Der BVB und Fußball für Frauen: Raus aus der Komfortzone!
Immer mehr Stimmen wünschen sich vom BVB die Einrichtung eines Fußballteams für Frauen. Der ignoriert dies seit Jahren. Dabei hat Borussia Dortmund eine Verantwortung, sich diesem Thema zu widmen, auch im Breitensport.
Nun ist die Botschaft also auch im Stadion angekommen: „Fußball ist für alle da – Frauenteam jetzt“ stand gestern während des Spiels gegen Paderborn auf einem Spruchband, ausgerollt von ballspiel.vereint! auf der Südtribüne. Die Initiative setzt sich seit vielen Jahren gegen Diskriminierung im BVB-Umfeld ein – und knüpft mit der jüngsten Aktion an eine Forderung an, die zuletzt vermehrt und vor allem aus der Profi-Branche an unseren Verein herangetragen worden ist.
Zuletzt war es Jens Scheuer, Trainer des FC Bayern, der sich im Gespräch mit Spiegel Online mehr große Vereinsnamen in der Bundesliga wünschte und dabei auch ausdrücklich Borussia Dortmund nannte. Eine Woche zuvor hatte Nationaltorhüterin Almuth Schult gegenüber der Süddeutschen Zeitung fehlendes Interesse großer Vereine am Fußball für Frauen beklagt und ein breiteres Echo hervorgerufen: „Ich glaube, wenn Dortmund mal ein Probetraining anbieten würde, um ein Frauenteam zu gründen, würden sich innerhalb weniger Wochen Hunderte melden.“
Die Liste wächst stetig: Neu-DFB-Präsident Fritz Keller, Bayerns Lina Magull, Ex-Nationalspielerin Kathrin Längert, Nachwuchshoffnung Klara Bühl oder Siegfried Dietrich, Manager des 1. FFC Frankfurt und Vorsitzender des DFB-Ausschusses für die Frauenbundesligen – sie alle fordern die großen Männer-Bundesligisten auf, von Frauen gespielten Fußball stärker zu fördern oder gar eigene Teams zu schaffen. Den BVB nennen die meisten explizit.
Den anderen nicht das Wasser abgraben
Fakt ist: Bei Borussia Dortmund herrscht diesbezüglich tote Hose. Wenn überhaupt, wurde ein entsprechendes Engagement in diesem Bereich zuletzt immer abgelehnt. Als potenzielles Schwergewicht wolle man anderen, erfolgreich arbeitenden Vereinen nicht das Wasser abgraben. So die Argumentation, wenn das Thema beispielsweise während Mitglieder- oder Aktionärsversammlungen zur Sprache kam.
Dass diese Gefahr besteht, ist erstmal nicht von der Hand zu weisen. Schwarz-Gelb würde – möchte man es wirtschaftlich betrachten – einen Markt betreten, den man dank seiner Finanz- und Strahlkraft sehr schnell dominieren könnte, zumindest regional. Ob nun der MSV Duisburg, der sein Hauptgeschäft ebenfalls mit einem Männerteam bestreitet, die SG Essen-Schönebeck, deren Steckenpferde wiederum Frauen- und Mädchenfußball sind, oder die SpVg Berghofen, als Regionalligist das hochklassigste Dortmunder Team – direkte und indirekte Auswirkungen eines BVB-Profiteams würden wohl alle zu spüren bekommen.
Thomas Gerstner, Trainer der MSV-Frauen, prognostizierte gegenüber der WAZ vor wenigen Monaten beispielsweise, dass es für seinen Verein mittelfristig schwieriger werden würde, sollten Borussia oder unser Revierrivale aus Gelsenkirchen im Geschäft erstmal Fuß gefasst haben. Insbesondere Teams wie Essen, FF USV Jena, Turbine Potsdam oder der SC Sand, deren Vereine sich nicht über Millionenerlöse aus dem Herren-Profigeschäft finanzieren, könnten Probleme bekommen. Die SGS betont, sich vor diesem Hintergrund bewusst die Nische eines Ausbildungsvereins gesucht zu haben.
Der BVB hat eine gesellschaftliche Verantwortung
Man könnte die Diskussion an dieser Stelle für beendet erklären. Oder man kommt zu dem Schluss, dass der BVB es sich mit seiner ablehnend-gleichgültigen Haltung ziemlich einfach macht.
Fakt ist nämlich auch: Zwischen von Männern und Frauen gespieltem Fußball besteht ein großes Ungleichgewicht. Frauenfußball hat immer noch mit dem pauschalen Vorurteil zu kämpfen, kein „richtiger“ Fußball zu sein, wahlweise auch eine ganz andere Sportart, die Männerfußball in elementaren Bereichen weit hinterherhinken würde. Die Frage, ob hierfür nicht vor allem historisch bedingte strukturelle Nachteile des Frauenfußballs ursächlich sind, fällt dabei meist unter den Tisch. Das offizielle Fußballverbot für Frauen durch den DFB bis 1970, anhaltende mediale Unterrepräsentanz oder deutlich weniger zur Verfügung stehende finanzielle Mittel im Vergleich zu den Männern – niemand wird ernsthaft bestreiten, dass dies die Etablierung professioneller Strukturen erschwert und grundsätzliche Auswirkungen auf das Spiel hat.
Doch es geht nicht nur um den Profibereich. Die Aushängeschilder der allermeisten Fußballvereine sind ihre Herrenteams. Viele Mädchen und Frauen berichten, dass sie als Spielerinnen oder Schiedsrichterinnen regelmäßig unter höherem Rechtfertigungsdruck stünden als Männer. Dass es bei Mädchen unter 16 Jahren laut DFB-Statistik seit 2010 einen Rückgang der Aktiven um acht Prozent gab und außerdem fast 40 Prozent weniger Mannschaften angemeldet sind, erschwert interessierten Mädchen außerdem, ihr Hobby im Verein auszuüben. Dies schlägt sich umso mehr in ländlichen Regionen nieder: (Noch) längere Wege zum Training und zu Spielen bedeuten einen deutlich höheren Aufwand.
Was hat der BVB mit alldem zu tun? Als KGaA mit einem Umsatz von zuletzt knapp 490 Millionen Euro pro Saison, aber auch als gemeinnütziger Verein, der sich die Förderung des Sports als verbindendes Element, unabhängig vom Geschlecht, in die Satzung geschrieben hat, trägt er eine gesellschaftliche Verantwortung.
Die richtigen Fragen stellen
Um eins direkt vorweg zu nehmen: Vielerorts wird er der bereits gerecht. Die Tischtennisabteilung bietet Breitensport bis in die Kreisliga, mit der Aufnahme von Blindenfußball und Torball in den e. V. hat man 2017 außerdem einen wichtigen Schritt zur Förderung des Integrationssports gemacht. Die Stiftung leuchte auf unterstützt seit einigen Jahren soziale Projekte und fördert unter anderem das Bildungsangebot des BVB-Lernzentrums. Und für die umfangreiche Antidiskdiminierungs- und Gedenkstättenarbeit findet der BVB mittlerweile völlig zu Recht viel Anerkennung.
Dennoch gibt es keine nachvollziehbare Erklärung, dass der BVB sich ebenso vehement wie schmallippig verschließt, Fußball für Mädchen und Frauen zu fördern. Die Argumentation, man wolle anderen, etablierten Vereinen nicht in die Quere kommen, wirkt vorgeschoben. In Wirklichkeit scheint kein Interesse zu bestehen, sich mit dem Thema überhaupt ernsthaft auseinanderzusetzen. Ansonsten würde man schnell merken, dass es für Borussia Dortmund unterschiedlichste Möglichkeiten gibt, aktiv zu werden. Zum Beispiel im Breitensport.
Hier könnten die Verantwortlichen unter anderem folgenden Fragen nachgehen: Wie sind die Bedingungen für Frauen und Mädchen, die in Dortmund und Umgebung Fußball spielen möchten? Wo gibt es Verbesserungsbedarf bei Trainingsstätten, bei der Ausbildung von Trainerinnen und Betreuern oder mit Blick auf spezielle Zielgruppen wie Mädchen aus migrantisch geprägten Familien? Welche Amateurvereine möchten ihr Angebot gerne erweitern, haben aber mit organisatorischen oder finanziellen Problemen zu kämpfen? Wie steht es um die Schiedsrichterinnenausbildung? An welchen Stellen kann das Sport- vielleicht mit einem Bildungsangebot verknüpft werden?
Der BVB könnte eine mediale Aufmerksamkeit schaffen, durch die auch andere für möglichen Nachbesserungsbedarf sensibilisiert werden. Wohl keine andere Institution in Dortmund besitzt eine Stahlkraft, die es in diesem Maße ermöglicht, zwischen Sponsoren, Schulen, Kitas, gemeinnützige Einrichtungen und anderen ein Netzwerk zu knüpfen. Vorausgesetzt, das Engagement ist ehrlich.
Muss es überhaupt ein Profiteam sein?
Darüber hinaus bleibt der vermehrt geäußerte Wunsch, Borussia Dortmund solle wie der FC Bayern oder der VfL Wolfsburg mit einem Frauen-Team ins Profigeschäft einsteigen. Trotz der bereits geschilderten Bedenken erhoffen sich viele, dass die Strahlkraft des BVB auf die gesamte Branche abfärbt und die Bundesliga neuen Aufwind erfährt. Angesichts rückläufiger Zuschauerzahlen – in der aktuellen Saison kommen pro Spiel im Schnitt knapp 1.000 Menschen –, geringer medialer Präsenz und niedriger Gehälter, die es selbst in der Bundesliga nicht allen Spielerinnen ermöglichen, ihren Lebensunterhalt ausschließlich mit Fußball zu bestreiten, sind die Forderungen nachvollziehbar. Die völlig unverhältnismäßigen kommerziellen Auswüchse des von Männern gespielten Fußballers auch nur ansatzweise auf die weibliche Branche zu übertragen, würde zwar niemandem nützen – wird von den Spielerinnen überdies aber auch gar nicht gefordert.
Ein schwarz-gelbes Profiteam, das mittelfristig in der Bundesliga spielen soll, könnte außerdem wohl finanzschwächere, aber etablierte Vereine wie Essen (seit 2004 erstklassig), Jena (2008 bis 2018, seit 2019), Sand (seit 2014) oder Potsdam (seit 1997) verdrängen, sofern die Liga mit derzeit zwölf Teams nicht aufgestockt würde. Dass die Meisterinnen seit 2013 ausschließlich aus München oder Wolfsburg kommen und die vorherigen Seriensiegerinnen von Turbine Potsdam und dem 1. FFC Frankfurt abgelöst haben, ist kein Zufall. Die neuen Schwergewichte sollen über das doppelte Budget verfügen.
Für den BVB wäre das mehr als nur ein schmaler Grat. Ähnliches Gebaren bei den Männerteams von Leipzig und Hoffenheim hat man in der Vergangenheit zurecht kritisiert. Mit der Dampfwalze in die Frauen-Bundesliga vorzupreschen, wäre dem eigenen Umfeld kaum zu vermitteln. Erst recht, wenn man wie Real Madrid die Lizenz eines anderen Vereins kaufen würde.
Hauptsache, Borussia Dortmund bewegt sich endlich
Trotzdem gilt Ähnliches wie im Breitensport: Der BVB hat grundsätzlich die Mittel, die von der Branche gewünschte Professionalisierung voranzutreiben. Auch wenn diese dabei eigene Interessen im Blick hat, sollte Borussia sich dem nicht automatisch verschließen. Schließlich geht es auch darum, wie eine Entwicklung der Spitze schließlich dem ganzen Sport zugutekommen kann. Weil ein eigenes Profiteam allein wohl zu kurz gegriffen, mindestens aber risikobehaftet wäre, sollte der BVB zumindest in den Dialog mit DFB, Profi- und Semiprofivereinen treten, um auszuloten, wie ein Interessenausgleich gelingen kann.
Am Ende eines ganzheitlichen Prozesses könnten Ideen und Angebote für den Dortmunder Breitensport stehen, bei denen der Verein voran geht oder im Hintergrund koordinative Aufgaben übernimmt. Er könnte nach Bedarf Projekte finanziell fördern oder die Ausbildung von Trainerinnen und Trainern unterstützen. Und er könnte sich entscheiden, organisch ein Profiteam unter dem Dach der KGaA aufzubauen oder das Breitensport-Angebot des e. V. zu erweitern – oder beides. Hauptsache, der BVB macht es sich nicht länger in der Komfortzone bequem! Nun, da der Wunsch von mehreren Seiten – Spielerinnen, DFB und eigenen Fans – kommuniziert worden ist, spricht nichts dagegen, all die offenen Fragen proaktiv mit Mitgliedern, Fans und Interessierten zu diskutieren.
Für die Mitgliederversammlung am Sontag in der Westfalenhalle ist es freilich zu spät. Trotzdem: Sollte das Thema dort mal wieder zur Sprache kommen – oder am Montag während der Aktionärsversammlung –, bekommt man von den Verantwortlichen von e. V. und KGaA hoffentlich weniger ignorante Antworten zu hören als bisher.