Unsa Senf

Zwischen den Stühlen

14.07.2016, 17:07 Uhr von:  NeusserJens

Vergangenen Freitag verurteilte das DFB-Sportgericht Borussia Dortmund zu einer Geldstrafe in Höhe von 75.000 Euro und einem Zuschauer-Teilausschluss auf Bewährung. Als Reaktion darauf hat der BVB nun die Mitglieder der bekannten Ultrà-Gruppen in Dortmund vom Angebot der so genannten Auswärtsdauerkarte ausgeschlossen. Eine zu heftige Reaktion - oder auch nicht?

Tennisball des Anstoßes?

Fangen wir ganz vorn und ziemlich trocken an. Der DFB hat mit seinem Urteil von Freitag folgende konkreten Vergehen sanktioniert: mehrmalige Tennisballwürfe im Rahmen der Kein-Zwanni-Protestaktion beim Pokalspiel in Stuttgart am 09. Februar, pyrotechnische Vorfälle mit Dortmunder Zuschauern beim Bundesligaspiel in Leverkusen am 21. Februar sowie beim Heimspiel gegen den FC Bayern am 05. März, wobei bei diesem Spiel auch Gegenstände in Richtung der sich aufwärmenden Spieler geworfen wurden. Zuletzt wurden Fans des BVB beim DFB-Pokalfinale in Berlin auffällig, indem sie zuerst den Einlass zum Stadionbereich und dann den Gästeblock stürmten, bevor sie - wie schon im Jahre zuvor an selber Stelle - nicht geringe Mengen von Pyrotechnik abfackelten. Der DFB sanktionierte diese Vergehen in Summe mit einer saftigen Geldstrafe und einem drohenden Zuschauer-Teilausschluss, welcher, so es im Bewährungszeitraum (bis zum 31. Mai 2017) zu einem erneuten schwerwiegenden Vergehen kommen sollte, die Blöcke 10 bis 15 der Südtribüne im Westfalenstadion umschließt und für das nächste Bundesliga-Heimspiel nach dem Vergehen angesetzt ist. Dass der DFB diese Bewährung durchaus auch aufhebt und dort keine leere Drohung ausspricht, erfährt gerade die SG Eintracht Frankfurt, welche am ersten Bundesligaspieltag gegen unsere ungeliebten Nachbarn den zentralen Stehplatzblock der Heimkurve nicht füllen darf.

Kurzer Exkurs zur so genannten Auswärtsdauerkarte: Borussia Dortmund ermöglicht jedes Jahr einer verhältnismäßig kleinen Zahl an Fans, ein Abonnement auf Auswärtstickets abzuschließen. Die Bewerbung dazu ist für jeden Fan mit einer hohen Zahl besuchter Auswärtsspiele in den letzten Jahren über die Webseite des BVB möglich, allerdings achtet die Fanbetreuung im Laufe der Saison darauf, dass diese "ADK" auch wirklich bei jedem Spiel verwendet wird. Es ist, gerade in der zuletzt sehr erfolgreichen Zeit mit exorbitant großer Nachfrage, also ein wahres Privileg, bereits zu Saisonbeginn Tickets für alle Spiele sicher zu haben - gleichzeitig verpflichtet man sich aber auch, nahezu ausnahmslos jedes Spiel wirklich zu besuchen.

Kleiner Böller - großer Knall?

Und doch ist es keine sonderlich harte Strafe. Ultrà-Gruppen und ihre Mitglieder können weiterhin ungehindert zu jedem Spiel des BVB reisen, nur das Privileg der sicheren Eintrittskarten via ADK wird ihnen entzogen. Es gibt keine kollektiven Stadionverbote, niemand wird ausgesperrt. Der BVB macht lediglich von seiner Vertragsfreiheit gebrauch, Personenkreise von einem Angebot auszuschließen, die ihm zuvor negativ aufgefallen sind. Dass das auch jene betrifft, die sich de facto nichts zu Schulden kommen ließen, ist und bleibt scheiße.

Uniformiert und unidentifizierbar?

Aber es ist zunehmend verständlich. Von Uniformierung über Vermummung und Kostümierung, die Mittel, die von Ultrà-Seiten angewandt werden, um beim Zündeln nicht identifizierbar zu sein, werden immer kreativer. Im Gegenzug rüsten Vereine und Sicherheitsteams mit HD-Kameras im Stadioninneren auf. Das führt dazu, dass im Spiel dann ganze Blockbereiche von blickdichten Fahnen überspannt werden, damit sich Einzelne umziehen können, um auf Videoaufnahmen nicht anhand ihrer Kleidung erkennbar zu sein. Von außen betrachtet ergibt das ein fast schon lustiges Katz-und-Maus-Spiel, welches dem BVB allerdings zunehmend die Hände bindet.

Denn Borussia Dortmund bekommt Druck. Vom Verband, der drakonische Strafen wie letzten Freitag ausspricht, über die Polizei, Politik und Öffentlichkeit bis hin zu den eigenen Fans, die Pyrotechnik nicht alle derart wohlwollend gegenüberstehen wie unsere Ultrà-Gruppen. Der BVB ist gefangen in der Zwickmühle zwischen seinen treusten Fans, mit deren Hilfe der Club auch weiterhin für lautstarke Unterstützung der Lizenzspielermannschaft sorgen will, und eben jenen, die zurecht monieren, dass sich Dortmunder Ultràs regelmäßig ganz schön daneben benehmen. Borussia muss irgendwie handeln und demonstrieren, Einfluss auf die eigene Kurve nehmen zu können, sitzt aber eigentlich zwischen den Stühlen. Und da die bisherigen Strafen und Gespräche offenbar nicht zu einer Verbesserung der Lage führten, gibt es nun diese Strafe, die leider auch Unbeteiligte erwischt.

Feuer und Flamme - für den BVB?

Wobei der Begriff der Unbeteiligten in diesem Kontext ein bisschen vielschichtiger ist. Oft wird die große Gruppe von einzelnen Tätern dazu genutzt, um in Deckung zu gehen und später nicht wiedererkannt zu werden - denn im Falle einer erfolgreichen Identifizierung blüht meist mindestens ein mehrjähriges Stadionverbot. Und natürlich bietet die Gruppe auch bereitwillig einen entsprechenden Schutz, die eigenen Leute werden selbstverständlich nicht verpfiffen (Im Strafrecht ist das vermutlich irgendwo zwischen Beihilfe und Strafvereitlung anzusiedeln). Hier beißt sich die Katze jedoch in den Schwanz. Man kann nicht auf der einen Seite mit allen Mitteln dafür sorgen, dass Täter nicht identifizierbar sind, auf der anderen Seite aber protestieren, wenn es deshalb irgendwann dann Strafen für die gesamte Gruppe gibt. Wer rechtsstaatliches Vorgehen fordert, sollte mit rechtsstaatlichem Verhalten vorangehen und nicht selbst dauernd gegen geltende Regeln und Gesetze verstoßen.

Den Ultrà-Gruppen sind die geltenden Regeln und Vorschriften seit Jahren bekannt. Dass sie trotz allem dagegen verstoßen, ist entweder provokanter Vorsatz oder aber gleichgültige Gedankenlosigkeit. Es ist aber vor allem immer wieder Ursprung für Strafen, die Borussia Dortmund zu tragen hat. Verein und Verband reagieren dabei nur anlässlich Aktionen aus dem Dunstkreis der Ultràs. Ich will diese undurchsichtigen und teilweise unangemessenen Strafen gar nicht verteidigen. Der Auslöser dafür kommt aber einzig und allein aus der Kurve. Würde es diese Regelübertretungen nicht in aller Regelmäßigkeit geben, müssten wir gar nicht darüber diskutieren, ob Kollektivstrafen akzeptabel oder notwendig sind - dann würden wir uns alle gemeinsam der tollen Stimmung erfreuen! Denn auch das möchte ich an dieser Stelle noch mal sagen: Auswärtsdauerkarten und gewachsene Strukturen im Block sind für eine gute Stimmung mindestens hilfreich, wenn nicht gar notwendig. Die Dortmunder Ultrà-Gruppen hatten sich dieses Privileg zurecht verdient - und bekommen es nun selbstverschuldet entzogen.

Derbe Worte, aber Grund für Strafen?
Dabei hat sich der BVB wohl in der Kommunikation dieser Strafe nicht sonderlich mit Ruhm bekleckert. Während man in Vergangenheit regelmäßig konstruktive Gespräche mit den Ultràs führte, wurden diese im Vorfeld des ADK-Entzugs weder kontaktiert noch gehört. Auch war die Strafe in der Form nicht zuvor angedroht worden. Generell herrscht in Ultrà-Kreisen das Gefühl, der BVB sei nicht nur wegen pyrotechnischer Vorfälle genervt, sondern vor allem auch wegen bissigen - aber absolut legitimen - Meinungsäußerungen und Protesten bezüglich drohender Montagsspiele und in den Fällen Götze und Hummels. Sollte die jetzige Strafe auch eine Reaktion darauf sein, beweist der BVB damit ungekannte Dünnhäutigkeit. Die vormals so gute und direkte Kommunikation zwischen den Parteien, die in den letzten Jahren zum Gesamtbild der "echten Liebe" beitrug, ist wohl etwas eingeschlafen, was letzthin wohl vor allem an Borussia liegt, die beispielsweise auf mehrere konkrete Gesprächsangebote der Ultràs nach dem Pokalfinale nicht einging.


Interessant wird nun zu sehen, welche Auswirkungen diese Maßnahme haben wird. Die Dortmunder Auswärtskurve wird vermutlich etwas an Stimmgewalt verlieren, wenn nicht alle Ultràs den Weg ins Stadion finden, andererseits rücken vielleicht auch neue, motivierte Fans nach. Ob dieser Schuss vor den Bug jedoch dazu führen wird, dass bei den Ultrà-Gruppen ein Stückchen Schuldbewusstsein einkehrt oder man sich stattdessen wieder protestierend und trotzig in die Wagenburg zurückzieht, ist die viel interessantere Frage. Einsicht und Verstand kämen sicher nicht nur bei den Gesprächspartnern des BVB gut an, sie könnten auch dafür sorgen, dass im Falle eines tatsächlichen Zuschauerausschlusses nicht sämtliche Dämme zwischen den Fans brechen. Umgekehrt ist natürlich auch der BVB gefragt, seine treuesten Fans und Problemkinder nicht nur mit Strafen zu belegen, sondern durch regelmäßige und offene Kommunikation für ein vertrauensvolles Miteinander zu sorgen. Eigentlich können und wollen wir nämlich nicht ohne Ultràs. Sie liefern neben tollen Choreografien und nimmermüder Unterstützung schließlich auch immer wieder wichtige Denkanstöße und lautstarke Kritik in einem immer verrückteren Fußballzirkus. Um jedoch weiterhin von allen Seiten als ernstzunehmende Gesprächspartner akzeptiert zu werden, müssten sie sich endlich mal ein bisschen am Riemen reißen. Für die Fans. Für den Verein. Für den Fußball.

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