Im Gespräch mit...

...Andreas Rettig (Teil 1): "Das Ziel war Wettbewerbsfrieden"

28.05.2018, 08:53 Uhr von:  Nicolai cka Kevin Seb
...Andreas Rettig (Teil 1): "Das Ziel war Wettbewerbsfrieden"
Andreas Rettig

Im großen schwatzgelb.de-Interview mit Andreas Rettig spricht der Geschäftsführer vom FC St. Pauli im ersten Teil über die Situation bei seinem Klub, die finanziellen Unterschiede zwischen den Ligen, die TV-Vermarktung und die Lizensierung von RB Leipzig.

schwatzgelb.de: Erst einmal vielen Dank, dass du dir für uns Zeit genommen hast und natürlich auch herzlichen Glückwunsch zum Klassenerhalt. Der war ja eine ganze Weile lang gar nicht so sicher beim FC St. Pauli. War er dann doch erleichternd?

Rettig: Ja, also den Glückwunsch kann ich nur bedingt entgegennehmen, weil die Erleichterung überwiegt. Man gratuliert ja in der Regel, wenn man etwas Besonderes feiert oder besondere Ziele erreicht hat. Ich finde nicht, dass es ein besonderes Ziel war, mit dieser Mannschaft den Klassenerhalt zu erreichen. Deswegen war ich über den bisherigen Saisonverlauf auch sehr enttäuscht. Wenn wir uns dafür jetzt feiern lassen würden, wäre das in etwa so, wie Bayern München dafür zu feiern, dass sie die Europa League erreicht haben.

Andreas Rettig

schwatzgelb.de: Das heißt, ihr habt schon unter euren Möglichkeiten gespielt?

Rettig: Ja - ohne Wenn und Aber. Letzte Saison, als uns das Wasser bis zum Hals stand, haben wir in der Rückrunde nach einem unglücklichen 0:1 gegen Stuttgart in den darauffolgenden 16 Spielen 34 Punkte geholt. Von dieser Mannschaft haben wir bis auf Sören Gonther, der aber auch kein uneingeschränkter Stammspieler war, alle Spieler gehalten. Dass dann am Ende solch eine Zittersaison dabei herumkommt, kann niemanden zufrieden stellen. Das muss man auch so klar sagen. Deswegen war es am Sonntag schon eine riesige Erleichterung, weil man auch weiß, was wirtschaftlich da dranhängt – da fehlt von heute auf morgen ein zweistelliger Millionenbetrag. Aber zum Feiern war mir nicht zu Mute.

schwatzgelb.de: Die Situation in der 2. Liga war so, dass man – auch wenn man unten drin stand – mit einer vernünftigen Serie schnell wieder ganz oben dran war. War das bei euch im Kopf oder lag der Fokus zum Ende hin nur noch auf dem Klassenerhalt?

Rettig: Bis zu einem gewissen Punkt guckst du natürlich immer nach oben, weil wir auch mit einer anderen Anspruchshaltung in die Saison gegangen sind. Wir haben die Ansprüche vorab zwar nicht lautstark in die Öffentlichkeit getragen, aber aufgrund der gerade genannten Fakten aus der Vorsaison war es schon berechtigt, eher nach oben als nach unten zu gucken. Inklusive des Spiels gegen Kaiserslautern – in dem wir bis zur 85. Minute in Überzahl 1:0 führten – hatten wir durchaus noch die Hoffnung, auf die ersten drei Plätze zu schauen. Aber wir haben uns das Ding selber schwer gemacht und dann kommst du plötzlich in eine Situation, in der du verlierst, verlierst, verlierst und dann guckst du aufgrund der Ausgeglichenheit notgedrungen natürlich nach unten. Dann aber – und das muss man fairerweise sagen – hat sich die Mannschaft auf die St. Pauli-Tugenden besonnen. Zwei Heimspiele bedingungsloser Fight mit einer unglaublichen Unterstützung. Jeder Geschäftsstellenmitarbeiter bis hin zu jedem, der es nur in irgendeiner Form gut mit dem Totenkopf meint, hat sich positiv eingebracht: Da wurde Mut zugesprochen, an die Köpfe appelliert, Briefe mit persönlichem Anschreiben an jeden Spieler überreicht, ein starker Text aus der Fanszene vor dem Training vorgelesen – das war schon großartig.

schwatzgelb.de: Du hast gerade etwas von einem zweistelligen Millionenbetrag in den Raum geworfen. Von der 1. Liga zur 2. Liga hört man ja immer etwas von ca. 16 Millionen, wie groß ist denn der Unterschied zwischen der 2. und 3. Liga?

Rettig: Um es mal klar zu sagen – und das war etwas, was wir seinerzeit kritisiert haben: Bei der Verteilung der medialen Verwertungsrechte, so der geschwollene Begriff für die TV-Gelder, wollte man den Abstieg von der 1. Liga in die 2. finanziell abfedern, indem man wie in der Premier League ein Parachuting einführt. Von der 2. Liga in die 3. Liga, wo der Aufprall ohne Fallschirm noch viel schmerzhafter ist, sinken die TV-Einnahmen sofort von ca. neun bis elf Millionen auf unter eine Million. Das Problem bei der ganzen Sache ist, dass die Erlöse signifikant wegbrechen, aber die Kostensituation bleibt auf einem ähnlich hohen Niveau. Das kannst du dann im ersten Jahr mit Bauchschmerzen noch kompensieren, aber wenn du nicht so eine Erlössituation hast wie der FC St. Pauli, wo wir bei der Vermarktung und bei den Zuschauerzahlen top sind, dann tut das richtig weh. Die Realität ist, dass in dieser Saison mit Chemnitz und Erfurt zwei Vereinen aus der 3. Liga die Luft ausgegangen ist. Das sind seit Einführung der 3. Liga die Vereine fünf und sechs, die in die Insolvenz gegangen sind.

schwatzgelb.de: Die 3. Liga wurde doch auch deswegen zur Profiliga gemacht. Was ist da falsch gelaufen, dass der Aufprall dann doch so eklatant ist?

Rettig: Ich glaube, dass das Problem wirklich das Delta zwischen der 2. und 3. Liga im Bereich der Verwertungsrechte ist. Wir müssen da mal eine Zeitreise zurück machen. Früher gab es in der 2. Liga ja noch vier Absteiger. Das war schon eine Situation, die für eine Liga nicht ganz gesund ist. Es gab noch keine Relegation, d.h. jedes Jahr hattest du sieben neue Mannschaften in der Liga: Drei, die dich nach oben verlassen haben und vier nach unten. Wenn du dann vier Mannschaften hast, die im Falle des Abstiegs mit einem Bein in der Insolvenz sind, wird da noch viel mehr eine „Hunt-or-Die-Mentalität“ gefördert. Dann setzen nämlich noch mehr Vereine im Winter auf schwarz oder rot. Der typische Reflex des Managers ist dann: „Jetzt muss ich nochmal alles riskieren. Und wenn es schief geht, werde ich sowieso entlassen.“ Das führt am Ende dazu, dass alles noch ungesünder wird.

Das wurde verändert und ist auch richtig. Aber ich würde mir auch wünschen, dass das Delta zwischen der 2. und 3. Liga kleiner wird, weil alleine die Zuwächse, die durch den TV-Vertrag jedes Jahr bei der DFL hinzukommen, größer sind als die Gesamtsumme, die in der 3. Liga ausgeschüttet wird. Das heißt, das Problem verschärft sich jedes Jahr sogar noch.

Der TV-Gelder-Verteilschlüssel erzeugt schon einen großen Riss zwischen der 1. und 2. Liga. Wenn man jetzt das traurige Beispiel Kaiserslautern anguckt, die aus meiner Fansicht nicht dahin gehören, wo sie jetzt sind, dann müsste man doch mal an die Grundfeste ran…

Andreas Rettig

Rettig: Da muss ich ins Wort fallen. Man darf jetzt nicht den Fehler machen und das Versagen aller in Not geratenen Traditionsvereine mit der ungerechten Verteilung der TV-Gelder erklären. Da wehre ich mich schon gegen. Es gibt Gründe, warum Vereine – auch Kaiserslautern im Übrigen – da stehen, wo sie stehen. Ich glaube allerdings, dass der Verteilungsschlüssel am Ende dennoch wettbewerbsfeindlich ist, weil er am Ende die Schere schon innerhalb der Ligen immer weiter auseinandertreibt. Ich habe irgendwann mal gesagt: Ich erkenne schon gar keine Schere mehr, weil die Arretierung eine andere ist. Wir hatten ganz früher eine Situation, da hatten alle Vereine noch den gleichen Anteil. Mittlerweile sind wir nur im Nationalen bei einem Spreizverhältnis von 1:4, wenn ich das richtig im Kopf habe. Wenn ich dann noch international hinzurechne, dann wird es ja grauslich. Man muss sich das mal auf der Zunge zergehen lassen: Von den seinerzeit ca. 170 Millionen Euro aus der Auslandsvermarktung hat die 2. Liga weniger als zwei Millionen bekommen. Da muss man nichts mehr erklären. Und da finde ich es nicht gut, wie es geregelt ist, auch wenn dieser Betrag mittlerweile etwas erhöht wurde.

Im Übrigen – um da mal den Bogen zu 50+1 zu spannen: Wir beim FC St. Pauli erkennen das Leistungsprinzip natürlich an und liegen uns nicht nur Astra-trinkend in den Armen und finden uns toll. Wir wollen auch den sportlichen Erfolg haben und auch wir müssen hier und da mal Kompromisse eingehen. Aber ich finde schon, dass Themen wie Ausnahmegenehmigungen von 50+1 die Statik innerhalb des Wettbewerbs verschieben. Leverkusen, Wolfsburg und Hoffenheim sind legale Formen und die Ausnahmegenehmigungen wurden statutenkonform erteilt. Trotzdem ist es eine Wettbewerbsverzerrung. Wir haben damals gesagt: „Warum geben die drei ihren Wettbewerbsvorteil nicht wieder zurück, indem sie ihre Stimmrechtsanteile an die Vereine zurückgeben? Warum sollen da 33 Vereine unter Druck gesetzt werden und nachziehen müssen?!“

Es gab damals ein überragendes Zitat von Herrn Watzke, der sinngemäß meinte, Wolfsburg, die letztlich Autos verkaufen wollen, oder Leverkusen, die Aspirin verkaufen wollen, sollen für die Ausnahmegenehmigungen doch Geld bezahlen. Das war ein tolles Statement. Diese Vereine haben dadurch, dass die 100% ihrer Stimmrechtsanteile verkaufen können und alle anderen eben nur 49,9%, nämlich einen Wettbewerbsvorteil. Sie können mehr Kapital generieren, dieses in den Sport investieren und dann die Wahrscheinlichkeit erhöhen, eben auch sportlich erfolgreicher zu sein, was wiederum zu höheren TV-Einnahmen resultiert. Das ist nicht richtig! Wir haben damals gesagt, dass es dann bei der Gelderverteilung neben dem sportlichen Abschneiden eben noch ein zweites Kriterium geben sollte: Erfüllt der Club 50+1? Ja oder nein? Darüber könnte dann ein Ausgleich geschaffen werden. Es hat ja einen Grund, dass die drei Clubs bisher noch nicht abgestiegen sind. Da kann man natürlich sagen, dass die Vereine überragend gemanaget werden. Mag sein, aber sie haben eben auch eine vom Erfolg oder Misserfolg unabhängige Planungssicherheit. Wenn ich Manager bei Freiburg, Augsburg, Köln oder St. Pauli bin, muss ich im Winter ganz genau überlegen, was ich an Geldern ausgeben kann und wie ich verantwortungsbewusst mit den Vereinsressourcen umgehe. Wenn ich das alles nicht zu bedenken brauche, sondern unbegrenzte Möglichkeiten habe, dann ist das ein Wettbewerbsvorteil.

Wir müssen übrigens – und das werdet ihr nicht gerne hören – auch nochmal zwischen den Werksvereinen in Leverkusen und Wolfsburg auf der einen Seite und Hoffenheim auf der anderen Seite unterscheiden. Und zwar, weil die beiden Werksclubs auch noch steuerrechtliche Vorteile haben. Diesen Vorteil hat Herr Hopp nicht. Er hat aus seinem privaten, bereits versteuerten Geld ein Mäzenatentum an den Tag gelegt. Und er hat ja auch nicht investiert, um am Ende SAP-Produkte an den Mann oder die Frau zu bringen. Er hat nachweislich in die Infrastruktur und soziale Projekte über einen langen Zeitraum investiert. Man kann das gutheißen oder nicht, aber man muss hier schon fair unterscheiden.

Um aber nochmal darauf zurückzukommen: Wir haben gesagt, wir brauchen diesen Antrag, um eben einen Ausgleich zu schaffen zwischen denen, die diesen Vorteil haben und denen, die ihn nicht haben. Aus diesem Antrag wurde dann aber gemacht, vornehmlich aus Bayern: St. Pauli spaltet die Liga und will die Solidarität zwischen 1. und 2. Liga auf die Probe stellen. Das hat damit aber gar nichts zu tun. Das Ziel war Wettbewerbsfrieden und die Einführung wettbewerbsausgleichender Kriterien. Leider hat das niemand so richtig verstanden, deswegen müssen wir uns auch die Frage stellen, ob wir das richtig transportiert haben.

schwatzgelb.de: So wie ich diesen TV-Antrag verstehe, ist er mit dem Fall Leipzig aber auch hinfällig. Das ist ja ein ganz neues Konstrukt. Formal erfüllen sie mit ihren acht Mitgliedern, die alle beim Brausehersteller arbeiten, ja 50+1, genießen aber dennoch die finanziellen Vorteile…

Rettig: Das ist grundsätzlich richtig. Ich war, als Leipzig diskutiert wurde, DFL-Geschäftsführer und ich habe eine Teilnahme von RB Leipzig abgelehnt. Meine Entscheidung ist später dann vom Lizenzierungsausschuss, also dem Gremium, das dann final entscheidet, einkassiert worden. Ich habe Verständnis für diese Entscheidung, weil es ein Abwägungsprozess war. Es gab zu der Zeit keine Rechtssicherheit, ob dieses Konstrukt mit unseren Lizenzierungsregeln in Einklang zu bringen ist. RB Leipzig abzulehnen hätte einen Rattenschwanz von Problemen mit sich gebracht, weil auch Abstiege davon betroffen gewesen wären. Und hier musste abgewogen werden, was das kleinere Übel ist.

Meiner Meinung nach ist die Kritik vor allem an den Sächsischen Fußballverband zu richten, die das Konstrukt nicht richtig eingeschätzt haben, und auch an den DFB, die das in der Folge durchgewunken haben. Der Satzungstext bezüglich der Lizenzierungsregeln ist bei denen genauso wie bei der DFL, nur wir als DFL haben es anders ausgelegt, nämlich strenger und klarer. Aber auch das hätte uns in einem Gerichtsverfahren vor Probleme gestellt, weil die Vorinstanz, also der DFB, es eben anders auslegt hat.

Andreas Rettig
Was gab es da für Themen: Erstens die begrenzte und willkürliche Mitgliedschaft: Da müssen ja alle in Verbindung zu Brausetrinkern stehen. Zweitens das Logo: Aber hier war das Problem, dass die UEFA auf internationaler Ebene ein ähnliches Logo von Salzburg zugelassen hat. Das heißt, da hat Leipzig natürlich gesagt: „Wenn das international möglich ist, warum dann nicht hierzulande. Habt ihr was gegen uns?“ Das ist nicht einfach, wenn da in der Vergangenheit höhere Instanzen anders entschieden haben. Drittens der Mitgliedsbeitrag. Ich habe sie auch eher Mitgliedshinderungsbeiträge genannt. Aber auch hier muss man sich belehren lassen: Golfclubs nehmen auch Beträge um die 1000 Euro, da gibt es eine steuerrechtliche Grenze und die wurde von Leipzig nicht überschritten. Das wichtigste aber war, dass Leipzig zu uns kam und meinte: „50+1 betrifft uns doch gar nicht, wir haben uns doch gar nicht ausgegliedert.“ Denn 50+1 kommt nur zum Tragen, wenn du deinen Verein in eine Kapitalgesellschaft ausgliederst. Auf die Idee sind die Gründungsväter damals gar nicht gekommen, dass einer den Verein vereinnahmt. Und somit fliegt dir das eben auch rechtlich möglicherweise um die Ohren.

Und dann gab es noch andere Themen, die diskutiert worden sind. Da sagte Leipzig dann: „Wenn es die 20-Jahresregel gibt, dann sagt uns doch, welchen Betrag ihr haben wollt und dann legen wir das Geld schon für die Zukunft auf ein Treuhandkonto.“ Man sieht: Das war alles nicht so einfach. Diese Entscheidung hat uns allen Bauchschmerzen bereitet, aber ich glaube, dass die letztlich auf Sachlage und Kenntnis vorheriger Entscheidungen und der Abwägung rechtlicher Problematiken, die das mit sich gebracht hätte, nichts anders zu treffen war.

schwatzgelb.de: Habt ihr denn damals neben den rechtlichen auch fantechnische Sichtweisen in die Entscheidung eingebaut?

Rettig: Nein, das darf man auch nicht. Wir wissen alle, welche Kraft ein Fanvotum entwickeln kann. Das haben wir damals zum Beispiel bei 12:12 oder jetzt bei 50+1 erlebt und das ist auch zu begrüßen. Das waren klare und in größten Teilen friedliche Proteste, die nicht nur bei mir einen ziemlichen Eindruck hinterlassen haben. Aber da muss ich die DFL, auch wenn ich nicht immer mit ihr einer Meinung bin, in Schutz nehmen: Eine Entscheidung kann nicht auf Basis möglicher Fanreaktionen getroffen werden. Dann sind der Willkür Tür und Tor geöffnet.

Im zweiten Teil spricht Andreas Rettig über Transparenz in der DFL, bewertet die Erstentscheidung zur Lizensierung von Holstein Kiel und begründet, warum 50+1 wichtig ist. Hier findet ihr den dritten Teil.

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