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Der Weg aus der Stimmungskrise

16.12.2019, 12:03 Uhr von:  Gastautor
Der Weg aus der Stimmungskrise

Gastautor Marcel hat die Südtribüne zuletzt nicht so erlebt, wie er sich wünschen würde. Ein Appell.

Als ich noch ein kleiner Junge war, blickte ich voller Sehnsucht vom Block 38 herunter auf die Südtribüne. Ich war schon immer unruhig und voller Emotionen, mich hielt es nie auf meinem Sitz. Ich wollte dort stehen, wo es unfassbar laut war, unseren BVB nach vorne treiben und ein Teil des großen Ganzen sein. Dass die sportlichen Darbietungen auf dem Rasen in diesen Zeiten keineswegs ruhmreich waren, störte mich dabei nicht im Geringsten, ging es doch eher um bedingungslosen Beistand und Treue, als um sportliche Höchstleistungen, die zu diesem Zeitpunkt so weit weg schienen wie die Blauen von der Schale.

Seit zwanzig Jahren schaffe ich es immerhin noch drei bis vier Mal pro Saison ins schönste Stadion der Welt, was mich natürlich zum einen traurig stimmt, da mein Beruf kaum mehr Besuche zulässt, zum anderen aber jeden Stadionbesuch immer wieder zu etwas ganz Besonderem macht.

Der sportliche Erfolg der letzten Jahre verbannte mich während meiner letzten Besuche nach jeweils ca. 200 vergeblichen Anrufen in der Tickethotline (an dieser Stelle ein Dank an dieses herausragende Vorverkaufskonzept) leider immer wieder in Block 58/59 Ecke Nordost. Ich konnte damit leben, wenn auch nicht besonders gut, da unser Anhang in diesem Bereich leider oft genug emotional an die Klatschpappenschwinger aus dem Süden der Republik erinnert – egal, Hauptsache Westfalenstadion, Hauptsache BVB!

Nach acht langen Jahren der Abstinenz von unserer geliebten Südtribüne hatte ich es endlich geschafft über neue Kontakte an meinen Lieblingsort zurückzukehren. Allein die Tatsache, dass ich Plätze für Block 12 ergattern konnte, löste bei mir schon Gänsehaut aus. Wie ein kleiner Junge war ich voller Vorfreude, konnte es kaum erwarten und fand mich pünktlich um 13:40 Uhr im Block wieder. Noch ein paar Bier in den Kessel, Plätze im oberen Bereich gesucht um niemanden um seine Stammplätze zu bringen und dann war Abwarten gefragt. Schließlich war der Block gut gefüllt und es ging endlich rein ins Spiel.

Zum Spielgeschehen gegen die Fortuna ist bereits alles gesagt worden, mir geht es um etwas Anderes, weshalb ich hier sitze und diese Zeilen schreibe. Bereits zu Spielbeginn war klar, dass, entgegen meiner Erwartungen, keine besonders gute Stimmung vorherrschte – im Gegenteil. Abgesehen davon, dass ich nun einen Stehplatz hatte, fühlte ich mich nahezu wie in der Ecke Nordost und ertappte mich des Öfteren bei sehnsüchtigen Blicken in den unteren Bereich des Blocks. Ich fühlte mich zeitweise, als wären mein Mitsingen, meine Emotionen, mein Hochspringen eher ein notwendiges Übel für einige (nicht alle) der Umstehenden, als eine Bereicherung. Ich ließ mich trotzdem nicht beirren und machte, zusammen mit einigen wenigen der Umstehenden, weiter – doch der Funke wollte einfach nicht überspringen.

Die Süd in voller Pracht gegen Monaco 2017

Etwas verstört begab ich mich in der Pause zum Entleeren meiner Blase nach draußen, in der Hoffnung, dass es im zweiten Durchgang doch bitte besser sein möge. Trotz der sportlichen, teils überragenden Darbietung auf dem Rasen gegen eine schwache Fortuna ging die Stimmungskurve bestenfalls leicht nach oben. Ist das wirklich alles? Diese Frage schoss mir immer wieder, auch lange nach Abpfiff durch den Kopf. Die Stimmungsfrage beschäftigt große Teile der aktiven Fanszene schon länger, was auch die Maßnahmen der Ultras zur Stimmungsoptimierung auf der Süd vor Saisonbeginn deutlich machte.

Als „Außenstehender“ beurteile ich die Lage etwas anders. Ich sehe weniger die Ultras in Verantwortung, die Wende auf den Rängen einzuleiten, es ist viel mehr jeder Einzelne von uns, der gefordert ist. Als „Gast“ auf der Südtribüne will ich hier nicht groß den Hafen aufreißen oder den Eindruck erwecken ich hätte irgendwas zu melden. Ich will mit diesem Artikel die Leute erreichen die sich in ihr Schneckenhaus zurückgezogen haben, darauf warten, dass die Jungs auf dem Rasen Zauberfußball abliefern, um diesen dann freudig zu beklatschen und zufrieden nach Hause gehen zu können. Wir müssen uns alle unserer Verantwortung endlich wieder bewusst werden, die Spiele mitzuentscheiden, um diesem großartigen Stadion mit seiner einzigartigen Südtribüne gerecht zu werden.

Die Frage die sich mir dieser Tage stellt, ist, ob ich von der Mannschaft bedingungslosen Kampf und Hingabe einfordern kann, wenn ich selbst auf den Rängen nicht dazu bereit bin? Der ein oder andere mag jetzt die Gegenfrage stellen: „Wieso denn nicht? Die verdienen doch genug Kohle, dann sollen sie auch liefern!“ Stimmt, aber zu einfach. Denn wir sind, wie ich bereits in der Einleitung sagte, ein Teil des großen Ganzen und sollten auch den Anspruch an uns selbst haben, die Spiele durch unseren Einsatz mitzuentscheiden. Wasser predigen und Wein saufen kann nicht unser Stil sein. Am Ende des Spiels sollte das Gefühl bleiben, den Ball mit ins Tor getragen zu haben, einen Anteil am Erfolg gehabt zu haben. Und im Falle des Misserfolges haben wir wenigstens alles gegeben, denn das ist es, was uns beim BVB auszeichnet – in guten wie in schlechten Zeiten sind wir da, treu, pflichtbewusst, laut und emotional. Lasst den Zauber der Süd nicht verfliegen, er soll keine Erinnerung bleiben und auch kein wild-romantischer Kindheitstraum – der Traum muss leben, wir müssen ihn nähren und können so ein ganzes Stadion wiederbeleben. Ich glaube fest daran, ich glaube fest an uns alle und ich will mir weiter ein Bein ausreißen, wenn ich dieses Stadion betrete, ganz egal wo ich sitze oder stehe.

In Minute 5 der Partie drängten sich zwei junge Männer vor meinen Platz. Dort standen sie 80 Minuten lang. Wortlos. Regungslos. In Minute 85 eilten sie schnell nach draußen, womöglich in der Hoffnung, dem großen Gedränge zu entgehen. Ein trauriges Bild, das hoffentlich keine Nachahmer findet.

Für mich als Nicht-Dauerkartenbesitzer ist und bleibt es ein Privileg dort stehen zu dürfen. Ich hoffe, dass diese Sichtweise wieder populärer wird. Nehmt mir meine Worte nicht übel, ich will in keiner Weise jemanden ans Bein pissen, der jedes Wochenende für unseren BVB auf Achse ist, ich will lediglich zum Nachdenken anregen.

In der Hoffnung, dass alles wieder ins Lot kommt,
euer Marcel

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