Die Niederlagen gegen Mainz und Hoffenheim entlarven: der BVB hat ein Mentalitätsproblem
„Grau ist im Leben alle Theorie – aber entscheidend is‘ auf’m Platz“. Dieses berühmte Zitat von Adi Preißler prangt nicht nur auf der Fassade des August-Lenz-Hauses am Westfalenstadion. Dieser Ausspruch ist auch eine Art Leitartikel unseres Vereins. Ganz sinngemäß gibt der BVB auf der Vereinswebsite unter anderem folgende Versprechen: bedingungsloser Einsatz, leidenschaftliche Besessenheit und Zielstrebigkeit unabhängig vom Spielverlauf. Im Sommer 2020 ist davon auf’m Platz nicht viel zu sehen. In vielen Spielen dieser Saison verkörperte unsere Profimannschaft das genaue Gegenteil.
Das kann man für eine ziemlich steile These halten, wenn man auf die nackten Zahlen schaut. 69 Punkte, Platz zwei und die damit verbundene Champions-League-Qualifikation sind ordentliche Meriten. Doch die Anspruchshaltung in Dortmund ist hoch, vor der Saison wurde offensiv die Meisterschaft angepeilt. Der Rückstand auf den Serienmeister aus München beträgt in der Endabrechnung 13 Punkte. Dass dieser so deutlich ausfällt, hat auch mit den unerwarteten Niederlagen zum Saisonausklang gegen Mainz und Hoffenheim zu tun. Die inakzeptablen Nicht-Leistungen in beiden Spielen legen schonungslos offen, dass der BVB ein gravierendes Mentalitätsproblem hat.
Die Debatte über die Mentalität unserer Profis ist dabei keineswegs neu. Bereits in der Hinrunde erreichte das Thema einen ersten Höhepunkt, als sich Marco Reus im Sky-Interview nach dem Spiel in Frankfurt über die „Mentalitätsscheiße“ echauffierte. Offensichtlich hatte der Reporter Ecki Häuser hier einen wunden Punkt getroffen. Anstatt die Kritiker mit entsprechenden Leistungen und Ergebnissen verstummen zu lassen, gossen unsere Profis mit unerklärlichen Leistungsabfällen und unnötigen Punktverlusten immer wieder Öl ins Diskussionsfeuer. Die Heimniederlagen gegen Mainz und Hoffenheim sorgen nun dafür, dass die Debatte den BVB auch in die neue Saison begleiten wird.
Doch woran liegt es, dass die Debatte gerade in Dortmund so heftig geführt wird? Schließlich hat fast jede Bundesligamannschaft innerhalb einer Saison mit Leistungsschwankungen zu kämpfen. Da kommt man schnell zur eingangs erwähnten Anspruchshaltung zurück. Wer Meister werden will, wählt als Maßstab die Bayern, nicht die 16 anderen Bundesligisten. Die Bayern spielen auf einem extrem konstanten Niveau, fahren Sieg um Sieg ein. Die Bayern gewinnen auch dann weiter, wenn die Meisterschaft längst entschieden ist. Die Bayern gewinnen am letzten Spieltag gegen einen Europa-League-Aspiranten 4:0. Unser BVB verliert gegen einen Europa-League-Aspiranten mit 0:4. Noch Fragen? Gerade das Beispiel der Bayern zeigt, warum das von Aki Watzke angeführte Argument des Spannungsabfalls als Erklärung nicht herhalten darf.
Auch die zuletzt zahlreichen Ausfälle entschuldigen nicht die Leistungen der jüngsten beiden Heimspiele. Allein deshalb, weil die nahezu identische Mannschaft zwischendurch mit 2:0 beim direkten Konkurrenten in Leipzig gewann. Rein sportliche Kriterien können für solch fußballerische Diskrepanzen innerhalb von nur zehn Tagen keine Erklärung liefern. Unweigerlich landet man wieder bei der Trainerposition. Vorab: man darf nicht den Fehler begehen, die Spieler für solche Leistungen aus der Schusslinie zu nehmen. Allein Anspruch und Ehrgeiz eines Profisportlers sollten ein Auftreten wie gegen Mainz, Hoffenheim oder in mehreren Spielen der Hinrunde verbieten. Dennoch steht ein Trainer auch für solche Auftritte in der Verantwortung. Erst recht, wenn sich diese Auftritte in einer Saison in überdurchschnittlicher Zahl häufen. Und vor allem, wenn während dieser Spiele kaum mal eine Reaktion der Mannschaft zu erkennen ist.
Weitere Eindrücke und Geschichten kann man erwähnen, die sich als Brandbeschleuniger für hitzige Mentalitätsdebatten eignen. Da sind zum einen die scheinbar mutlosen Auftritte in vermeintlichen Top-Spielen: gegen die Bayern, in Paris, in Barcelona, in Mailand. Ähnlich wie im Vorjahr gegen Tottenham oder wieder mal in München (Stichwort: „Männerfußball“). Da sind zum anderen noch diverse Fehltritte neben dem Platz, bspw. die in sozialen Medien gut dokumentierten Frisörbesuche oder die wiederholten Disziplinlosigkeiten von Jadon Sancho, mit denen er auf den Fußspuren berühmter Vorgänger wie Aubameyang oder Dembele wandelt. Diese Geschichten taugen zwar eher für den Boulevard als die sportliche Analyse, vermitteln aber auch nicht den Eindruck, dass der Fokus zu jeder Zeit auf dem Sportlichen lag. A propos: in diesem Text war ja schon vom Versprechen die Rede, das der BVB auf der Website gibt: „geradlinig, offen, kämpferisch und fest im Dortmunder Boden geerdet“. Auch da kann man in Frage stellen, ob dieses Versprechen wirklich authentisch gelebt wird.
Gerne möchte ich nun einen Strich unter dieses Thema ziehen. Die Worthülse „Mentalität“ lässt sich nicht an objektiven Kriterien und nackten Zahlen festmachen, sondern an einer Vielzahl bedenklicher Eindrücke, die man als Fan gewinnt. Die Erwartungen von uns Fans sind zugegebenermaßen hoch, allerdings nicht minder als die selbst gestellten Ansprüche. Diese Erwartungen und Ansprüche können aber erfüllt werden, wenn unsere Profis zumindest das Versprechen einlösen, das der Verein auf der Website vollmundig gibt. Und eingelöst wird dieses Versprechen nunmal dort, wo es nicht erst seit Adi Preißler entscheidend is‘: auf’m Platz.
30.06.2020, Thomas Schlüter
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