BVB gegen AS Monaco - Das Spiel, das nie hätte stattfinden dürfen
Natürlich war ich im Stadion gegen Monaco. Die Frage hat sich für mich nie gestellt. Nicht, weil ich irgendein Zeichen setzen wollte. Letztendlich glaube ich nämlich nicht, dass irgendwelche Terroristen im Anschluss an das Spiel beim Kicker die Zuschauerzahl nachgeprüft hätten, um den „Erfolg“ des Anschlags einzuschätzen. Und auf keinen Fall, um die freiheitlich-demokratische Grundordnung zu verteidigen. Das ist, mit Verlaub Herr Watzke, unfassbarer und pathostriefender Blödsinn. Wer unsere Demokratie verteidigen möchte (und das sollten wir alle wollen), der kann das dieses Jahr in der Wahlkabine viel besser machen und Demagogen, Populisten und Extremisten mit einem einfachen Kreuzchen den Mittelfinger zeigen. Ich habe mich noch nicht einmal wegen einer diffusen „jetzt erst recht“-Stimmung auf den Weg gemacht. Ich bin ins Stadion gegangen, weil Heimspiel war. Weil Borussia gespielt hat. Und weil ich wirklich Fußball gucken wollte. Ich fand auch die Darstellung, dass das Spiel unwichtig sei, für mich befremdlich. Natürlich verloren die 90 Minuten Fußball vor dem Hintergrund des Anschlags an Wertigkeit, aber nebensächlich? Vielleicht gefällt mir einfach der Gedanke nicht, einen bedeutenden Teil meiner Freizeit mit etwas zu verbringen, dass im Grunde eine unwichtige Nebensache ist. Wie auch immer - ich hatte Bock, Fußball zu gucken und ich würde schon ganz gerne ins Halbfinale einziehen.
Druck durch die UEFA
Das kann ich alles aus genau einem einzigen Grund sagen: Ich habe nicht Dienstagabends im Bus gesessen und die drei Detonationen miterlebt. Für die Spieler, Offiziellen und Betreuer, die im Laufe des Tages zudem noch erfahren mussten, dass die Bomben so konzipiert waren, dass sie wirklich getötet werden sollten, muss das eine psychisch für alle anderen nicht nachvollziehbare Belastung gewesen sein. Wie groß der Druck war, konnte man sehr schnell an den Gesichtern der Spieler ablesen. Roman Bürki kämpfte schon vor dem Gang zum Aufwärmen mit den Tränen, bei Sokratis brachen nach Abpfiff die Dämme. Die Interviewaussagen von Schmelzer, Sahin und Tuchel brachten ganz klar zum Ausdruck, dass sie nicht bereit waren, wieder zu spielen, aber von der UEFA dazu gezwungen wurden. „Alternativlos“ war das Dreckswort, mit dem der Anpfiff nicht einmal 24 Stunden später begründet wurde. Natürlich, wenn man sich in die eigenen Statuten schreibt, dass innerhalb von zwei Stunden zu entscheiden ist, ob ein Spiel verschoben wird und wenn ja, auf wann, dann nimmt man sich angesichts des engen Rahmenterminplans auch jede noch so kleine Chance, überhaupt erst Alternativen anzudenken. Dazu setzt man den Vereinen die finanzielle Pistole auf die Brust und kündigt millionenschwere Strafen an, wenn sie ihre Spieler nicht auf den Platz hetzen. Bei der UEFA darf man Nazi-Kollaborateuren (und jetzt alle zusammen: „No to racism“) an ihren Gräbern huldigen oder eine mutmaßliche Nähe zur Wettmafia haben wie Davor Suker und man kommt trotzdem ins Exekutivkomitee der UEFA. Das ist alles kein Problem. Aber bei Spielausfällen, da hört für die Dame und die Herren der Spaß auf. Es gibt Werbe- und TV-Verträge und die sind gefälligst einzuhalten.
Also auf zu einem Spiel, zu dem ich zwar gerne gegangen bin, das aber trotzdem nie hätte stattfinden dürfen. Und dank eines netten Chefs konnte ich sogar dem Rat folgen und frühzeitig zum Stadion anreisen. Der Hinweis war zwar mit Sicherheit gut gemeint, aber bei einer Anstoßzeit von 18.45 Uhr unter der Woche dürfte für viele Arbeitnehmer schon eine normale Anreise mit den Arbeitszeiten kollidieren. Kein Wunder, dass die Schlangen vor den Drehkreuzen sehr kurz bis gar nicht vorhanden waren. Es gab also massig Zeit bis zum Anstoß zu überbrücken. Wer wollte, konnte noch schnell im TV die Oma grüßen oder andere Singles auf sich aufmerksam machen. Das gefühlte Verhältnis zwischen TV-Team und Fan betrug zwei Stunden vor Anpfiff auf dem Stadionvorplatz nur knapp unter 1:1. Jede Sendeanstalt in Europa schien seine Leute losgeschickt zu haben, um immer dieselbe Frage zu stellen: „Fühlen Sie sich sicher im Stadion?“
Zu diesem Sicherheitsgefühl beitragen sollte die massive Anwesenheit von Polizisten mit umgehängtem Maschinengewehr. Ich verstehe die Absicht dahinter, den Leuten zu vermitteln, dass sie beschützt werden und vermutlich hilft es vielen sogar, die Ängste zu dämpfen – mir verursacht der Gedanke daran, dass in einer großen Menschenmenge Schnellfeuergewehre zum Einsatz kommen könnten, allerdings selber schon eine gewisse Gänsehaut.
Jetzt aber wirklich rein ins Stadion. Und da wurde schnell klar, dass die Stimmung ganz anders sein wird als sonst. Als die Spieler des AS Monaco aus dem Spielertunnel kamen und den Platz zur Besichtigung betraten, gab es von den heimischen Fans dort Applaus, wo der Gegner sonst mit Pfiffen bedacht wird. Und auch in der Folge beklatschten sich die Fans des BVB und der Monegassen häufig gegenseitig. Bei den Schwatzgelben hatte die Reaktion der Anhänger aus dem Fürstentum auf die Spielabsage mächtig Eindruck hinterlassen, bei den Rotweißen die Aktion #bedforawayfans Begeisterung ausgelöst. Man muss jetzt nicht gleich irgendwelche kitschigen Fanfreundschaften herbei reden, man traf zum ersten Mal aufeinander und es steht in den Sternen, ob man das jemals wieder tut, aber das war insgesamt einfach eine gute Sache, bei der Fans gezeigt haben, dass sie letztendlich immer irgendwo auf der selben Seite stehen und sich untereinander helfen.
Choreo mit BVB-Schriftzug auf gelbem Grund
So ganz nebenbei wird den ein oder anderen vermutlich auch die Frage beschäftigt haben, ob die für vorgestern geplante Choreo stattfinden oder wegen des Attentats gecancelt würde. Sie fand statt und es war gut. Unter schwarzen und gelben Stoffbahnen versteckt, schlüpfte die Süd in Plastikleibchen und bildete so das ganze Spiel über einen riesigen BVB-Schriftzug auf gelbem Grund. Eine Aktion, die in ihrer Schlichtheit wirklich sehr gut zu diesem Spiel passte. Es wäre nicht die Zeit für schwülstige Beschwörungen von Heldentaten gewesen, aber diese einfachen drei Buchstaben bildeten irgendwie einen mehr als passenden Rahmen. Und der Funke schien auch auf die restlichen Tribünen überzuspringen. Normalerweise ist der Support vor allem bei Champions-League-Spielen recht speziell. Und damit meine ich, dass er häufig ziemlich schlecht ist. Gestern versuchten die Fans vor allem zu Beginn, die Mannschaft nach Kräften durch diese für sie unerträgliche Situation zu tragen und zu stützen. Im Verlauf der ersten Halbzeit wurde es angesichts des Spielverlaufs zwar wieder schwächer, der aufopferungsvolle Kampf nach Wiederanpfiff wurde dafür allerdings wirklich begeistert honoriert. Das Kritik und Unmut völlig deplaziert gewesen wären, schien auch dem Letzten klar zu sein.
Dabei fing eigentlich alles sogar recht ordentlich an. Nach wenigen Minuten tauchte Auba frei vor dem Tor des AS Monaco auf, jagte den Ball aus spitzem Winkel allerdings leider deutlich über eben jenen. Und als in der 16. Minute Fabinho einen Foulelfmeter neben den Kasten von Bürki setzte, wirkte es für einen kleinen Moment so, als könnte das Spiel einen legendären Verlauf nehmen. Ein Gefühl, das ziemlich genau zwei Minuten anhielt. Am Ende eines eigenen Ballverlustes in der Vorwärtsbewegung drückte Mbappé den Ball zum 1:0 für Monaco über die Linie. Allerdings stand er dabei auch locker einen Meter im Abseits. Das schien den Assistenten, der in direkter Linie zum Geschehen stand, aber nicht sonderlich zu beeindrucken.
Die UEFA rühmt sich in der Ansprache vor dem Spiel ja selbst, zu den Spielen der Besten aller Besten auch die weltbesten Schiedsrichter des Universums zu schicken. Dann stellt sich mir die Frage, was für jämmerliche Flachpfeifen die übrigen sein müssen, wenn Daniele Orsato und sein Team schon die Leistungsspitze darstellen. Neben diversen völlig unverständlichen Freistößen wegen angeblicher Fouls schien besonders die Abseitsregel für die Herren in azurblauen Trikots ziemliches Neuland gewesen zu sein. Neben dem irregulären Tor hätte ich bei einer Szene, in der ein Torschuss Dembélés wegen einer Abseitsstellung unterbrochen wurde, blind 50 Euro darauf gewettet, dass der Assistent völlig falsch lag. Und das von der gegenüberliegenden Seite des Spielfelds. Die pöbelnden Massen auf der Osttribüne waren ein deutlicher Hinweis, dass ich mit meiner Einschätzung gar nicht so falsch gelegen haben muss.
In der 35. Minute schien der Fußballgott dann den endgültigen Beweis antreten zu wollen, dass er auch ziemliches Arschlochpotential hat. Sven Bender kam zwar mit dem Kopf noch an die Flanke von der Außenbahn, aber leider so unglücklich, dass der Ball am chancenlosen Bürki vorbei ins Netz segelte. Wer schon das 0:1 in seiner Entstehung für unglücklich hielt, konnte hier nur noch fassungslos mit dem Kopf schütteln. Keine Vorwürfe, die Mannschaft generell und Bender in dieser Situation speziell taten einem einfach nur leid. Zwar gab es vorher eine kleine Berührung von Falcao, die „Manni“ in der Bewegung vielleicht auch ein bisschen aus der Bahn gebracht hat, aber ich hätte ehrlicherweise das Tor auch gegeben.
Zur Pause 0:2 und eine Mannschaft, der man mehr als deutlich anmerkte, dass sich ihr Kopf nur zu einem Bruchteil auf dieses Spiel konzentrieren konnte.
Die zweite Halbzeit mit bravouröser und kämpferischer Leistung
Umso bemerkenswerter die zweite Halbzeit und man kann nur alle Hüte davor ziehen, wie sich das Team in den zweiten 45 Minuten noch einmal zu einer bravourösen, kämpferischen Leistung aufraffte. Nicht ganz unbeteiligt daran Thomas Tuchel, der Nuri Sahin und Christian Pulisic für Marcel Schmelzer und Sven Bender brachte. Guerreiro rückte dafür eine Position nach hinten auf die Stelle des Linksverteidigers.
Die zweite Halbzeit zeigte ganz deutlich, dass Nuri – Verletzungen hin, geringe Einsatzzeiten her – immer noch ein gewaltiges Standing in der Mannschaft hat. Er war der Spieler, an dem sich die anderen aufrichten konnten, der Mut zusprach und das Spiel in die Hand nahm. Immer wieder mit feinen Bällen auf die Außen, wo vor allem auf der rechten Angriffsseite Pulisic und Dembélé im Wechsel den Monegassen Raggi reihenweise ins Karussell schickten. Sollte man unbedingt fürs Rückspiel im Hinterkopf behalten.
Der gerechte Lohn folgte in der 57. Minute mit dem Anschlusstreffer durch Dembélé. Im Stadion war gar nicht so genau ersichtlich, wie fein das Tor eigentlich war, beim Studium der TV-Bilder musste einem aber die Kinnlade runterfallen. Wie Aubameyang im Seitfall den Ball mit der Hacke auf Kagawa passt, war ganz großes Kino. Den kriegen so nicht viele hin.
Leider schaffte Monaco es im weiteren Spielverlauf, wieder Zugriff zu bekommen und den Dortmunder Angriffsschwung auszubremsen. Vergab Falcao mit einem Schuss über das nahezu leere Tor noch das 1:3 aus unserer Sicht, zeigte Mbappé vier Minuten später leider, warum nicht nur halb, sondern ganz Europa hinter ihm her ist. Einen Fehlpass erlaufend, stand er völlig frei vor Bürki und anstatt groß nachzudenken, was er jetzt in dieser Situation machen sollte, pöhlte er den Ball einfach hart, platziert und völlig unhaltbar ins obere Eck. So abgewichst lösen das nicht viele Spieler. Erst recht nicht, wenn sie gerade mal 19 Jahre alt sind.
Aber auch das brach die Mannschaft nicht endgültig. Kurz vor Ende nahm Kagawa eine Flanke von Nuri am Fünfer an, ließ den Gegenspieler aussteigen und schob den Ball ins lange Eck. 2:3. Und hätte Dembélé kurz darauf seine Flanke nur ein paar Zentimeter tiefer angesetzt, dann hätte Auba ihn vielleicht sogar noch zum Ausgleich einköpfen können.
Ganz zum Schluss blieb einem dann nur übrig, der Mannschaft aus tiefstem Herzen Respekt zu zollen. Dafür, dass sie angesichts des Attentats eine würdige Leistung abliefern konnte und sich trotz allem gegen die Niederlage und das sichere Aus im Wettbewerb gestemmt hat. Dort mit einem Ergebnis herauszugehen, dass uns fürs Rückspiel nicht völlig chancenlos macht, war sportlich wohl das bestmögliche Ergebnis. Mehr ging nicht.
13. April 2017, Sascha