„Mia san raus“ - ist Schadenfreude noch erlaubt?
Was
war geschehen? Ich hatte in einer Facebook-Diskussion den Satz „Super
Bayern, Super Bayern, Hey“ geschrieben. Nein! Wie konnte ich nur?
Wie konnte ich es wagen, offensichtlich ironisch zu betonen, dass bei
eigener Freude über das vierte Mal Berlin auch ein gutes Stück
Schadenfreude dabei war, den Bayern die Chance auf das eh schon nicht
hoch angesehene Double abgeknöpft zu haben. Kurz nach meinem Posting
habe ich einen Klassiker gepostet und mit einem „Mia san raus“-Bild
wohl erneut die Schmerzgrenze meines Freunde getroffen: „Ich
kann mich auf jeden Fall auch über den Sieg freuen und auch darüber
freuen dass wir die Bauern rausgeschmissen haben, ohne das jemandem
unter die Nase reiben zu müssen“, hieß es in der leicht hitzigen
Diskussion im Social Web weiter. Natürlich kann er das! Aber was
spricht denn dagegen, dass ich meine Emotionen und ein Stückchen
Schadenfreude öffentlich in meiner Chronik ausdrücke?
Ähnliche
Nachrichten erreichten mich in der Folge noch öfter und ich fragte
mich: Was ist bloß geschehen? Freunde, die vor wenigen Jahren noch
emotional und mit Sprüchen auf große Spiele reagiert haben, werden
plötzlich ruhig und nach ihrer eigenen Aussage „vernünftig.“
Leider sind das dieselben, die mittlerweile im Fanbus mitfahren und
lieber eine Cola trinken, weil sie ja am nächsten Tag arbeiten
müssen. Es wirkt, als wäre eine große Falsche Weichspüler in den
Pott der BVB-Fans in meinem Umfeld gefallen. Auf einmal haben sich
alle lieb und gratulieren sich zum Sieg, bevor dann alle ins Bett
gehen und von ihrer Akademiker-Karriere träumen. Selbiges gilt
übrigens auch für die Rot-Blauen München-Anhänger. Was ist bloß
passiert, dass diese Leute plötzlich verweichlichen und scheinbar
die pure Emotion verloren haben.
Man kann sich (aber man muss nicht) fragen, ob Schadenfreude zu Emotionen dazugehört und ob es wirklich sein muss – ich finde: es muss! Wenn die „Singles“ aus München innerhalb einer Woche ihre sonst gute Saison „kaputt“ spielen und von ihrem offensichtlich hohen Ross herunterfallen, kann man sich darüber genauso freuen, wie über den Einzug ins Finale der eigenen Mannschaft. Schauen wir uns das "El Clasico" an, wo nach einem Barca-Sieg zahlreiche Fotomontagen des enttäuschten CHristiano Ronaldos zu finden waren. Nach fast jedem großen Spiel gibt es solche Bilder und zurecht wurde den Bauern vor dem Spiel ein "guter Rutsch" gewünscht - das gehört einfach dazu und macht diese Rivalität so reizvoll. Anders ist es doch langweilig.
Während ich mich
gerade an die Kritik gewöhnt und den ersten Anfall von Unverständnis
hinter mir hatte, bekam ich erneut eine Nachricht, wo es sinngemäß
heißt, solche Aussagen würde dem BVB als Verein schaden und den
Verein unsympathisch machen. Am Ende wurde mir sogar gespiegelt, dass
ich als Mensch auch unsympathisch wirke, wenn ich so etwas schreibe.
„Dortmund ist nicht länger der sympathische Underdog, sondern die
meisten finden den BVB inzwischen fast genau so schlimm.“ Zack!
Eine weitere Aussage eines schwarz-gelben Bekannten aus meinem Kreis.
Bitte was?
Erst werde ich für einen Hauch von Schadenfreude
kritisiert und am Ende wird unser BVB auf eine Stufe mit den Bayern
gestellt? Ich könnte solche Aussagen durchaus verstehen, kämen sie
aus den Mündern anderer Vereine. Was mich an der Sache stört, sind
die eigenen Reihen, aus denen solche Worte kommen. BVB-Fans, von
denen ich immer dachte, sie würden den Verein leben, scheinen auf
einmal fast schon Sympathien für die Münchner zu bekommen und sehen
sich wahrscheinlich gefühlt schon mit Klatschpappen auf der
Westtribüne sitzen. Wenn ich ehrlich bin, fällt mir zu so einem
Verhalten nur das Wort „spießig“ ein. Ich habe einen guten Job
und bin unter der Woche auf Seriosität und Professionalität
angewiesen. Für mich ist der Fußball und da vor allem der BVB die
Chance, diese Skills am Spieltag mehr oder weniger abzulegen und
einfach Fan sein zu dürfen. Dazu gehört für mich auch die
Schadenfreude, gerade nachdem Bayern-Fans aus meinem Umfeld sich in
den vergangenen Jahren auch nicht mit Ruhm bekleckert haben, wenn es
um Kommentare ging. „Mia san raus“ - ist Schadenfreude noch
erlaubt?
geschrieben von Jendrik
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