Moralische Einbahnstraße?
Der Transfer von Ousmane Dembélé schlug hohe Wellen: der Franzose hatte seinen Wechsel durch einen Streik erzwungen und war dafür allenthalben kritisiert worden. Hat der BVB die richtigen Lehren daraus gezogen?
Dass der Fußball kein Hort von großer Gerechtigkeit oder gar Moral ist, beweist er Tag um Tag aufs Neue. Egal ob sich verurteilte Straftäter, die das Gefängnis nur auf Bewährung verlassen durften, zum Präsidenten eines der größten Fußballclubs der Welt wählen lassen um dann über die Rechtsbrüche von Fans im Stadion zu dozieren oder jene Spieler, die gestern noch heldenhaft die Kohlen aus dem Feuer holen mussten, mit wenig Skrupel zu anderen Arbeitgebern abgeschoben werden, wenn sie nicht mehr ins sportliche Konzept passen (oder der Verein schlicht und ergreifend erfolgreich genug war, sich neue Spieler leisten zu können) – das Geschäft war selten auch nur annähernd so moralisch korrekt, wie wir Fans es uns nur zu gern vorstellen. Die Enthüllungen rund um Football Leaks, das Sommermärchen oder die Steuereskapaden von schwerreichen Stars in Südeuropa tragen ihr Übriges dazu bei, dass der Fußball viele Prädikate verdient, „moralisch“ aber sicher nicht dazu zählen sollte.
Und doch gab es in den letzten Wochen versammelte Aufschreie über eine neue Dimension von Unmoral: Ousmane Dembélé, seinerzeit Angestellter von Borussia Dortmund und ausgestattet mit einem befristeten Arbeitsvertrag über vier weitere Jahre, legte die Arbeit unentschuldigt nieder und entzog sich der Kommunikation und dem Zugriff seines Arbeitgebers. Die deutsche Fußballbranche tobte, ein Spieler, der seinen Abgang durch Fernbleiben erzwingen wollte, sei inakzeptabel.
In Dortmund blieb man stoisch und konsequent: Die Verhandlungsbereitschaft über die Ablösesumme nahm ab und mit einem „take it or leave it“-Deal konfrontiert schlug der FC Barcelona letztendlich doch zu und zahlte sehr, sehr viel Geld für den streikenden Dembélé, der nach dem Transfer unumwunden gestand, dass er seinen Transfer durch dieses billige Mittel erzwingen wollte. Von Sammer bis Hoeneß erhielt der BVB Zuspruch und Begeisterung für seine konsequente Haltung, stellenweise war sogar von einem „Beispiel für die gesamte Liga“ zu lesen. Dass der BVB trotz aller Ruhe und Konsequenz alles andere als begeistert vom Gebaren des Ex-Angestellten war, zeigte die Pressemitteilung zum Abschluss des Dembélé-Wechsels: Während selbst der Ersatztorhüter der U23 herzlich mit persönlichen Erfolgswünschen verabschiedet wird, fehlt in der PM zu Dembélé jedes freundliche Wort. Die Stilfrage ist an dieser Stelle, trotz des Streiks und des nachvollziehbaren Grolls, durchaus angebracht.
Deutlich interessanter wird dann aber, welche Konsequenzen man beim BVB zieht. Logische Konsequenz aus diesem schmerzlichen Abgang mit unmoralischem Handeln des wechselwilligen Spielers wäre an dieser Stelle, künftig noch deutlich mehr Wert auf die Integrität der kommenden Angestellten zu legen und diese auch danach auszuwählen, ob sie bisher dazu geneigt haben, ihre Wechsel „unmoralisch“ zu erzwingen. Oder?
Eigentlich sollte man meinen, dass der BVB, der den Abgang des Bundesliga-Rekordtransfers so schmallippig kommentierte, aus dem Verhalten von Spielern wie Lewandowski, Mkhitaryan und Dembélé gelernt habe, und künftig keine Spieler mehr verpflichten würde, die ihre arbeitsrechtlichen Pflichten verletzten, um dem aktuellen Arbeitgeber quasi zu entfliehen. Oder?
Die Antwort darauf lautet Jadon Sancho.
Der BVB verpflichtet ein
vielversprechendes Talent, den besten Spieler der letzten
U17-Europameisterschaft, der ein Jahr vor Auslaufen seines
Jugendvertrags bei Pep Guardiola und Manchester City keine Perspektive
für die erste Mannschaft sah. Per se ein hervorragender Transfer aus
BVB-Sicht: Jung, vielversprechend und verhältnismäßig günstig. Selbst
wenn Sancho kein Stammspieler beim BVB werden sollte, dürfte er
zumindest finanziell ein Gewinn sein.
Doch darum soll es hier gar nicht gehen. Denn der Transfer von Sancho ist nach den Verpflichtungen von Mkhitaryan, Lewandowski und zum Teil auch Dembélé der nächste, der nicht ohne Nebengeräusche ablief. Während seine Vorgänger sich schon bei ihren früheren Vereinen ähnlich unrühmlich verhielten wie bei ihrem Abschied hier, kündigte Sancho augenscheinlich seinen Jugendvertrag bei Manchester City einseitig und blieb fortan, ähnlich wie Dembélé, nicht erreichbar dem Training fern.
Bei der Frage, wie richtig oder falsch dieses Verhalten war, gehen die Meinungen allerdings auseinander. Der Spieler sah sein Verhalten als rechtmäßig, Manchester City berief sich auf Regel 255 der FA Youth Development Rules, nach der eine einseitige Kündigung gar nicht möglich ist. In dem Fall hätte Sancho weiterhin seinen Pflichten nachkommen müssen, statt sich in London um seinen Vereinswechsel zu kümmern.
Welche von beiden Parteien letzten Endes Recht bekäme, werden wir nun allerdings nicht erfahren. Nachdem selbst am Tag des Transfers noch die Rede davon war, dass eine mögliche Ausbildungsentschädigung keine 250.000,- EUR betragen hätte, zahlt der BVB dem Vernehmen nach nun jedoch mehr als 8.000.000,- EUR Ablöse an Machester City, zuzüglich weitreichenden Beteiligungen an späteren Verkäufen. War der Vertrag also wirklich rechtswirksam gekündigt und das Verhalten von Sancho wirklich "sauber", oder hat er sich ähnlich „unmoralisch“ aus seinem Arbeitspapier schlawinert wie seine namhaften Vorgänger?