefühlsregungen noch in mir drinsteckt. Der Grund: Neymar, der selbst in so einer emotionslosen Atmosphäre zuverlässig für Hassgefühle bei mir sorgt und sich etwa drei Mal in den ersten zehn Minuten auf dem Boden herumwälzt.
23. Minute. Die erste stille Konfrontation zwischen den jungen Franzosen, die ausnahmslos dem französischen Meister die Daumen drücken, und dem einsamen Dortmunder Gast. Als di Maria ein leichtes Trikotzupfen von Dan-Axel Zagadou zum Anlass nimmt, einen engelsgleichen Abflug hinzulegen, schreit die Bar empört auf, während ich in lautes Gelächter ausbreche. Erstes irritiertes Mustern.
28. Minute. PSG trifft zum 1:0. Eckballtor. Neymar. Was soll man dazu noch sagen? Großer Jubel bricht aus. Ich desinfiziere mir derweil meine Hände.
35. Minute. Insgesamt ist es ein interessanter Selbstversuch. Es fühlt sich zwar alles überhaupt nicht nach Fußball an, aber so manche Reflexe sind doch tief in einem drin. Als Bürki einen Ball sicher aus der Luft pflückt, will ich – wie gewohnt – zum Szenenapplaus ansetzen und reibe mir stattdessen im letzten Moment die Hände. Das passiert mir an diesem Abend andauernd (auch wenn es gar nicht so viel zu beklatschen gibt). Ich desinfiziere noch ein paar Mal.
45. Minute. Ich muss auf die Toilette. Normalerweise (d.h., im Stadion) nerven mich die Leute, die im Spiel aufgrund übermäßigen Bierkonsums zigmal im Block ein- und ausgehen. Heute ist es mir aber auch irgendwie egal, ein Tor wird schon nicht fallen. Just in dem Moment, als ich die Treppe runtergehe und die Kabinentür hinter mir schließe, ertönt Jubel von oben. Bernat hat kurz vor der Pause das 2:0 erzielt.
Halbzeitpause. Der BVB spielt sehr zurückhaltend. Die zögerliche, fast ängstliche Mentalität aus der Hinrunde macht sich wieder bemerkbar. Der vergebliche Versuch, hinten die Null zu halten, obwohl man hierzu defensiv einfach nicht sicher genug steht. Ich tröste mich: ein Tor hätten wir nach dem ersten Gegentreffer ohnehin benötigt. So viel hat sich also durch den zweiten Treffer gar nicht geändert.
58. Minute. Der BVB agiert irgendwo zwischen Engagement gepaart mit kompletter Einfallslosigkeit. Chancen kommen nicht wirklich zustande. Währenddessen lächelt mir am Nachbartisch jemand freundlich-aufmunternd zu, vermutlich stehen meine inneren Konflikte mir ins Gesicht geschrieben. Ich schiebe nur genervt meine verschmähten Oliven rüber und zucke mit den Schultern.
Irgendwann um die 70. Minute bezahle ich, verlasse die Bar und mache mich auf den kurzen Heimweg zum Hotel. Ich glaube, es ist das erste Mal, dass ich bei einem Spiel freiwillig früher gegangen bin. Ein bisschen bin ich über mich selbst überrascht, wie sehr ich in dieser Situation mit all den Gewohnheiten und „Überzeugungen“ breche. Irgendwo schwingt sicher auch die Überlegung mit, dass diese CL-Saison vermutlich ohnehin nicht zu Ende gespielt wird. Wozu also das alles? Gleichzeitig kommt in all der Belanglosigkeit etwas Frust auf. Nach dem Hinspiel war die Hoffnung und Vorfreude so groß, den BVB gegen diesen äußerst unsympathischen Verein auswärts in die nächste Runde zu schreien.
Achso, das Spielgeschehen. Getan hat sich nicht mehr viel. Mbappé kam noch aufs Feld, der BVB wechselte hingegen alles an Offensivkräften ein (Brandt für Hazard, 69. Minute, Reyna für Witsel, 71. Minute und Götze für Hakimi, 87. Minute). Gebracht hat es nichts, an der harmlosen Offensive änderte sich kaum etwas. Emre Can erhielt in der 89. Minute eine merkwürdige rote Karte, im Anschluss entstand eine ebenso merkwürdige Rudelbildung.
Was bleibt?
Der gestrige Spieltag hat mir viel darüber gezeigt, was für eine komische Veranstaltung Fußball ohne Fans eigentlich ist. Es ist eine Ironie des Schicksals, dass uns diese Zuschauerausschlüsse jetzt erwischen, nachdem wir bis vor kurzem im Rahmen der Causa Hopp generell über Fankurven und deren Bedeutung gesprochen haben. Wie so ein Fußball ohne Unterstützung von den Rängen aussehen könnte, haben wir gestern gesehen.
Ohne für jemand anderen außer mich selbst zu sprechen, noch ein paar persönliche Bemerkungen: ich bin inzwischen der Auffassung, dass man die Saison an dieser Stelle beenden sollte. Mir ist klar, dass wir hier über sehr gewichtige wirtschaftliche Zwänge sprechen, die Vereine und Liga dazu bewegen werden, den Ball noch so lange wie irgend möglich rollen zu lassen – alleine wegen der Fernsehgelder. Aus gesundheitlicher Sicht werden die Ausschlüsse jedoch dadurch torpediert, dass – so wie gestern in Paris oder in Mönchengladbach – sich zahlreiche Fans vor den Stadien einfanden. Der BVB hat hierzu mit Blick auf den kommenden Samstag richtigerweise darum gebeten, solche Aktionen zu unterlassen, um sich selbst und vor allem die Mitmenschen zu schützen. Gleichzeitig verzeichnen wir erste Quarantäne-Maßnahmen von Fußballteams, etwa bei Real Madrid oder bei Inter Mailand. Vermutlich wird sich diese Saison also von selbst erledigen.
Generell fällt es in den diversen sozialen Netzwerken schon sehr auf, was für ein – im wahrsten Sinne des Wortes – unsoziales Publikum der Fußball anzieht. Werte wie die Solidarität untereinander, die ansonsten immer beschworen werden, werden nun plötzlich über Bord geworfen, indem man beispielsweise nicht darauf verzichten kann, bei einem Zuschauerausschluss auch wirklich daheim zu bleiben. Der Spaß der Einzelnen wird über die Gesundheit der Mitmenschen gestellt. Die Südkurve München hat meine Gefühlslage hierzu sehr treffend auf den Punkt gebracht.
Übermorgen ist übrigens Derby. Ich für meinen Teil kann darauf verzichten.