Spielbericht Profis

Pokal und Protest - Dortmund gewinnt 3:1 gegen den VfB Stuttgart

10.02.2016, 13:54 Uhr von:  Redaktion

Zumindest halbleer war der Block für 20 MinutenOk, für alle, die es noch nicht gehört haben, die gute Nachricht gleich zu Beginn: Der BVB ist zum dritten Mal in Serie ins Halbfinale des DFB-Pokals eingezogen. Wer hätte das noch vor rund zehn Jahren gedacht, als Oberligavereine in der zweiten Runde schon als ernster Stolperstein in diesem Wettbewerb galten? Unsere Borussia ist eben nicht nur in der Bundesliga in der Spitze angekommen, sondern hat es sich auch im traditionsreichen DFB-Wettbewerb mittlerweile so richtig schön gemütlich gemacht. Sportlich klasse, für uns Fans jedoch mit dem miesen Nebeneffekt, dass wir für jeden Verein Deutschlands mittlerweile ein echter Topgegner sind – und uns somit häufig über entsprechende Zuschläge ärgern dürfen. Die ach so sparsamen Schwaben übertreiben es dabei in schöner Regelmäßigkeit, so dass ein erneutes Zeichen des Protestes mehr als notwendig war.

Als Fanzine gehört es ja zum guten Ton, den Blick auch immer auf das Geschehen abseits des Spielfelds zu haben und so meldet sich unsere Fieldreporterlegende, unsere Antwort auf Rollo Fuhrmann, Michi aus dem Block mit ihrer Sicht zur Stimmung im schwatzgelben Mob:

Früh erreichten die Fanbusse aus Dortmund den Gästeblock des Stadions, wohl wissend, dass es aufgrund des Boykotts bis 20.50 im Block leer bleiben sollte. Die Zeit verflog mit Popcorntüten und Bratwurst im "Weckle" aber recht schnell und so fand man sich vor den Gästeblöcken ein, um Eure Preise? - Großes Tennis!mit "Wann sieht man's endlich auch in Stuttgart ein? Fußball muss bezahlbar sein!" auf den Grund des Fernbleibens aufmerksam zu machen. Leider schienen einige Fans des Lesens nicht mächtig zu sein und so war der obere Bereich des Stehplatzes früh gut gefüllt. Schade, Leute. Negativ sind an dieser Stelle leider auch die Unmutsäußerungen der draußen wartenden Fans zu erwähnen. Sie verdeutlichten lautstark, dass sie nur vor dem Block warteten, weil ihnen kein Durchkommen möglich war und Solidarität zu den Nicht-Schönwetter und Ist-ja-gerade-um-die-Ecke-Fans ein Fremdwort zu sein scheint. Aussagen, die alle den Wortlaut "Wenn es euch zu teuer ist, bleibt doch zu Hause" enthielten, können nur von Menschen mit Ich-Syndrom kommen. Trotz diesem erschreckend stark verbreiteten Egoismus kann man diesen Boykott dennoch als Erfolg verbuchen.

Positiv ist allerdings zu erwähnen, dass bis auf diesen Bereich der Gästeblock leer blieb und außer Kevin Großkreutz auch nur ein dezentes "Arschloch" bei der Mannschaftsaufstellung der Stuttgarter aus dem Tunnel hallte. Als man schließlich pünktlich Stellung bezog, stellte sich mir zunächst die Frage, ob Stuttgart sich ebenfalls am Boykott beteiligt hatte, denn nicht nur die Haupttribüne war mehr als spärlich besetzt, trotz Zitat VfB Stuttgart "dem Spiel angemessenen Preisen". Sichtlich motiviert startete der Gästeblock in Durchwachsender Auftritt auf der Gegenseitedas Spiel, nachdem man das 1:0 bereits ungesehen bejubelt hatte. Eine etwas andere und äußerst kreative Art der Demonstration folgte - viele hundert bunte Tennisbälle flogen unter lautem "Fußball muss bezahlbar sein" gen Spielfeld. Nein, ich finde, das war ganz und gar nicht gefährlich, kindisch und unüberlegt. Erstaunlicherweise haben zudem alle Spieler unverletzt überlebt.

Die Stimmung im Verlauf des Spiels ähnelte selbiger einer Frau während ihrer Periode: unberechenbar und mit vielen Auf und Abs. Als dann auch der letzte Handyjunkie merkte, dass das ein enges Ding werden könnte, erwachte der schwarzgelbe Haufen und präsentierte sich lautstark einer eher schwachen Heimkurve gegenüber. Ich will keine Verurteilung irgendwelchen Verhaltens aussprechen, das können einige von euch besser, trotzdem ist mir heute extrem aufgefallen, wie unendlich wichtig ein Bild oder Video von Fahnen und singenden Menschen doch ist. Ironie Ende. Wichtiger als mal für ein paar Minuten den Mund aufzumachen. Das ist schon bitter, Freunde. Macht euer Erinnerungs- und der-Welt-mitteil-wo-ich-gerade-bin-Foto, aber eins sollte dann auch genügen. Wie will man Emotionen erleben und Teil einer Stimmung sein, wenn man damit beschäftigt ist, sie zu filmen? Und das, worauf beim 20-minütigen Fernbleiben so darauf herum geritten wurde, gestaltet sich so auch äußerst schwierig: das Spiel zu verfolgen. Wäre schön, wenn sich von diesem Trip wieder mehr entfernt werden könnte, vielen Dank!

Die Preise bei Pokalspielen sind oft ein großes Ärgernis für die schwarzgelbe FangemeindeNoch ein paar Worte zum 20-minütigen Protest in Form eines Stimmungsboykotts von „Kein Zwanni – Fußball muss bezahlbar sein“: Was die ach so sparsamen Schwaben da Saison für Saison abziehen, ist eine riesige Sauerei. Ein Viertel der Tickets für die Gäste kostet mehr als 65 €, mit VVK-Gebühr und Porto reißt man die 70 €- Grenze locker. Rechnet man die zum Beispiel im Kicker veröffentlichten Anteile der Preiskategorien grob hoch und vergleicht sie mit dem, was Anhänger von der Berliner Hertha oder Hannover 96 im Ländle für die selben Plätze zahlen müssen, dann bittet man uns alle zusammen mit irgendwas zwischen 75.000 und 90.000 € mehr zur Kasse. Ein Wahnsinn. Das sieht man wohl auch auf unserer Geschäftsstelle so und hat sich dort in den letzten Tagen deutlich auf Seiten der Fans positioniert. Richtig coole Sache, die auch erwähnt werden soll. Dass es nicht immer ein Komplettboykott sein muss, um Gehör zu finden, zeigte die Aktion ziemlich deutlich. Im Vorfeld haben viele seriöse Tagesmedien darüber berichtet und auch die TV-Anstalten halfen mit wohlwollender Berichterstattung dabei, auf unser Anliegen aufmerksam zu machen. Jetzt liegt der Ball beim VfB und es ist an ihnen, sich zu bewegen.

Apropos Stuttgart: Ziemlich unverständlich, dass sich der aktive Teil des Stuttgarter Anhangs (auch die Dauerkarteninhaber kamen in den Genuss der Topspielzuschläge) nicht einmal zu einer Solidaritätsaktion durchringen konnte. Man war wohl zu sehr damit beschäftigt, den „Fankultur braucht Freiraum“-Schwenker zu wedeln und „scheiße BVB“ zu singen, als die Protestler in den Block zogen. Peinlicher Haufen, den eigentlich niemand so wirklich braucht.
Ok, jetzt räumen wir mal die Vorspeise ab und servieren den Hauptgang:

Neu im Team der Stuttgarter: Mitch LangerakBei der Auslosung der Partie haben viele Dortmunder wohl gedacht, dass man mit Stuttgart noch einen der leichtesten Gegner im Topf erwischt habe. Eine Denkweise, die sich in den letzten Wochen etwas gewandelt haben dürfte, sind die Schwaben doch das erfolgreichste Team der Rückrunde. Drei Spiele, drei Siege. Jürgen Kramny hat aus der unter Zorninger hilf- und planlosen Trümmertruppe einen echt schwer zu bespielenden Gegner gemacht. Zudem schien Petrus auch nicht gerade den schwatzgelben Balkenschal um dem Hals zu haben, sorgte er doch mit amtlichen Regengüssen für ein ziemlich nasses Geläuf. Das hat uns schon Samstag in Berlin nicht geschmeckt.

Beim VfB stachen für uns Dortmunder zwei Spieler heraus. Im Tor durfte Mitch Langerak den schwäbischen Tyton im Tor (Achtung: schlechtes Oliver-Kahn-Gedächtnis-Wortspiel) vertreten und kam zu seinem ersten ernsthaften Einsatz nach seinem Wechsel und einer langen Verletzungspause. Der australische Traum aller Schwiegermütter, Mütter und Töchter stand letztes Jahr in Berlin noch in unserem Tor und brachte somit eine Menge Pokalerfahrung auf den Platz. Und dann natürlich „dat Kevin“. Ja, es ist verdammt komisch, ihn im anderen Dress als Gegner zu sehen. Vor wenigen Jahren noch Dortmunder Integrationsbeauftragter und jetzt einer der anderen. Trotzdem, es dürfte wohl keinen BVB-Fan geben, der es ihm nicht gönnen würde, wenn er den Absprung als gefallenes BVB-Testimonial schaffen und sportlich wieder in die Spur als Profifußballer zurückfinden würde. Das hat er sich verdient.

Marco Reus feiert sein Tor mit Moritz LeitnerIm Dortmunder Lager war schon mit Blick auf die Aufstellung klar, dass Trainer Thomas Tuchel sich intensiv Gedanken über dieses Viertelfinalspiel und den VfB Stuttgart gemacht hat. Für Weigl durfte Matze Ginter auf der Sechs ran, im offensiven Mittelfeld stand etwas überraschend Erik Durm in der Startelf. Bemerkenswert auch der Blick auf die Ersatzbank. Während Kagawa nach seiner Nichtnominierung in Berlin wieder in den Kader gerutscht war und das Spiel über weite Teile hinweg zumindest nah von der Seitenlinie aus verfolgen konnte, stand der vor kurzem noch von Tuchel gelobte Adrian Ramos erst gar nicht auf dem Spielberichtsbogen.
Der fieseste Trainermove war allerdings erst mit Anpfiff sichtbar und kam für den VfB auch sichtbar überraschend: Tormaschine Aubameyang machte nämlich im Zentrum Platz für Marco Reus und rückte auf die rechte Außenbahn. Dass damit im Ländle wohl keiner gerechnet hatte, zeigt schon der Umstand, dass Kramny im Sky-Interview vor Anpfiff noch extra darauf hinwies, dass es die große Aufgabe sei, Auba nicht zentral zum Abschluss kommen zu lassen.

Bereits nach fünf Minuten erwies sich Tuchels Maßnahme als ziemlich gut. Der Ball nach außen auf Aubameyang, in der Mitte feiern Großkreutz und Gündogan Wiedersehen und kugeln im Knäuel am Ball vorbei und Reus nagelt den Ball am langen Pfosten humorlos unters Gebälk. Verdammt, jetzt habe ichs gesagt. Humorlos. Steht in jeder Fibel für Fußballkommentatoren in der Kategorie „überflüssige Füllwörter“ ganz weit oben. Wie sähe denn das Gegenteil aus, wenn ein Spieler „humorvoll“ eine Bude macht? Aber auch egal, wichtig war die schnelle Führung, um den Schwaben erst gar nicht das Gefühl zu geben, dass es für sie viel zu holen gibt.
Die Freude beim VfB währte nur kurzIn der Folge Borussia dann auch weiterhin absolut spielbestimmend. Hinten fast schon ungewohnt sicher und aufmerksam und vorne mit der ein oder anderen aussichtsreichen Situation, die dann aber nicht sauber zu Ende gespielt wurde. Ziemlich überragend dabei Ilkay Gündogan, der vor allem in der ersten Halbzeit grandios aufspielte. Da erinnert nichts mehr an die teilweise behäbigen Pirouetten aus der Vorsaison. Der Rasen war, man verzeihe die Wortwahl, arschnass und glitschig und keiner schien besser mit diesen Verhältnissen klar zu kommen als Gündogan. Flink, wendig, ballsicher und mit ziemlich geilen Pässen in die Tiefe. In der Form wäre er für den BVB kaum zu ersetzen.

Dummerweise hat der Fußballgott etwas erfunden, was eigentlich unterlegenen Mannschaften Möglichkeiten zu Toren schafft: Standardsituationen. In der 21. Minute flog der Ball vom Eckpunkt in den Strafraum, Aubameyang säbelte beim Klärungsversuch amtlich am Ball vorbei und Mkhitaryan fälschte Rupps Schuss für Bürki unhaltbar ab. Ausgleich und das Ländle tobt. Verdammter Mist.

Tuchel schien das aber nicht sonderlich zu beeindrucken und er reagierte umgehend mit einer weiteren taktischen Maßnahme. Nachdem sich der VfB etwas besser auf Reus im Sturmzentrum eingestellt hatte, beorderte der Coach Aubameyang in die Mitte und Borussia stellte sich so auf, wie Trifft wieder: PEA17sie von Anfang an eigentlich erwartet worden war. Wie sinnvoll das war, konnte man bereits wenige Minuten später bestaunen. Reus mit Platz und einem tollen Pass in die Tiefe auf Auba, der Langerak mit einem satten Schuss ins kurze Eck überhaupt keine Chance ließ. Ein 2:1 zur Pause, das Projekt Halbfinale auf gutem Kurs.

Dass die Stuttgarter sich nicht so einfach geschlagen geben wollten, zeigte Kevin dann direkt nach Wiederanpfiff. Einmal Durm auf den Fuß getreten und eine gelbe Karte abgeholt. Das nennt man dann wohl fachmännisch „ein Zeichen setzen“. Die komplette zweite Halbzeit dann ein irgendwie komischer Spielverlauf. Der VfB eigentlich feldüberlegen mit vielen Aktionen rund um den Dortmunder Strafraum, aber irgendwie nie mit dem ganz dicken Ding zum Ausgleich. Was mit Sicherheit auch zum nicht unerheblichen Teil daran lag, dass Roman Bürki hinten sehr viel Ruhe und Gelassenheit ausstrahlte und die nasse Pille immer wieder ganz souverän abfing.
Unsere Jungs dagegen etwas passiver, aber mit den größeren Tormöglichkeiten. Hier mal kurz im Telegrammstil:

  • In der 55. Minute Reus auf den durchgestarteten Aubameyang, dessen harter Schuss auf den kurzen Pfosten von Mitch mit einer wirklich starken Reaktion übers Tor gelenkt wurde.
  • Voller Einsatz für den neuen ArbeitgeberNur drei Minuten später Aubameyang im Karnevalsmodus als Gündogan verkleidet. Oder andersrum. Auf jeden Fall sprintete jemand, der genau wie Ilkay aussah, über das halbe Feld, verpasste in zwei gegen drei Überzahl vorm gegnerischen Strafraum jedoch den passenden Moment zum Abspiel.
  • Die 66. Minute. Borussia mal ziemlich kompliziert. Mkhitaryan, Aubameyang und Reus spielten im schwäbischen Strafraum irgendwas, was bei detaillierter Beschreibung eine weitere Wordseite Arial Schriftgröße 10 gedauert hätte. Am Ende hatte Reus Langerak zwar umkurvt, aber einer der gefühlt zwanzig Stuttgarter, die sich in der Zwischenzeit im eigenen Tor verbarrikadiert hatten, blockte den Torschuss.
  • Nur wenige Minuten später betätigte sich Auba erneut als Vorlagengeber und flankte einen Ball im Stile eines weltklasse offensiven Außenverteidigers über Langerak hinweg an den Fünfmeterraum. Mkhitaryan musste eigentlich nur noch einköpfen, aber Niedermeier hielt seine Rückseite dazwischen. Wirklich nieder-trächtig.
  • In der 89. dann die Angstsituation für jeden BVB-Fan. Ecke für Stuttgart, die so ziemlich einzigen Spielsituationen, aus denen der Gegner gefährlich wurde. Der Ball flog in den Strafraum – und konnte zur allgemeinen Erleichterung fast schon lehrbuchmäßig auf die Außenbahn geklärt werden. Aubameyang lud dort zur fröhlichen Flipperparty und hatte auf einmal die komplette Stuttgarter Spielhälfte für sich. Sahnesituation für einen Sprinter und Sekunden später waren Auba und Mkhitaryan frei vorm gegnerischen Kasten. Der Gabuner bewies einmal mehr, dass er trotz aller Strasssteinchen und extravaganten Frisuren alles andere als ein Egoshooter ist und legte den Ball uneigennützig in die Mitte. Mkhitaryan dann mit einem Siegtor der Marke „den hätte meine Oma auch reingemacht – mit dem Krückstock“.

Henrikh Mkhitaryan sorgte für die EntscheidungEnde, Aus, Nikolaus. Ein schweres Match gewonnen und wir können uns erneut auf eine Halbfinalauslosung freuen. Die Schwaben dagegen haben jetzt wieder Zeit, sich auf die Liga zu konzentrieren. Und auf ihre Gestaltung der Eintrittspreise. Fußball muss bezahlbar sein!

Aufstellung

Stuttgart: Langerak - Großkreutz, Sunjic, Niedermeier, Insua - Serey Dié – Rupp, Didavi, Gentner, Kostic - Kravets

Der BVB: Bürki – Schmelzer, Hummels, Sokratis, Piszczek – Ginter – Gündogan, Durm – Aubameyang, Mkhitaryan – Reus

Tore: 5. Minute Reus, 21. Minute Rupp, 31. Minute Aubameyang, 89. Minute Mkhitaryan

Zuschauer: 46.500 und nicht ausverkauft. Kann man mal drüber nachdenken

Sascha und Michi, 10.02.2016

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