Solidarität - Aber mit wem und wie?
Es ist tatsächlich passiert: Die Süd bleibt dicht. Ecken-Bewohner wie ich dürfen gegen Wolfsburg ins Stadion, rund 25000 Fans müssen jedoch draußen bleiben. Schon lange bevor die Entscheidung des DFB feststand, habe ich mich gefragt, wie ich reagieren würde, wenn ich aufgrund einer himmelschreienden Ungerechtigkeit in die Situation versetzt würde, ins Stadion gehen zu dürfen, während der Großteil meines Bekanntenkreises ausgeschlossen bliebe.
"Solidarität!", denke ich sofort und frage mich sogleich, wie die aussehen könnte. Wäre es solidarisch, wenn meine Frau und ich gar nicht ins Stadion gingen, um mit zwei leeren Sitzen gegen 25.000 leere Stehplätze zu demonstrieren? Oder wäre es solidarisch, mit einem Protestbanner unsere Plätze einzunehmen? Oder sollten wir unsere Tickets zwei Betroffenen zur Verfügung stellen? Oder einfach ins Stadion gehen und schauen, was passiert?
Letzteres wäre natürlich der einfachste Weg. Schließlich spielt ja Borussia und was soll ein kleiner Wicht mit einer kleinen Soli-Aktion schon bewirken? Das wäre schon sehr bequem.
Die Karten an Freunde weiterzugeben, wäre natürlich die reinste Art der Solidarität. Es wäre ein Freundschaftsdienst - was man halt so macht. Wäre es ein Zeichen an die Welt? Nein, es sei denn, die Ersatzleute würden mit einem großen "Ätsch!"-Plakat unsere Plätze einnehmen. Aber wären die Ersatzleute nicht ihrerseits unsolidarisch den Fans gegenüber, die nicht das Glück haben, zwei Tickets zu bekommen? Mann, ist das kompliziert.
Und es wird nicht einfacher.
Der sichtbarste Weg der Solidarität wäre der, zwei Plätze leer zu lassen. Wenn die Süd eine große Lücke sein muss, wäre es nur konsequent, noch mehr Lücken frei zu lassen. Am besten das ganze Stadion. Überlassen wir das Stadion am Samstag doch einfach den Wolfsburgern!
Das wäre ein großes und stolzes und konsequentes Zeichen gegen Kollektivstrafen!
Und es wäre so falsch.
Denn die so geäußerte Solidarität schlösse auch diejenigen ein, die uns den Schlamassel eingebrockt haben. Diese im Endeffekt vielleicht 200 Idioten, die es in den vergangenen Monaten immer und immer wieder geschafft haben, das Ansehen meines BVB in den Dreck zu ziehen und bei drohenden Sanktionen mit großem "Mimimimi" auf die "Fußball-Mafia DFB" zu schimpfen. Genau dieser DFB macht es normalen Fans jetzt schwer, sich mit einer kompletten Tribüne solidarisch zu zeigen. Jede Aktion, die sich pauschal gegen die Sperrung der Süd richtet, kann als Solidarität mit den Schuldigen betrachtet werden.
Dabei ist es für jeden, der schon mal ein Stadion außerhalb der Pressetribüne betreten hat, völlig ersichtlich, dass eine Tribüne, ja sogar ein Block auf einer Tribüne, keine monolithische Einheit ist. Das ist doch gerade das Faszinierende an der bunten Gesellschaft auf einer Tribüne: Tausende Gleichgesinnte feiern hier ihren kleinsten gemeinsamen Nenner: ihren Verein. Daraus können Momente entstehen, die magisch sind. Ein Roar, der den Ball in der Nachspielzeit ins Tor trägt, oder auch Stille, die sich in bleierner Trauer über das Stadion legt.
Wie anfällig die Tribüne in ihrer Vielfalt ist, zeigt sich, wenn sich Gruppen formieren oder wenn einzelne Mitglieder des großen Ganzen gezielt herausgepickt werden. So kann es passieren, dass - wie geschehen - ein Nazi in einen Block marschiert, seinen Nebenmann bittet, ein Plakat hochzuhalten - und schon fordert "die Süd" Solidarität mit einer rechtsradikalen Vereinigung. Und ebenso einfach ist es, diese vielfältige Gesellschaft gezielt zu unterwandern und als Riesenleinwand zu missbrauchen wie beim Spiel gegen Leipzig.
Mit Leuten, die die Süd missbrauchen, will ich nicht solidarisch sein.
Die Strafe, die der DFB nun ausgesprochen hat, will leider genau das erreichen, eine Entsolidarisierung der Fans. Vermutlich wird bald auch das Unwort der "Selbstreinigungskräfte" bemüht werden, dabei ist der DFB doch das beste Beispiel dafür, dass es die nicht gibt. Die Fans sollen es richten und sich von denen entfernen, die ihnen die gesperrte Süd beschert haben. Als ob jemand, der im Oberrang knapp unterm Dach steht, nicht schon weit genug weg wäre von dem Ort, an dem sich die mutmaßlich Schuldigen in der Regel aufhalten.
Auch den BVB trifft Schuld. Zu lange hat er gezögert und sich immer wieder von Unbelehrbaren vorführen lassen. Ja, Dialog ist wichtig für ein konstruktives Miteinander. Aber wenn Teile einer Seite ein Weltbild vertreten, in dem die Begriffe "konstruktiv" und "Miteinander" keine Rolle spielen, dann muss der BVB auch irgendwann mal Nägel mit Köpfen machen und sein Hausrecht gegenüber diesen Menschen durchsetzen. Der Besitz einer Karte für die Südtribüne wird von einigen als Recht angesehen, dabei ist es ein Privileg, auf dieser gigantischen Tribüne stehen zu dürfen. Selbstverwaltung in Ehren, aber die Betonstufen gehören immer noch dem BVB.
Meine Freunde wissen, mit diesem Privileg umzugehen. Sie engagieren sich in ihrer Freizeit für den BVB, sie organisieren Aktionen gegen Rassismus und gegen Gewalt, zeigen Haltung, wenn andere sich ducken und retten dem BVB gerne mal den Hintern, wenn ein medialer Shirstorm tobt. Und genau diesen Menschen wirft der DFB mit seinem Urteil Knüppel zwischen die Beine, indem er sie für Dinge bestraft, die sich nicht getan haben. Und das nennt sich dann auch noch "Rechtsprechung".
Und ich? Ich habe vor Jahren beschlossen, von der Südtribüne in die Ecke zu ziehen. Allein das macht mich nun also zu einem bessergestellten Fan. Wenn ich in der Ecke "Tod und Hass dem S04" brülle, ist das besser als wenn es jemand auf einem Stehplatz tut. Wenn jemand mal so richtig Schimpfwörter lernen will, kann ich meine Ecke als Hörsaal empfehlen. Aber wir dürfen offenbar pöbeln.
Wir
sollten solidarisch sein. Aber mit wem und wie?
Für mich ist die Entscheidung gefallen. Ich werde am Samstag meinen Platz leer lassen. Als mein kleines, privates Mahnmal. Wenn der BVB und der DFB Leuten, die für ihr Engagement, ihren Charakter und ihre Art, Fußball zu leben den allergrößten Respekt verdient hätten, mit der flachen Hand vor den Kopf stoßen, habe ich an diesem Tag erst recht nichts im Stadion verloren.