Die Suche nach der Nadel im Heuhaufen
Seit dem Abgang von Andriy Yarmolenko hat der BVB keine Nummer 9 mehr – auf dem Feld fehlt ein Stoßstürmer internationalen Formats schon, seit Pierre-Emerick Aubameyang den Club mit viel Theater gen London verließ. Dieser Wechsel ist schon mehr als ein halbes Jahr her und die sportliche Leitung des BVB sucht immer noch nach einem Nachfolger.
Als Ciro Immobile am Sonntag in einem Testspiel mit seinem aktuellen Club Lazio Rom auf den BVB traf, schloss sich für den Italiener ein Kreis: Genau an diesem Ort traf die ehemalige Dortmunder Nummer 9 zum ersten Mal für den BVB – es sollten nicht viele Treffer folgen, seine Verpflichtung ein Missverständnis werden und er das Ruhrgebiet wieder verlassen. Die sportliche Leitung des BVB hatte schon bei der Nachfolge des Weltklassestürmers Robert Lewandowski kein glückliches Händchen bewiesen, neben Immobile noch Adrian Ramos verpflichtet und durfte sich doch am Ende glücklich schätzen, dass der für den Flügel verpflichtete Aubameyang seit seinem ersten Einsatz mit herausragenden Torjäger-Qualitäten überzeugen und so die von Lewandowski hinterlassene Lücke schließen konnte.
Und nun? Bisher hat der BVB gar nicht ernsthaft versucht, den Gabuner zu ersetzen. Michy Batshuayi, vielversprechender Knipser von beeindruckender Statur, wurde zur Überbrückung vom Chelsea FC ausgeliehen, eine langfristige Verpflichtung ließ sich aber nicht realisieren: zu teuer waren die zweifellos vorhandenen Qualitäten, zu eindimensional wurde seine Spielweise bewertet. Seitdem gibt es für die Position des alleinigen Mittelstürmers im Kader des BVB keine ernstzunehmende Alternative. Alexander Isak, mit tollen Anlagen und großen Hoffnungen schon vor 19 Monaten verpflichtet, um mittelfristig in eine größere Rolle hineinzuwachsen, fällt gerade schon beim vierten BVB-Trainer durch das Raster. Trotz vielversprechender Leistungen in den rar gesäten Einsätzen scheint sich Isak im Training nicht in der Form aufzudrängen, dass ihn Favre berücksichtigen würde. Was bleibt, ist also gähnende Leere im Sturmzentrum. Doch wieso?
Es gibt mehrere Faktoren, die die Stürmersuche für Zorc und seine Angestellten erschweren:
1. Das spielerische Konzept
Die Trainersuche des BVB hat sich länger hingezogen als den Verantwortlichen lieb gewesen ist. Favorit Nagelsmann durfte Hoffenheim nicht verlassen und hat sich nun, weil weder Bayern noch BVB auf ihn warten konnten, für die kommende Saison beim Marketingwerkzeug des österreichischen Brauseherstellers in die Pflicht nehmen lassen. Lucien Favre war schon im letzten Sommer der Favorit, durfte Nizza aber nicht verlassen. Und Peter Stöger, seinerzeit amtierender Trainer des BVB, war zum Zeitpunkt Aubameyangs Abschieds gerade dabei, den taumelnden Riesen zu beruhigen und zurück in die Champions League zu führen. Ihn zu demontieren hätte dieses Kurzzeitziel in Gefahr gebracht. Es vergingen also Monate, ehe der BVB wusste, wer die Mannschaft ab der neuen Saison formieren dürfe – entsprechend unklar war auch das Anforderungsprofil an den neuen Stoßstürmer.
Dass nun der als zaudernd geltende Favre den Trainerstuhl des BVB übernahm, hat diese Unsicherheit nicht maßgeblich verbessert. Noch heute scheint unklar, ob und welchen Stürmertyp der BVB überhaupt verpflichten will. Seit Wochen erprobt Favre daher Maximilian Philipp und Marco Reus in der Sturmspitze und erkennt, dass bei beiden gewisse Qualitäten vorhanden sind und andere fehlen. Eine klare Entscheidung scheint bis heute nicht gefallen – und man wird sich hüten, noch mal einen Spieler über den Kopf des Trainers hinweg zu verpflichten, nachdem selbst ausgewiesene Trainer-Wunschspieler letzthin nicht überzeugen konnten. Dass man Philipp dabei in vorderster Front etwa 15 sichere Tore in einer Saison zutraut, macht die Entscheidung nicht leichter: Ein neuer Stürmer müsste qualitativ eindeutig besser sein, um größere Investitionen zu rechtfertigen.
2. Die finanzielle Machbarkeit
Hans-Joachim Watzke wird nicht müde öffentlich zu betonen, dass der BVB auch einen großen zweistelligen Millionenbetrag aufwenden könnte, um einen Spieler zu verpflichten. Und doch spielen finanzielle Faktoren eine beträchtliche Rolle in der Suche nach einem Stürmer. Obschon der BVB in der Vergangenheit häufig finanziell gute Erfahrungen mit Spielern gemacht hat, die als nicht-gut-genug bewertet wurden (Emre Mor oder Mikel Merino konnten beispielsweise beide mit Gewinn weiterverkauft werden), erfährt der Club gerade, dass man nicht jeden sportlichen Flop am Ende auch wieder verlustfrei abgeben kann. Fälle wie die von André Schürrle, den man nur verleihen konnte, oder Sebastian Rode, für den man gar keinen Abnehmer zu finden scheint, machen der sportlichen Leitung das Risiko bewusst, das die Verpflichtung eines gestandenen Stürmers bedeuten würde. Schlägt ein Spieler gehobenen Alters nicht direkt ein, kann man ihn nicht mehr unter Verweis seiner tollen Perspektive oder mangelnder Einsatzzeiten für viel Geld auf dem Markt anbieten, man bindet stattdessen langfristig viel Geld durch hohe Gehaltszahlungen und riskiert, die Ablösesumme nicht wieder einspielen zu können. Nach den jüngsten Erfahrungen regiert am Rheinlanddamm offensichtlich die Vorsicht und das nicht ganz zu unrecht. Gesucht wird die eierlegende Wollmilchsau, der perfekte Treffer, die Nadel im Hauhaufen.
3. Der Wunsch des Spielers
Es gab augenscheinlich schon den einen oder anderen Kandidaten, den der BVB als passend für die Planstelle im Sturm empfunden hat, weil alle Faktoren gepasst hätten: Spielweise, Alter, Preis – doch dann ist der Spieler zu einem anderen Club gewechselt. Dass es dem BVB aktuell schwieriger fällt, Spieler von der Perspektive beim Verein zu überzeugen, sollte nach drei Trainerwechseln in einem Jahr verständlich sein. Borussia kann weder mit der Konstanz noch mit den Erfolgen wuchern, die der Club zu Zeiten Klopps zu bieten hatte und muss sich einen Teil seines damaligen Ansehens erst wieder erarbeiten – oder teuer erkaufen. Und doch führte vor allem der erste hier genannte Faktor dazu, dass man bei vielversprechenden Kandidaten schlicht zu spät dran war. Das Zaudern und Zögern überzeugt potenzielle Neuzugänge nicht.
Diese Faktoren führen dazu, dass man ein Stück weit nachvollziehen kann, dass die aktuelle Stürmersuche nicht nur holprig, sondern vor allem bisher ergebnislos verlief.
Sie dürfen aber keine Entschuldigung dafür sein. Pierre-Emerick Aubameyang hatte seinen Abgang schon längerfristig forciert, wenn auch erst im Januar mit der Wucht, die ihn dann letztlich aus seinem Vertrag erlöste. Auch Alexander Isak überzeugt schon länger nicht in der Form, dass man ihm die Rolle als Stammstürmer zutrauen würde – eher im Gegenteil. Und so müssen sich Watzke und Zorc zurecht die Frage gefallen lassen, wieso sie es in den letzten 12 bis 18 Monaten nicht geschafft haben, eine Alternative zu finden, die Aubameyang ersetzen könne. Dies nun nachträglich mit dem umfangreichen und teueren Kader oder dem überhitzten Transfermarkt zu begründen, ist billig und plump. Der BVB war auf diesem heißen Transfermarkt nicht nur Opfer, er konnte dadurch auch viel Geld einnehmen. Die Argumente sollen darüber hinweg täuschen, dass diese Personalie schon einen extrem langen Zeitraum ungeklärt ist und augenscheinlich stiefmütterlich behandelt wird, wenn man sich im Gegensatz das kurzfristig angehäufte Überangebot zentraler Mittelfeldspieler ansieht. Dass schon der Abgang Lewandowskis eher glücklich kompensiert wurde, verstärkt diesen Eindruck und vergrößert das Problem.
Hier müssen sich Watzke und Zorc deutliche Kritik gefallen lassen, ihr Zögern könnte sogar den Erfolg des nächsten halben Jahres gefährden. Sollten sie bis zum 31. August nicht den Stürmer finden, den diese Mannschaft mitunter noch benötigt, wäre eine Korrektur erst im Januar möglich – die Bedingungen würden sich gewiss nicht verbessern. Bis dahin geht sie weiter: die Suche nach der Nadel im Heuhaufen.