Spieler im Fokus

Nelson Valdez reloaded?

08.01.2017, 12:38 Uhr von:  Redaktion

Meist auf der Bank: Neuzugang Emre MorNach der fünften vergebenen Großchance kommt der Zeitpunkt, wo man sich als Fan entscheiden muss: Man kann den glücklosen Stürmer weiterhin so bedingungslos wie bei den vier Tormöglichkeiten zuvor anfeuern, weil einem erstens sowieso wenig anderes übrig bleibt, wenn man das Spiel gewinnen will, und weil der Junge das zweitens ja auch gar nicht absichtlich macht, er nur halt leider vor dem Tor so nervös wird wie ein Teenager vor dem ersten Date. Oder man verfällt doch in diese Mischung aus Lethargie und Spott, wo bei der nächsten Torgelegenheit der Puls ja eigentlich in Richtung 180 abdriften müsste, er es aber leider nicht tut, weil da ja weiter dieser blinde Vollidiot im Sturm steht und man schon vorher weiß, dass es wieder nichts mit einem Tor wird...

Es gibt in Dortmund die Tradition, dass es einen zumindest sehr milde stimmt, wenn dieser besagte Stürmertyp Einsatz ohne Ende zeigt, selbst wenn aus ihm nicht der nächste Torschützenkönig der Bundesliga wird. Der letzte Vertreter dieser Spezies beim BVB war wohl ohne Zweifel Nelson Valdez, der gerade in seiner ersten Saison beim BVB das ganze Stadion mit seinen falschen Entscheidungen verrückt gemacht und es trotzdem geschafft hat, sich gegen Ende seiner Zeit in Dortmund Respekt erarbeitet zu haben. Nicht für seine Torjägerqualitäten natürlich, denn allein die Vorstellung war absurd, dass ausgerechnet Valdez einen tatsächlich mal in die Champions League schießen würde (und sowieso Sein Bruder im Geiste: Nelson Valdezdas Wort "Champions League"... die war meilenweit weg!), sondern dafür, dass man bereits vor dem Spiel wusste, dass der Junge sein Trikot nicht bloß spazieren tragen würde. Und das allein hat genügt. Oder für die etwas Älteren unter uns: Flemming Povlsen hat später über seine Jahre in Dortmund gesagt, dass ihm wichtig war, ein Teil der Stadt und des Vereins zu sein. Und so er hat er gespielt. Das allein reicht manchmal, um eine Legende des BVB zu werden. Selbst wenn man vor dem Tor meist glücklos agiert.

In den letzten Jahren waren wir damit gesegnet, mindestens einen Spieler vorne drin zu haben, bei dem man weiß, dass er seine Chancen auch nutzt. Erst Lucas Barrios, dann Robert Lewandowski, jetzt Pierre-Emerick Aubameyang: In jeder Saison spielt ein Spieler des BVB ganz oben mit, wenn es um die Torjägerkanone geht. Da vergisst man fast, wie es sich anfühlt, wenn ein Spieler wie ein Idiot rennt, Bälle fordert und das Spiel antreibt, um dann konsequent beim letzten Pass oder beim Torabschluss zu versagen. Okay, von Mkhitaryan in seiner ersten Saison mal abgesehen. Aber so richtig kannte man das in Dortmund gar nicht mehr, wo selbst Youngster wie Christian Pulisic auf Anhieb einige Tore erzielen. Bis dann Emre Mor im Pokalspiel gegen Union Berlin auf dem Platz stand...

Fehlender Einsatz, auch im Kampf mit mehr als einem Gegenspieler, ist nicht das Problem...Will man den Neuzugäng aus Dänemark beurteilen, kommt man letztlich an diesem Spiel nicht vorbei. Es war Mors einziger Auftritt über die komplette Spielzeit in einer Partie (in diesem Fall sogar über 120 Minuten), wobei er gerade zu Beginn der Saison durchaus regelmäßig Spielzeit bekommen hatte, nur halt nie über die volle Distanz. In den Wochen vor Weihnachten kam er generell kaum noch zum Einsatz; und wenn, dann von der Bank. Deshalb bleiben von der rein sportlichen Seite her wenige Spiele übrig, über die sich zu sprechen lohnt, und das Spiel gegen Union allein steht schon sinnbildlich für das, was man von Emre Mor bisher gesehen hat: Über seinen Einsatz lässt sich nicht meckern, er hat ein gesundes Selbstvertrauen, fordert auch spät im Spiel noch die Bälle, er geht in Dribblings, auch gegen mehrere Gegner, und er besitzt ganz offensichtlich jede Menge Talent. Und zugleich ist er völlig unstet in seinen Entscheidungen, und indem er geniale Aktionen an Fehlpässe reiht, treibt er das Publikum komplett in den Wahnsinn.

Grundsätzlich schwingt bei mir trotzdem eher Wohlwollen als Ärger mit, denn daran, dass er will, besteht kaum ein Zweifel. Zumindest zwei Dinge darf er sich allerdings abgewöhnen: Das eine ist eine gewisse Fallsucht, die nicht nur grundsätzlich unsympathisch ist, sondern mit einer nahezu völligen Erfolglosigkeit einhergeht, weil kaum ein Schiedsrichter auf seine Schwalben hereinfällt. Das andere ist die Unbeherrschtheit, die im Spiel gegen Hertha zu einem provozierten Platzverweis geführt hat und durch die die Schlussoffensive des BVB leider doch ausfiel. Die beiden verlorenen Punkte tun mit Blick auf die Tabelle heute noch weh.

Für ein Fazit ist es aber natürlich trotzdem viel zu früh, weshalb der Vergleich mit Nelson Valdez auch leicht fies ist. Wie viel von seinen Anpassungsschwierigkeiten altersbedingt sind oder sich auf den Wechsel von der ersten dänischen Liga in die Bundesliga zurückführen lassen, wer will das heute schon beantworten? Zumindest im Fall von Emre Mor jedenfalls passt ganz gut, wie uns die Neuzugänge vor der Saison präsentiert wurden. Als Talente, die noch Zeit brauchen. Bei ihm glaubt und sieht man das sofort.

Scherben, 08.01.2017

In unserer Reihe über die Neuzugänge des letzten Sommers ist bislang erschienen:

Marc Bartra

Mario Götze

Sebastian Rode

André Schürrle


Unterstütze uns mit steady

Weitere Artikel