Überwachungswahn am Borsigplatz
Man könnte hier natürlich zuvorderst, gerade im Kontext des Bombenanschlags auf die Mannschaft, an Terrorabwehr denken. Großveranstaltungen wie der Boston Marathon fallen schließlich in die gleiche Kategorie wie ein Umzug des BVB mit hunderttausenden siegestaumelnden Borussen. Aber dann müsste auch die restliche Strecke, die komplette Stadt haarklein videoüberwacht werden. Sicherheitspolitiker und Angstfetischisten bekämen hierbei zwar sicherlich feuchte Höschen, uns sind bis zum heutigen Tag jedoch keine weiteren Planungen derartigen Ausmaßes im übrigen Stadtgebiet bekannt. Oder man denke an Maßnahmen zur Eindämmung der Drogen- oder Kleinkriminalität damit in der vielzitierten No-Go-Area Nordstadt wieder Recht und Ordnung herrscht. Allerdings ist der Zeitraum der avisierten Videoüberwachung schon auffällig: Denn die Kameras werden nicht dauerhaft installiert sondern nur vom 15. bis zum 29. Mai. Just bis zu dem Tag des möglichen Umzugs der Mannschaft mit uns Fans. Und genau Letztgenannte sind hierbei wohl der Polizei ein potenzieller Dorn im Auge, im Polizeijargon werden sie schließlich oftmals Störer genannt.
Denn in dem Schreiben heißt es konkret: “Um Ausschreitungen am Borsigplatz, der Geburtsstätte des BVB 09, zu vermeiden, hat uns die örtliche Polizei um Mithilfe gebeten. So werden auf den Dachböden der o.g. Wohnhäuser Überwachungskameras aufgestellt, die das Geschehen rund um den Borsigplatz festhalten sollen, um mögliche Straftaten ahnden zu können.” Man macht sich also nicht einmal die Mühe irgendeinen abstrusen Grund vorzuschieben, nein, es geht unverblümt um die Ahndung möglicher Straftaten. Den Maßstab hierzu legt die Polizei Dortmund fest.
Ein kleiner Exkurs zum letzten Titel des BVB hilft den grauen Zellen hierbei auf die Sprünge, die Sachlage genauer einzuordnen. So wurden bei der Meisterfeier 2012 insgesamt 50 Fans identifiziert, vom Familienvater bis zum Jugendlichen, von Jahrgang 1957 bis 1991, die es wagten im Siegestaumel bengalische Fackeln oder Rauch zu zünden und damit gegen das Sprengstoffgesetz zu verstoßen. Wohlgemerkt nicht im Stadion sondern in der Stadt. Die Polizei konnte diese Pyro-Orgien, auf Stammtischen gerne mit Gewaltexzessen gleichgesetzt, natürlich nicht auf sich beruhen lassen und im Rahmen der Feierlichkeiten ein Auge zudrücken, sondern leitete konsequent Ermittlungsverfahren ein. Der BVB garnierte anschließend sogar noch alle 50 Zündler mit einem einjährigen Stadionverbot (vgl. WAZ vom 27.06.2012). Eine komplette Stadt, eine ganze Region im Freudentaumel und dann gibt’s von hinten in die Beine, um im Fußballsprech zu bleiben. Ein Vorgehen, das damals hohe Wellen schlug und für viel Unverständnis in der Öffentlichkeit und für Entsetzen in der Fanszene sorgte, zumal die überharte Reaktion eben nicht die üblichen Verdächtigen traf sondern völlig unbescholtene Fußballfans, die erstmalig in Kontakt mit der Staatsgewalt kamen und den Glauben in eben diese sicherlich seitdem verloren haben. Hier mal eine wagemutige These: Gesetzte Familienväter mit Rauchtöpfen in der Hand lassen die Bundesrepublik Deutschland vermutlich nicht aus ihren Angeln kippen.
Wenn man nun davon ausgeht, dass diese 50 identifizierten Fans nur einen Bruchteil derer darstellen, die im Überschwang zu pyrotechnischen Erzeugnissen griffen und die Dunkelziffer weitaus höher gelegen haben mag, dann wird ein Schuh draus und es wird klar, was die Polizei tatsächlich vor hat. Sie schwingt, befeuert durch das Innenministerium, das auf seine letzten Tage japsend um Erfolgsmeldungen ringt, die ganz große Keule: Jegliches Fehlverhalten, und mag es noch so läppisch sein, wird verfolgt, jeder Ausbruch zivilen Ungehorsams wird drakonisch bestraft, und wenn keine konkreten Anlässe vorliegen, werden diese mit größtmöglichem Aufwand ausgegraben oder sogar provoziert. Unter dem Deckmantel der ‘Terrorabwehr’, in Zeiten, in denen man mit dem Slogan ‘Innere Sicherheit’ Wahlen gewinnt und für jedwede Beschneidung von Freiheits- und Bürgerrechten offene Türen einrennt, wird nun also - zwar zeitlich begrenzt - der Überwachungsstaat eingeführt. Dabei gäbe es wahrlich bedrohlichere Gefahren für unsere freiheitliche Grundordnung, gegen die sich dieser immense logistische und personelle Aufwand weitaus mehr lohnen würde. Wer nachts Ultras beim Malen von Choreos schikanieren muss, kann halt nicht gleichzeitig Anis Amri beschatten. Die Früchte im Kampf gegen jugendliche Fußballfans hängen aber wesentlich niedriger. Und strecken tut man sich bei der Polizei Dortmund wahrlich ungerne und höchstens, wenn es mal wieder gilt, den Nazis die Hand zu reichen.
geschrieben von einem Gastautor
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