Ein Spaziergang mit Hans-Joachim W.
Als er seinen Fuß in den Vorgarten setzt spürt er das Gefühl von kaltem Schnee, der seinen Schuh umschließt. Sein Blick ist gen Boden gerichtet, in der linken Hand hält er die Leine seines treuen Wegbegleiters, der sich schnüffelnd durch die weiße Landschaft wühlt.
„Brazzo aus!“, ruft Hans-Joachim, als sich die kleine Bulldogge am Haufen des Nachbarhundes zu schaffen macht. Hans-Joachim hatte gleich gewusst, er würde es noch bereuen, ihn von der Straße aufgelesen zu haben.
„Reue“, er formt das Wort beinahe lautlos mit seinen Lippen. Ein Wort, das ihm nicht aus dem Sinn gehen möchte. Ein Wort das ihn verfolgt, ihn jagt, seine Schläfen zum Pochen bringt. Doch trifft es den Kern seiner Lage wirklich? Er kratzt sich an der Stirn, die wie zuletzt häufiger in Falten gelegt ist.
Hatte er Fehler gemacht? Ganz sicher! Doch wie sah es mit seinen Motiven aus? Waren sie noch die gleichen? Sicher, sie hatten mit den Jahren an Unschuld verloren. Fußballromantische Gefühle waren mehr als einmal den obligatorischen Entscheidungen eines Geschäftsführers gewichen. Doch tat er noch das, was er tat, aus Liebe zum Verein?
Urplötzlich wird er aus seinen Gedanken gerissen, als die Scheinwerfer eines entgegenkommenden Fahrzeuges ihn blenden. Mit zusammengekniffenen Augen erkennt er das Kennzeichen: GE 1904. Einer alten Gewohnheit folgend formt er bereits einen Schneeball und visiert das Auto an, als sich auf der Fahrerseite die Fensterscheibe öffnet.
„Aki altes Schlachtross“, der Kopf eines Mittfünfzigers streckt sich unbeholfen aus dem kleinen Seitenfenster und grinst ihm schmierig entgegen: „Heidel du alte Blindschleiche, was machst du denn hier?“, ruft ihm Hans-Joachim winkend entgegen.
Heldel: „Bin auf der Suche nach neuen Talenten. Hungrige, unverbrauchte Talente, du verstehst?“, entgegnet er mit einem Augenzwinkern.
Hans-Joachim: „Nein…“
Heidel: „Ähm, na ich erkläre es dir später. Ich bin übrigens froh dich hier zu treffen. Ich wollte nämlich deine Meinung zu einer Sache wissen.“ Heidel öffnet weltmännisch die Tür seines Golf Cabrios und steckt sich eine Zigarette an.
Hans-Joachim: „Keine Ahnung was du willst, aber wenn es um dein Auto geht, trenn dich besser schnell davon.“
Heidel: „Nein, nein“, Heidel prustet vor Lachen und hat Mühe, die Zigarette im Mund zu balancieren. „Es geht ums Geschäft. Wir planen da ein ganz großes Ding.“
Hans-Joachim: „Ich höre…“
Heidel: „Du weißt ja, wie gut sich die Leipziger in letzter Zeit geschlagen haben und wie beliebt die mittlerweile sind…“
Hans-Joachim murmelnd: „So beliebt wie Fußpilz…“
Heidel: „Und da habe ich mir gedacht, warum nicht auch einen Investor an Bord holen.“
Hans-Joachim schaut Heidel mit durchdringendem Blick an.
Heidel: „Und jetzt rate mal, wer es sein wird?“
Hans-Joachim: „Fanta?“
Heidel: „Besser, es wird Monster Energie“, verkündet Heidel stolz.
Hans-Joachim: „Nie gehört. Was soll das sein, ein Stromanbieter?“
Heidel: „Ne, im Grunde derselbe Saft wie RedBull, nur mit größerer Verpackung.“
Hans-Joachim: „Schön für euch.“
Heidel: „Ja“, fährt Heidel begeistert fort, „und das Beste kommt noch: Monster Energie hat sogar einen extra Bonus von 666 Millionen Euro angeboten, wenn wir unsern Vereinsnamen in Monster 04 umbenennen. Habe natürlich sofort zugesagt.“
Hans-Joachim: „Passt irgendwie sogar besser, aber wie willst du das euren Fans verkaufen?“
Heidel: „Ach, das werden die schneller schlucken als ein verdurstendes Kamel im Euphrat. Sobald wir die ersten Superstars präsentieren, interessiert das keinen mehr.“
Hans-Joachim: „Das ist krank Christian, ihr verkauft eure Seele an diesen Konzern!“
Heidel: „Erzähl mir nichts von Seele und Moral! Tu nicht so, als würdest du nicht alles für den Erfolg opfern. Ihr habt doch gerade erst diesen netten Holländer gefeuert, der keiner Fliege was zu Leide tun konnte. Ich fand den richtig nett. Unmenschlich, so einen kurz vor Weihnachten an die frische Luft zu setzen!“
Hans-Joachim: „Kleiner aber feiner Unterschied Christian: Ich versuche nicht das Beste für den Einzelnen zu tun, sondern das Beste für den Verein.“
Heidel: „Na wie dem auch sei, ihr werdet schon bald nur noch unsere Rücklichter sehen.“ Heidel schwingt sich behände in seinen Golf und lässt den Motor an. „Ach übrigens, wir haben da neulich einen topausgebildeten Spion bei euch eingeschleust, ein richtiger Professor. Spezialisiert auf Online-Mobbing. Der wird dir das Leben zur Hölle machen!“
Hans-Joachim: „Danke für die Warnung.“
Der Golf verschwindet zwischen den Schneeflocken in der Dunkelheit. „Reue“, murmelt Hans-Joachim wieder. Nein, Reue ist es nicht was er empfindet. Müdigkeit, Traurigkeit, vielleicht sogar Depression. Aber sein Gewissen ist unbelastet, seine Motive sind dieselben. Ihn überkommt ein Schauer von Hoffnung, als er über den Rücken schauend seine eigenen Fußstapfen im Neuschnee verschwinden sieht.
geschrieben von Norbis_Best
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