Abgänge in der Winterpause: Kagawa, Rode, Burnic, Toljan, Isak, Stabilität, Moral
Als die kleine schwatzgelb.de-Reisegruppe, entgegen den üblichen Gepflogenheiten, die Spielstätte bereits einige Zeit vor Abpfiff verließ, lief alles in geordneten Bahnen. Die Mannschaft in den gelben Trikots führte 2:0. Gut, die Jungs hatten einige wirklich gute Chancen auf eine höhere Führung vergeben, aber auch der Gegner kam nur selten gefährlich vors Tor.
Kurze Zeit später checkte die Reisegruppe im erstaunlich zuverlässigen Bulli (was bei schwatzgelb.de-Touren eine Erwähnung wert ist) das Ergebnis: die Männer in Gelb hatten das 2:0 locker über die Zeit gebracht. Zufriedene Mienen im Bus, gute Stimmung.
Doch genug vom Spiel des TSV Melchiorshausen gegen den FC Huchting in der Landesliga Bremen, schließlich war der Grund für die Bremenreise ein anderer: die Aufrechterhaltung der Meisterchance für den BVB.
Und so fuhr der Kleinbus weiter im Schneeregen Richtung Weserstadion. Die dortige Darbietung schlug dann doch sehr auf die Stimmung. Einmal mehr ließ die Mannschaft viele Fans ratlos zurück. Was in den 90 Minuten passierte, war mal wieder so erwartbar wie unverständlich.
Der BVB begann druckvoll. Immer wieder konnten sich die Dortmunder mit sehenswertem Kombinationsfußball aus den Bremer Pressingversuchen befreien und belohnten sich in der 6. Minute mit dem Führungstreffer von Christian Pulisic. Dieser zeigte speziell in der ersten Halbzeit zum ersten Mal seit langem wieder, dass die Chelsea-Millionen wohl nicht nur aus Marketinggründen gezahlt wurden.
Und auch weiterhin zog der BVB sein Spiel auf. Der Ball lief spielend leicht durch die Reihen der Borussia, die sich einige Chancen zum Führungsausbau erarbeiteten. Insbesondere Guerreiro, der heute auf der Linksverteidiger-Position auflief, Pulisic und Götze stachen heraus.
Auch Paco Alcácer, der sonst gerne mal längere Zeit in Spielen abtaucht, beteiligte sich immer wieder an den Kombinationen und arbeitete auch defensiv stark mit. In dieser Phase zeigte sich, warum Favre auf einen spielstarken Mittelstürmer setzt.
Doch ab der 30. Minute zogen sich die Dortmunder wieder zurück und überließen den Bremern die Hoheit. Bei der derzeitig wenig sattelfesten Defensive, trieb es einem bei 3,5° C im Weserstadion direkt die Schweißperlen auf die Stirn. Und auch wenn die ganz großen Bremer Chancen ausblieben, insbesondere im defensiven Mittelfeld gab es zwischen Witsel und Delaney immer wieder große Lücken.
Wie gut, dass Nuri Sahin wohl immer noch ein schwarzgelbes Herz hat. Sein Ballverlust am Dortmunder Strafraum gegen Götze leitete einen Konter ein, der in einem Freistoß am Bremer Strafraum mündete. Paco Alcácer sagte Danke und zirkelte den Ball überragend in die Maschen. Ein Wirkungstreffer für die Bremer, die kurz vor der Pause fast noch das 0:3 durch Diallo hinnehmen mussten.
Für eine Zwei-Tore-Führung zur Pause haben Sportreporter mal das Attribut „beruhigend“ erfunden. Dass das nicht immer der Fall sein muss, haben die Borussen in dieser Saison bereits mehrfach bewiesen. Jeder Fan hatte wohl diesen einen Film in der Pause im Kopf...und die Mannschaft lieferte.
Die Borussen starteten erneut sehr passiv in die zweite Halbzeit. Die Mannschaft zog sich wieder um den eigenen Strafraum zurück und überließ Bremen den Ball. Die konnten damit zwar grundsätzlich eher wenig Gefahr erzeugen, aber wenn ich dem Gegner permanent 20-30 Meter vor dem Tor den Ball gebe, ist immer was möglich.
Und so kam es, wie es kommen musste. Einen Schuss von Möhrwald ließ ausgerechnet der bislang so starke Bürki durch die Hände und die Beine rutschen und der Film im Kopf der Fans nahm weiter konkrete Formen an.
Besonders ärgerlich: bis zu diesem Zeitpunkt war der BVB zwar das weniger aktive, aber dafür deutlich gefährlichere Team. Sobald es nach vorne ging, gab es gute Chancen, die entweder die Abseitsfahne oder der einmal mehr starke Pavlenka zunichte machten.
Der Film im Kopf der Fans wurde dann zeitnah Realität, als Akanji den nächsten individuellen Fehler beging und Pizarro zum Ausgleich vollendete.
Bremen war nun obenauf, der BVB konnte den Schalter nicht mehr umlegen. Es ging in den letzten Minuten wild hin und her, wobei Bremen große Möglichkeiten hatte, das Spiel komplett zu drehen., während der BVB nur noch zu einer guten Pulisic-Chance kam.
Der Versuch einer Analyse
Bis zur 70. Minute war es eigentlich ein typisches Favre-Spiel. Der Ball zirkulierte in den eigenen Reihen, es wurde vorne immer mal gefährlich und dann zog man sich wieder zurück und sicherte das Ergebnis. Doch zum wiederholten Male ging es in dieser Saison schief. Das Spiel in Bremen zeigte einmal mehr, dass die derzeitigen Leistungen weder am Können noch am Willen liegen.
Die Mannschaft schöpft ihr Potenzial derzeit nur aus, wenn die Umstände für sie sprechen.
Läuft nur ein wenig schief, strittige Schiedsrichterentscheidungen, ein Gegentor durch einen individuellen Fehler, scheinen die Spieler jegliches Selbstbewusstsein zu verlieren. Die Mannschaft agiert plötzlich wie das Kaninchen vor der Schlange. Dies weiß auch der Gegner und so reicht selbst eine Zwei-Tore-Führung nicht aus, um den Gegner zu demoralisieren. Jeder Bundesligamannschaft ist mittlerweile bekannt, dass es sich gegen Dortmund lohnt, bis zum Ende vorne drauf zu gehen.
In der Hinrunde galten die Dortmunder selbst als „Mentalitätsmonster“. 2:0-Rückstand gegen Leverkusen? Egal. Zweimaliger Rückstand gegen München? Egal. Die Mannschaft war in vielen Spielen in der Lage die Zügel direkt wieder anzuziehen und das Spiel zu gestalten.
Und momentan? Geht in einer solchen Phase das große Verstecken los. Nach dem 1:2 war der ballführende Spieler plötzlich völlig auf sich alleine gestellt war, weil keiner sich anbot. Verglichen mit den starken Kombinationen der ersten Halbzeit, stellt sich schon die Frage, welcher Film in solchen Momenten in den Spielern abläuft. Vermutlich der gleiche wie der Film in den Köpfen der Fans. Dieses "Kopf-Problem" muss dringend gelöst werden.
Die Stabilität zwischen Spielkontrolle und Defensivhoheit ist in der Rückrunde völlig verloren gegangen.
Mit der tiefen Staffelung in der zweiten Halbzeit entkoppelte Favre Alcácer gestern komplett vom restlichen Spiel. Die offensiven Außen sind bei der defensiven Spielweise unverzichtbar in der Rückwärtsbewegung, um dem Gegner keine Chance zu geben, auf den Außen durchzubrechen. Damit ist Alcácer vorne auf sich alleine gestellt. Für einen Stürmer, der nicht den Körperbau eines Jan Kollers oder Robert Lewandowskis verfügt, eine undankbare Situation.
Bleibt die Frage, warum Favre in der zweiten Halbzeit eine solch tiefe Grundausrichtung wählte. Die Dortmunder dominierten die Bremer in der ersten Halbzeit bei eigenem Ballbesitz nach Belieben, so dass ein 3:0 wahrscheinlicher war, als ein Kontergegentor. Als Fan wünscht man sich in diesen Situationen dann doch den Mut, das eigene Spiel durchzuziehen.
An der Kraft sollte es auch nicht mangeln. Auch wenn die Saison auf der Zielgerade ist, die letzten englischen Wochen sind lange her, ein Bundesligaspieler sollte in der Lage sein, alle 7 Tage über 90 Minuten das Spiel mit eigenem Ballbesitz durchzuziehen. Doch in der Rückrunde gibt es in den Spielen des BVB nur noch zwei Zustände. Entweder minutenlanger Ballbesitz in der gegnerischen Hälfte oder alle Mann im und um den eigenen Sechzehner und der Stürmer an der Mittellinie. Für Stabilität in der Spieldynamik sorgt das nicht.
Es sind diese zwei Punkte, die für die neue Saison angegangen werden müssen. Denn ein Sieg vom TSV Melchiorshausen ist wertlos, wenn der BVB anschließend Punkte liegenlässt.