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Sicherheit im Stadion: Frankreich: Plus les bienvenus

01.09.2014, 22:36 Uhr von:  Redaktion

Ende des Jahres 2012 wurde im deutschen Fußball das Papier "Sicheres Stadionerlebnis" verabschiedet. Doch wie sieht es in unseren Nachbarländern aus? Unsere Serie beschäftigte sich bereits mit den Verhältnissen in Österreich der Türkei, Schweden, der Schweiz, Belgien, Italien und in den Niederlanden. Heute schauen wir auf die Situation in Frankreich.

Etwas, das man in Frankreich nicht mehr sieht (AC Milan – OM, 2009)Der Tod der Ultrabewegung in Paris und vielleicht auch der Mangel an Nachwuchs in den großen Ultragruppen während andere die Entscheidung trafen sich selbst aufzulösen sind ein paar Erklärungen für die abnehmende Verrücktheit auf den Tribünen und die zunehmend klinische Atmosphäre. Vor einigen Jahren konnte man in französischen Stadien sehr oft Bengalos sehen und auch Rauchbomben, Spruchbänder gegen den Gegner und Choreos. Zu sagen, dass dies nicht mehr häufig vorkommt, wäre eine Untertreibung. Die Erhöhung der Ticketpreise spielt darin eine Rolle, speziell in Paris wo man mindestens €35 für den Gästeblock zahlen muss (sogar noch mehr, wenn man Fan eines großen Teams ist). Auch Lille hat kürzlich die Preise erhöht, weil sie ein neues Stadion gebaut haben. Es gab eine Zeit, in der alle Klubs sich auf einen einzigen Preis für Auswärtskarten geeinigt hatten, der lag bei €8 (teilweise sogar €5). Diese Zeiten sind lange vorbei.

Mehr und mehr Repressionen

Die Einschränkungen sind unterschiedlich, je nachdem wohin man geht und wer man ist. In großen Spielen werden Fans einige Kilometer vor der Stadt in der das Spiel gespielt wird in Empfang genommen (zum Beispiel wenn Marseille Fans nach Saint-Etienne oder Paris reisen). Es kann auch sein, dass aufgrund eines neuen Stadions neue Regeln gelten, wie beispielsweise in Lille, wo man nicht mehr alles ins Stadion nehmen darf und mit dem Dilemma konfrontiert werden kann, entweder eine Trommel oder ein Megafon mitnehmen zu können. Auch muss man in der Umgebung des Stadions bleiben und darf nicht mehr in die Stadt. In Spielen die nicht als Risikospiel eingestuft werden, darf man in die Stadt gehen.

Auch in den unteren Ligen ist man als Fan frei, es sei denn es ist Derby oder ein großes Spiel. Ultragruppen in den Amateurligen genießen die Freiheit des Basisfußballs: Dörfer, Plätze ohne Tribüne, die Möglichkeit ein Bier zu trinken und zu sehen wie die Zuschauer erstaunt sind über die Atmosphäre die sie nicht kennen. Ultragruppen haben ihren Spaß auf verschiedene Weise, je nach Team das sie unterstützen. Größere Teams finden es in verbalen (und manchmal auch physischen) Rivalitäten, während die Teams aus den unteren Ligen andere Wege finden. Darum wird der französische Pokal besonders geschätzt von den Fans: es ist die Möglichkeit für große Gruppen Fans in kleine Dörfer zu kommen wohin sie normal nie gehen würden und kleine Clubs können große Stadien und Spannung entdecken.

Die Autoritäten im Fußball scheinen nur an Repressionen zu glauben. Es gibt wenig Raum für Dialog. In ihren Augen ist Fußball ein Kommerzgut und Fans sind Konsumenten, sie erwarten von ihnen keinen Protest in irgendeiner Weise. Sie erwarten von Fußballfans nur, für ihr Ticket zu zahlen und die Show zu genießen, Ende der Geschichte. Der Unterschied liegt also in der Wahrnehmung von Fußball: Konsumgut für die einen, die Fans nur als Kunden sehen und für die andern Zuschauer als Teil des Vereinslebens, die nicht nur ein Fußballspiel schauen. Der Graben scheint unmöglich zu überbrücken. Aber vielleicht wurde in den vergangenen Monaten ein Dialog gestartet. Zuerst entstand ein National Supporters Council aus einer Konferenz im Senat. Dieses Council fokussiert sich auf die Integration von Fußballfans in die Autoritäten und die Entwicklung von Fanbelangen. Dazu haben viele Ultragruppen einen öffentlichen Brief an den Minister von Sport und ihren Staatssekretär geschrieben, in dem die Wichtigkeit des Dialoges mit den Fans herausgestrichen wurde.

Die Beziehung zwischen den Fans und der Polizei ist auch angespannt und es scheint dass der Punkt an dem es kein Zurück mehr gibt erreicht ist. Man sieht oft, dass sich beide Seiten gegenüber stehen. Und das nicht nur in den großen Fangruppen (Marseille, Saint-Etienne und Paris), auch alle anderen Fans in jeder Liga in Frankreich haben Probleme mit der Polizei. Es gab letzten Februar große Probleme während einem Spiel zwischen Nîmes und Le Havre im Stade Océane (Le Havre). Nach dem Schlusspfiff griff die Polizei an, als die Fans von Nîmes das Stadion verließen. Die Zuschauer waren aufgeregt wegen der Euphorie die das Spiel und die Fahrt generiert hat, aber diese Aufgeregtheit verlangte nicht ein solch heftiges Eingreifen der Polizei. Die Staatskraft gebrauchte ihre Schlagstöcke vehement gegen die Ultragruppe „Gladiators" von Nîmes, aber auch gegen Familien. 14jährige Teenager wurden verletzt, zwei Ultras wurden KO geschlagen und einem anderen wurde sein Arm gebrochen. Sechs Monate später kann er deswegen noch immer nicht wieder arbeiten. Diese Art von Problemen gab es in den vergangenen Jahren oft genug und letzte Saison hat es noch zugenommen. Sicherlich sind die Fans teilweise der Auslöser der Gewalt, aber das Problem ist: für die Medien, die Autoritäten und daher unausweichlich die öffentliche Wahrnehmung, sind die Fans immer die Ursache des Problems. Die Polizei hinterfragt sich und ihre Methoden gegenüber den Fans nicht und sie werden immer beschützt, egal was passiert. Es gibt eine echte Dämonisierung der Fußballfans und eine Schwarz-Weiß-Sicht auf die Dinge. Offensichtlich ist das Ganze aber komplexer und die Verantwortung sollte öfter geteilt werden als auferlegt.

Das französische Hillsborough

Um die heutige Absenz des Dialogs zwischen den Fans und den Autoritäten zu betonen, gibt es eine no-tolerance Politik gegenüber Pyrotechnik. Außer den Bußen für die Clubs gibt es ein Stadionverbot und eine Buße für jeden, der beim Abfeuern eines Bengalos erwischt wird. Sogar das Verbot der ganzen Gruppe dieses Fans ist möglich. Fans haben oft um Nachsicht für Bengalos gefragt, aber es gab bisher keine Antwort darauf. Spezielle und abgesicherte Zonen (so wie in Skandinavien), wo man Pyro gebrauchen kann wurden vorgeschlagen, aber bisher ohne Antwort. Bengalos sind das Symbol des Ungehorsams der Fans und die Autoritäten tendieren dazu keinesfalls ihr Gesicht verlieren zu wollen. Daher wird der Gebrauch von Pyros legal als Hooliganismus eingestuft und auf eine Stufe gestellt mit der Anwendung von Gewalt und ist der Hauptgrund für Stadionverbote.

Im französischen Fußball gibt es Gewalt. Es ist schwer dabei eine einzige Art von Gewalt anzugeben aufgrund der Kulturunterschiede im Land. Je nach Ort und Klub und der Art der Unterstützung kann die Gewalt unterschiedlich sein. Die Ultrabewegung ist stark eingebürgert, vor allem im Süden von Frankreich in Städten wie Nizza, Marseille, Montpellier, Bordeaux und selbst Toulon in den unteren Ligen und die Gewalt von dieser Bewegung ist nicht immer organisiert. Auch wenn es die Ultrabewegung im ganzen Land gibt, so gibt es Plätze wo die Gewalt mehr in der „casual" Bewegung zu finden ist, wie beispielsweise in Nancy, Lille oder Paris. Beide Arten der Bewegung sind zu finden in Clubs wie Nantes, Saint-Etienne oder Lyon. Aber es gibt ein Stück weniger Geplänkel und Kämpfe als früher, wobei der Wendepunkt 2010 war, ein Spiel zwischen PSG und Marseille in Paris, als ein Pariser Fan von den eigenen Fans getötet wurde in einem verborgenen Konflikt. Das war das Todesurteil für die Ultrabewegung in Paris und die Repressionen wurden seither verschärft, nicht nur in Paris, sondern im ganzen Land. In gewisser Weise war das unser Hillsborough, weil es der Anfang von extremen Maßnahmen in Frankreich war, ein wenig wie in England 1989 nach dem Hillsborough Drama. Es gibt keine Ultragruppen mehr in Paris. Aber auch wenn es weniger und weniger Hooligankämpfe gibt in Frankreich, zögern manche Hooligans nicht die Grenze zu überqueren um etwas „Spaß" zu haben, insbesondere solche die Nahe an Belgien oder Deutschland leben.

Zum Schluss noch ein Wort über die normalen Fußballfans, die weder Ultras noch VIPs sind. Sie werden kaum jemals attackiert und die seltenen Fällen, in denen dies geschah, sind lange her. Frankreich ist ein sehr sicheres Land wenn es um Fußball geht und sie können sicherlich ins Stadion ohne Probleme. Es gibt genug Polizei um die Sicherheit von allen zu garantieren und sie können das Spiel genießen. Sie werden aber in der gleichen Weise behandelt und eingesperrt auf Auswärtsfahrten, wenn auch vielleicht mit etwas weniger Vehemenz seitens der Autoritäten. In unserem Land liegt der Unterschied zwischen einem großen Spiel und einem normalen Spiel sicherlich in der Zahl der Polizisten und wie bereit diese sind beim ersten Funkenschlag einzugreifen. Ob ein Spiel als Hochrisikospiel eingestuft wird ist dabei stets weniger wichtig. Ein Spiel von PSG, zum Beispiel, wird seit 2010 immer als Hochrisikospiel eingestuft. Zudem scheinen die Autoritäten die ultimative Waffe gefunden zu haben indem sie Auswärtsfans für einige Spiele verbieten in und um das Stadion in dem das Spiel stattfindet. Das wurde genehmigt durch einen präfektualen Befehl und ist ein ziemliches Problem was die Freiheit von Personen angeht. In dieser Saison wurden die Spiele zwischen Lyon und Saint-Etienne, Nizza und Bastia und Metz und Nancy ohne Auswärtsfans ausgetragen. Sollte es in dieser Weise weitergehen wird es aus Fansicht bald keine interessanten Spiele mehr geben. Der französische Fußball ist an einem Wendepunkt, an dem Fans und Ultras nicht mehr willkommen sind.

Über die Autoren: Verrückt nach Fußball seit der Kindheit und mindestens ein Fan fürs Leben, bin ich, Luca, 15 Jahre lang Teil einer Ultragruppe gewesen. Ich habe auch einige Jahre in Großbritannien gelebt, welches eine meiner liebsten Fanszenen ist. Auch Guillaume, ein sehr aktiver Nîmes-Fan, hat einen großen Teil zu diesem Artikel beigetragen. Er war 10 Jahre lang Teil der Ultragruppe seines Zweitligavereins.

Lucas & Guillaume, 21.08.2014

kha, 01.09.2014

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