Subotic-Entdecker Keith Fulk: „In den USA sind wir alle sehr stolz auf Neven“ (Teil I)
Um einen verdienten Borussen gebührend zu verabschieden, bin ich
350 Kilometer durch Amerika gelaufen. Im G.T. Bray Park in Bradenton,
Floridahabe ich Keith Fulk (56) treffen dürfen. Den Mann, der
Neven Subotic als Jugendlichen an genau diesem Ort entdeckte. In Teil 1
des Interviews spricht Keith über die erste Begegnung, ein nahezu
explodierendes Faxgerät sowie über Eigenschaften, mit denen Neven ihn
schon im Jugendalter beeindruckte. Das Interview ist Teil einer
gemeinsamen Abschiedsaktion: Ich bitte daher jeden Leser, die Spendenaktion zugunsten der Neven Subotic Stiftung zu unterstützen — jeder Euro hilft und fließt zu 100% an die Stiftung.
Hallo
Keith, wir stehen an einem besonderen Ort, auf diesem grünen Rasenhast
du Neven Subotic das erste Mal getroffen, kannst du die Situation bitte
beschreiben?
Ich habe hier im Park ein Jugendteam
trainiert und Neven dort jeden Abend alleine trainieren sehen — von
Montag bis Freitag war er dort und suchte sich jeden Abend ein freies
Tor. Ich habe ihn zwei, drei Wochen beobachtet und ich weiß nicht, ob er
es bemerkte. Zu Hause sagte ich meiner Frau, dass ich einen richtig
guten Spieler gefunden habe, und sie fragte: „Für dein Clubteam?“ Ich
sagte nein, für die Nationalmannschaft (lacht). Und dann habe ich ihn im
Park angesprochen, mich vorgestellt und erklärt, dass ich als
Co-Trainer für die U17-Nationalmannschaft arbeite und auch als Scout für
den Westen des Landes zuständig bin. Danach hat Neven mir seine
Geschichte erzählt, dass seine Eltern in die USA gezogen sind und seine
Schwester eine talentierte Tennisspielerin sei. Er selbst ging zur
Schule und liebte es, Fußball zu spielen. Ich fragte, wann ich ihn denn
in einem Spiel sehen kann. Denn ich sah ihn nur im Training, und das war
sehr beeindruckend. Wir als Trainer sagen immer: Es ist nicht
entscheidend was du tust, wenn jeder zusieht. Was wirklich entscheidet
ist das was du tust, wenn du denkst niemand sieht zu. Und ich sah Neven,
als niemand ihm zusah und es war beeindruckend. Ich dachte mir, wow der
Junge wäre ein richtig professioneller Spieler.
Was genau hat dich am meisten beeindruckt?
Erstens
war er wirklich jeden Abend dort. Zweitens war er alleine dort, um
alleine zu trainieren. Das sprach für eine große Motivation. Außerdem
hat er sein Training immer variiert, mal Distanzschüsse, mal Schüsse aus
kurzer Distanz oder Flanken. Und nach jedem Training fing er an Runden
zu laufen — und kein Amerikaner läuft freiwillig Runden, wir sind eher
faul (lacht). Diese Mentalität hat mich sehr beeindruckt.
Neven war noch ziemlich jung, wie hat er reagiert?
Ja,
er war ungefähr 15 Jahre alt, daher etwas aufgeregt und schüchtern,
gleichzeitig aber auch sehr demütig und froh über diese Chance.
Donnerstags habe ich mit ihm gesprochen, am Samstag habe ich mir dann
ein Spiel angesehen, Sonntag noch ein zweites in einer mexikanischen
Freizeitliga. Dort spielte Neven gegen erwachsene Männer. Körperlich war
es also sehr hart und man kennt ja Neven, er war eher groß und dünn
(lacht). Er wirkte etwas schlaksig, manchmal sah es vielleicht
ungeschickt aus, das machte er aber mit seinem Kopf und seiner
Leidenschaft wieder wett. Nach dem Spiel am Sonntag habe ich ihm dann
gesagt, dass ich für die Nationalmannschaft amerikanische Unterlagen
brauche, eine Greencard oder einen amerikanischen Pass. Als ich am
Montagmorgen ins Büro ging, ist das Faxgerät fast explodiert, weil Neven
schon alle Unterlagen verschickt hat (lacht). Dann bin ich zu meinem
Cheftrainer und sagte, dass ich einen Jungen entdeckt habe und sie
fragten wo, in Miami, Los Angeles? Und ich sagte nein, hier bei uns in
Bradenton und natürlich sahen mich alle an, als wäre ich verrückt. Das
änderte sich aber schnell (lacht).
Er bekam also ein
Probetraining bei der Nationalmannschaft, ein Team mit den besten
U17-Spielern der USA. Das hört sich nicht so leicht an für „einen Jungen
aus dem Park“?
Ja, wir hatten die besten 36 Spieler des
Landes hier — aber Neven hatte von Beginn an keine Probleme. Er war
nicht ängstlich und war voller Tatendrang. Wenn wir ihm sagten, du musst
um acht Uhr da sein, war er da, als wir sagten, hey wir mögen wie du
spielst und hätten dich gerne hier in unserer Akademie, sagte er:
Trainer, alles was getan werden muss. Er war sehr leicht trainierbar,
sehr demütig und gleichermaßen extrem professionell.
Wie genau funktionierte die Akademie?
Es war
das amerikanische U17 Akademieprogramm, wir suchten also die besten
Spieler aus und sie kamen nach Bradenton . Man könnte es mit einer
Jugendakademie in Dortmund vergleichen, hier hatten wir alle beisammen.
Wir haben sie trainiert, sie beispielsweise in Ernährungsweisen
ausgebildet und sie gingen natürlich zur Schule. Das ist sehr wichtig im
amerikanischen System: Wenn die Jungs Profis werden ist es toll, wenn
nicht, können sich alle auf ihren Abschluss verlassen.
Um Neven als Fußballer zum Start zu beschreiben, war es eher Talent oder eher Wille?
Ich
denke es war beides. Als ich ihn das erste Mal in den Freizeitligen
gesehen habe, spielte er erst in der Offensive und erzielte ein Tor,
danach zogen sie ihn in die Abwehr, dann ins Mittelfeld — er war quasi
das Rückgrat des Teams und definitiv einer der besten. Als er in die
Akademie kam wollten wir ihn im defensiven Mittelfeld spielen lassen,
wussten aber, dass er auch als Innenverteidiger sehr gut wäre. Aber zu
der Zeit hatten wir schon vier Verteidiger.
Was waren seine Stärken und worin musst er sich verbessern?
Die
größte Stärke war seine Einstellung, er hatte schon als Jugendlicher
eine starke Mentalität. Neven war sehr früh professionell und hat sich
auf die Arbeit konzentriert. Hätten wir ihm gesagt er soll ins Tor
gehen, wäre es für ihn vermutlich okay gewesen. Außerdem war er gut in
der Luft und erzielte daher Tore, auch Diagonalpässe funktionierten und
er war sehr stark im Eins gegen Eins verteidigen. Am meisten musste er
sich im taktischen Bereich weiterentwickeln. Als ich Dortmund besucht
habe und die Ehre hatte Jürgen Klopp zu treffen, sprachen wir auch über
Taktik. Und ich erklärte, dass Neven erst spät Innenverteidiger wurde,
außerdem ist das Niveau in Deutschland schlicht höher. In den USA konnte
er gefühlt tun, was er wollte. Aber von Beginn an war seine Einstellung
entscheidend, wenn man ihm Anweisungen oder Tipps gab, versuchte er es
sofort innerhalb des Teams umzusetzen. Genau deswegen dachten wir uns,
dass er ein richtig guter Profi werden könnte.
Wie hat sich Neven als „Neuling“ im Team eingefunden?
Zu
Beginn war er natürlich etwas ruhiger, weil er später dazukam — ich
glaube aber, das ist auch Teil seiner Persönlichkeit gewesen. Sehr
schnell fühlte er sich aber wohl im Team und nahm eher eine
Führungsrolle ein — genau das wollten wir auch.
Wie sahen die nächsten fußballerischen Schritte aus?
Er
war glaube ich etwas mehr als 1,5 Jahre in der Akademie, spielte auch
die Qualifikation und Endrunde der U17-WM in Peru — das war für uns alle
eine tolle Erfahrung. Er war zwar kein Stammspieler, kam aber in zwei
von drei Gruppenspielen zum Einsatz, auch in der nächsten Runde — da
sind wir gegen Holland ausgeschieden. Da ein Verteidiger die rote Karte
sah, konnten wir Neven auch in die Innenverteidigung ziehen. Er machte
seine Sache gut und nachdem er dann den Abschluss in der Tasche hatte,
unterschrieb er für die University of South Florida in Tampa, also knapp
45 Minuten entfernt. Durch die WM und die Spiele am College haben ihn
natürlich viele Scouts gesehen. So traf er auch seinen Berater Steve
Kelly, er brachte ihn letztlich auch nach Mainz. Dort traf er auf Klopp
und naja, der Rest ist Geschichte.
Wie lange spielte Neven denn für das College?
Eigentlich
sehr kurz, wenn ich mich nicht irre vielleicht sogar nur ein Semester.
Die U17-WM ging im Oktober 2005 zu Ende, zum Ende des Jahres hatte er
seinen Abschluss und ging ans College. Dort spielte er im Frühjahr 2006
und im Sommer, „Boom“ war er plötzlich in Mainz.
Hast du früh erkannt, dass er tatsächlich ein solch besonderes Talent war, für eine Karriere in Europa?
Ich dachte mir, es wird vielleicht viel Arbeit, aber da er eine solche Arbeitsmoral und Einstellung hatte, dachten wir im Trainerteam, dass er ganz sicher ein guter Profi werden könnte. Und jetzt spielt er schon so lange auf solchem Niveau und wir hier in den USA freuen uns alle unheimlich für ihn. Wir haben immer das große Ganze gesehen und mittelfristig gedacht, deswegen haben wir ihm eine Profikarriere zugetraut — heute schauen viele nur auf das hier und jetzt, ohne die Entwicklung zu beachten. Als er die Möglichkeit in Mainz erhielt, waren wir alle sehr begeistert, dann bekam er dort als junger Spieler viel Spielzeit und ich dachte mir „Oh man das wird ihn immer besser machen.“ Als Klopp nach Dortmund wechselte und ihn mitnahm, war ich mir sicher, dass es wunderbar wird.
Es folgte eine beeindruckende Karriere mit einigen Titeln und dem Champions League Finale — bist du stolz darauf?
Oh mein Gott, ich bin sowas von stolz. Es war sehr lustig: Als Neven mit Dortmund die Chance hatte, zum ersten Mal Meister zu werden, war das Spiel hier nach US-Ortszeit natürlich am frühen Morgen. Ich weckte meine Frau und meine Kinder auf und hatte ein BVB-Trikot an und die Kids sahen mich an und fragten: „Papa, was ist los mit dir?!“ (lacht) Wir haben dann gemeinsam das Spiel geschaut und waren unheimlich stolz. Ich kenne noch alle Trainer von früher, John Hackward, John Allenger, Peter Miller, sie alle verfolgen seine Karriere und waren sehr stolz auf Neven. Und wir alle in den USA sind es weiterhin!
geschrieben von Martin
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