#KeineSchwäche - "Sollten Jugendliche wirklich einen Psychologen brauchen, um ihren Lieblingssport zu betreiben?" Bartosz Maslon über Druck im Jugendfußball (Teil 2)
Bartosz Maslon, 33 Jahre, hat eine außergewöhnliche Karriere als aktiver Fußballer hinter sich. Der heutige U19-Trainer der SG Wattenscheid 09 war mehrfach auf dem Sprung nach ganz oben und musste immer wieder Rückschläge hinnehmen. Im Gespräch mit schwatzgelb.de hat uns Bartosz seine Geschichte erzählt und gleichzeitig beeindruckende und nachdenklich machende Einblicke in das Geschäft des Nachwuchsfußballs gegeben.
Im ersten Teil blickte er auf seine aktive Karriere zurück und berichtete von seinen Erfahrungen im Jugendfußball.
Im zweiten Teil sprechen wir mit Bartosz über seine Erwartungen an Jugendtrainer, die Rolle der Eltern und was er am System "Nachwuchsfußball" gerne ändern würde.
Wie war es denn für dich, dann auf einmal wieder in der Kreisliga C bei Null zu beginnen?
Ich bin zum FC Kettwig gegangen, einem Verein, der Geld hatte, Spieler verpflichtet hat und den Durchmarsch bis in die Bezirks- oder Landesliga machen wollte. Was sie letztendlich übrigens auch geschafft haben. Ich fing an, wieder Spaß am Fußball zu haben.
Was war es denn, das das in dir geweckt hat?
Es ging nicht mehr darum, der Beste zu sein, sondern nach dem Motto: Gib mir die Pille, wir machen das schon! Ich musste nicht mehr zwei Mal am Tag trainieren, hatte keine Angst mehr davor, mich vom Training abzumelden oder dass jeder Fehler bestraft würde. Ich konnte auch mal sagen, wenn ich ausgelaugt war. Kreisliga C halt.
Dann rief mich in der Winterpause aber ein Kollege an, der bei Wattenscheids zweiter Mannschaft in der Kreisliga A spielte: „Bartosz, willst du nicht kommen?“ Ich habe zugesagt. In der Rückrunde habe ich da glaube ich 30 Buden gemacht. André Pawlak, der jetzige Co-Trainer vom 1. FC Köln, lud mich dann zum Kreispokalendspiel ein. Anschließend lobte er mich und holte ich mich ins Training des Regionalligateams. Und ich dachte direkt wieder: Alter, jetzt schaffst du es doch noch!
Und wieder lief es richtig, richtig gut. Berkant Canbulut, bis zu Wattenscheids Insolvenz der Leistungsträger dort, war schnell auf meiner Seite und Pawlak lobte mich öffentlich. Dann hat er mich fix in die erste Mannschaft hochgezogen. Ich konnte es nicht glauben.
Aber dann kams: Leisten entzündet, Achillesfersen entzündet, ich konnte gar nicht mehr laufen. Nach zwei, drei Monaten habe ich dann zum Trainer gesagt: Ich muss aufhören, mein Körper kann nicht mehr. Ich spiele jetzt nur noch in der zweiten Mannschaft.
Ich war 26 und immer noch so besessen von dem Gedanken, Profi zu werden.
Und waren dann die ganzen Dynamiken des ständigen Auf und Ab, das ganze Kopfkino, das du schon aus der Jugend kanntest, wieder da?
Ich habe wieder Druck verspürt. Er bezog sich jetzt aber weniger auf den Sport, sondern aufs Leben. Wenn es schon im Fußball schon so schlecht für mich läuft, was soll dann aus mir werden? Ich hatte mein Sozialwissenschafts-Studium im siebten Semester abgebrochen, weil ich wusste, ich werde Profi. Rückblickend betrachtet hätte ich es natürlich unter-, statt komplett abbrechen sollen. Aber da war auch niemand, der mir mal sagte: „Was machst du denn da?“ Meinen eigenen Kindern würde ich heute beispielsweise ganz andere Dinge raten.
Zu der Zeit hatte ich viele Gespräche mit meiner Mutter, in denen ich geweint habe und sagte: „Ich weiß nicht, wohin und was mit mir passiert. Ich werde nirgendwo Fuß fassen.“ Ich war 26 und immer noch so besessen von dem Gedanken, Profi zu werden. Es war niemand da, der mich mal zur Seite genommen hätte: „Mach mal einen Cut, das war’s.“ Im Gegenteil, ich habe immer wieder zu hören bekommen, dass ich es noch schaffen könne.
Angenommen, jemand hätte das gemacht: Hättest du dieser Person überhaupt geglaubt?
Also wenn das jemand aus meinem nahen Umfeld gewesen wäre, dann ja. Aber das war nicht der Fall.
Der Punkt, in dem du dir das selbst endgültig eingestanden hast, kam also erst ganz spät?
Erst, als ich 28 war. Andere sehen das mit 20 schon ein. Ich war unglaublich am heulen und habe mich eingesperrt, weil ich nicht mehr wusste, wohin.
Trotzdem hast du dem Fußball dann nicht den Rücken gekehrt.
Ich habe dann die U13 der SG Wattenscheid übernommen. Kinder zu trainieren, sie weiterzuentwickeln – das fing an, mir zu gefallen. Ich mochte es, die Freude in ihren Augen zu sehen, und habe mich verpflichtet gefühlt, ihnen das zu erhalten, bevor vielleicht ein anderer Trainer kommt und das kaputtmacht.
Dann kam ein Angebot aus Schalke, das ich angenommen habe. Co-Trainer der U13. Der Trainer dort hat super Arbeit gemacht Trotzdem habe ich dort eine ganz andere Welt vorgefunden, auf diesem Niveau war der Leistungsdruck schon zu erkennen und die Turniere waren nicht mehr in der Nachbarschaft, sondern hunderte Kilometer entfernt. Unsere Trainer waren top ausgebildet und standen hinter den Kindern, aber selbst wir empfanden dieses negative Gefühl, liefern zu müssen. Auf Schalke haben wir eng mit einem Psychologen zusammengearbeitet, aber nicht jeder Verein hat diese Möglichkeit.
Ein Psychologe für 13-Jährige?
Genau. Das ganze Konstrukt fand ich sehr fragwürdig. Die Psychologen haben wirklich gute Arbeit gemacht, aber sollten Kinder und Jugendliche wirklich einen Psychologen brauchen, um ihren Lieblingssport zu betreiben? Das wollte ich nicht mehr, Spaß hat es mir erst recht nicht gemacht, obwohl ich mich mit den Kindern, Eltern und anderen Trainern gut verstanden habe. Eine Zeit lang habe ich bei Schalke noch ein Aufbautraining für neue Spieler geleitet. Grundsätzlich hatte ich schon Gefallen am Trainerdasein gefunden. Dann keimte in mir der Wunsch auf, mal in Polen zu hospitieren.
Das klingt erneut ziemlich abenteuerlich. Wie ist das abgelaufen?
Stal Mielec war zu diesem Zeitpunkt mit nur einem Punkt Letzter in der ersten Liga. Interimsmäßig bekam ich die Gelegenheit, sie zu trainieren. Am Ende wurden wir Achter. Ich kam zurück nach Deutschland, mein Sohn war vier, meine Tochter ein Jahr alt. Und dann hat es mich wieder eingeholt: Stal Mielec unterbreitete mir sogar ein Angebot, ein weiteres Jahr bleiben, als Co-Trainer. Profigeschäft, endlich! Mein Vater: „Mach das unbedingt!“ Meine Frau, die Italienerin ist, aber in Deutschland geboren ist und keine Beziehungen zu Polen hat, bat mich, in Deutschland zu bleiben. Es hätte keine Möglichkeit gegeben, als Familie gemeinsam dorthin zu gehen. Ich war hin- und hergerissen. Am liebsten wollte ich es allen recht machen. Dann habe ich Tomasz Waldoch angerufen.
Wie bitte?
Der kannte mich nicht. Ich hatte aber gehört, dass der ein super Typ sein soll. Die Nummer hatte ich von einem meiner Spieler von Stal Mielec, der in Kontakt mit ihm stand. Zu dem Zeitpunkt war der glaube ich immer noch irgendwie auf Schalke unterwegs.
Das war das Beste, das ich tun konnte.
Und?
Ich habe ihn angerufen, ihm meine Situation geschildert und gefragt, ob er mal Zeit für mich hätte. Er hat sich dreieinhalb Stunden für mich genommen. Ich sagte ihm: „Wenn ich mich für Polen entscheide, möchte ich jemanden, mit dem ich reden kann und der mich unterstützt. Als Berater. Aber ich weiß nicht, was ich tun soll.“ Daraufhin sagte er mir: „Wenn du nach Polen gehst, unterstütze ich dich. Das machen wir auch vertraglich fest. Aber ich sage dir eine Sache: Nichts geht über die Familie. Ich kann dir aus eigener Erfahrung sagen, dass vieles an Geld kaputtgehen kann. Als Mensch rate ich dir: Mach es nicht. Als Sportler sage ich: Es ist eine tolle Chance. Aber ich würde mich in diesem Fall für meine Familie entscheiden.“ Daraufhin habe ich direkt in Polen angerufen und abgesagt.
Wie beurteilst du diese Entscheidung rückblickend?
Das war das Beste, das ich tun konnte. Endlich der Cut, den ich brauchte, und danach lief es. Meine Familie war glücklich, kurz darauf habe ich einen Job an einer Schule bekommen. Ich hatte ja mein Studium abgebrochen und habe dann stattdessen eine dreijährige Ausbildung zum Sport- und Gymnastiklehrer absolviert. Jetzt arbeite ich als Lehrer an einer Grundschule in Bottrop. Später bin ich Seniorentrainer beim VfB Kirchhellen geworden, was mir viel gegeben hat.
Wie hast du deinem Vater beigebracht, dass du in Polen abgesagt hast?
Ich habe ihm eine SMS geschrieben. Dass ich ihn über alles liebe und dankbar bin, dass er mich trotz aller Schwierigkeiten zu dem Typen gemacht hat, der ich bin. Und dass ich hoffe, dass er meine Entscheidung akzeptiert. Ich wusste, dass er das tun würde, trotzdem hatte ich ein bisschen Angst, ihn zu enttäuschen.
Und wie hat er reagiert?
Er hat mich angerufen: „Wenn du das so willst, dann ist das völlig in Ordnung. Mach dir keine Sorgen.“ Sein letzter, flapsiger Satz war aber auch: „Aber ich hätte es gemacht.“ (lacht)
Auch von Elternseite steht häufig nur noch der Leistungsgedanke im Vordergrund.
Nach alldem, das du erlebt hast: Was macht Fußball heute für dich aus?
Ich baue mir gerade eine eigene Fußballschule auf. Aber nicht als Fördertraining, sondern mit dem Fokus auf Spaß. Das möchte ich gerne fördern. Ein Oldschool-Ansatz mit modernen Methoden.
Du hast bereits von deinem eigenen Sohn erzählt, der in Wattenscheids Jugend Fußball spielt. Du erlebst den Jugendfußball gerade also nicht nur als Trainer, sondern auch als Elternteil. Wie erlebst du die Rolle der Eltern rund um das Fußballspielen ihrer Kinder?
Wir als Eltern haben einen riesigen Einfluss. Ich sage meinem Sohn, der gerade Torwart bei Wattenscheid ist, immer wieder, dass bei uns nicht schlecht über andere Spieler gesprochen wird. Die Kinder sollen zusammen sein, voneinander lernen und sich gegenseitig unterstützen. Aber ihr glaubt gar nicht, wie Eltern die Kinder gegeneinander ausspielen. Dann denkt das Kind: „Papa mag einen Mitspieler nicht, also muss ich besser sein. Er ist nicht mehr mein Freund, sondern mein Feind.“ Auch von Elternseite steht häufig nur noch der Leistungsgedanke im Vordergrund. Ich glaube, viele Leute haben sich zu Hause kaum noch etwas zu sagen, deswegen nehmen sie den Sport als zentrales Thema. Und so gehen sie mit den Kindern auch um. Für mich ist das ein Riesenskandal!
Hast du die Möglichkeit, dem mit deiner Arbeit als Trainer entgegenzuwirken?
Meine erste Trainerstation war die U12 von Wattenscheid 09. Die Mannschaft hatte sich komplett aufgelöst, weil die ganzen großen Vereine wie Dortmund, Schalke oder Bochum die Kinder zu sich geholt hatten, sodass, glaube ich, nur noch vier Spieler übriggeblieben waren. Dann hatten wir ein Sichtungstraining und ich habe alles genommen, was ich konnte, damit ich eine Mannschaft zusammen bekomme. Die Jungs waren vielleicht alle nicht so talentiert, aber egal, die hatten Lust auf Fußball.
Wir fingen mit dem Training an. Jeder kannte die Situation: Neue Mannschaft, neue Kinder, die sich erst mal ans Level gewöhnen müssen. Die Ergebnisse in der Meisterschaft liefen gut. Dann kamen die großen Turniere gegen Dortmund, Düsseldorf, Schalke und Bochum. Ich sagte: „Ich nehme alle Kinder mit.“ Daraufhin gab es bei den Eltern einen Aufstand. Mein Handy klingelte und Eltern fragten mich: „Warum das denn? Wir können doch nicht alle Kinder mitnehmen!“ Daraufhin habe ich alle Eltern zusammengetrommelt: „Mit welchem Recht entscheidet ihr, ob ich ein Kind mitnehme? Ihr nehmt einem Kind doch die Möglichkeit, etwas Schönes zu erleben.“ Für viele ist es doch ein einmaliges Erlebnis, gegen „die Großen“ aus dem Bundesliga-Nachwuchs zu spielen. Selbst ich mit meinen mittlerweile 33 Jahren erzähle meinen Kindern noch davon.
Die Eltern waren sauer, beleidigt und sind auf die Barrikaden gegangen. Ich habe das durchgezogen, habe alle mitgenommen und spielen lassen, damit die Kinder dieses Gefühl kriegen. Wir haben ausschließlich Unentschieden gespielt und kein Spiel verloren. Und das habe ich immer und bei allen Turnieren so gemacht.
Mir fehlte jemand, der Dinge bei Problemen hinterfragt und mich wieder aufgebaut hätte.
Hast du aus deiner Zeit als aktiver Fußballer Dinge mitgenommen, die dich in der Ausübung deiner eigenen Vaterrolle heute beeinflussen?
Mental fühle ich mich mittlerweile sehr gefestigt. Ich brauche beispielsweise keinen Erfolg meines Sohnes im Fußball. Meine Aufgabe als Vater ist es, ihn abzusichern. Gerne soll er beim Fußball Ehrgeiz entwickeln, aber keinen Druck empfinden, sondern Spaß haben. Ich wollte zum Beispiel lange nicht, dass er zu Turnieren oder Meisterschaftsspielen mitfährt, sondern erst mal nur Freundschaftsspiele macht. Ich wollte, dass er erst mal den Sport kennenlernt und erfährt, ob das überhaupt etwas für ihn ist. Langsam leckt er Blut.
Du hast von deiner eigenen Karriere erzählt und von den immer wiederkehrenden Situationen, in denen es für dich schlecht oder gar nicht lief. Was hättest du dir da denn von deiner Familie, von deinem Trainer und vom Verein gewünscht? Und was bräuchten – mit einigen Jahren Abstand – junge Spieler heute, um die von dir genannten Probleme abzufedern?
Vertrauen. Und einen Trainer, der immer ein offenes Ohr für dich hat und nicht auf dich draufhaut. Mir fehlte jemand, der Dinge bei Problemen hinterfragt und mich wieder aufgebaut hätte.
Kein Mensch kann sich gegen Lob wehren, das wirkt immer.
Für eine Person alleine, beispielsweise einen Trainer eines Kaders von 20 Jugendlichen, ist das vermutlich schwierig zu stemmen …
Du wirst nie im Leben allen gerecht. Es geht nicht darum, nur noch stundenlange Gespräche zu führen. Es reicht schon, jemandem durch regelmäßiges Zureden ein gutes Gefühl zu geben. Um einem Kind zu zeigen, dass man es sieht und seine Bemühungen anerkennt, braucht es manchmal gar nicht viel. In meinen Augen kann regelmäßiges, punktuelles Loben während der Trainingsarbeit oder nach Spielen hier schon viel bewirken. Kein Mensch kann sich gegen Lob wehren, das wirkt immer. Und das kannst du auch leisten, wenn du allein, vielleicht maximal mit einem Co-Trainer, für einen großen Kader verantwortlich bist.
Im Moment trainiere ich 25 Kinder und ich picke mir immer wieder bewusst welche raus, mit denen ich rede, die ich zuletzt vielleicht vernachlässigt habe. Ich beobachte immer wieder, dass sie direkt Reaktionen zeigen, in die nächste Trainingsübung beispielsweise mit einer ganz anderen Körperhaltung gehen. Für mich ist das die Aufgabe eines jeden Trainers, und da möchte ich auch keine Ausreden gelten lassen. Wenn so etwas ausbleibt, entsteht bei Menschen Druck, egal ob das junge Fußballer oder Leute im Berufsleben betrifft.
Schaut man sich die A-Jugend-Finals der letzten 20 Jahre an, stellt man fest, dass pro Jahrgang maximal drei bis vier Spieler nachher in der Bundesliga spielen. Von den anderen 20 hat man vielleicht nochmal den einen oder anderen Namen gehört, aber wirklich etabliert haben sich in der Regel nur zwei bis drei. Würdest du deinen Kindern überhaupt empfehlen, den ganzen Stress auf sich zu nehmen, um diese Minimalchance zu haben?
Wisst ihr, was ich meinen Sohn wünsche? Dass er in den bezahlten Fußball kommt. Westfalenliga, Oberliga, der Bereich. So dass er, wenn er zum Beispiel mal studiert, nebenbei etwas Geld verdient. Dass er nicht irgendwo hinter der Theke arbeiten muss, sondern dass er sein Studium mit seinem Sport, seiner Liebe, seiner Passion finanzieren kann. Das wäre doch das Schönste. Wenn es nicht klappt, auch kein Problem. Aber das ist mein Wunsch.
Aber viele Eltern denken anders. Die sagen: "Mein Kind muss dies, mein Kind wird das." Und das Schlimme ist: Die reden zu Hause darüber. Das Kind saugt das auf, denkt sich „Boah, ich werde Profi“ und aus diesem Gedanken entwickelt sich dann der Druck. Und wenn das Kind dann scheitert, kann es damit nicht umgehen. Und das zieht einen Rattenschwanz hinter sich her. Das Kind verliert sich in der Welt.
Da müssen wir Trainer sehr aufpassen, dass wir diese Empathie für die Jugendlichen nicht verlieren.
Mittlerweile haben viele Vereine Jugendinternate, die genau so etwas verhindern sollen. Die nebenbei Wert auf die Ausbildung legen.
Ich würde das verbieten. Wir reißen Kinder aus ihrer Umgebung raus, nehmen ihnen die Möglichkeit, sich zurückzuziehen, sich zu verkriechen und labern die voll: „Du kannst Profi werden.“ Der einzige Ansprechpartner ist häufig nur ein Psychologe, nicht einmal der Trainer. Wenn du dem Trainer sagst, dass du Angst hast, wird das als Schwäche ausgelegt. Und dieses Geschäft duldet keine Schwäche. Grundsätzlich ist die Idee der Internate keine schlechte, aber ich würde die Kinder da lassen, wo sie sind.
Du sprachst gerade Psychologen an. Hast du das Gefühl, dass die Arbeit mit Psychologen mittlerweile anerkannt ist oder ist das für viele nur schmückendes Beiwerk?
Ich glaube, dass es hilfreich ist. Ich habe die Psychologen auf Schalke kennengelernt, das sind wirklich tolle Menschen, die mit dem Herzen dabei sind und auf die Kinder eingehen. Aber mal ehrlich: Allein die Tatsache, dass es Psychologen im Jugendfußball gibt, ist doch schon ein Skandal. Eigentlich müsste man als Chef doch sagen: „Stopp, Schluss jetzt! Hier muss was passieren.“ Man muss an anderen Schrauben drehen. Wir können doch nicht unsere Kinder so einem Druck aussetzen, dass sie es nur mit Psychologen schaffen.
Wie müssen wir uns die Arbeit mit den Psychologen vorstellen? Gehen diese gezielt auf die Kinder und Jugendlichen zu? Oder umgekehrt?
Teils teils. Die Kinder wissen, dass sie sich jederzeit, auch außerhalb der regulären Zeiten, bei den Psychologen melden können. Aber wenn die Psychologen merken, dass ein Kind ein Problem hat, dann gehen sie natürlich auf das Kind zu.
Gibt es einen Austausch zwischen den Psychologen und den Trainern?
Ja, auf jeden Fall. Der findet statt. Aber dadurch, dass der Psychologe ihm die Arbeit abnimmt, besteht auch die Gefahr, dass dem Trainer das Fingerspitzengefühl verloren geht. Eigentlich muss der Trainer mit den Jungs sprechen, zuhören, sich ein Bild machen. Dann kannst du auch viel besser auf einzelne Situationen reagieren. Wenn mir ein Psychologe sagt, dass es einem Spieler gerade nicht gutgeht, dann registriere ich das. Aber wenn ich selbst mit dem Spieler spreche, ihn dabei anschaue, dann kann ich mich viel besser in ihn hineinversetzen. Wir sind ja Gefühlsmenschen. Da müssen wir Trainer sehr aufpassen, dass wir diese Empathie für die Jugendlichen nicht verlieren. Es ist unsere Aufgabe als Trainer, die Kinder zu unterstützen, ihnen Halt zu geben.
Wir leben immer noch in einer Fußballwelt, wo wir den Spielern keine Schwäche zugestehen wollen.
Deiner Auffassung nach sollte der Trainer also die „alltagspsychologische“ Arbeit machen und wenn er merkt, dass es größere Probleme gibt, dann müsste der Fachmann ran.
Genau so. Ich hoffe auch, dass es überall so funktioniert, aber ich weiß es nicht.
Angenommen, ich bin ein 17-jähriger Nachwuchsfußballer, der das große Ziel vor Augen hat, und jetzt merke ich, irgendwas passt gerade nicht. Dann hätte ich doch Hemmungen, mich dem Psychologen zu offenbaren, wenn ich weiß, er redet mit dem Trainer.
Klar. Wir leben immer noch in einer Fußballwelt, wo wir den Spielern keine Schwäche zugestehen wollen. Aber das ist doch genau der falsche Weg. Wenn ich überlege, ob ich meinem Trainer meine Schwäche offenbaren darf, dann ist das ein Scheißtrainer. Jeder Mensch hat Schwächen. Es kann jeder Spieler zu mir kommen. Ich sehe es nie als Schwäche, wenn mir jemand sagt, dass er etwas nicht kann oder sich etwas nicht traut. Klar, es ist Leistungssport. Aber auch Leistungsfußball geht mit Empathie. Natürlich gehört es auch dazu, jemandem zu sagen, dass es nicht für die Startelf reicht oder für die Leistungsklasse. Aber die Frage ist doch, wie ich es ihm sage.
Das System muss sich deiner Meinung nach also hinterfragen?
Ganz genau. Nicht nur, aber gerade auch im Jugendfußball. Wir dürfen schwach sein. Wenn jemand verletzungsanfällig ist, dann heißt es, der Körper macht nicht mit. Aber wenn der Geist nicht mitmacht, dann ist das nichts anderes. Und da müssen wir gegensteuern.
Sprechen wir über die Trainerausbildung in Deutschland. Wie beurteilst du die Ausbildung? Wie sehr ist der Umgang mit Jugendlichen Thema der Ausbildung?
Also ich muss sagen, was Deutschland auf die Beine gestellt hat, ist eine Supergeschichte. Mich hat das enorm weitergebracht. Es wird einem wirklich von Fachleuten beigebracht, wie ich Jugendlichen den Spaß am Fußball erhalte. Aber wir als Trainer schaffen es häufig nicht, das umzusetzen, weil wir unser Ego pushen wollen. Wir wollen siegen, wir wollen zeigen: „Hey, schau mal was ein toller Trainer ich bin.“ Hier müsste man eigentlich antworten: „Du bist einfach nur ein Ausbilder, halt die Schnauze.“ Ich will, dass meine Jungs weiterkommen, das ist meine Aufgabe.
Aber die Ausbildung ist schon sehr gut. In Polen entwickeln sich die Strukturen gerade erst, da ist man noch 20 bis 30 Jahre zurück.
Was hat der Gegner denn getan? Er hat gut gespielt und gewonnen.
Erinnerst du dich noch an den Zeitpunkt, als du von Robert Enkes Tod erfahren hast?
Ja, ziemlich genau. Ich war auf dem Weg zum Training. Das war schon tragisch. Und was ist passiert? Wir lernen nicht aus der Geschichte. Der Mensch hört sich die Sache an, trauert kurz mit und stumpft dann ab.
Der Suizid von Enke ist natürlich nur begrenzt vergleichbar, weil bei ihm noch die Depressionen als auslösender Faktor dabei waren. Du warst zu der damaligen Zeit in Polen in einer existenzbedrohenden Lage. Gab es bei dir einen Punkt, wo du keinen Sinn mehr gesehen hast?
Ich habe mich damals tatsächlich erst mal gefragt, wie das sein kann, dass ein Mensch sich das Leben nimmt. Ich habe die Krankheit Depression bis dahin wirklich unterschätzt. Und dann kamen die Momente, wo ich selber gemerkt habe, dass es mir zu viel wird, dass ich nicht mehr will. Es ging nie so weit, dass ich wirklich über Suizid nachgedacht habe. Aber es gab schon Phasen, wo ich keine Lust mehr hatte. Ich hab‘ nur geweint, ich wollte nicht mehr raus. Wozu das alles? Diese negativen Gedanken haben mich da überrannt.
Ist es im Nachhinein nicht völlig verrückt, sich von dieser Sportart Fußball, die ja deine große Liebe ist, sich den Spaß am Leben nehmen zu lassen?
Absolut. Bei mir hat alleine der Druck gereicht, um mir jeglichen Spaß zu nehmen. Das ganze Fußballgeschäft ist auf Gewinnen fixiert. Bestes Beispiel: Wenn ich Eltern nach einem verlorenen Spiel zuhöre, dann geht’s meist erst mal darum, wie schlecht denn der Schiedsrichter war. Aber keiner sagt seinem Kind: „Pass auf, du hast verloren. Jetzt gehst du zum Gegner und gratulierst ihm.“ Was hat der Gegner denn getan? Er hat gut gespielt und gewonnen. Und dann muss ich ihm auch Respekt zollen. Aber davon ist auch im Jugendfußball viel verloren gegangen.
Wer Eltern bei einem Jugendfußballspiel beobachtet, weiß, wovon du redest.
Das ist Wahnsinn. Ich habe gerade schon von dem F-Jugend-Turnier in Leverkusen erzählt. Wir stiegen aus dem Auto aus und hörten schon das Geschrei. „Lauf!“, „Schiri!“, „Foul!“, „Was eine Scheiße!“. Und dieses Verhalten übernehmen die Kinder sofort. Wenn die Eltern schreien und fluchen, schreien und fluchen die Kinder auch. Wenn die Eltern nicht verlieren können, können die Kinder auch nicht verlieren.
Aber bitte nicht schon die Kinder mit 7 Jahren rausschmeißen.
Mittlerweile gibt es ja Projekte, bei denen die Kinder ohne Schiedsrichter spielen.
Eine Superidee. Aber sie funktioniert nicht. Wisst ihr wieso?
Wegen der Eltern?
Genau. Nur wegen der Eltern. Es müsste einen Spielbeobachter geben, der eingreift, wenn die Kinder sich nicht einigen können. Aber die Eltern dürften die Spiele gar nicht mehr besuchen. Auf Schalke gibt es einen Kunstrasen mit einer großen Plexiglasscheibe drum herum. Da stehen die Eltern, können die Kinder beobachten, aber die Kinder können nicht hören, was die Eltern sagen. Das klappt wunderbar.
Es hat doch einen Grund, warum immer weniger Kinder in Deutschland Fußball über längere Zeit spielen, warum viele Vereine in den älteren Jahrgängen keine Mannschaft mehr stellen können. Weil die Kinder schon früh den Spaß verlieren.
Was wäre deine Herangehensweise?
Ich sage auch leistungsorientierten Vereinen immer: Schmeißt keine F-Jugend-Spieler raus. Das sind Kinder, die gerade mit dem Fußball angefangen haben. Denen kann ich nicht sagen, dass sie zu schlecht sind. Was machen die Vereine? Schmeißen die Spieler raus.
Lass die Kinder zusammenspielen, bis zur C-Jugend (15 Jahre), egal ob talentiert oder untalentiert. Ein Kind, das in dem Alter schon talentiert ist, verliert ja nicht das Talent, nur weil es mit weniger talentierten Kindern zusammenspielt. Und ab dann fängst du an zu schauen. Viele Kinder werden bis dahin schon selbst sehen, dass sie es nicht schaffen. Aber bitte nicht schon die Kinder mit 7 Jahren rausschmeißen.
Du hast selbst beschrieben, wie sehr das angebotene Geld in deiner Jugend deine Wechsel mitbeeinflusst hat, einfach aufgrund eurer prekären finanziellen Lage. Können wir daraus schließen, dass du Geld für Jugendspieler ablehnst?
Nein, so kann man das nicht sagen. Das Problem ist natürlich, dass viele Jugendliche gar nicht richtig einschätzen können, was jetzt 500 € pro Monat sind. Vereine sollten für jeden Jugendlichen ein Sparkonto eröffnen und jeden Monat das Geld darauf überwiesen. Vertraglich wird festgelegt, dass das Geld dem Spieler gehört und er ab 18 darüber verfügen kann. So hätten Spieler direkt nach dem Jugendbereich einen gewissen Betrag und können, gerade wenn sie die große Karriere nicht schaffen, darüber verfügen. So verhindert man auch, dass Kinder und vor allem auch die Eltern von dem Geld geblendet werden. Derzeit ist es so, und das ist so absurd wie es klingt, dass 13-, 14-jährige Fußballer teilweise monatlich mehr verdienen als ihre Eltern. Und natürlich gibt man als Jugendlicher das Geld auch für unnütze Dinge aus. Das könnte man über dieses Modell abfedern. Du hast ja gerade schon gesagt, pro A-Jugend-Meisterjahrgang schaffen es vielleicht zwei. Und der Rest? Da hat bestimmt nicht jeder das Geld schön zur Seite gelegt.
Gibt es noch Momente, wo du mit dem Verlauf deiner Karriere haderst?
Ja, eigentlich fast immer. Es gibt so viele Momente, wo ich denke: Hätte ich da mal getroffen oder da anders reagiert. Es scheiterte halt an so vielen Kleinigkeiten. Zudem werde ich ja auch immer wieder daran erinnert. Ich habe mit Lewandowski zusammengespielt, mit Igor Lewczuk, beide heute Nationalspieler. Ich spielte bei Korona Kielce: Grzegorz Piechna wurde Nationalspieler. Paweł Golański wurde Nationalspieler. Du hast dich mit denen gemessen und warst nicht schlechter. Dann trainierte ich bei Igloopol Dębica, meinem Heimatverein, mit einem gewissen Artur Jędrzejczyk, der nun drei Weltmeisterschaften für Polen gespielt hat. Mein erstes Spiel als Interimstrainer war gegen Jerzy Brzęczek, Onkel von Kuba Błaszczykowski, heutiger Nationaltrainer Polens. Das heißt, egal wo ich gespielt habe, da waren immer Leute, die haben eine Riesenkarriere gemacht. Aber im Nachhinein lässt es sich nicht ändern und ich bin schon sehr zufrieden, so wie es gekommen ist.
Bartosz, danke für deine offenen Worte und deine Zeit!
In unserer Reihe #KeineSchwäche sind bereits erschienen:
Teil 1: SG Spezial: #KeineSchwäche – 10 Jahre nach Robert Enkes Tod
Teil 2: Ciriaco Sforza: "Ich würde es begrüßen, wenn jeder Verein dieses Thema professionell behandelt."
Teil 3: #KeineSchwäche – "Gemeinsam das Leben festhalten." Die Robert-Enke-Stiftung
Teil 5: #KeineSchwäche - Babak Rafati: "Im Fußball wird Druck generell unterschätzt"
Teil 6: #Keine Schwäche - Die große Leere. Über Depressionen.
WICHTIG: Depressionen können jeden treffen. Sie sind keine Einbildung, sondern eine Krankheit, die mittlerweile gut behandelt werden kann. Wenn ihr akut Hilfe braucht, wendet euch an die Telefonseelsorge unter 0800 111 0 111 und 0800 111 0 222 (kostenlos).