Grobes Foul bei Sport Inside
Sowas von Outside: Da fiel vielen Borussen am Montag die Kinnlade herunter: Ein Beitrag in der WDR-Sendung „Sport Inside", der sich eigentlich mit dem Derby beschäftigen sollte, wurde zur persönlichen Generalabrechnung mit der Dortmunder Fanszene – und scheute auch nicht davor zurück, einzelne Borussen persönlich zu diskreditieren.
In unserer leider inzwischen schon regelmäßigen Medienkritik nehmen wir die fanpolitische Berichterstattung mehr oder weniger etablierter Medien zum Anlass, diese auf ihren Wahrheitsgehalt und ihre Plausibilität zu überprüfen. Nachdem wir vor einigen Wochen schon aufgrund eines Kontraste-Beitrags dachten, der Höhepunkt schlechten Journalismus sei erreicht, wurden wir am vergangenen Montagabend eines Besseren belehrt.
Im Rahmen des üblicherweise oft sehenswerten WDR-Investigativformats „Sport Inside" befasste sich der Journalist und Autor Christof Voigt mit „gewaltbereiten Ultras aus Dortmund und Gelsenkirchen." Dieser Text auf der Seite der WDR-Mediathek stellt direkt die erste Unsauberkeit dar, befasst sich Voigt doch ausschließlich mit der BVB-Seite.
Angesichts der Vorkommnisse beim Hinrundenderby und zu Jahresbeginn in Köln dürfte außer Frage stehen, dass die gesamte Thematik im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses steht. Insofern dürften sich auch Ultra-Gruppen kaum über derlei Berichterstattung grundsätzlich beschweren, haben sie doch selbst jüngst viel zu oft Anlass dazu gegeben. Umgekehrt sollte es unzweifelhaft zur journalistischen Pflicht gehören, Geschehenes nach Möglichkeit unverfälscht wiederzugeben und zu gewichten. Zu Ersterem bereit, konnten oder wollten Christof Voigt und der verantwortliche Redakteur Reiner Lefeber Letzteres aber offenbar nicht leisten.
Schon der Beitragsbeginn mit Aufnahmen rund um das Flora-Vereinsheim suggeriert ein falsches Bild von der Szenerie. Bei dem genannten Derby in Dortmund im Oktober 2012 gab es unstrittig rund um die Flora heftige Auseinandersetzungen zwischen Dortmundern und Schalkern. Nachweislich waren jedoch die angeprangerten schwarzgelben Ultra-Gruppen dabei genau nicht beteiligt, was allerdings durch das Intro des WDR-Beitrags suggeriert wird.
Vorfall falsch wiedergegeben
Weitere sachliche und inhaltliche Fehler durchziehen den Bericht. So kann ein leidlich anonymisierter BVB-Fan unwidersprochen behaupten, die Desperados hätten Fanbetreuer Jens Volke sowie den Fanprojekt-Mitarbeiter Thilo Danielsmeyer beim Auswärtsspiel in Donezk verprügelt. Dem ist nachweislich nicht so, die beiden wurden von einem rechtsradikalen Geschwister-Gespann angegriffen, was es für die Betroffenen natürlich kaum besser macht. Beide auf diese Weise jedoch nur der guten Story wegen als Kronzeugen zu missbrauchen, ist schlichtweg miserable Arbeit und es spricht insgesamt nicht für die Recherche-Arbeit Voigts, einen derart öffentlich bekannten und diskutierten Vorfall so falsch wiederzugeben. Für eine korrekte Darstellung hätte es hier keiner Insider- oder Szenekenntnisse bedurft.
Weitere Fehler oder zumindest bewusst falsch eingesetzte Suggestionen treten bei den gezeigten Spruchbändern auf. Das herausgestellte Spruchband mit der Aufschrift „Wenn wir wollen, kriegen wir alles rein" von den Jubos ist durchaus diskutabel und kritikwürdig, hatte aber überhaupt keinen Derbybezug, wie er vom sogenannten Journalisten Christof Voigt suggeriert wird. Dabei bezog sich die Gruppierung auf die allgemeine Kontrolle und Zensur von kritischen Spruchbändern, was ebenfalls frei zugänglich bereits bei den Ruhr Nachrichten nachzulesen war, die offenbar im Gegensatz zu Christof Voigt zur Recherche bereit waren.
Eine Grenze wird überschritten
Bei all diesen Unsauberkeiten lässt sich noch im Fall der Fälle damit argumentieren, dass es sich lediglich um schlampige Arbeit eines Fernsehteams handelte. Auch der um Aufmerksamkeit beinahe schon kreischende Tonfall einer Bürgerkriegsberichterstattung wäre notfalls noch zu verschmerzen gewesen. Eine Grenze wird jedoch dann überschritten, wo einzelne Personen gezielt und ohne erkennbaren Grund diskreditiert werden.
Im Verlauf des Beitrags setzt sich Christof Voigt mit einem Mal nämlich mit Jan-Henrik Gruszecki („Janni") auseinander: Dem Sprecher der 12:12-Kampagne und bekannten Gesicht der Dortmunder Fangemeinschaft, der vor einigen Jahren zeitweise auch unserem Redaktionsteam angehörte, wird mit völlig aus dem Zusammenhang gerissenen Zitaten eine Verharmlosung und Rechtfertigung von Gewalt in den Mund gelegt. Zusammen mit geschickt eingestreuten Informationen über Janni erweckt der Beitrag dabei den Eindruck, Janni sei der große Pate im Hintergrund, ohne den vieles weniger schlimm wäre in Dortmund. Der Betroffene selbst kann sich diesen Angriff nicht erklären: „Ich habe keine Ahnung, warum man mich in den Fokus gerückt hat. Ich bin kein Gewalttäter und gehöre mit Sicherheit nicht zu denen, die eine Gewaltspirale drehen."
Doch Voigt weiß über den heutigen Journalisten zu berichten, dass dieser beim Verein „ein und aus" gehe und seinerzeit die Desperados mitgegründet habe. Beides ist nicht falsch, doch Voigt unterschlägt, dass der heute 29-jährige Janni bei der Gründung noch ein Teenager war, die Desperados von damals mit denen von heute fast nur noch den Namen gemeinsam haben und dass Janni tatsächlich bereits seit Jahren nicht mehr Mitglied der Gruppe ist. Vielmehr vermittelt er geschickt den Eindruck, Janni sei der Saubermann im Vordergrund, beim Verein mehr als wohlgelitten, in Wahrheit aber Strippenzieher und mindestens Mitverantwortlicher für aktuelle Fehlentwicklungen. Auch der Verein wird auf diese Weise mit dem Dreck bespritzt, den Voigt wirft.
Zitate werden sinnentstellt präsentiert
Besonders mies ist der Kontext, in den Christof Voigt Jannis Zitate setzt. Dieser war im Rahmen einer WDR-Podiumsdiskussion vom Voigt-Sender gebeten worden, als Fanvertreter aufzutreten und im Rahmen dieser Diskussion auch forsch zu diskutieren. Dass die auf diese Weise vom WDR erwünschten Zitate vom selben Sender dann an anderer Stelle derart sinnentstellt präsentiert werden, lässt schon mehr als einen schalen Geschmack übrig. Zumal sie inhaltlich nicht falsch sind: Tatsächlich ist Gewalt, das bestätigte auch NRW-Innenminister Jäger auf derselben Veranstaltung, ein gesamtgesellschaftliches Problem, das leider Woche für Woche auch in Diskotheken und Clubs zu beobachten ist. Und natürlich sind demolierte und zerstörte Bahnen kein originäres Merkmal für Ultragruppierungen. Nicht umsonst sahen sich die Dortmunder Stadtwerke vor gar nicht so langer Zeit zu einer großen Kampagne veranlasst, weil sich immer wieder rotzevolle Borussen daneben benahmen und Stadtbahn-Wagen beschädigten. Nicht alles, was schlecht läuft, ist aber gleich ultra.
Einen schwachen Trost gibt es für Janni noch: „Gleich mehrere mir bekannte WDR-Journalisten haben sich direkt nach dem Bericht bei mir gemeldet und sich von dem Beitrag distanziert."
„Das ist jetzt erstmal in der Welt und ich muss zusehen, wie ich damit klarkomme"
Ungeschehen macht jedoch auch das den noch immer in der Mediathek des WDR abrufbaren Bericht nicht. „Das ist jetzt erstmal in der Welt und ich muss zusehen, wie ich damit klarkomme", so Janni, der als Journalist und Filmemacher wenig Verständnis für das Vorgehen von Voigt und Lefeber hat, die ihn in dieses Licht gerückt haben. Und das ist umso weniger verständlich, da Janni tatsächlich eine wirklich wichtige Figur in der BVB-Welt darstellt. Weitgehend unabhängig findet er wie kaum ein anderer Gehör in den unterschiedlichsten Kreisen: von der Vereinsführung bis zur Ultraszene.
Auch wir bei schwatzgelb.de kennen Janni inzwischen seit fast 15 Jahren gut. Wir schätzen seine jahrelangen Verdienste und seine Bemühungen rund um den BVB und seine Fans. Nicht ohne Grund unterstützen wir das von Janni angestoßene Filmprojekt „Franz Jacobi" und arbeiten seit Jahren vertrauensvoll mehr oder weniger eng mit ihm zusammen. Dies wäre anders, wenn auch nur ein Bruchteil des von Reiner Lefeber und Christof Voigt erweckten Eindrucks zuträfe. Doch über die durch diesen widerlich-diskreditierenden Beitrag gestreuten Zweifel ist Janni aus unserer Sicht sehr deutlich erhaben.
Vielleicht hätten die Autoren ja gerne ein paar Wölfe in der Doku gehabt, fanden aber nur Schafe wie Janni. Also wurde notgedrungen eines der Schafe genommen und dessen Verhalten so sinnentstellend dargestellt, dass es wie das eines Wolfes aussehen muss. Andere Erklärungen finden wir momentan nicht.
Selbstverständlich haben wir als Redaktion aber unsererseits versucht, Kontakt zu Christof Voigt aufzunehmen, um ihn zu den inhaltlichen Fehlern und insbesondere der persönlichen Diffamierung Jan-Henrik Gruszeckis zu sprechen. Leider verweigert sich Voigt diesem Ansinnen bis jetzt, was umso kurioser wirkt, wenn man bedenkt, wie Medienvertreter sich häufig lauthals darüber beklagen, dass aus der aktiven Fanszene niemand mit ihnen sprechen mag. Es bleibt zu hoffen, dass dies vorerst der letzte Beitrag Voigts zu dieser Thematik bleibt und er sich zukünftig wieder mit dem Salafismus auseinandersetzt. Auch diesem Thema allerdings wird man mit derart zweifelhaften Methoden wohl kaum gerecht.
Redaktion, 27.03.2014