Das letzte Auswärtsspiel in San Siro?
Es gibt diese ikonischen Orte im Fußball, mit denen man unzählige Bilder in Fotoalben oder vor der Glotze verbindet und die man unbedingt einmal gesehen haben muss. Für Menschen meines Alters, mit einer Sozialisierung irgendwann in den Achtzigern und Neunzigern, gehört San Siro (bzw. offiziell das Giuseppe-Meazza-Stadion) sicher dazu. Bei der Weltmeisterschaft 1990 Heimspielstätte der deutschen Mannschaft, davor und danach die großen Erfolge des AC Mailand unter Arrigo Sacchi und Carlo Ancelotti, von Inter Mailand unter Giovanni Trapattoni und José Mourinho: Immer im Hinterkopf sind die steilen Ränge, der an einer Seite fehlende dritte Rang und insbesondere die markanten Türme, die die Dachkonstruktion mit den roten Querstreben halten und von innen wie außen unübersehbar sind. Alles so erschreckend und gewaltig, genau wie ein großes Stadion nun einmal zu sein hat.
Aber auch vor diesen großen Orten des Fußball macht der Zahn der Zeit nicht halt. Wesentliche Teile der Bausubstanz stammen noch aus den Fünfzigern des letzten Jahrhunderts, und auch die große Renovierung anlässlich der WM 1990 ist mittlerweile knapp 30 Jahre her. Alles ist zu wenig modern, zu teuer im Unterhalt, so dass vermeintlich nur der
vollständige Umbau oder gleich ein kompletter Neubau bleibt. Kennt man so oder ähnlich ja auch aus Deutschland, nur ein paar Jahrzehnte früher: Das alte Volksparkstadion, das Waldstadion in Frankfurt, dazu Düsseldorf, Hannover, Köln und natürlich das Packstadion um die Ecke.
Fast alle wurden für die WM 1974 noch einmal komplett überholt, ehe dann im Vorfeld der WM 2006 von den alten Stadien entweder nichts mehr übrig blieb oder sie bis zur Unkenntlichkeit umgebaut wurden. Für Mailand heißt das: Neubau nebenan, spätestens nach den Olympischen Spielen 2026 soll vom alten Giuseppe-Meazza-Stadion dann nichts mehr übrig sein.
Reichlich wenig Zeit, wenn man noch einmal mit dem BVB ins San Siro fahren will, zumal die wenigsten Leserinnen und Leser beim letzten Gastspiel 2003 dabei gewesen sein dürften. Und der Zahn der Zeit nagt ja nicht nur am Stadion, sondern gleichermaßen an den beiden großen Clubs der Stadt. Manchmal merkt man den schleichenden Niedergang eben erst hinterher: Auf die absolute Dominanz des italienischen Vereinsfußballs in den späten Achtzigern und frühen Neunzigern folgte ein Jahrzehnt gelegentlicher Mailänder Erfolge. 2003 und 2007 gewann der AC zuletzt den Henkelpott, und Inter hatte abgesehen vom Sieg 2010 unter José Mourinho sowieso immer den leicht schwächeren Kader. Seitdem war die Champions League für beide Clubs fast immer terra incognita, mindestens Juventus und Neapel sind in Italien ein deutliches Stück enteilt. Unser Gegner Inter hat sich zum Beispiel erst zum zweiten Mal in den letzten acht Jahren für die Königsklasse qualifiziert, mit einem mickrigen Pünktchen vor dem Lokalrivalen, der allerdings sowieso wegen Verstößen gegen das "Financial Fairplay" für Europa gesperrt ist. Wenn also nicht jetzt hinfahren, wann dann?
Sportlich gesehen ist dabei wohl so ziemlich alles drin, wie quasi jede Woche. Dabei scheint gar nicht so wichtig zu sein, mit wem wir genau auflaufen, denn letztlich sehen die Spiele ja doch immer recht ähnlich aus. Neu ist diesmal, dass Julian Brandt aller Voraussicht nach sein Debüt im zentralen offensiven Mittelfeld bekommt, da Marco Reus genau wie Paco Alcácer in Dortmund geblieben ist. Die zuletzt angeschlagenen bzw. erkrankten Roman Bürki und Mario Götze sind dagegen mit nach Mailand geflogen, und sofern der Wecker am Mittwoch diesmal klingelt, dürfte auch Jadon Sancho wieder von Beginn an dabei sein. So oder so liegt man aber wohl nicht ganz falsch, wenn man momentan weder allzu hohe Siege noch verheerende Niederlagen erwartet. Gegen jeden Gegner wird es eng, was gegen Union Berlin oder den SC Freiburg halt Kacke ist, auswärts bei den aktuell formstarken Mailändern (Tabellenzweiter mit sieben Siegen aus acht Spielen) aber vermutlich akzeptabel wäre. Insbesondere weil ein Punkt wohl reicht, um beste Aussichten auf ein Weiterkommen im Wettbewerb zu haben. Und so ein Unentschieden liegt uns ja.