Mit Tennisbällen gegen Legendenbildung
Mit Tennisbällen gegen Legendenbildung. Die Proteste in Stuttgart wurden weltweit registriert. Das dürfte der DFL nicht nur gefallen.
DFL-Chef Christian Seifert sitzt auf einem Stuhl vor einer Wand. Er redet in eine Kamera. Zugeschaltet sind ihm einige englischsprachige Journalisten. In den nächsten Minuten wird er den Bundesliga Report 2016 vorstellen, der an diesem Tag im Januar veröffentlicht wurde. Die Zahlen, sagt er, beziehen sich natürlich auf die Spielzeit 2014/2015, aber da es jetzt 2016 sei, habe man ihn eben Bundesliga Report 2016 genannt, und nicht 2015. Der war im Vorjahr erschienen.
Der Bundesliga Report 2016 ist eine Ansammlung von Zahlen, die später mit erklärenden Begleittexten auf 50 Hochglanz-Seiten ausgebreitet werden. Sie belegen: Die Bundesliga ist finanziell gut aufgestellt. „Der Gesamtumsatz der Bundesliga hat zum elften Mal in Folge ein Rekordniveau erreicht“, steht dort in Kapitalen geschrieben. Das Rekordniveau der Saison 2014/2015 lautet: 2.62 Milliarden Euro, mehr als die 36 in der DFL organisierten Vereine der beiden oberen Spielklassen in der Saison 2012/2013 gemeinsam erwirtschaftet hatten. Von den 2.62 Milliarden Euro entfallen 731.1 Millionen auf die mediale Verwertung, 672.7 Millionen auf die Werbung und 520.6 Millionen auf die Spieleinahmen, die somit den drittgrößten Posten darstellen. Transfers, Merchandise und Sonstiges machen den Rest aus.
Im späten Januar, die Rückrunde hat gerade erst begonnen, diskutiert Fußball-Deutschland über zwei Dinge. Erstens: Die umstrittenen Trainingslager von Borussia Dortmund, Eintracht Frankfurt und Bayern München. Alle hatten es in die Golfregion gezogen. Der Ballspielverein begründet es auch mit der Internationalisierung, die den Konkurrenten aus dem Süden am Tag der Veröffentlichung des Bundesliga Reports in die Arme des Hamad International Airports in Doha, Katar treibt. Zweitens: Die zahlreichen Ideen, noch mehr Geld zu generieren, um mit England Schritt zu halten. Der dortige TV-Vertrag spült in den nächsten drei Jahren insgesamt 6.9 Milliarden Euro in die Kassen der Premier-League-Vereine – also 2.3 Milliarden Euro pro Spielzeit, natürlich verteilt auf 20 und nicht auf 18 Vereine. Rummenigge hat wieder einmal eine Super-Liga vorgeschlagen, Allofs will noch mehr Wettbewerbe. Irgendwo muss das Geld herkommen, sonst blutet die Liga aus.
Das Kartellamt lässt die rechtlichen Voraussetzungen für die Vergabe der nationalen Medienrechte ab der Spielzeit 2017/2018 weiter offen. Man stehe in einem konstruktiven Dialog mit der DFL, sagt die Bonner Behörde. Wird es eine „No Single Buyer Rule“ geben, wird also festgesetzt, dass neben Sky noch ein zweiter TV-Anbieter Teile der Live-Rechte an der Liga erhält? Rummenigge fordert pauschal über eine Milliarde pro Spielzeit, niemand widerspricht. Die Lage ist bedrohlich: Ganz England habe es auf die Bundesliga abgesehen, heißt es. Im kicker sprechen sich 82 Prozent der befragten Bundesliga-Spieler nicht gegen einen Wechsel ins Mutterland des Fußballs aus, so sie dort mehr Geld verdienen können. Und das können sie.
China tritt erst wenig später auf den Markt. Christian Seifert sitzt immer noch auf dem Stuhl vor der Wand. Er redet immer noch in die Kameras. Hin und wieder stellen die Journalisten Fragen. Der DFL-Chef geht noch einmal auf die Zahlen ein. Die Proportionen des Einnahme-Mix werden sich verschieben, sagt er. Die Einnahmen aus der Werbung und der medialen Verwertung werden steigen, sagt Seifert. Die der medialen Verwertung bereits kurzfristig. Seit dieser Saison hält das Rupert-Murdoch-Netzwerk FOX die Bundesliga-Rechte in den USA, auch für andere Märkte gibt es neue Deals. Von jährlich 72 Millionen Euro steigt der Erlös der Auslandsvermarktung auf ungefähr 160 Millionen. Aber auch hier ist die Premier League enteilt. Sie liegt bei 800 Millionen im Jahr.
Doch Seifert, der immer noch dort sitzt und redet, ist eine Sache wichtig. Die Zuschauereinnahmen werde man nicht groß steigern können. Bratwurst, Bier und Bundesliga. Das ist der Verkaufspunkt. Das ist die Legende, die erzählt wird. Die Bundesliga sei im Gegensatz zu anderen Ligen immer noch erschwinglich, und natürlich werde man auch am Spielplan nichts ändern. Zumindest nicht viel.
Alex Chaffers Augen leuchten. Er ist zum ersten Mal im Westfalenstadion. Das Achtelfinale der Champions League. Borussia Dortmund gegen Juventus Turin. Der junge Engländer hat sich einen Traum erfüllt. Er schreibt jetzt über die Bundesliga, über den deutschen Fußball. Seine Texte für die Deutsche Welle, für Sky Sports und Four Four Two werden gelesen, in Podcasts erzählt er über die Liga, auf Twitter folgen ihm 6.000 Leute, dem von ihm mitbetreuten DW Sports-Account folgen über 28.000. Über solche Kanäle wird die Bundesliga im Ausland wahrgenommen. Die Bundesliga hat es Chaffer angetan. Der Wettbewerb, die Spannung, die gefüllten Stadien, die Eintrittspreise. Wie sich der Fußball hier anfühlt, sagt er. Deswegen ist er nach Deutschland gekommen.
Seit Jahren reisen Fans aus England nach Deutschland. Nicht alle bleiben hier, und schreiben über die Liga. Doch sie alle lässt die Bundesliga nicht mehr los. Sie folgen dem Versprechen der Liga, den in den sozialen Netzwerken erzählten Geschichten vom ersten Besuch auf der Südtribüne im Signal-Iduna-Park – der Name Westfalenstadion fällt immer seltener - vom Trip nach München in die Allianz Arena, oder nach Köln ins RheinEnergieStadion. Die Bundesliga ist die beste Liga der Welt. Die Eintrittspreise ein Witz. Das Schlaraffenland des Fußballs.
In England hingegen breitet sich nun auch in den Stadien der Unmut aus. 77 Pfund. Das will dort auch niemand mehr zahlen. Und muss es zumindest bei Liverpool auch in den kommenden zwei Spielzeiten nicht. Die Fans hatten das Stadion an der Anfield Road verlassen. Diesmal nicht aus Desinteresse, sondern aus Protest gegen die neuen Preisstrukturen. Ein paar Tage später verkündeten die Inhaber der Reds: Alles bleibt wie es war, wir hatten die Situation falsch eingeschätzt . Ein Cap für die Preise der Auswärtstickets in der Liga jedoch ist vorerst vom Tisch. Das Thema Eintrittspreise jedoch brandaktuell.
Das alles muss man wissen, um zu verstehen, warum die Proteste der Dortmunder Fans in Stuttgart ein großer Erfolg waren. Als die Tennisbälle auf den Platz fliegen,sind die Stars des Spiels für einen kurzen Moment zu Balljungen reduziert, die gegen eine wildgewordene Ballmaschine ankämpfen. Das Spiel wird unterbrochen. Die Bilder von Weltmeister Hummels & dem Rest seiner Truppe gehen um die Welt. Auf ARD und Sky wird ausführlich informiert. „Wir wollten auf uns aufmerksam machen“, sagt Jan-Henrik Gruszecki von Kein Zwanni. „Nicht wieder die gleichen 500 Leute, die ohnehin darüber informiert sind."
In Deutschland sind die Reaktionen nach dem Spiel wie sie eben in Deutschland sind. Ein wildgewordener Mob diskutiert in den sozialen Netzwerken, macht sich über die Dortmunder Balljungen lustig. Ein Fazit ist schnell gezogen: Die Tennisballaktion war großer Mist. Natürlich waren es wieder die Dortmunder, diese Egoisten, die ihr Eigeninteresse über alles andere gestellt haben. Dazu musste das Spiel auch noch unterbrochen werden. Was für Chaoten. Nur Rainer Wendt schweigt.
„Niedrige Preise sind im allgemeinen Interesse“, sagt Marc Quambusch, Gruszecki will Fußball als „Arbeitersport“ erhalten. Nicht unbedingt nur ein Dortmunder Anliegen. Dafür habe man halt zu „einer Art des zivilen Ungehorsams“ gegriffen. Die Spielunterbrechung war eingepreist. Am Folgetag vertraten Quambusch und Gruszecki ihr Anliegen in zahlreichen Interviews. Meist mit internationalen Medien. Man schaltet sie mit dem britischen Sportminister zusammen, Texte über die Aktion erschienen u.a. in Argentinien, den USA, Australien und England.
Auch Quambusch sieht das alles nicht auf Deutschland beschränkt. „Eigentlich sollte es eine europäische Bewegung sein“, erzählt er CNN. „Fußball ist ein Volkssport. Er bringt die Leute zusammen, und ins Gespräch. Darum geht es, und nicht darum, Geld in die Taschen von Millionären zu stopfen.“ „Wir wollten Aufmerksamkeit erzeugen“, wiederholt Gruszecki. „Der Plan ist aufgegangen.“
Am Donnerstag lobt der konservative kicker die Proteste, Horst Heldt sieht es ähnlich. Proteste seien „hilfreich, hin und wieder“, sagt er, und greift einen alten Kein Zwanni-Spruch auf: „Ich finde, dass der Fußball für uns alle bezahlbar sein sollte.“ Der VfB Stuttgart hat sich noch nicht geäußert. Es ist wieder Bewegung in der Sache. Dank der Tennisbälle, und der Arbeit des „Kein Zwanni“-Fan-Bündnis. Aber: Es sind nur Geschichten, die erzählt werden. Für wirkliche Veränderungen muss der Druck hochgehalten werden. Wenn die DFL im Ausland weiter mit den Eintrittspreisen werben will, wird sie sich in Zukunft auch dort den Fragen stellen müssen, die Legende der „cheap tickets“ hat Kratzer bekommen.
geschrieben von Stephan Uersfeld
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