Der BVB im Januar 2018
Der BVB Ende Januar 2018 zwischen Ratlosigkeit, einem drohenden Sturz ins Mittelmaß und wichtigen Zukunftsentscheidungen
Nach einem hektischen und von vielen Höhen und Tiefen geprägten 2017 war noch zu Jahresbeginn 2018 die Zuversicht groß, dass der BVB nun endlich den Weg zurück zum sportlichen Erfolg und vor allem zu größerer Ruhe und Gelassenheit finden würde.
Die beiden glücklichen Siege nach dem Trainerwechsel gegen Mainz und Hoffenheim, ein dritter Platz nach dem Ende der Vorrunde und ein Rückstand von nur zwei Punkten auf den Tabellenzweiten Schalke führten zu einer gewissen Überschätzung der eigenen Situation. Mitunter war zu hören, die Qualifikation zur Champions League sei problemlos zu schaffen, ja unter normalen Umständen müsse der 2. Rang zu erreichen sein und ganz bestimmt würde man zu Saisonende vor Schalke stehen. Sokratis sprach sogar vom Gewinn der Europa League.
Nach zwei mittelmäßigen Auftritten gegen Wolfsburg und Hertha BSC, zwei Teams aus der unteren Tabellenhälfte, wo man bereits spielerisch wie resultatsmäßig klar unter den Erwartungen blieb, hat das letztendlich sehr glückliche 2:2 gegen den SC Freiburg nun endgültig zu Tage gebracht: der BVB ist in einer Krise, es droht ihm der Sturz ins Mittelmaß und ins Mittelfeld der Tabelle. Das Team wirkte verkrampft, mit wenig Selbstvertrauen und Leidenschaft und in der Offensive ohne Kreativität und Konzept. Die Stimmung im Team scheint nicht zum Besten, wobei der Umgang mit der Personalie Aubameyang das Seine dazu beigetragen hat.
Nach diesem Fehlstart in die Rückrunde zeichnet sich jedenfalls ab: die Qualifikation für die Champions League wird alles andere als ein Selbstläufer. Der Rückstand auf Rang 2 ist mittlerweile auf 3 Punkte angewachsen. Der Vorsprung auf Rang 10 beträgt nur noch 4 Punkte. Zudem ist von der Euphorie um den neuen Trainer Peter Stöger, die bereits nach der letztendlich klaren Pokalniederlage in München erste Dämpfer erlitten hat, kaum mehr etwas zu spüren. Vieles erinnert einen bereits an die letzten Spiele unter Peter Bosz.
Die BVB-Klubführung ist nicht zu beneiden. Denn nebst der Bewältigung der aktuellen heiklen und so kaum erwarteten sportlichen Situation wird sie in den kommenden Wochen und Monaten einige Entscheidungen treffen müssen, die einen sehr maßgeblichen Einfluss auf die zukünftige Entwicklung des Vereins haben könnten.
Die beiden in sportlicher Hinsicht wichtigsten Exponenten Hans Joachim Watzke und Michael Zorc haben über 10 Jahre lang hervorragend gearbeitet und maßgeblich dazu beigetragen, dass der BVB heute sportlich wie wirtschaftlich ein deutscher und europäischer Spitzenverein ist. Spätestens seit dem Trainerwechsel im Sommer 2017 kommt vermehrt Kritik an ihnen auf und es wird beispielsweise auch in Frage gestellt, ob der 2019 auslaufende Vertrag mit CEO Watzke verlängert wird oder werden soll. Mehrmals war von den amtsmüden Watzke und Zorc zu lesen, die in der Tat schwierige und aufreibende Monate hinter sich haben. Watzke äußerte im letzten Jahr auch mehrmals Rücktrittsgedanken. Zorc als Sportdirektor und Vorgesetzter der Trainer muss sich eine gewisse Kritik gefallen lassen, zu spät bei den sich anbahnenden Trainer-Entwicklungen von Tuchel und Bosz eingegriffen zu haben. Seine harsche Reaktion nach dem Freiburg-Spiel auf die wenig überlegten Aussagen von Roman Bürki zu den pfeifenden Zuschauern zeigen, dass er ziemlich unter Druck steht. Auch wenn inhaltlich seine Aussagen richtig waren, so hat doch die Schärfe seiner öffentlich geäußerten pauschalen Kritik an Bürki und strenggenommen an der ganzen Mannschaft überrascht.
Im Umgang mit Aubameyang machte die sportliche Leitung keine gute Figur. Es ist ein ständiges Hin und Her. Bereits vor Beginn des Transfertheaters mit Arsenal leistete sich der Spieler wiederholt Undiszipliniertheiten, die mehrheitlich geduldet und selten wirklich sanktioniert wurden. Öffentlich wurde nach der Suspendierung zum Wolfsburg-Match vom Spieler ein klares Bekenntnis zum BVB eingefordert, was dieser aber vermied. Nachdem er dann auch gegen Hertha nicht im Kader stand, wurde er mit der Begründung, der Spieler habe gut trainiert, dennoch wieder gegen den SC Freiburg aufgeboten. Sportliche Führung und Trainer riskieren vereinsintern wie auch nach außen durch diese wenig konsequente Haltung einen beträchtlichen Glaubwürdigkeitsverlust. Zudem war zwischenzeitlich zu befürchten, dass sich der BVB in den Transferverhandlungen mit Arsenal „verpokern" könnte. Anders als bei Barcelona und Démbélé schient die Not in Arsenal nicht so groß, um sich ultimativ vom BVB die Rahmenbedingungen eines Transfers vorschreiben zu lassen. Es drohte letztendlich die Situation, weiterhin einen unzufriedenen und von Mitspielern und Fans wenig geschätzten Stürmer im Kader zu haben und dabei erst noch rund 60 Mio Euro in den Sand zu setzen.
Watzke und Zorc haben bei aller Kritik das Vertrauen weiterhin verdient. Der sportlichen Leitung würde allerdings ein zusätzliches neues Gesicht guttun. Immer wieder wird Sebastian Kehl erwähnt, der auch bald drei Jahre nach seinem Rücktritt großes Ansehen in Dortmund genießt. Interessant wäre auch die Vorstellung, die operative Führung mit einer Persönlichkeit wie Matthias Sammer zu ergänzen. Mit seiner Leidenschaft und seiner kompromisslosen und stets auf den Erfolg ausgerichteten Art könnte er dem Verein einen gewaltigen Schub verleihen.
Über die sportliche Vision und die künftigen Zielsetzungen scheint im Verein Einigkeit zu herrschen. Watzke machte im „aktuellen Sportstudio“ im Dezember deutlich, dass der Verein künftig den Anspruch hat, dauernd in der Champions League vertreten zu sein und Zorc unterstrich Ende Oktober in einem „Kicker“-Interview die Zielsetzung, auf Dauer zu den Topvereinen Europas (von Top 8 war die Rede) zu gehören und in Deutschland mindestens die Nummer 2 zu sein. Diese klar geäußerten Ambitionen sind zu begrüßen. Die Führung wird sich konsequent daran messen lassen müssen.
Nach der erfolgreichen Ära Jürgen Klopps ist der Verein und seine Führung im Bereich der Trainerposition seit nun bald drei Jahren immer noch auf der Suche nach einem Nachfolger, mit dem man ähnlich erfolgreich, harmonisch und vertrauensvoll zusammenarbeiten kann und der den Verein und sein ganzes Umfeld mit großem Engagement, viel Leidenschaft und modernem attraktiven Fußball mitreißt.
Thomas Tuchel hat die Mannschaft ab Sommer 2015 spielerisch und taktisch weitergebracht und war letztendlich sehr erfolgreich. Zwei direkte Qualifikationen für die Champions League, ein Pokalsieg und eine Finalteilnahme sowie das Erreichen der Viertelfinals in Champions League und Europa League sind ein beeindruckender Leistungsausweis. Sehr schade, dass offenbar das Verhältnis zwischen dem Trainer, der Vereinsführung und einem Teil des Teams letztendlich so zerrüttet war, dass eine Fortsetzung der Arbeit im Sommer 2017 nicht mehr in Frage kam.
Sein Nachfolger Peter Bosz startete zwar erfolgreich in die neue Saison. Doch schon im September und nach den Niederlagen gegen Tottenham, Real Madrid und RB Leipzig wurde klar, dass er nicht in der Lage oder vermutlich vor allem nicht bereit war, das Spielsystem und die taktischen Dispositionen auf die Qualitäten der eigenen Mannschaft und der Gegner auszurichten. Auch wenn man im BVB-Umfeld nicht müde wird, Bosz für seine sportlichen und menschlichen Qualitäten zu loben, so ist der Führung der Vorwurf nicht zu ersparen, dass sie viel zu lange untätig geblieben ist.
Seit Anfang Dezember soll es nun der bald 52-jährige Peter Stöger richten. Zu seinen Stärken soll der Umgang mit Menschen gehören, was in der momentanigen Situation, in der man von teaminterner Zerstrittenheit und Gruppenbildung liest, sicher von Vorteil ist. Auch traut man Stöger zu, das Team in der Defensive zu stabilisieren. Nur kann er das Team auch in der Offensive so weiterentwickeln, dass es den hohen Ansprüchen eines europäischen Topteams genügen kann? Den Tatbeweis wird er in den kommenden Wochen erbringen müssen. Die ersten Spiele mit dem BVB und die bisherigen Erfahrungen und Erfolge bei den vorhergehenden Vereinen lassen größere Zweifel daran aufkommen. Sein Vertrag hat einstweilen nur Gültigkeit bis zum Sommer und bei aller Sympathie für den integren Österreicher ist der BVB gut beraten, ernsthaft über einen neuen unverbrauchten Trainer mit herausragenden taktisch-spielerischen Fähigkeiten nachzudenken. Julian Nagelsmann würde genau in dieses Profil passen. Die Frage ist nur: Will er überhaupt zum BVB wechseln und ließe ihn Hoffenheim überhaupt ziehen?
Eine besondere Herausforderung liegt in der zukünftigen Mannschaftszusammensetzung. Der aktuelle Kader – mit oder ohne Aubameyang - dürfte kaum genügen, um die ambitionierten Visionen und Zielsetzungen auf Dauer erreichen zu können.
Dabei wird insbesondere die Vertragsverlängerung von Marco Reus von großer Bedeutung sein. Sein Entscheid dürfte nicht vom Geld, sondern bei aller Verbundenheit zum BVB in erster Linie von den sportlichen Perspektiven des Vereins abhängen. Sein Verbleib wäre ein wichtiges Zeichen, auch für andere Spieler. Mit bald 30 Jahren wird er wohl seinen letzten großen Vertrag bei einem Verein unterzeichnen, der Aussicht auf sportliche Erfolge und Titel bieten kann. Gleiches könnte auch für die umworbenen Weigl und Pulisic gelten und bei Hummels und wohl auch bei Gündogan war gerade dieser Punkt mitentscheidend dafür, dass sie den BVB im Sommer 2016 verließen.
Eine kluge Kaderplanung wird wichtig sein. Der aktuelle Kader weist Besonderheiten auf, die sicher auch im Zusammenhang mit dem Philosphie-/Trainerwechsel im Sommer 2017 zu sehen sind.
Bereits im vergangenen Spätsommer/Herbst wurde klar, dass in der Verteidigung Handlungsbedarf besteht. Im Nachhinein kann man sich fragen, weshalb man Ginter und Bender im Sommer 2017 gehen ließ. Beide hätten der Mannschaft als Verteidiger und Persönlichkeiten gutgetan. Seit dem Abgang von Hummels fehlt ein spielstarker (Innen-)Verteidiger, der die Angriffsauslöung unterstützen kann. Bartra wurde dies zwar zugetraut und zeigte mehrmals gute Ansätze. Der Busanschlag hat ihm nachvollziehbar stark zugesetzt und offenbar haben weder Bosz noch Stöger Vertrauen in seine Qualitäten. Mit Akanji hat man nun einen ersten guten Transfer realisieren können. Eine weitere Verstärkung wird wohl folgen müssen.
Im Mittelfeld ist der Kader schlecht austariert. Für die defensiv zentrale „Sechserposition“ stehen je nach Betrachtung 4 bis 6 Spieler (Weigl, Sahin, Dahoud, Rode; allenfalls auch Castro und Guerreiro) zur Verfügung, obwohl im System von Bosz wie Stöger eigentlich nur ein Spieler in dieser Rolle eingesetzt wird. Außer Götze und mit Abstrichen Kagawa fehlen im Mittelfeld kreativ gestaltende Spieler.
Der BVB hat etliche gute Offensivkräfte vor allem auf den Außenpositionen. Für Aubameyang im Zentrum fehlte ein Backup und auch jetzt fehlt ein echter Ersatz. Was wäre passiert, wenn er sich im September für längere Zeit verletzt hätte? Schürrle ist keine wirkliche Option auf dieser Position und Isak als dauerhafte Lösung noch etwas zu jung.
Letztendlich fehlt dem Team, allenfalls mit Ausnahme von Sokratis, ein „giftiger“ Spieler und „Agressivleader“ vom Typ Vidal, der die Mannschaft auch einmal „pushen“ kann.
In den letzten Jahren hat der BVB oft junge Spieler mit großem Potential geholt. Dieses Modell ist grundsätzlich nicht zu kritisieren, denn es entspricht wohl einer gewissen wirtschaftlichen Notwendigkeit, da der BVB auch auf Transfererlöse angewiesen ist.
Spieler wie Démbélé, Zagadou, Isak, Sancho oder Gomez, mutmaßlich
der Neuzugang aus Barcelona, wechseln allerdings in erster Linie nach
Dortmund, um sich persönlich weiterzuentwickeln und ihre Karriere
voranzutreiben. Oft wird bei ihnen nicht das sportliche Wohlergehen des
BVB, sondern die Absicht in absehbarer Zukunft zu einem größeren Verein
wechseln zu können, das primäre Ziel sein.
In einem gewissen Sinne
ist man dadurch dauernd an einem Aufbau für die Zukunft und immer dann,
wenn man sportlich von der Aufbauarbeit profitieren könnte, läuft man
Gefahr, den Spieler an einen zahlungskräftigeren Verein zu verlieren.
Zudem sollte man sich auch nicht wundern, wenn ein solcher Spieler wie
z.B. Démbéle dann ohne große Rücksichtnahme auf den Verein sein eigenes
Interesse in den Vordergrund stellt und einen Transfer dezidiert
durchziehen will.
Die Diskussionen um die Nachfolge von Aubameyang zeigen dieses Dilemma gut. Will man auf einen gestandenen 25- oder 31jährigen setzen oder lieber einen 20-22jährigen Spieler mit großem Entwicklungs- und Transferpotenzial holen. Anzustreben wäre es, in der Mehrheit auf Spieler zu setzen, die primär mit dem BVB sportlichen Erfolg anstreben und nicht schon bereits einen nächsten Transfer im Hinterkopf haben.
Auch ein Transfercoup mit einem gestandenen Spieler des Kalibers Jerome Boateng, Özil oder Can könnte Aufbruchstimmung vermitteln und dem Team guttun.
Vor dem BVB liegen spannende und wichtige Wochen. Vorerst geht es nun mal heute zum 1. FC Köln, der bei der Stöger Rückkehr besonders motiviert sein wird. Wiederum trifft man auf einen Gegner aus dem unteren Tabellenfeld, gegen den man eigentlich gewinnen müsste, aber in der gegenwärtigen Verfassung auch verlieren kann.
geschrieben von Rolf
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