Jadon Sancho – Ein Kicker des Kickens wegen
Noch ist die Saison nicht vorbei. Überraschung. Und eigentlich werden Loblieder auf einzelne Spieler meist erst im Anschluss an erfolgreiche Spielzeiten gesungen. Im vergangenen Sommer bot sich das nicht wirklich an. Nun ist zwar immer noch nicht Sommer, aber zumindest der Frühling steht deutlich vor der Tür. Und ganz nebenbei spielt unsere Borussia noch immer eine sehr gute Saison.
18 verschiedene Torschützen haben bislang ihren Beitrag zur momentan zweitbesten Offensive der Liga geleistet. Darunter auch viele Defensivspieler. Nahezu die komplette Offensivreihe – mit Ausnahme von Sergio Gómez – hat sich an den ersten 25 Spieltagen in die Torschützenlisten eingetragen. Der, neben Kapitän Reus, Herausragendste dieser offensiven Besetzung ist der gleichzeitig jüngste Akteur: Jadon Sancho. 18 Jahre ist er jung und weist statistische Werte auf, die schlicht und ergreifend überragend sind. Sancho hat bereits 22 Scorerpunkte gesammelt, die sich aus seinen 8 erzielten Toren und satten 14 Torvorlagen zusammensetzen. Schon erwähnt, dass der Junge erst in diesem Monat seinen 19. Geburtstag feiern wird?!
22 Scorerpunkte eines Teenagers nach knapp mehr als zwei Dritteln einer Bundesligasaison sind ein Statement. Das darf dann auch mal herausgehoben werden. Hoffentlich, wobei auch sehr wahrscheinlich, werden noch einige Tore und Vorlagen diese großartige Statistik erweitern – und vielleicht krönt dann ja sogar ein Titel diese überragende Saison unserer Nummer 7. So oder so macht es einfach brutal viel Spaß, dem Jungen beim Kicken zuzusehen. Oder um einen Redaktionskollegen zu zitieren: „Sancho ist so ein Spieler, bei dem ich das Gefühl habe, dass man folgenden Generationen noch begeistert davon erzählen wird, ihn live im Westfalenstadion spielen gesehen zu haben.“ Das bringt es gut auf den Punkt.
Er versprüht diesen puristischen Spielwitz, dem man vielen Akteuren des heutigen Fußballgeschäfts einfach nicht mehr abkaufen möchte. Dieses Gefühl, dass teils spektakuläre Dribblings nicht nur der eigenen Markenbildung dienen, sondern sie tatsächlich fester Bestandteil seines Spiels sind. Dass er mehrere Gegenspieler auf sich zieht, aber eben nicht um egoistische Triebe zu befriedigen und sich allein auf eine Bühne zu stellen, sondern um tatsächlich Räume für Mitspieler zu schaffen und Lücken zu reißen – 14 Torvorlagen sollten dafür Indiz genug sein.
Natürlich ist bei weitem noch nicht alles rund, gerade im Hinblick auf Sanchos Defensivverhalten. Aber wie sollte das auch schon so sein? Sein Alter wurde schon erwähnt, oder? Um das Aufzeigen von Potenzialen zur Verbesserung soll es hier auch nicht gehen. Vielmehr steht der Kicker Sancho im Vordergrund, der – und hier zitiere ich gern Christian Streich aus seiner Friseur-Gate PK– einfach auf den Kickplatz hinausgeht und Spaß hat. Wenn man sieht, wie er Flanken herunterpflückt, dann mit dem ersten weiteren Kontakt den Ball streichelt, muss einem Fußballfan einfach das Herz aufgehen. In seinen Aktionen steckt so viel Unbekümmertheit, dass all meine Aufzählungen hier eigentlich schon wieder viel zu sehr nach Plattitüden klingen. Aber das sind sie nicht. Das wird Jadon Sancho nicht gerecht.
Auch ich war zu Beginn seiner BVB-Zeit eher skeptisch. Das nächste Jahrhunderttalent – diesmal aus England – da waren sich britische Medien einig. Da keimten per se schon einige Zweifel auf. Und gerade in Bezug auf charakterliche Schwarzgelb-Tauglichkeit dienten die Aubameyangs, Mors und Dembélés der jüngeren Vergangenheit ja durchaus als mahnende Beispiele.
Positive als auch negative Vorschusslorbeeren und Vorzeichen waren also reichlich vorhanden. Dazu dann die Gerüchte, Sancho habe sich bei Manchester City mehr oder weniger weggestreikt, weil er um seine zukünftigen Einsatzzeiten fürchtete und seine Entwicklung in Gefahr sah. Dementis folgten. Und dennoch ergab all das in Summe dann ein Bild, das nicht wirklich unbelastet und frei von Vorurteilen gezeichnet werden konnte. Um direkt mal den Spannungsbogen zu entschärfen: Dieses Bild ist jetzt ein komplett anderes!
Am 21. Oktober 2017 betrat Sancho erstmals die Bundesliga-Bühne, als er in Frankfurt knapp zehn Minuten vor Abpfiff eingewechselt wurde. Die wenigen Ballaktionen, die ihm in der kurzen Restspielzeit noch blieben, schürten bereits enorme Vorfreude. Man hatte so ein Gefühl, eine Art Vorahnung, welch tolle Momente in den kommenden Wochen, Monaten und Jahren noch folgen sollten. Dieses Gefühl entsprach aber schon damals nicht der überdramatischen „Hier entwickelt sich der nächste Super-Mega-Top-Star“-Einstellung. Der Grundtenor war ein anderer: Fußballerische Freude lag in der Luft!
Mittlerweile hat sich ein relativ klares Bild der Person Jadon Sancho ergeben. Das Bild eines jungen Mannes, der im jüngsten Trainingslager in Marbella nach einer Gesprächsrunde aufstand und allen anwesenden Journalisten die Hand gab und sich für den Austausch bedankte. Sanchos Höflichkeit und seine bodenständige Art sind nicht gespielt. Sie sind wie sein Fußball-Stil: ehrlich, unvoreingenommen und trotzdem sehr individuell. Der Junge möchte gern kicken, weil er so unglaublich viel Spaß daran hat und es dazu auch noch besser kann als viele andere.
Natürlich obliegt es nun uns, nicht allzu naiv zu sein und davon auszugehen, dass dieser junge Fußballer auch noch in fünf Jahren für den BVB spielen wird. Diesen Teil von Fußballromantik werden wir in dieser Geschichte nicht finden – also sollten wir ihn auch nicht suchen. Momentan könnte und sollte man sich schon über eine weitere Saison Sanchos in unserem Trikot freuen, denn die Premier League steht regelrecht Schlange. Sein Standing auf der Insel wächst von Tag zu Tag. Anfang dieser Woche erklomm Sancho erstmals die alleinige Spitzenposition in Sachen Marktwert aktueller Bundesligaspieler – auf 80 Millionen wird dieser beziffert. Spricht man mit Fans auf der Insel, wissen sie ganz genau, was für ein Spieler sich da gerade bei Borussia Dortmund entwickelt und dass dieser Jadon Sancho vielleicht sogar schon jetzt jedes Team der Welt bereichern würde.
Vielleicht schaffen wir es, diese Aspekte ja einfach auszublenden und die nächsten spektakulären Ballkontakte zu genießen. Vor allem in den kommenden Wochen werden seine Fähigkeiten enorm gefragt sein. Wenn Mitspieler ihm gegen tiefstehende Gegner flehend den Ball in die Füße spielen und der Pass sozusagen schon die Botschaft „bitte mach' was“ enthält. Über die Verantwortung, die bereits jetzt auf seinen Schultern lastet, scheint Sancho in solchen Momenten nicht nachzudenken. Er will eben nur kicken!