Im Gespräch mit...

...Oliver Kirch: "Der BVB ist das spannendste Fußballprojekt in Europa."

17.08.2016, 19:43 Uhr von:  Lionard Seb Wiggy
...Oliver Kirch: "Der BVB ist das spannendste Fußballprojekt in Europa."
Oliver Kirch zu Besuch bei schwatzgelb.de

Mit schwarzem Geländewagen hält Oliver Kirch auf dem Parkplatz vor unseren Redaktionsräumen. In Jeans und schwarzem Hemd schlendert er lässig durch unsere Tür, begrüßt uns wie gute Freunde und setzt sich in einen bequemen Sessel.

Auf dem Tisch stehen alte BVB-Gläser. Unter anderem eins mit dem ausgeblichenem Aufdruck der „Mannschaft des Jahres 1995: Borussia Dortmund“. Olli fängt direkt an, die Spieler zu erraten. Und das durchaus erfolgreich. Von Erfolg war seine Karriere nicht immer gekrönt. Nach 13 Jahren im Profigeschäft kann der Allrounder aber auf glorreiche Spiele, knallharte Abstiegskämpfe und 30 teilweise furiose Pflichtspiele für unseren BVB zurückblicken. Wir wagen einen Blick zurück.

Oliver Kirch zu Besuch bei schwatzgelb.de

schwatzgelb.de: Wir würden gerne mit deiner Fankarriere einsteigen: Weißt du noch, warum du BVB-Fan geworden bist?

Kirch: Das war eigentlich alternativlos. Meine Eltern sind Dortmunder, mein Vater wurde hier geboren und wir haben in Körne gewohnt. Wir haben eine fußballverrückte Familie, zumindest mein Vater. Der hat mich auch das erste Mal mit ins Stadion genommen. Und dann ist ja klar: Wenn du hier groß wirst oder deine Wurzeln hast, dann wärst du ja blöd, wenn du einen anderen Verein auswählen würdest. Mit meinen ersten bewussten Erfahrungen hängen natürlich auch Erfolge zusammen. Das war die Zeit mit den Meisterschaften und dem Champions-League-Sieg. Klar, wenn man als Kind das Trikot trägt, dann verstehst du den Fußball noch nicht so. Aber das waren die Zeiten, in denen ich bewusst im Stadion war. Zum Beispiel gegen Lazio Rom oder La Coruna, das waren schon coole Erlebnisse.

schwatzgelb.de: Dein Papa hat dich also das erste Mal mitgenommen. Weißt du noch zu welchem Spiel?

Kirch: Da kann ich mich leider nicht mehr erinnern. Ich war jedenfalls unter zehn Jahre alt. Es war nicht zu früh, aber zumindest so, dass ich etwas mitkriegen konnte. Aber den genauen Tag weiß ich leider nicht mehr.

schwatzgelb.de: Du hast dir ja auch eine Karte für das letzte Pokalfinale organisiert. Du warst also schon als Fan und als Spieler in Berlin. Gibt es da Unterschiede in der Emotionalität nach den bitteren Niederlagen?

Olli Kirch gegen den VfL Rhede

Kirch: Ich bin da natürlich nicht so drin gewesen, als ich privat hingefahren bin. Ich kann auch nicht sagen, dass ich der größte Fan vom Verein bin, sondern ich bin darin verwurzelt und verwachsen und totaler Sympathisant. Aber ich glaube, man kann das nicht mit Euch vergleichen, wenn ihr da auf der Tribüne steht und die Mannschaft anpeitscht. Ich habe mich natürlich noch mit den Jungs, die ich kenne, verbunden gefühlt und wollte mir das vor allen Dingen auch als Zuschauer angucken, wie das in Berlin läuft und was in der Stadt abgeht. Ich kenne als Spieler nur: Hotel - Stadion. Du fährst da einmal durch, schon relativ spät und dann kriegst du ein bisschen was mit. Aber ich wollte mal sehen, was drum herum los ist, das Flair. Das kriegst du als Spieler nicht so sehr mit. Natürlich hast du dein Facebook oder kriegst Videos vom Breitscheidplatz, aber so richtig kriegst du das nicht mit.

Zur Emotionalität: Ich war als Spieler sicherlich enttäuschter, weil ich aktiv dabei war. Das war auch die Jahre davor äußerst bitter.

schwatzgelb.de: Wie hast du den Finaltag verbracht?

Kirch: Wir sind mit zwei Freunden mit dem Zug von Bielefeld hingefahren. Das war ganz entspannt. Ich glaube, mit dem Auto ist das ein bisschen stressiger. Dann sind wir ins Hotel und haben auf ein paar andere Jungs gewartet und sind dann durch die Stadt und haben verschiedene Plätze, Lokalitäten und Biergärten abgeklappert.

schwatzgelb.de: Das klingt bis auf das Ergebnis nach einem guten Tag. Mal ein Blick auf deine aktive Zeit: Kannst du sagen, welcher Trainer dich in deiner aktiven Karriere am meisten geprägt hat oder gibt es Eigenheiten, die dir im Kopf bleiben?

Kirch: Von jedem ein bisschen. Ich wollte letztens mal ausrechnen, wie viele Trainer ich hatte und mit wie vielen Spielern ich zusammengespielt habe. Das waren nicht wenige. Trainer haben alle ihre Eigenheiten und bei dem einen ist vielleicht ein bisschen weniger hängen geblieben als bei dem anderen. Die intensivste Zeit hatte ich definitiv hier in den drei Jahren mit Jürgen Klopp. Das ist einfach ein ganz besonderer Typ, ein besonderer Mensch und deswegen auch ein besonderer Trainer. Es ist schon der, der mich auch nachhaltig am meisten beeindruckt hat. Aber auch Heynckes. Kloppo zuerst und dann Jupp Heynckes in Gladbach. Das war auch wirklich besonders, aber anders. Mit einer ganz anderen Ausstrahlung. Der hatte da schon seine Ruhe gefunden, da war von "Osram" nichts mehr zu sehen. Ganz ruhig und bestimmt, denn er hatte schon viele Sachen erlebt. Nicht zuletzt den Champions-League-Sieg mit Real. Das war wirklich auch ein toller Trainer.

schwatzgelb.de: Kannst du dein Verhältnis zu Jürgen Klopp vielleicht an einer kleinen Anekdote festmachen? Wann hast du gemerkt, dass er ein Trainer ist, mit dem du gut zurechtkommst?

Ein Borusse verlässt die Bühne

Kirch: Das war glaub ich der Erstkontakt. Wir haben telefoniert, er hatte mich angerufen und gefragt, ob ich Lust hätte, hierhin zu kommen. Hatte ich. Dann haben wir uns zufällig am Flughafen Düsseldorf getroffen, auf dem Weg nach Sylt. Wir haben die gleiche Maschine genommen und saßen ernsthaft nebeneinander im Flieger. Das ist kein Scherz. Er saß am Mittelgang und ich auf der anderen Seite in derselben Reihe. Da haben wir uns schon ein bisschen ausgetauscht, ohne dass feststand, dass ich komme. Da hat er gesagt, dass es cool ist, sich auf dem Weg schon mal kennenzulernen und mitzukriegen, dass der Gegenüber kein kompletter Vollidiot ist.

schwatzgelb.de: Die Saison 2014/2015 lief vor allem in der Hinrunde katastrophal mit dem zwischenzeitlichen letzten Platz. Viele Hobbytrainer machen das ja auch an Jürgen Klopp fest und behaupten, dass er keinen Plan B hatte oder vielleicht zu eindimensional hat spielen lassen. Mit ein bisschen Abstand: Wie siehst du das? Was war das Problem in der Saison?

Kirch: Das Problem war, dass es nicht nur ein Problem gab. Das nur an einer Sache festzumachen, wäre unglaublich naiv. Eine Saison einer Fußballmannschaft hängt von so vielen Faktoren ab. Gerade bei so einer talentierten Mannschaft, wie wir sie hatten, ist so eine Hinrunde gar nicht zu erklären. Auch nicht mit einem Fehler, der sich durchgezogen hätte. Es waren so viele Sachen. Angefangen von den Folgen der WM. Einige Spieler sind nicht so in den Tritt gekommen, wie man sich das gewünscht hätte. Neuzugänge haben nicht so gegriffen wie gewünscht. Und mit schlechten Ergebnissen kann es auch sein, dass Spieler in einen Strudel geraten. Die machen sich dann zu viele Gedanken oder sind ein bisschen zu sensibel für die Situation. Die kannten vorher nur den Druck, oben mitspielen zu müssen oder Titel zu gewinnen. Aber dann kam der negative Druck unten drin zu stehen. Den hatte ich in anderen Vereinen auch schon, das ist eine ganz andere Geschichte. Damit kann auch nicht jeder umgehen. Also es war ein ganz vielschichtiges Problem, was wir da hatten. Und genauso erstaunlich ist es auch, dass wir in der Rückrunde so einen Run hatten und noch in die Euro League gekommen sind. Das ist eigentlich auch nicht normal nach so einer Vorrunde und nach den ersten Spielen in der Rückrunde. Da war ja offensichtlich auch nicht irgendein Plan B von Kloppo entscheidend, sondern wir haben es mit unserem altbekannten Stil geschafft. Die Baustellen lagen woanders.

schwatzgelb.de: Beschäftigt man sich denn intensiv damit, was wäre, wenn man da unten drinbleibt oder absteigt? Die meisten Experten haben ja gesagt, da kommt man in der Rückrunde wieder heraus, aber das war ja nicht selbstverständlich.

Kirch: Das war ja das gefährliche. Jeder Außenstehende hat gesagt: "Das wird schon wieder". Irgendwann glaubst du dann auch, dass es von alleine geht. Der entscheidende Schlüssel ist aber, dafür etwas zu tun oder andere Maßnahmen zu ergreifen, um wieder nach oben zu kommen. Aber ich habe nie daran geglaubt, dass wir wirklich runtergehen könnten, nie im Leben. Das wäre ein Ding der Unmöglichkeit gewesen.

Nach dem Augsburg-Spiel: Der BVB ganz unten.

schwatzgelb.de: Was war der Punkt, an dem die Mannschaft gedacht hat: "Wir können das wieder drehen"? Gab es da irgendwann einen Wendepunkt?

Kirch: Das Spiel gegen Augsburg war rückwirkend gesehen der Nullpunkt. Das war das Schlimmste in meinen drei Jahren. Das war schon heavy. Das hatte vorher keiner in der Form erlebt. Dann kam das Spiel gegen Freiburg eine Woche danach. In der Woche vor dem Spiel hat Kloppo so viel Lockerheit und so viel Spaß reingebracht, dass man gar nicht verkrampfen konnte vor dem Spiel gegen Freiburg. Die waren ja auch unten drin, deshalb wäre eine Niederlage nochmal ein richtiger Tiefschlag gewesen. Es wurde viel gelacht in der Woche und es gab gar keine große Kampfansprache vor dem Spiel. Das war extrem wichtig und das hat man auf dem Platz dann gespürt. Das war ein Spiel, das wir in den Spielzeiten davor genau so in dieser Art und Weise gewonnen hätten. Das war wieder der Fall und jeder hat gesehen: Es geht.

schwatzgelb.de: Das hat man ja auch im nächsten Spiel, dem Heimspiel gegen Mainz, gesehen. Da haben wir ja schon in der ersten Minute das Gegentor bekommen. Selbst wenn man das Spiel davor gewonnen hat, war es wahrscheinlich schwer zu sagen: "Wir drehen das auf jeden Fall". Aber wahrscheinlich war der Knackpunkt, dass ihr da lockerer rangehen konntet und das dann gedreht habt.

Kirch: Genau. Fußball und alles im Leben hat so viel mit Psychologie zu tun. So wie du deinen Kopf einstellst, so kannst du es nachher auch nur abrufen. Mit dem Freiburg-Spiel war der Knoten geplatzt.

schwatzgelb.de: Du hattest in deiner Karriere leider auch einige Verletzungen. Wie bist du damit umgegangen?

Kirch: Das gehört leider einfach dazu. Dann gibt es keine Alternative als zu sagen: "Okay, das sind jetzt neun Monate, aber danach geht es weiter". Das Problem war, dass ich mir dann nach zwei, drei Wochen Training wieder so eine schwere Verletzung zugezogen habe. Dann musst du dir schon irgendwas überlegen, wie du etwas Positives rausziehen kannst. Das ist aber nur eine Zeitfrage. Die ersten paar Tage braucht mich keiner ansprechen, aber es gab keinen Grund, aufzugeben oder was anderes zu machen. Es gibt aber mit Sicherheit andere Beispiele, bei denen das schwieriger ist. Zum Beispiel bei Holger Badstuber. Das ist eine extrem traurige und krasse Geschichte. Dass der immer wieder diese Anläufe nimmt, ist bemerkenswert. Aber ich denke, wenn kein Arzt sagt "das war‘s definitiv", dann musst du alles daran setzten, wieder in Form zu kommen. Auch wenn es schwer ist. Es lohnt sich.

schwatzgelb.de: Du hattest ja zu deiner Anfangszeit in Gladbach eine ziemlich schwere Verletzung. Hast du dir mal Gedanken gemacht, ob deine Karriere anders verlaufen wäre, wenn du so eine Verletzung in der frühen Phase deiner Profikarriere nicht erlitten hättest?

Kirch: Die Gedanken hatte ich. Aber letztendlich weiß man es ja nicht. Dieser Gedanke kam vor allem, als ich mich dazu entschieden habe, das Ding zu beenden. Dann lässt du nochmal Revue passieren, was war und was wäre, wenn ich in dem Alter regelmäßig hätte spielen können. Und letztendlich: Was habe ich erreicht? Für die Karriere, die ich hatte bin ich absolut dankbar und zufrieden mit dem, was war. Ich habe hier zum Schluss noch große Spiele erlebt, deshalb ist es total unnütz, sich darüber Gedanken zu machen.

Gegen Real Madrid: Olli Kirch Fußballgott!

schwatzgelb.de: Du sprichst es gerade an: große Spiele. Wahrscheinlich wirst du noch regelmäßig auf das Spiel gegen Real angesprochen. Würdest du behaupten, dass es das größte Spiel in deiner Karriere war? Du hattest 120 Ballkontakte, das ist nicht selbstverständlich in einem solchen Spiel.

Kirch: Natürlich war es das größte Spiel. Ich habe mich am Anfang immer dagegen gewehrt, dass alle gesagt haben: "Da hast du wirklich mal ein super Spiel abgeliefert". Vorher hatte ich ja auch schon einige ordentliche Spiele abgeliefert. Aber vielleicht hatte ich das auch unterschätzt. Es war halt ein Champions-League-Viertelfinale gegen Real Madrid. Das ist natürlich von den Rahmenbedingungen her schon ein viel größeres Spiel, als wenn ich früher mit Bielefeld gegen Leverkusen ein Riesenspiel gemacht habe. Das interessiert nicht so viele Leute. Da hab ich auch überhaupt kein Problem mehr mit, wenn die Leute mich, böse gesagt, darauf reduzieren. Dann ist es trotzdem ein Spiel, an das sich jeder erinnern wird. Das ist doch irgendwie geil! Das hat ja auch nicht jeder.

schwatzgelb.de: Hast du noch spezielle Szenen im Kopf, wie zum Beispiel den Pfostenschuss von Micky? Hast du die ganze Zeit gedacht "Wir schaffen das jetzt"? Da war ja sicherlich eine besondere Stimmung auf dem Platz, weil ja vorher keiner daran geglaubt hat, dass wir das noch drehen können.

Kirch: Nachdem Roman den Elfmeter gehalten hat, habe ich mir gedacht: "Da könnte was gehen". Als Marco die Tore gemacht hat, dann sowieso. In der Halbzeit, als es schon 2:0 stand, war ich felsenfest davon überzeugt, dass wir das schaffen. Und das war absolut drin.

schwatzgelb.de: Knapp zwei Jahre davor war dein Start beim BVB das Spiel gegen Bremen 2012, in dem du ja Piszczek ersetzt hast auf der Rechtsverteidiger-Position. Es war wahrscheinlich ein ziemlich großer Druck, als du dann für ihn gespielt hast. Wie war das für dich?

Kirch: In der Woche davor hatte Piszczu ein paar Probleme mit seiner altbekannten Hüfte. Es war ja schon vorher klar, dass ich als Backup für ihn verpflichtet wurde. Aber dann hat Kloppo im Training die ganze Zeit Kevin hinten rechts ausprobiert. Da dachte ich: "Es ist vielleicht zu früh für mich und er lässt ihn da spielen". Am Morgen des Spiels hatten wir nochmal ein lockeres Training. Kloppo kam zu mir und hat gesagt, dass ich spiele. Er wollte einfach nur gucken, für den Fall der Fälle, ob Kevin das auch kann. Dass ich das kann, das weiß er. Und ich würde das heute Abend dann auch machen. Da ging mir natürlich schon die Pumpe. Es war ja dann auch ein schweres Spiel. Elia ist ja auch kein ganz Blinder an manchen Tagen. In der ersten Halbzeit waren zwei, drei Situationen, in denen ich echt Glück gehabt habe, dass wir da keinen kassiert haben, aber dann ging‘s. Und dann haben wir dank Marios Ding ja auch gewonnen.

schwatzgelb.de: Wie ist es denn gewesen, als du das erste Mal aus diesem engen Tunnel herausgekommen bist? So als Sympathisant des Vereins...

Kirch: Ich glaube da war ich wirklich zu sehr angespannt und nervös, so dass ich das nicht unbedingt mitbekommen habe. Ich glaube, ich habe es mir vorher auch anders vorgestellt. Ich konnte dann ja endlich auf der linken Seite einlaufen und nicht rechts. Aber die Aufgabe, die ich hatte, war zu wichtig, davon konnte ich mich in dem Moment nicht lösen.

Gegen Leverkusen schoss Olli sein erstes Tor für den BVB

schwatzgelb.de: Bei uns im Stadion aufzulaufen wird wahrscheinlich nicht unbedingt zur Routine, aber es ist dir natürlich schon öfter passiert. Welches Stadion hat dich in deiner Karriere am meisten beeindruckt?

Kirch: Ich finde, dass wir in Deutschland im Schnitt schon wirklich die schönsten Stadien haben. Wenn ich gesehen habe, wenn wir in Spanien oder Italien, zum Beispiel in Neapel, gespielt haben, da sind schon andere Bedingungen. Hat dann dadurch aber auch ein anderes Flair. Neapel war schon laut, gerade als wir rausgegangen sind und den Platz angeguckt haben. Auch wenn da relativ viel Platz drum herum ist, war das Pfeifen echt laut. Es gibt auch in manchen anderen Stadien wirklich gute Stimmung und ein besonderes Flair. Wembley gehört zum Beispiel auch dazu. Trotzdem habe ich noch in keinem cooleren Stadion gespielt als in Dortmund, im Westfalenstadion.

schwatzgelb.de: Wen würdest du als besten Spieler bezeichnen, mit dem du zusammengespielt hast? Mit wem hast du am besten harmoniert?

Kirch: Wie wir uns auch untereinander verstanden, war das hier schon die beste Mannschaft. Vor allem auch mit den besten Einzelspielern. Bei Gladbach waren auch ein paar wirklich gute Spieler am Start. Nachher noch Giovanne Elber. Der war schon etwas über seinem Zenit und konnte sein Bein nur noch hinterherziehen, aber war trotzdem ein guter Spieler. (lacht) Beim BVB waren es zum Beispiel Marco, Micky, Mario oder Nuri. Oder auch Lewy. Auf der Position weiß ich nicht, ob es einen besseren geben könnte. Das muss man schon sagen, auch wenn er jetzt beim falschen Verein spielt. Ich kann aber keinen bestimmten rausnehmen. Wir hatten so viele gute Fußballer in der Mannschaft. Auch bei Shinji, das siehst du allein schon in den Spielformen im Training auf kleinem Feld. Da macht es "Patsch, Patsch, Patsch". Das macht schon Spaß.

schwatzgelb.de: Letztes Jahr war leider das Kapitel hier beendet, das war wahrscheinlich ein schwieriger Schritt für dich. Hattest du schon vorher das Gefühl, dass es hier nicht weiterläuft oder hattest du ein Gespräch mit Thomas Tuchel, in dem er dir eröffnet hat, dass es nicht weitergeht?

Kirch: So ungefähr. Ich bin schon vor dem Trainingsstart gekommen und habe mich am Trainingsgelände fit gehalten, weil ich zum Ende der vorherigen Saison ein paar Probleme mit dem Knie hatte und dann wollte ich etwas mehr tun. Da war das neue Trainerteam auch schon am Trainingsgelände und hat sich ein bisschen vorbereitet. Dann habe ich mich mit Thomas Tuchel unterhalten und gefragt, wie er meine Rolle im Team sieht. Es wurde relativ schnell klar, dass er gar keine richtige Rolle für mich vorgesehen hatte, sondern dass er mir eigentlich schon da den Rat gegeben hat, mich nach etwas anderem umzusehen. Ich habe ihn wenigstens dazu bewegt, zu sagen: "Guck es dir doch mal an, vielleicht gefällt dir ja, was du siehst". Zumal ich vorher schon zu ihm nach Mainz Kontakt hatte, weil auch mal ein Wechsel dorthin zur Debatte stand. Die restliche Vorbereitung war dann aber so, dass ich gesundheitliche Probleme hatte und nicht mal die halbe Vorbereitung mitmachen konnte und dann wurde mir etwas schärfer geraten, etwas anderes zu machen. Widerwillig habe ich mich dann umgehört und diesen Schritt getan. Hätte ich lassen sollen.

schwatzgelb.de: Leider ist ja die Zeit in Paderborn unglücklich verlaufen. Du warst verletzt und konntest nur sieben Spiele machen. Wann war dieser Knackpunkt da, dass du gesagt hast: "Jetzt beende ich meine Karriere"? War das schon während der Verletzung?

Kirch: Dieser Gedanke kam schon zum Ende der letzten Saison häufiger hoch. Ich habe mich nicht zu intensiv damit beschäftigt, weil ich viele Dinge, auch früher, erstmal habe laufen lassen und abwarte, was sich ergibt. Ich dachte mir: "Vielleicht läuft es auch wieder ganz gut und dann ergibt sich eine andere Option, die ich gerne machen würde". Aber nach der Saison mit zwei Wochen Abstand nach dem letzten Spieltag war mir klar: "Eigentlich war es das". Mein Körper hat in den letzten ein, zwei Jahren auch nicht mehr so mitgespielt hat, wie ich mir das gewünscht hätte. Und es war dann sportlich ja auch nicht mehr auf dem Niveau, wo ich mich gerne gesehen hätte. Klar hätte ich mir einen schöneren Abschluss gewünscht, aber wenn ich auf die Karriere zurückblicke, dann war es okay und dann kann ich ruhigen Gewissens auch sagen: "Jetzt mache ich was anderes".

Oliver Kirch im Testspiel gegen Hessen Kassel

schwatzgelb.de: Du hast mal in einem Interview gesagt: "Ich habe mich nie darüber definiert, Fußballer zu sein". Worüber dann?

Kirch: Am besten als Mensch. Mit allem, was dazu gehört. Fußballer zu sein ist ja nur ein Teil davon. Auch wenn es in den letzten 13 Jahren das war, was ich jeden Tag und auch gerne gemacht habe. Aber dieses Fußballer sein, Profi sein oder das Auftreten in der Öffentlichkeit, das war mir auch immer ein bisschen suspekt. Auf diese ganzen Begleiterscheinungen war ich nie heiß. Da gibt es auch noch genug andere Dinge im Leben, an denen ich mich erfreuen konnte. Das hilft einem dann auch bei einer solchen Entscheidung. Es gibt ja auch Leute, die klammern sich an jeden Strohhalm und wollen das Ende solange herauszögern, wie es geht. Da hatte ich keinen Bock drauf, das wollte ich nicht.

schwatzgelb.de: Das klingt so, als hättest du schon einen Plan für die Zukunft. Du studierst Sportmanagement. Was planst du jetzt? Kannst du dir vielleicht sogar eine Zukunft beim BVB vorstellen?

Kirch: Ja, das könnte ich mir auf jeden Fall vorstellen. Grundsätzlich habe ich aber Ideen und Pläne, die in verschiedene Richtungen gehen. Ich hatte mir jetzt erst einmal die Zeit und den Luxus genommen, einfach nichts zu tun. Wir waren zuletzt zweieinhalb Wochen auf Sylt. Da kriegt man wirklich nichts mit, wenn man nicht unbedingt will. Ich bin seit gestern erst wieder hier und tauche so langsam wieder in den Alltag ein. Ich versuche, die einen oder anderen Dinge voranzubringen, aber was daraus konkret werden wird, das kann ich jetzt noch nicht sagen. Es geht, wie gesagt, in verschiedene Richtungen. Aber auch Fußball ist dabei.

schwatzgelb.de: Das freut uns natürlich sehr. Auch wenn du in letzter Zeit nicht ganz up to date warst, hast du bestimmt die aktuellen Entwicklungen beim BVB mitbekommen. Kannst du eine Prognose für die neue Saison abgeben?

Kirch: Das ist ganz, ganz schwierig. Das ist wirklich das einzige Thema, mit dem ich mich zwischendurch noch beschäftigt habe. Natürlich weil ich auch Kontakt zu einigen Jungs habe. Es ist für mich schon ein bisschen eine Wundertüte, aber vor allen Dingen das spannendste Fußballprojekt in Europa. Vielleicht noch ManUnited, aber was da passiert, findet auf einem anderen Niveau statt. Die kaufen nochmal ganz anders ein. Das, was hier passiert, ist schon extrem spannend. Ich bin ein durchweg positiv eingestellter Mensch und deswegen sage ich: "Das geht gut". Diese ganzen offensiven, kreativen Leuten finden sich und schaffen es, in der Rückwärtsbewegung den Jungs hinten auch ein bisschen zu helfen. Dann wird das wirklich funktionieren. Aus dem Kader kann man auf jeden Fall eine richtig gute Elf basteln, aber wie sie dann wirklich aussehen wird, da bin ich sehr gespannt.

schwatzgelb.de: Was tippst du für den Supercup am Sonntag?

Kirch: Das wird auf jeden Fall der erste Titel für uns! (Das Interview fand natürlich vor dem Supercup statt, Anm. d. Red.)

schwatzgelb.de: Das ist doch mal ein Wort. Würdest du behaupten, dass der Fußball seine Romantik verliert? Viele BVB-Fans haben sich ja gewünscht, dass Kuba bleibt. Glaubst du, dass da eine rationale Entwicklung zu sehen ist?

Kirch: Ich weiß nicht, wann zuletzt ein Spieler nicht verkauft oder ziehengelassen wurde, weil die Fans eine Petition eingelegt haben. Ich glaube, das ist schon seit längerer Zeit so, dass der Verein rein wirtschaftlich und rational mit dem jeweiligen Trainer, der gerade da ist, diese Dinge entscheidet. Welche Spieler will ich? Welche Spieler will ich nicht? Ungeachtet der Vergangenheit. Ich glaube, dass das keine größere Rolle mehr spielt in den häufigsten Fällen. Es ist natürlich schade, es ist vor allen Dingen aber auch total übertrieben und überzogen, was derzeit passiert. Was die Summen angeht, was das Hin- und Hergeschiebe angeht, das finde ich schon sehr extrem. Aber es ist leider auch nicht mehr aufzuhalten. Im Zweifel wird es nur noch schlimmer.

Im Supercup gegen den FC Bayern
schwatzgelb.de: Du hast in deiner Karriere vor allem bei Traditionsklubs oder alt eingesessenen Vereinen gespielt. Siehst du das Projekt RB Leipzig kritisch? Siehst du das jetzt, wo du aus dem Sport heraus bist, anders?


Kirch: Da habe ich ehrlich gesagt keine richtig große Meinung zu. Mir ist natürlich ein Traditionsverein oder ein Verein, der in seinen Strukturen gewachsen ist, lieber als dieses Projekt, was dort stattfindet, weil es auch nicht dem Wettbewerb entspricht, wenn du in der zweiten Liga schon einen Etat hast, der in der oberen Hälfte der ersten Liga angesiedelt wäre. Das ist ja kein gewachsener Aufstieg und kein getragener Verein von irgendwelchen Fankulturen. Das ist schade und ich kann mir auch nicht vorstellen, dass es das gleiche ist, für so einen Verein zu spielen als etwa für Borussia Dortmund oder den Hamburger SV. Das kann ich mir nicht vorstellen, aber ich will keinen verurteilen, der sagt: "Ich versuche da jetzt mein Glück". Sportlich ist sicher eine Menge möglich in den nächsten Jahren. Finanziell für die einzelnen Spieler auch. Muss aber jeder für sich selbst entscheiden.

schwatzgelb.de: Es gibt Tabuthemen im Fußball wie Homosexualität oder auch ein Stück weit Doping. Ist das ein Thema in der Mannschaft, wenn über sowas in den Medien gesprochen wird oder blendet man sowas eher aus?

Kirch: Mit Doping bin ich ehrlich gesagt nie konfrontiert worden. Du musst natürlich nach dem Spiel die Dopingproben abgeben, wenn du gelost wirst. Ich habe aber noch nie einen Fall erlebt, dass irgendeiner von unseren Spielern etwas bekommen hätte, auch nicht von anderen Vereinen. Ich würde behaupten, sowas würde man mal mitkriegen, wenn man 13 Jahre in dem Sport zuhause ist. Abgesehen davon wüsste ich auch nicht, was man dopen soll. Das einzige, was ich mir vorstellen kann: Wenn ein verletzter Spieler schnell Muskelmasse aufbauen will, um wieder fit zu werden, dass da ein bisschen nachgeholfen wird. Aber im Spielalltag hast du null Vorteil, wenn du gedopt bist.

Diskriminierung wegen Homosexualität oder rassistische Diskriminierungen habe ich im Verein oder in den Mannschaften auch nie mitbekommen. Fußballmannschaften sind komplett multikulturell. Zig verschiedene Nationalitäten, Sprachen, Religionen, Hautfarben. Womöglich auch sexuelle Ausrichtungen. Keine Ahnung. Ist ja auch egal. Nie gab es Streit oder Spannungen deswegen. Warum sollte es also nicht überall funktionieren?
Leider kam sowas immer nur von der Fanseite. Irgendwelche Beleidigungen oder Spruchbänder. Das ist das einzige, womit ich in Berührung gekommen bin im aktiven Fußball. Darüber haben wir uns natürlich in der Kabine ausgetauscht und versucht, dagegen vorzugehen. Mit verschiedenen Aktionen, die wir dann ja auch nach außen getragen haben. Alles ist normal, es gibt kein weniger normal, sondern alles ist erlaubt. Insofern ist das leider eher ein Problem auf den Rängen als unten auf dem Spielfeld.

schwatzgelb.de: Wir bedanken uns für das Gespräch.

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