Das Glas ist halb voll, verdammt!
Eine Länderspielpause bedeutet immer auch Zeit, Bilanz zu ziehen, zumal jetzt, wo bereits wieder ein knappes Drittel der Saison gespielt ist. Und was soll man sagen? Es fühlt sich schlecht an. Die Stimmung rund um den BVB ist nicht nur ganz real im Stadion bestenfalls mau, auch drumherum, sei es in unzähligen Diskussionen in unserem Forum oder bei vielen Gesprächen mit alten Freunden und Wegbegleitern bleibt der Eindruck haften, dass sich der BVB auf einem falschen Weg befindet, auf der sportlichen Ebene wie hinsichtlich des gesamten sozialen Drumherums.
Vieles von dem kann ich nicht nachvollziehen, vor allem in Hinblick auf den sportlichen Bereich. Schaut man auf dem Umbruch im letzten Sommer, wo mit den Abgängen und der schweren Verletzung von insgesamt vier der wohl fünf besten Spieler im Kader der Vorsaison und dem Einbau von zwei Hand voll neuen Spielern eine Mammutaufgabe zu leisten war, und bezieht man dann noch mit ein, dass die runderneuerte Mannschaft in den letzten Wochen des Oktobers mit einer Vielzahl von Ausfällen zu kämpfen hatte, dann ist sie mindestens auf einem ordentlichen Weg. 18 Punkte aus zehn Spielen liefern hochgerechnet eine Punktzahl von knapp über 60 Punkten zum Saisonende, die in den vergangenen Jahren eigentlich immer für den vierten Tabellenplatz gereicht hätte. Keine optimale Ausbeute also bisher, aber sicher noch im Soll. Zusammen mit dem zwar glücklichen, aber verdienten Einzug ins Achtelfinale des DFB-Pokals und dem insgesamt souveränen Auftreten in der Champions League ist das wahrlich kein schlechter Zwischenstand.
Emotional kann ich zumindest verstehen, dass im Verhältnis zwischen Spielern, Funktionären und Fans einiges im Argen liegt, aber ich habe nicht das Gefühl, dass das ursächlich — wie immer mal wieder suggeriert — am Trainerwechsel im Sommer 2015 liegt. Natürlich fehlt Jürgen Klopp, insbesondere seine unbändige Leidenschaft und seine mitreißende Art. Aber wenn man ehrlich ist, fehlt einiges davon auch schon viel länger als eben erst seit dem Sommer 2015. Man verklärt das Ende seiner Amtszeit zu sehr, wenn man all die granteligen Pressekonferenzen und den bleiernen Fußball insbesondere in seinem letzten Jahr vergisst. Auch deshalb war der Wechsel zu einem neuen Trainer vermutlich folgerichtig, und zumindest für die Saison 2015/16 gilt: Spielerisch war das nicht weit entfernt von 2012, phasenweise wohl sogar besser. Hätten die Bayern ihren Trainerwechsel ein Jahr früher vollzogen, hätte es jedenfalls wohl kaum jemanden verwundert, wenn der Deutsche Meister mal wieder aus Dortmund gekommen wäre.
Aber klar: Der Jürgen Klopp von früher fehlt eben dennoch, und auch wenn niemand von Thomas Tuchel erwartet hat, die Fußstapfen seines Vorgängers eins zu eins auszuschöpfen, so irritiert seine fast völlige Abwesenheit in der Öffentlichkeit: Kaum ein Wort über Zukunftsvisionen beim BVB, kaum direkter Kontakt mit den Fans. Dabei weiß man gerade aus der Zeit vor seinem Amtsantritt in Dortmund, dass auch Tuchel jemand ist, der durchaus interessante und kluge Dinge zu erzählen hat. Davon ist abseits der Pflichttermine bei Pressekonferenzen vor und nach den Spielen praktisch nichts mehr übrig. Was nicht nur inhaltlich schade ist. Gerade ein öffentlicher Schulterschluss mit den Fans könnte Kräfte frei setzen, die man in langen Englischen Wochen braucht. (Und das gilt übrigens nicht nur für Tuchel, denn eine Frage drängt sich in Hinblick auf Aki Watzkes Wandlung zur Personifizierung des BVB in der Öffentlichkeit geradezu auf: Was ist eigentlich mit Michael Zorc los? Oder von mir aus auch mit Lars Ricken? Wer wäre besser als verdiente Spieler geeignet, um einen Teil der emotionalen Lücke zu schließen?)
Trotzdem: Bei aller legitimen Kritik an den Handelnden, sei es im sportlichen oder im wirtschaftlichen Bereich, wirken viele Beschwerden der letzten Zeit fast getrieben: Auf dem Platz ist es erst total langweilig, weil man ja eh nicht Meister wird und man keine Lust auf ein ewiges 6:0 gegen Darmstadt hat, danach sind die aufgrund der andauernden erzwungenen Rotation eigentlich immer noch ordentlichen Ergebnisse gemessen an der Höhe des Etats dem BVB völlig unwürdig, und gewinnt man zuletzt doch mal wieder haushoch wie am letzten Wochenende, dann war der Gegner so schlecht, dass man gegen jeden halbwegs vernünftigen Konkurrenten eigentlich verloren hätte. Und diese andauernde Grantelei findet obendrein in einer Phase statt, wo die Tribüne selbst, auswärts wie zuhause, vermutlich gerade die schlechtesten Auftritte der letzten zehn Jahre hinlegt.
Deshalb sei mit Hinblick auf die wichtigen nächsten Wochen, mit jeder Menge schwerer Spiele und wieder Englischen Wochen im Dauertakt, mal an zwei Zeilen aus unserem Vereinslied erinnert:
Wir zieh’n vergnügt und froh dahin, schwarzgelb ist unsre Tracht.
Wir haben stets einen heit’ren Sinn, sind lustig nie verzagt.
Ich weiß, dass das ein Klischee ist, aber trotzdem würde uns allen ein bisschen mehr dieser guten Laune, dieser optimistischen Grundstimmung gut tun. Übrigens nicht nur rund um Borussia, sondern auch generell in diesen Zeiten. Bei den vielen gefühlten und den paar echten Problemen: Es steckt immer noch so viel Kraft im BVB, dass es einfach unfassbar schade ist, wie viel davon aktuell brach liegt.