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Sicherheit im Stadion: Belgien - Ein Rückgang der Gewalt

31.07.2014, 10:19 Uhr von:  Simon Gastautor
Sicherheit im Stadion: Belgien - Ein Rückgang der Gewalt

Ende des Jahres 2012 wurde im deutschen Fußball das Papier "Sicheres Stadionerlebnis" verabschiedet. Doch wie sieht es in unseren Nachbarländern aus? Unsere Serie beschäftigte sich bereits mit den Verhältnissen in Österreich, der Türkei, Schweden und der Schweiz. Heute nehmen wir Belgien genauer unter die Lupe.

Das Jan-Breydel-Stadion, Heimstätte des Traditionsvereins Club Brugge
Das Jan-Breydel-Stadion, Heimstätte des Traditionsvereins Club Brugge

Fußball in Belgien. Da haben wir BVB-Fans eigentlich nicht so schöne Erinnerungen im Kopf. Das fing schon 1987 mit der 5:0 Niederlage in Brügge an, wurde später noch mal wiederholt mit dem peinlichen Ausscheiden in der Champions League-Saison 2003 und fand das bisherige Ende bei den Intertoto Cup-Spielen gegen Genk, an die man auch nicht allzu gerne zurückdenkt. Ansonsten ist das Niveau des geliebten Ballsports hier in Belgien trotz des Aufschwungs, den wir aktuell mit unseren „Rode Duivels“ (Belgiens Nationalmannschaft) erleben, aber eher bescheiden. Was passiert aber abseits des Platzes so im Land von Bier und Pommes? Wie sieht es mit der Sicherheit aus, in und außerhalb der Stadien und welche Probleme haben die Fans mit Vereinen und der Polizei? Ein Überblick.

Fühle ich mich sicher?

Antwerpen, Anderlecht, Brügge und Standard Lüttich. Da haben sich in den 80er und 90er Jahren die harten Kerne dieser Vereine schon die ein oder andere Schlacht geliefert. Wie fast überall in Europa gab es damals teilweise heftige Probleme bei den meisten dieser Spiele. Und wie in den anderen Ländern auch, hat die Regierung versucht das Problem zu lösen. Und das mit Erfolg. Seit ca. 10-15 Jahren hat sich viel geändert hier in Belgien. Randale gibt es nur noch ganz selten und rund um die Spiele ist fast nichts mehr los.

Hauptgrund dafür ist an erster Stelle das Einführen der „Fancard“ im Jahr 1999. Jeder Fußballfan brauchte ab diesem Zeitpunkt eine solche personalisierte Karte, um überhaupt noch ins Stadion gehen zu können. Wenn man diese nicht hatte und sich abends einfach entschied, mal zu einem Spiel zu fahren – Fehlanzeige. Zum Glück ist die Karte 2004 wieder abgeschafft worden, aber vieles war da in der Fanszene schon zerstört worden.

Mit rund 50.000 Sitzplätzen belgiens größtes Stadion, das König-Baudouin-Stadion
Mit rund 50.000 Sitzplätzen belgiens größtes Stadion, das König-Baudouin-Stadion

Dazu kamen auch noch die sogenannten „Kombifahrten“, bei denen Fans bestimmter Vereine (u.a. Anderlecht, Brügge, Standard, Genk und Antwerpen) zu einigen Spielen nur zusammen mit einer Buskombination fahren können. Die gibt es leider immer noch! Was das genau bedeutet? Ich wohne z. B. 10 km von Lokeren entfernt. Wäre ich jetzt Anderlecht-Fan und möchte das Spiel Lokeren gegen Anderlecht besuchen, müsste ich also erst mal die 50 km nach Brüssel fahren, um dann zusammen mit dem Bus wieder an meiner Wohnung vorbei nach Lokeren zurückzufahren.

Mit Inkrafttreten dieser beiden Systeme hat sich also viel geändert in der belgischen Fanszene. Es gibt zwar vereinzelt noch Ausschreitungen, aber selten und dann doch eher abgesprochene Sachen weit weg vom Stadion. Ein weiterer Grund für den Rückgang der Gewalt ist, dass zwei der größten Hooliganszenen nicht mehr erstklassig spielen. Antwerpen spielt in der 2. Liga und Beerschot muss wegen Zwangsabstieg nächste Saison sogar in der 4. Liga ran. Und wo es im eigenen Land meistens ziemlich ruhig bleibt, nutzen die größeren Hooliganszenen gerne mal eine europäische Fahrt, um aktiv zu werden. So kommt es bei den meisten Anderlecht-Spielen in der Champions League oder der Europa League öfter zu Randale.

Mündige Fans und Play-Off-Spiele

Wurden diese Maßnahmen früher leider von den meisten, noch nicht so gut organisierten Fanszenen einfach so hingenommen, sind die Leute heute zum Glück viel kritischer geworden. Es gibt seit einigen Jahren eine ultra-ähnliche Szene in Belgien und man merkt schon den Unterschied. Was jetzt des Öfteren schon mal passiert und eigentlich neu ist, sind die (manchmal auch vehementen) Proteste gegen den eigenen Verein. Im letzten Sommer gab es bei Standard z. B. massiven Protest gegen den Eigentümer Duchâtelet, der seit Anfang des Jahres auch Investor bei Carl Zeiss Jena ist. In Anderlecht und Brügge wurden die Trainingsplätze gestürmt und in Genk gab es Proteste gegen den Vorstand.

Auf dem Marktplatz von Antwerpen: Protest von Antwerp-Fans gegen den Vorstand
Auf dem Marktplatz von Antwerpen: Protest von Antwerp-Fans gegen den Vorstand

Das zeigt schon, dass die Fans nicht mehr alles so hinnehmen wie früher. Da gibt es schon Parallelen zu anderen Ländern. Die Fans schließen sich z. B. auch bei Protesten gegen den KBVB (das belgische Pendant zum DFB) zusammen. So sah man bei jedem Spiel der letzten Play-Off's Plakate, um dieses System endlich wieder abzuschaffen. Leider bisher ohne Erfolg.

Apropos Play-Offs. Um die Absurdität dieses Systems zu zeigen, versuche ich mal kurz zu erklären, wie das in Belgien genau funktioniert. Und unter uns, wer sich das ausgedacht hat, muss schon einige leckere belgische Biere hinter sich gehabt haben. Ansonsten gibt es keine Erklärung dafür. Aktuell gibt es nach der regulären Saison insgesamt drei Play-Off-Wettbewerbe in der 1. Division. In der 1. Play-Off-Runde spielen die Top 6-Mannschaften gegeneinander um die Meisterschaft. Der letzte Platz im Europapokal wird in der 2. Play-Off-Runde vergeben. Hier treffen in zwei Gruppen die Mannschaften von den Plätzen 7 bis 14 aufeinander. Und in der 3. Play-Off-Runde spielen dann die beiden letzten Teams der Liga gegeneinander. Hier wird in einem Best-of-Three-Modus gespielt. Also möglicherweise fünf Spiele in fast zwei Wochen. Der Gewinner aus diesen Partien muss danach dann auch noch in einer Relegation gegen den Zweiten, Dritten und Vierten der 2. Liga ran. Der Verlierer steigt direkt ab.

So ist es z. B. möglich, dass ein Verein, der im normalen Ligabetrieb erst 13. war, doch noch im nächsten Jahr in Europa spielen kann. Dafür müsste er allerdings die 2. Play-Off-Runde gewinnen. Das heißt, gewinnt er zuerst einmal z. B. seine Gruppe A, spielt er dann in Hin- und Rückspiel gegen den Gewinner der Gruppe B. Weiter geht es danach für den Gewinner aus dieser Partie, ebenfalls in Hin- und Rückspiel im Finale gegen den 4. der 1. Play-Off-Runde. In der 1. Play-Off-Runde werden übrigens die Punkte halbiert, was bedeutet, dass eine Mannschaft, die in der Liga zehn Punkte Vorsprung hatte, jetzt nur noch fünf hat und so auch noch ganz einfach die Meisterschaft verspielen kann. Könnt Ihr noch folgen?

Zuschauerzahlen und Ticketpreise

Nicht unumstritten, das Kehrwegstadion in Eupen. Heimstätte des KAS Eupen
Nicht unumstritten, das Kehrwegstadion in Eupen. Heimstätte des KAS Eupen

Die Zuschauerzahlen sinken dann auch merklich in diesen Play-Off-Spielen (PO) und das, obwohl es dieses Jahr in der 1. Play-Off-Runde so spannend ist. Billig wird es für die Fans übrigens auch nicht. Nach den 15 Liga-Heimspielen kommen noch mal mindestens fünf PO-Spiele dazu. Und weil es in der ersten Runde meistens Topspiele gibt, verlangen die meisten Vereine auch noch ordentlich Geld dafür.

So kam es z. B. in der Saison 2013/14 dazu, dass das absolute Topspiel zwischen Anderlecht und Brügge das erste mal, seit ich Fußballfan bin, nicht ausverkauft war. Und das bei einem Fassungsvermögen von nur 25.000 Zuschauern. Auch in der Champions League war kein einziges Spiel vom RSC Anderlecht ausverkauft. Allerdings wird da auch mal locker ein Preis ab 55 € für ein Gruppenspiel aufgerufen und so staunen hier alle nicht schlecht, wenn ich den Preis meiner DK in Dortmund zeige. So kommt es auch, dass einige Spiele in Belgien durchaus mit Erfolg von den jeweiligen Szenen boykottiert wurden.

Die Preise sind hier allerdings allgemein viel zu hoch, vor allem auch für den Fußball, den man zu sehen bekommt. Denn die Hazards und Lukakus, die es heute gibt, spielen alle ausnahmslos im Ausland. Junge Talente gehen leider immer öfter schon sehr früh ins Ausland, so dass es hier sehr viele ausländische Spieler zu sehen gibt, was wiederum auch nicht gerade hilft, die Zuschauer in die Stadien zu locken.

Und was die Stadien betrifft: Nur der KAA Gent verfügt mit der „Ghelamco-Arena“ über eine neue und moderne Spielstätte. Ansonsten gibt es doch schon sehr marode Stadien hier in Belgien. Man kann drüber diskutieren, ob das eine schöne Entwicklung ist oder nicht, aber das bleibt natürlich Geschmackssache. Es sind zwar einige neue Stadien geplant, aber das dauert Jahre, bevor da irgendwas entschieden wird, was auch des Öfteren mit der etwas komplexeren politischen Situation hier in Belgien zusammen hängt. Aber ob marode oder nicht, auf jeden Fall gibt es jetzt auch überall Kameras in den Stadien. Und da wird schon sehr schnell und hart bestraft, sowohl die Fans als auch die Vereine. So z. B. auch beim Spiel Standard gegen Anderlecht in der Saison 2012, wo es wieder mal große Fanproteste gab, bei denen die ganze Zeit Böller und Bengalos auf den Platz geflogen sind.

Polizei: ACAB?

Choreo von Standard-Ultras PHK (Publik Hysterik Kaos) beim Spiel Lüttich - Gent
Choreo von Standard-Ultras PHK (Publik Hysterik Kaos) beim Spiel Lüttich - Gent
Zu beobachten ist, dass die Anwesenheit der Polizei in der Nähe der Stadien schon sehr stark zurückgegangen ist, wenn man das mit den 90er Jahren vergleicht. Es gibt natürlich immer noch brisante Spiele, aber im Stadion selbst gibt es fast nur noch „Stewards“, die nur im Fall von Problemen die Polizei dazurufen. Und auch außerhalb sind die Fans so getrennt (siehe oben bzgl. Kombifahrten), dass es sehr schwierig geworden ist, mit gegnerischen Anhängern in Kontakt zu kommen. Wo in Dortmund alles durcheinander läuft, man mal vor dem Spiel zusammen ein Bierchen trinken kann, das gibt es in Belgien überhaupt nicht. Und das, obwohl die Hooliganszene bei den meisten, vor allem kleineren Vereinen fast so gut wie verschwunden ist.


Das alles hat logischerweise auch dazu beigetragen, dass es einfach viel weniger Polizei bei den Fußballspielen gibt. Ausnahmen gibt es natürlich immer. Ansonsten glaube ich, dass sich das Verhältnis zwischen Fans und Polizei eigentlich nicht so groß unterscheidet von dem in Deutschland: geliebt sind die ja nicht.

Als Fazit könnte man insgesamt sagen, dass alles, was ich bis jetzt geschrieben habe, natürlich auch einen Einfluss auf die Stimmung gehabt hat. Es gibt Ausnahmen, aber meistens ist es schon sehr enttäuschend, was die Stimmung in vielen Stadien in Belgien angeht. Es gibt wie gesagt in den letzten Jahren aber auch das Aufkommen der Ultra-Szene und damit verbessert sich das mit der Stimmung auch hier in Belgien ein wenig. Es gibt sogar immer öfter mal schöne Choreographien zu sehen. Also wollen wir mal hoffen, was die Zukunft betrifft.

Der Autor: Frederik Michiels ist 36 Jahre alt und kommt aus der Nähe von Lokeren. Er begleitet den BVB seit 1996 und gilt als Gründer des belgischen BVB-Fanclubs "BVB Süd-Winners".

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