Verzockt in der Glücksspielhölle
Am 16. Spieltag hat Borussia Dortmund die erste Niederlage der Bundesliga-Saison hinnehmen müssen. Der vorzeitige Herbstmeister und Derbysieger unterlag in der ausverkauften Messehalle 18 beim Aufsteiger aus Düsseldorf vollkommen verdient mit 2:1.
Wenn der Rahmenterminkalender der DFL ein Spiel am 19. Dezember ermöglicht, freut man sich als BVB-Fan unterbewusst bereits auf eine angemessene Geburtstagsparty für die Borussia. Die fand in diesem Jahr aus zwei Gründen nicht statt: Zuerst hat die DFL das Spiel in Düsseldorf nicht auf den Gründungstag des besten Vereins der Welt gelegt - und dann hat sich Borussia auch noch selbst um eine angemessene Feier gebracht.
Rund ums Spiel
Für mich als Neusser ist ein Auswärtsspiel in Düsseldorf immer etwas Besonderes. In streikgeplagten Zeiten ist es sehr angenehm, gänzlich auf die Deutsche Bahn verzichten und mit einem Umstieg und zwei U-Bahn-Linien zur Arena auf dem Messegelände fahren zu können. Während meine Hinfahrt also sehr unkompliziert und schnell ablief, war das für einige der Dortmunder Schlachtenbummler nicht der Fall: Ein eigens eingerichteter Shuttle-Service vom Düsseldorfer Flughafen zur Arena war katastrophal organisiert, bereitete beim Zustieg erhebliche Probleme und steckte ewig im Feierabendverkehr fest, statt die Borussen schnell zum Stadion zu bringen. Bei der Abreise via U-Bahn gab es ebenfalls Chaos, beklemmendes Gedränge und lange Warte- sowie Fahrzeiten. Hier muss die Fortuna noch an der Erstligatauglichkeit arbeiten.
In der Arena, soviel sei vorweggenommen, lieferten sich beide Kurven einen großartigen Schlagabtausch an Lautstärke und Passion, besonders in den engen Phasen des Spiels. So stimmungsvoll wünscht man sich jedes Bundesligaspiel und man kann und muss beiden Kurven an dieser Stelle ein Kompliment dafür machen, wie lebhaft sie dieses Aufeinandertreffen gestaltet haben - vereinzelte, nachvollziehbare Schwächephasen inbegriffen.
Besonders hitzig wurde es in der Gästekurve zu Beginn der Partie, als ein durchaus ansehnliches Meer aus Bengalos für einen der wenigen hellen Dortmunder Momente an diesem Abend sorgen durfte. Doch: Die gebotene Sorgfaltspflicht wurde von den Beteiligten hier nicht erfüllt. Im Laufe des Zündelns wurden nicht nur die unvermeidlichen Funken in den Unterrang gesprüht, vor denen umstehende Fans zuvor gewarnt wurden, zwei bis drei Bengalos flogen auch noch entzündet zwischen andere Borussen. Das, liebe Ultras, hat mit sorgsamem und verantwortungsvollem Umgang nichts mehr zu tun!
Auffem Platz
Kommen wir zum sportlichen Teil des Abends. Lucien Favre zollte den Anstrengungen der letzten Wochen Tribut und rotierte in der Anfangsformation munter durch. Der genesene Ex-Kapitän Marcel Schmelzer kam zu seinem ersten Bundesliga-Einsatz seit dem 5. Spieltag und verschaffte so der marokkanisch-madrilenischen Leihgabe Hakimi eine wohlverdiente Pause, während vorne die jungen Pulisic und Bruun Larsen auf den Außenbahnen stürmen sollten. Außerdem versuchte sich erneut Mario Götze statt Paco Alcacer in der Sturmspitze. Der Rest des Teams bestand aus der “Stammformation”: Hinten waren Akanji und Diallo damit betraut, den schnellen Fortunen Lukebakio zu bremsen, davor gaben Witsel und Delaney dem Spiel Struktur und im Zentrum des Sturmdreiecks besaß Kapitän Reus wie gewohnt alle Freiheiten.
Zumindest in der Theorie. In der Praxis traf die Borussia auf eine blendend eingestellte und hervorragend strukturierte Fortuna, die genau das verhinderte, was der BVB im Schilde führte. Die Düsseldorfer agierten aus einer 4-1-4-1-Grundformation, bei der die erste 1 genau eine Aufgabe hatte: Den Wirkungsradius unseres Kapitäns einzuschränken, indem sie ihm auf Schritt und Tritt folgte. Im Nachgang des Spiels sagte Reus, der ihm namentlich gerade nicht bekannte Spieler wäre ihm "wahrscheinlich sonstwohin gefolgt" - und genau das tat Marcel Sobottka auch und lähmte damit den Dortmunder Spielaufbau merklich.
Weitere Lähmung erlebte die Borussen-Offensive aus zwei anderen Gründen: die Außenstürmer Pulisic und Bruun Larsen erlebten Tage, die man mit “gebraucht” über alle Maßen beschönigen würde und auch das aggressive Mittelfeldtandem Delaney/Witsel wurde von Fink und Stöger derart konsequent angelaufen, dass aus der Zentrale kaum sinnvolle Impulse für das Spiel der Borussia gegeben wurden. Bei Reus’ notwendigen Ausweichbewegungen auf die Flügel rückte keiner der beiden in den unbesetzten Zehner-Raum vor, sodass Götze nahezu gänzlich vom Geschehen abgeschnitten war und die Düsseldorfer wenig Probleme hatten, den Ball aus den für sie gefährlichen Bereichen weg zu halten.
Stattdessen verfolgte die Fortuna den simplen und effektiven Plan, hinten wenig Räume zu bieten, die wichtigen Dortmunder Aufbauspieler konsequent anzulaufen und das Spielgerät dadurch auf die schwachen Außenbahnen zu lenken, die sich in 1-gegen-1-Situationen viel zu selten durchsetzen konnten. Im Ergebnis kam der BVB dadurch in der ersten Halbzeit auf ganze zwei Torschüsse: das vermeintliche 0:1, das eher zufällig fiel und wegen einer Abseitsstellung korrekt nicht anerkannt wurde, sowie einen Schuss von Götze, der den Ball freistehend aus 15 Metern in die Arme des Düsseldorfer Schlussmanns Rensing schob.
Offensiv war die Taktik der Fortuna ebenso simpel wie effektiv: “Bruda, schlag den Ball lang!” Vorne lauerte Lukebakio und stellte Akanji und Diallo mehrfach vor Probleme. Folgerichtig fiel das 1:0 für die Hausherren auch genau nach diesem Muster: Bruun Larsen verlor den Ball pomadig 25 Meter vor dem Düsseldorfer Tor gegen den bissigen Stöger, ein Pass, ein Lauf, ein Schuss - und Bürki musste den Ball aus dem Netz holen. Plan aufgegangen. Wäre Usami in der 38. Minute nicht so unfähig gewesen, wäre das Spiel bereits da sehr bitter für den BVB geworden. Nach einer schnellen Kombination über den rechten Flügel konnte der Fortune den Ball im Rücken von Akanji nicht im Tor unterbringen. Riesiges Glück für den BVB.
Zweiter Durchgang
Auf Glück folgte Unglück, als Akanji in der Pause mit einem Faserriss in den Adduktoren vom Platz musste. Die Einwechslung von Toprak beraubte den BVB einer wichtigen offensiven Wechseloption, die der Ballspielverein dringend benötigt hätte - spätestens, nachdem die Fortuna den Vorsprung mit einem Sonntagsschuss auf 2:0 erhöht hatte. Nach einem Angriff über links wurde Jean Zimmer von Bruun Larsen und Schmelzer sträflich allein gelassen, fasste sich ein Herz und zimmerte den Ball unhaltbar von halbrechts in den linken Winkel. Ein Traumtor, das die Messehallenarena vollends in Extase versetzte und den Gästeblock verstummen ließ.
Favre reagierte und brachte mit Sancho und Alcacer etwas mehr individuelle Klasse auf den Platz, Bruun Larsen und Delaney mussten runter. In der Folge orientierte sich Pulisic links, Sancho rechts, Alcacer in der Spitze und Götze rückte auf die Acht, um das Spiel aus der Tiefe ankurbeln zu können. Ein Schachzug, der dem BVB spürbar mehr Zugriff gab und vielleicht - in Form von Dahoud - schon von Beginn an eine passendere Herangehensweise gegen geschickt verteidigende Düsseldorfer gewesen wäre. Doch leider konnte die Fortuna mit einem Zwei-Tore-Vorsprung noch dichteren Beton anrühren und zwang den BVB so zu entscheidenden Einzelaktionen. Wie die von Sancho: Der junge Brite setzte sich geschickt gegen mehrere Gegenspieler durch, passte steil hinter die Viererkette auf Piszczek und dieser hebelte den Ball hoch auf den Kopf von jetzt Rekordjoker Paco - 2:1 und noch 10 Minuten plus Nachspielzeit, um die erste Saisonniederlage abzuwenden.
Die verbleibende Mühe sollte vergeblich sein. Ohne weitere nennenswerte Aktion vor dem Düsseldorfer Tor verlor der BVB gegen einen bissigen, klar und clever eingestellten Gegner - und das vollkommen verdient. Die Defensive war mit den langen Steilpässen regelmäßig ge- und überfordert, offensiv war das Spiel zu langsam, zu statisch, zu unkreativ und zeitweise auch falsch aufgebaut. Erschwerend kam hinzu, dass die hereinrotierten Bruun Larsen und Pulisic keinen Anlass gegeben haben, sie gegen Mönchengladbach erneut für die Startformation zu berücksichtigen - obwohl ein anderer Aspekt des Spiels zeigte, dass regelmäßige Rotation notwendig ist: Mit Akanji und Diallo verlor der BVB verletzungsbedingt den zweiten und dritten von vier Innenverteidigern, sodass Lucien Favre un gegen Mönchengladbach puzzlen muss, um eine stabile Viererkette in das Spitzenspiel zu schicken.
Fakten, Fakten, Fakten
Fortuna Düsseldorf: Rensing - Zimmermann, Ayhan, Kaminski, Gießelmann - Sobottka (70. Bodzek) - Zimmer, Stöger, Fink, Usami (87. Raman) - Lukebakio (88. Hennings)
Ballspielverein Borussia 09 Dortmund: Bürki - Piszczek, Akanji (46. Toprak), Diallo, Schmelzer - Witsel, Delaney (60. Paco Alcacer) - Pulisic, Reus, Bruun Larsen (60. Sancho) - Götze
Tore:
1:0 Lukebakio (22., Linksschuss, Stöger)
2:0 Zimmer (56., Rechtsschuss, Usami)
2:1 Paco Alcacer (80., Kopfball, Piszczek)
Gelbe Karten: Stöger (4) - Pulisic (1), Piszczek (3)
Schiedsrichter: Tobias Welz
Zuschauer: 52.000 in der ausverkauften Messehalle 18