Gegen das Schlechte im Fußball: Centro Storico Lebowski
Während in Deutschland die Vereine daran arbeiten, 50+1 mitsamt seiner Mitgliederbestimmung abzuschaffen, gibt es im Ausland sehnsüchtige Projekte von Fans, genau solche Strukturen zu schaffen. Gastautor Kai Tippmann stellt uns den Centro Storico Lebowski vor.
Diese Geschichte beginnt im Jahr 2004, als ein paar Gymnasiasten aus der toskanischen Hauptstadt am heimischen Küchentisch den Sportteil der Tageszeitung durchblättern und dabei auf den AC Lebowski stoßen. „Big“ ist am AC wirklich nichts, der Verein ist Tabellenletzter in der untersten italienischen Spielklasse und hat ein Torverhältnis von 1:99. Selbstverständlich entscheiden sich die 16-jährigen an Ort und Stelle, dass sie diese Lebowskis unbedingt mal sehen müssen. Man trifft sich nach der Schule, findet zunächst das Stadion nicht und stellt dann fest, dass niemand eine Lira für den Eintritt in der Tasche hat. So kommt man erst zur zweiten Halbzeit ins Stadion, sorgt dann aber dafür, dass der Halbzeitstand von 0:3 sich nicht noch weiter verschlechtert.
Heute gibt es einen Verein mit dem Namen CS Lebowski, man spielt nach einem im Playoff-Finale knapp vergeigten Aufstieg trotzdem drei Klassen höher und hat mittlerweile 170 Spieler und Spielerinnen unter Vertrag. Der Verein stellte die erste reine Mädchenmannschaft in der Region und unterhält eine florierende Fußballschule, bei der Kinder kostenlos das Handwerk erlernen können. Die medizinische Versorgung ist eine der besten in einem Fußballverein der Toskana und die Versicherung dafür ist für alle kostenlos. Die damals 16-jährigen sind heute noch dieselben. Es sind nur viel mehr geworden.
Dazwischen liegt so ziemlich alles, was Fans an diesem Sport begeistern kann. Zunächst schaute man sich diese Lebowskis mal an und beschloss ziemlich augenblicklich, dass man fortan die Geschicke des Clubs jedes Wochenende begleiten will. Anfangs dachten die Spieler noch, man wollte sie wegen der katastrophalen Ergebnislage bedrohen oder zumindest damit aufziehen, als sich Woche für Woche mehr Fans auf den Hartplätzen der „Terza Divisione“ versammelten und die Lebowskis lautstark supporteten. Immer mehr Fiorentina-Fans wandten sich vom modernen Fußball ab und begeisterten sich für den Dude, es gründeten sich die „Curva Moana Pozzi“ und die Gruppe „Ultimi Rimasti“, die „Letzten Übriggebliebenen“.
Die Kurve wurde schnell größer als ihr Verein und nichts lag vermutlich näher, als gleich selbst einen eigenen zu gründen. „CS“ steht für „Centro Storico“, die historische Altstadt, und das Logo ziert der Dude. Und die ehemals 16-jährigen lernen was es bedeutet, wenn aus einer Schnapsidee ein Fußballclub wird. Und so fand sich die „Curva Moana Pozzi“ nicht mehr nur auf den Tribünen, sondern auch auf dem Platz, zog Kreidelinien, verkaufte Tickets oder frittierte Fisch, wenn wieder ein großes Abendessen anstand, mit dessen Einnahmen der Spielbetrieb gesichert wird. Noch heute sind die Partys der Lebowskis die größten Sausen der Stadt und größte Einnahmequelle.
Das neue Projekt zog nicht nur hunderte Fans an, sondern ließ den Verein schneller wachsen, als sich das irgendjemand vorstellen konnte. Nach zwei Aufstiegen in Folge war klar, dass man besser nicht mehr selbst spielen sollte und so wurde ein Amateurverein gegründet. Dort spielen alle Lebowskis, bei denen kein besorgter Sportmediziner ein Veto einlegt und die bei Anpfiff noch stehen können. Die jüngeren wollten auch kicken, also musste eine Jugendmannschaft installiert werden. Dem wollten die Frauen und Mädchen nicht nachstehen, also bekamen die auch ihre Teams. Mittlerweile rufen Ex-Profis an und erklären, dass sie sehr stolz wären, ihre Karriere in der ersten Mannschaft beenden zu können. Aufstieg ist das erklärte Saisonziel.
Wenn man die Jungs und Mädchen fragt, wie es dazu kommen konnte, ob sie denn eine Vision gehabt hätten oder das ganze nur zufällig entstanden sei, erhält man keine nachvollziehbare Antwort. Sie wissen es selbst nicht. Manche waren „gegen den moderne Fußball“, andere beteuern, sie hätten nur mitgemacht, „weil man sich da betrinken kann“, woraufhin andere einwerfen, „wir waren schon betrunken“. Betrunken oder nicht, Fakt ist, dass sich die Lebowskis im an guten Nachrichten armen Italien zu einer der spannendsten Realitäten im Fußballbetrieb entwickelt haben. Wo in den Profispielklassen ein gutes Dutzend Vereine pro Saison Bankrott erklärt oder zwangsabgestiegen wird, wo Fans dem Stadion zu Tausenden den Rücken kehren und wo ein Manipulationsskandal den nächsten jagt, haben sich die Lebowskis – natürlich – etwas ganz eigenes einfallen lassen: Mitgliedschaften.
Denn was uns in Deutschland als „50+1“ mehr oder weniger schützenswert erscheint, gibt es in Italien nur in Florenz: Ein Verein, der seinen Fans gehört und den niemals jemand übernehmen kann. In Italien gehören Fußballklubs typischerweise einem Geldgeber und sind von dessen Launen und geschäftlichen Geschick abhängig. Während die Fans der glorreichen Fiorentina seit Jahre mit den Inhabern, den Brüdern della Valle über Kreuz liegen, bieten die Lebowskis jedem die Mitgliedschaft an: Für 25 Euro kann man sich Anteilsscheine und ein Stimmrecht kaufen. Jeder kann sich bis zu 400 dieser Anteile kaufen, es bleibt aber bei einer Stimme. Herrn Kind in Hannover würde diese Regelung sicher nicht gefallen, in Florenz ist sie der Kern einer Idee: „Wenn viele Leute wenig geben, ist das Überleben des Vereins gesichert.“
Ich habe das Angebot natürlich gern angenommen, auch wenn ich viel zu selten in Florenz Spiel und Bier genießen kann. Denn die Lebowskis machen alles besser, was im italienischen Fußball schief läuft und sie haben sich jegliche Unterstützung für ihr Projekt verdient. Die Fans haben dort tatsächlich eine Stimme und können sich einbringen, nichts wird über ihre Köpfe hinweg entschieden. Die Fußballschule bietet wirklich allen Kindern Gelegenheit, Sport zu treiben und Gemeinschaft zu erleben, nicht nur denen, deren Eltern das nötige Geld haben. Frauen- und Mädchenfußball wird hier als integraler Bestandteil des Fußballs gesehen, nicht als auch noch kommerzialisierbarer Nebenschauplatz des „richtigen“ Fußballs.
Ich finde, 25 Euro lassen sich dieses Weihnachten kaum besser ausgeben als für die vermutlich einzige richtig gute Sache im italienischen Fußball. Hier kann man Mitglied werden.Karmapunkte sind gratis!
Ansonsten habe ich Euch im Folgenden die Stellungnahme der Lebowskis auf Facebook übersetzt:
Errichte den Club
Als der USD Centro Storico Lebowski im Juli 2010 gegründet wurde, waren die meisten der in den nächsten 8 Jahren folgenden Geschichten völlig unvorstellbar. Damals stand der Club auf wackligen Beinen und nur ganz wenige hätten darauf gewettet, dass wir die erste Saison überleben würden.
Inmitten der vielen Unsicherheiten, waren ein paar Dinge schon in jenen fernen Tagen klar: Lebowski sollte in Italien das erste große Experiment eines Fußballvereins in den Händen seiner Fans werden. Oder auch: es sollte der erste italienische Verein werden, deren Eigentümerschaft wirklich kollektiv ist, weil alle auf derselben Stufe stehen und der Verein von niemandem "übernommen" werden kann.
Diese Vision war ethisch und politisch motiviert, ist aber auch aus der Überlegung entstanden, dass die Krise vieler Amateurvereine (und vieler Profivereine) daher stammt, dass sie eine extrem risikoreiche Organisationsstruktur haben. Wenn ein Sportverein von einem reichen Präsidenten abhängt, liegt sein Schicksal völlig in den Händen von dessen Glück oder Pech, seinen Launen, seinen Interessen. Wir haben zu viele Clubs gesehen, die innerhalb weniger Wochen aufgeben oder ihre Aktivitäten herunterfahren mussten, weil der Präsident Schwierigkeiten oder einfach keine Lust mehr hatte.
Ein Sportverein ist hingegen ein fundamentales Gut einer Region. Ein Ort der Erziehung, des Beisammenseins, der Unterhaltung, der Gesundheit. Es kann einfach nicht sein, dass so etwas von einem Moment auf den anderen Verschwinden kann. Und, vor allem, muss er in jedem Moment für Jede und Jeden offen stehen.
Aus diesem Grund haben wir von Beginn an ein Organisationsmodell verfolgt, in dem nicht "Einer" "Alles" gibt, sondern wo "Viele" das "Bisschen" beitrugen, was sie geben konnten. Wenn "Viele wenig geben" hat der Club jede Saison eine sichere und solide Basis, auf der er planen und sich entwickeln kann. Die wichtigste Möglichkeit, das "Wenige" zu geben, war Mitglied des Vereins zu werden.
Nach 8 Jahren stehen wir erneut vor einem entscheidenden Moment im Leben des Clubs: Aus dem Verein wurde eine Genossenschaft. Die Gründe dafür sind schnell gesagt: Als Genossenschaft können wir das Konzept des gemeinschaftlichen Eigentums noch verstärken, denn:
Sie basiert in allen seinen Aspekten auf dem Prinzip "Ein Kopf, eine Stimme".
Sie drückt das Ziel der Gegenseitigkeit aus, sein einziges Ziel ist es, seinen Mitgliedern und Mitgliederinnen den einfachsten und glücklichsten Zugang zum Sport zu ermöglichen.
Sie bietet keine Möglichkeit, dass Einzelne Entscheidungsgewalt an sich reißen oder Gewinne ausgeschüttet werden.
Für uns ist diese Transformation eine große Wette. Und in der Tat, damit dieses Modell funktionieren kann, brauchen wir eine große Zahl an Unterstützern und Unterstützerinnen. Unsere Wette für diese Saison ist, dass wir mindestens 1.000 Leute ins Boot holen.
Unsere Ziele sind:
Ein Organisationsmodell zu entwerfen, das die wirtschaftliche Nachhaltigkeit des sportlichen Projekts nicht über einen Mäzen oder Sponsoren garantiert, sondern über seine Verwurzelung in der Region und daher durch die Teilhabe der Kollektivs: Lebowski will, dass der Fußball GEMEINSAMES EIGENTUM seiner Fans ist.
Eine Fußballschule anzubieten, die auf die Bedürfnisse der Jungs und Mädchen zugeschnitten ist, die jeder Familie der Region zugänglich und in immer mehr öffentlichen Parks vertreten ist (Nidiaci, Piazza D’Azeglio, Giardino della Carraia). Stand heute haben wir 170 Spieler und Spielerinnen, denen wir – Dank unserer Mitglieder – das Sport treiben, die Versicherung und kostenlose Sportkleidung ermöglichen. Lebowski glaubt an die Fußballschule als EDUKATIVES PROJEKT im Dienst der Region.
Im Frauenfußball vertreten zu sein. Damit Fußballspielen für Mädchen und Frauen in einem wirklich auf ihre Bedürfnisse zugeschnittenen Umfeld möglich ist, im Gegensatz zum maschilistischen und kaum Erfolg versprechenden Modell, Frauenfußball als politischer und wirtschaftlicher Spekulation unterworfenen Nischensport zu betrachten, nach Jahren von Desinteresse und Snobismus. Wir waren der erste Sportverein der Toskana, der eine reine Mädchenmannschaft in der Kategorie "Piccoli Amici" antreten ließ und heute haben wir über 60 Spielerinnen jeden Alters unter Vertrag: Lebowski möchte einen Fußball, der ein Instrument gegen SEXISMUS ist.
Das Stadion Tavarnuzze zu einem immer offeneren Raum machen, in dem wir Initiativen Platz geben, die auf Solidarität und Austausch basieren und dabei Vereine und Gruppen der Region mit ins Boot holen. Lebowski möchte einen Fußball, in dem das Stadion ein HAUS für die GEMEINSCHAFT ist und nicht der x-te Ort der Konsumkultur.
Rassismus bekämpfen, durch den Sport als Mittel, um Barrieren und Mauern einzureißen. In unseren Teams spielen Sportler und Sportlerinnen aus aller Welt und wir kämpfen dafür, dass auch Asylbewerber eine Spielberechtigung des Fußballverbands erhalten: Lebowski möchte einen Fußball, der gegen DISKRIMINIERUNG kämpft und in der Region die Bindungen der Solidarität stärkt.
Allen unseren Sportlerinnen und Sportlern hundertprozentige Unterstützung in Bezug auf die Gesundheit zu garantieren, indem wir bestens ausgebildete Betreuer engagieren und alle Ausgaben für medizinische Belange übernehmen. In unserer Fußballschule haben wir in Zusammenarbeit mit der ARS ein Präventionsprojekt zu Ernährung und Motorik angestoßen, das über 150 Familien aus San Frediano umfasst: Lebowski will einen Fußball, der die Gesundheit und Lebensqualität der gesamten Gemeinschaft verbessert;
Innovative Formen auszuprobieren, ein Stadion zu bewirtschaften, um die Sicherheit der dort Angestellten zu gewährleisten: Lebowski möchte einen Fußball, der die ARBEIT schützt und sich gegen AUSBEUTUNG einsetzt.
Immer bedeutendere sportliche Ziele erreichen: Lebowski möchte zeigen, dass die Zusammenarbeit und die gemeinschaftliche Eigentümerschaft ein GEWINNBRINGENDES Modell auch in sportlicher Hinsicht sind.
Wir glauben, dass wir hier ein geradezu revolutionäres Experiment in der Welt des Fußballs angestoßen haben. Wir sind uns bewusst, dass wir viele sein müssen, um diese Ziele zu erreichen. Wir müssen viele Ressourcen investieren, viel Energie ausgeben. Aus diesem Grund bitten wir Euch, Eure Teilhabe zu erneuern und Mitglied der neuen Genossenschaft zu werden.
Wir werden uns bemühen, die Mitgliederversammlung zum wirklichen Entscheidungszentrum unseres Clubs zu machen, indem wir einmal im Monat eine große Versammlung organisieren, in der jedes Thema besprochen wird. Die direkte Beteiligung der Gemeinschaft wird der große Unterschied sein, den unser Club in die Welt des Fußballs bringen wird.
geschrieben von Kai
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