Radiohören aus Protest: Weil wir Fußball lieben
Weil wir Fußball lieben. Ein treffenderes Motto hätten sich die Organisatoren des Protests und Fanfests im Rahmen des Bundesliga-Gastspiels des Ballspielvereins in Leipzig nicht einfallen lassen können. Denn als am Samstag um 14 Uhr das Parallelprogramm mit der Regionalliga-Partie der Amateure von Borussia Dortmund gegen den Wuppertaler SV beginnt, muss man seinen Kopf nur einmal durch die altehrwürdige Kampfbahn Rote Erde schwenken, um all das zu sehen, was vielen Fußball-Romantikern Gänsehaut beschert. Bestes Wetter, strahlender Sonnenschein. 7.000 Zuschauer, die sich eingefunden haben, um ein Viertligaspiel zu sehen.
Ein pickepackevoller Heimblock – ungewöhnlicherweise im Norden – und ein gut gefüllter und mit Sonderzugreisenden gefüllter Gästeblock, Choreographien auf beiden Seiten (die BVB-Fans inszenierten ein kleines Dosenwerfen mit dem schriftlichen Zusatz „Zum Abschuss freigegeben“) und eine insgesamt stimmungsgeladene Atmosphäre. Es war schon ein tolles Schauspiel, was sich allen Beteiligten auf den Rängen und auf dem Rasen bot. Ich erwischte mich jedenfalls mehrmals bei dem Gedanken, den ich dann auch immer wieder artikulierte: „Ja, das hier ist der Fußball, den ich liebe. Der Fußball, in den ich mich verliebt habe. Der Fußball, den ich immer noch so gerne sehe.“
Alleine aus diesem Gesichtspunkt erlebte man in der Roten Erde also eine gelungene Antithese zum Event, das mehrere Stunden später in Leipzig angepfiffen werden sollte. Und genau das sollte es ja auch sein. Wir erinnern uns: das Bündnis Südtribüne Dortmund hatte erklärt, dass viele Anhänger es nicht mit sich vereinbaren könnten, nach Leipzig zu fahren und dem dortigen Produkt beizuwohnen. Stattdessen wollte man parallel ein Zeichen setzen, das Amateurspiel besuchen und anschließend im Netradio das Spiel in der Roten Erde verfolgen – eben weil man den Fußball liebt und ihn an diesem Tag so leben wollte, wie man ihn kennen gelernt hatte. Was folgte, war eine Aneinanderreihung von Missverständnissen und schlecht recherchierter Berichterstattung in den Medien. Von „Boykott“ war die Rede, obwohl nie jemand dazu aufgerufen hatte, nicht nach Leipzig zu fahren, sondern lediglich die Gründe genannt wurden, warum ein nicht zu verachtender Teil der aktiven Fanszene auf diese Auswärtsfahrt verzichtete. Schon von einer falschen Grundannahme betrieben folgte dann die ebenso falsche Schlussfolgerung, dass dieser „Boykott“, der ja eigentlich keiner war, gescheitert war, weil sich die Karten für den Gästeblock in Leipzig dennoch verkauften. Auch dessen waren sich die Veranstalter des Protests und Fanfests durchaus bewusst – und das war auch vollkommen in Ordnung so. Letztlich versuchte auch kein großes TV-Medium, diese falsche Berichterstattung zu korrigieren oder gar ausführlich über den Protest zu berichten. Weder sky, noch Sport1 oder das ZDF hielten es offenbar für nötig, obwohl man doch so viel zu zeigen gehabt hätte. Stattdessen wurden in der Berichterstattung zum Spiel weiter munter inhaltlich Fehler gemacht. Aber wenn Bela Réthy das Produkt feiern will oder der Doppelpass mit Ralph Hasenhüttl aufwartet, macht sich kritische Berichterstattung halt auch immer so doof…
Zurück in die Rote Erde: Über das Amateur-Spiel selbst hüllen wir mal das kleine Tuch des Schweigens, denn ähnlich wie die Profis später gab es sportlich nicht viel zu sehen. Die Elf von Daniel Farke hatte die Partie zwar über weite Strecken im Griff, konnte offensiv aber nicht an die Zielstrebigkeit der bisherigen Auftritte anknüpfen und musste sich somit am Ende mit zwei kleineren ungenutzten Chancen zufrieden geben, während die Gäste aus Wuppertal auch nur eine Gelegenheit aus spitzem Winkel für sich verzeichnen konnten. Am Ende stand somit ein mageres, aber doch irgendwie leistungsgerechtes 0:0. Einigkeit herrschte zumindest zu Beginn der Partie unter den Anhängern beider Vereine, konnte man aus beiden Kurven mehrmals den Schlachtruf „Scheiß Red Bull“ vernehmen und auch das in Richtung RB durchaus angebrachte „Ihr macht unseren Sport kaputt“ wurde intoniert. Während die jeweiligen Fanblöcke über 90 Minuten sangesfreudig blieben und sich vor allem die BVB-Fans das Siegtor verdient gehabt hätten, hätten auch die Amateure ihrem Anhang gerne eben dieses beschert. Vielleicht hemmte aber auch genau dies die Spieler, vielleicht war es das Wetter, vielleicht auch einfach nicht der beste Tag der Farke-Elf. Es ist mühselig, weiter darüber nachzudenken. Der Saisonstart der Amas ist immer noch mehr als geglückt, auch wenn die Tabellenführung der Regionalliga West temporär zumindest an die kleine Borussia abgegeben wurde.
Wie schon geschrieben sahen insgesamt 7.000 Zuschauer die Partie in der Roten Erde. Allein dies ist schon ein Zeichen dafür, dass der Protest sicher nicht erfolglos blieb, wie es mancherorts doch gerne geschrieben oder gesehen worden wäre. Denn auch wenn sich bei den Spielen der Amateure gerne mal viele Fans tümmeln, um auch die zweite Mannschaft des Ballspielvereins zu unterstützen, ist es doch eher die Ausnahme denn die Regel, wenn sich eine solche Kulisse wie am vergangenen Samstag zeigt. 7.000 Menschen, die auch ein Zeichen setzten, dass sie nicht in Leipzig sein wollten. Weil sie ihren Fußball lieben. Doch damit war der Tag ja noch nicht einmal halb beendet.
Denn nachdem aus organisatorischen und sicherheitstechnischen Gründen die 7.000 anwesenden Fans die Rote Erde wieder verlassen mussten, um sie ein paar Minuten später wieder zu betreten, folgte ja noch das Fanfest. 850 Fans fanden sich schließlich immer noch ein, hörten Interviews mit Amas-Keeper Hendrik Bonmann als Rekapitulation zum vorangegangenen Spiel oder noch einmal einige Aussagen der Organisatoren zu den (Hinter)Gründen des Protests oder konnten sich an einer Spendenaktion beteiligen, die dem Dortmunder Amateurfußball, dem Leipziger Amateurfußball, Austria Salzburg und der Stiftung „leuchte auf!“ zu gleicher Maßen zu Gute kam.
In absolut friedlicher Umgebung wurde über Vergangenes und Kommendes gefachsimpelt und schließlich ab 18.30 Uhr auch dem Spiel der Profis über das Netradio gelauscht, aus dem Norbert Dickel immer wieder Grüße in die Kampfbahn schickte. Auch hier schweigen wir besser über die sportliche Seite, denn diese war an diesem Tag ohnehin erstens nebensächlich und zweitens auch nicht sonderlich erwähnenswert. Heben wir doch lieber die friedliche Seite dieses Protests hervor. Denn wer sonst immer wieder über die angeblich brutalen und gewalttätigen Fußballfans meckern möchte, sollte auch mal die andere Seite betrachten. Normalerweise brüstet sich Leipzig immer damit, ein Fußballerlebnis für die ganze Familie bereit zu halten. Während dort BVB-Fans ihre Trikots ausziehen müssen oder Banner aufgrund des rigiden Ordnungsdienstes gar nicht erst das Licht der Welt erblicken, schafften es in Dortmund die BVB-Fans in kompletter Eigenregie, ein friedliches Fan- und auch Familienfest zu veranstalten. Jedenfalls hatte man nicht das Gefühl, dass die kleinen Nachwuchskicker, die sich beim Dosenwerfen betätigten oder mit einem Ball ihr Fußballtalent unter Beweis stellten, in irgendeiner Art und Weise Angst hatten.
Es ist schon besonders, dass aus dieser Idee des Protests eine konkrete Aktion wurde. Kreativ und friedlich wurde für die eigenen Werte im Fußball eingestanden. Keine unberechenbaren Chaoten, keine Problemfans, keine ewig gestrigen Traditionalisten. Sondern Fußballfans, die ihre Art des Sports lieben und sich für ihn einsetzen. Diese Fußballfans haben sich selbst organisiert, mit Partnern wie dem BVB-Fanprojekt, dem Verein Borussia Dortmund und der Stadt Dortmund eine Form des Protests gewählt und umgesetzt, die gerne noch einmal wiederholt werden dürfte. Gewürdigt wurde dies in den Medien wie erwähnt viel zu wenig. Aber es wurden ja auch keine Tennisbälle auf ein Spielfeld geworfen, die man hätte skandalisieren können. In Dortmund war beim Fanfest kaum Polizei nötig, die Ordner waren beschäftigungslos, ohne Zwischenfälle, ohne Stress. Weil wir den Fußball lieben.
Ja, der Tag hätte sicherlich noch schöner werden können. Wenn der Verein mal nicht wieder genau dann verloren hätte, wenn man es aus Fansicht besonders schlecht verkraften konnte. Wenn die Amateure vielleicht doch noch das Siegtor erzielt hätten. Aber das war es auch schon. Aus Sicht der Protestler und aller Anwesenden kann der Tag eigentlich nur als voller Erfolg gewertet werden. Gegen den modernen Fußball, für den Fußball, den wir lieben.
Vanni, 13.09.2016