Endstation Rio!
Nach dem ordentlichen, aber nicht wirklich überzeugenden Sieg im letzten Gruppenspiel der deutschen Mannschaft gegen die USA, traten wir die Reise in den Süden des Landes an. Über ein paar Ecken hatten wir einen Kontakt in Sao Paulo, der uns anbot, für einige Tage in seinem Haus übernachten zu können. Ein zusätzliches Ticket für das dortige Achtelfinale war im Vorfeld schnell besorgt und so freuten sich alle auf ein paar schöne Tage.
Die Kontaktaufnahme gestaltete sich bereits vor unserer Reise nach Brasilien recht schwierig. Nach unserer Landung in Sao Paulo benötigten wir dann auch einige Anrufe, bevor wir den jungen Mann am Telefon hatten. Treffpunkt sollte eine Mall sein. Die Adresse sollte gleich per SMS kommen und wir sollten schon mal ein Taxi suchen. Danach sollten wir uns nochmal melden, damit er dem Taxi-Fahrer genau sagen kann wo es denn hin geht. Das Taxi war schnell gefunden, nur ging leider niemand mehr ans Telefon. Auf eine SMS warteten wir vergeblich. Bei der nun anstehenden Hotelsuche hatten wir Glück im Unglück und konnten zu einem sehr günstigen Kurs ein sehr schönes Hotel bekommen.
Wenig Schönes in Sao Paulo
Aus dem Flugzeug bot sich ein beeindruckendes Bild von Sao Paulo: Ein Meer aus Häusern bis zum Horizont. Mit dem Taxi brauchten wir fast eine Stunde bis zu unserer neuen Bleibe in der Nähe des Zentrums. Dabei gab es nicht mal sehr viele Staus und die Straßenverhältnisse waren deutlich besser als noch in Recife oder Fortaleza.
Am nächsten Tag stand dann das Spiel der Brasilianer gegen die Chilenen auf dem Programm. Wir hatten beschlossen, dieses auf dem FanFest in der Altstadt Sao Paulos zu schauen. Diese Dinger sehen wohl überall ähnlich aus: Ein paar Zugänge mit Kontrollen, einige Sponsorenstände, Imbissstände, Getränkebuden mit dem Sponsorengesöff und irgendwo am Rand eine Batterie Dixies. Nach dem grenzenlosen Jubel über das 1:0 und der Ernüchterung nach dem 1:1 war die Stimmung ziemlich angespannt und ruhig. Fast alle starrten gebannt auf den Bildschirm. Lediglich die vielen Mittelfinger bei der Auswechslung von Fred ließen uns doch ein wenig erstaunen. Nach dem Einzug ins Viertelfinale kannte der Jubel keine Grenzen, war dann nach einigen Minuten aber auch schnell wieder verstummt und der Platz leerte sich schnell.
Schon auf dem Weg zum FanFest fielen uns viele Obdachlose auf, die auf Treppen saßen oder auch einfach mit einer Decke auf dem Steinboden schliefen. Einen Tag später (am Sonntag) machten wir uns erneut in die Altstadt auf. Da alle Geschäfte geschlossen waren, hielt sich hier kaum jemand auf. Viele Polizeistreifen und fast noch mehr Obdachlose begegneten uns. Vieles wirkte heruntergekommen und gespenstisch.
Neben der Avendia Paulista, die einen Tag später besucht wurde, konnten wir hier nicht viele Sehenswürdigkeiten ausmachen. Bei unserem täglichen Weg in die Stadt mussten wir oft an Metro-Stationen direkt neben dem Fluss Pinheiros ein-, aus- und umsteigen. Zu jeder Zeit lag hier ein ordentlicher Fäkaliengeruch in der Luft. Zudem waren die Zugänge zu den Bahngleisen auch vielfach zu klein bemessen, so dass sich hier meist die Menschenmassen stauten. Insgesamt hinterließ Sao Paulo nicht den besten Eindruck bei uns.
Kurztrip nach Porto Alegre
Für einen Kurztrip ging es zunächst nach Porto Alegre. Hier musste bei Temperaturen knapp über 10°C zum ersten Mal die mitgebrachte Jacke ausgepackt werden. Zunächst statteten wir dem deutschen Treffpunkt im Zentrum von Porto Alegre einen Besuch ab. Oft wird von den Fanbetreuern des DFB ein zentraler Ort bekannt gegeben, an dem sich alle deutschen Fans treffen können. Hier stehen dann auch immer einige hilfsbereite Betreuer des DFB mit Rat und Tat zur Seite. Unter anderem wird auch das DFB-Fanzine "Helmut" mit einigen Infos zur Stadt und zum Spiel verteilt. Einige Blaskapellen mit in Lederhosen gekleideter Menschen ließen uns aber schnell das Weite suchen.
Unsere Unterkunft hatten wir hier über Couch-Surfing gefunden. So kamen wir bei Alex, einem Englisch-Lehrer in den Dreißigern, in seiner 3,5 Zimmer Wohnung unter. Vermutlich hatte er wohl jedem beliebigen Übernachtungswilligen zugesagt, so dass sich hier am Ende über 10 Gäste einfanden. Mit einer lustigen Truppe aus Brasilianern, Indonesiern, US-Amerikanern und einigen Deutschen ging es dann los zum Stadion. Dieses Mal konnte der Weg komplett zu Fuß zurückgelegt werden. Entlang der Straße waren immer wieder kleinere und größere Grillstände und viele Getränkeverkäufer zu finden. So wurde das schlechte Wetter schnell weggetrunken.
Am Stadion wurden wir dann zum ersten Mal von langen Schlangen an den Eingängen überrascht. Trotzdem ging es recht zügig voran, da auch hier auf intensive Kontrollen verzichtet wurde. Der letztlich verdiente aber wieder nicht überzeugende Sieg wurde mit unserem Gastgeber und einigen anderen Fans nach dem Spiel noch einmal durchdiskutiert. Viel Zeit hatten wir leider nicht, da am nächsten Tag um 13 Uhr bereits das Duell Argentinien gegen die Schweiz auf uns wartete.
Argentinien in Sao Paulo
Auch unser letzter Inlandsflug brachte uns etwas übermüdet aber pünktlich zurück nach Sao Paulo. Vor dem Stadion standen bereits tausende Argentinier ohne Karte und drinnen viele glückliche Karteninhaber. Von der Stimmung war es das bisher beste Spiel in einem wirklichen Hexenkessel. Dies lag vermutlich auch daran, dass wir inmitten einer Gruppe von Argentiniern direkt am Spielfeldrand standen und saßen. Freie Plätze gab es hier keine. Meinen Sitzplatz teilte ich mir mit einem Argentinier, der wohl etwas näher dran sein wollte. In der Verlängerung kippte die Stimmung etwas. Die Argentinier verstummten und einige Brasilianer stimmten Schmähgesänge an. Als dann doch noch das Tor in der letzten Sekunde der Verlängerung fiel, war dies vorbei und für die argentinischen Fans gab es kein Halten mehr. Noch mehr als 60 Minuten nach Spielende standen wir im Block inmitten feiernder Argentinier.
Schon der Weg zum Stadion war sehr eng und man kam nur zögerlich voran. Das gleiche Bild bot sich beim Verlassen des Stadions. Über eine lange Brücke mussten wir zu U-Bahn. Hier ging es, wenn überhaupt nur im Schritttempo voran. Dies lag im Wesentlichen an der Ticketkontrolle für die U-Bahn am Ende. Während man sich in Rio de Janeiro dazu entschlossen hatte, allen Karteninhaber freie Fahrt zu gewähren, schaffe man hier ein zusätzliches Nadelöhr. So mussten auch wir uns erstmal in die Schlange an der Kasse einreihen um noch Tickets zu besorgen.
Per Nachtbus nach Rio
Nach nur einer Nacht in Sao Paulo ging es auch gleich mit dem Nachtbus weiter nach Rio de Janeiro zu unserer Endstation. Für 60€ wurden schnell Liegeplätze in einem Bus gebucht, der uns über Nacht quasi im Schlaf nach Rio bringen sollte. Dazu hatten wir über airbnb eine Unterkunft im von Freunden empfohlenen Künstlerviertel Lapa gebucht. Unsere Gastgeberin sprach zwar nur wenig Englisch, gab sich aber alle Mühe, uns ihr Viertel und ihre Stadt zu zeigen. Viele wertvolle Tipps machten das kleine Zimmer mehr als wett.
In Lapa waren wir mitten in der Party-Gegend von Rio direkt neben der Escadaria Selarón (Bild) gelandet. Jeden Abend standen und saßen hier hunderte von Menschen in den Bars oder auf den Straßen. Bei Livemusik verkauften Straßenhändler Caipirinha (0,7 Liter für 2,30 €) und Bier. Sightseeing Planungen mussten folgerichtig am nächsten Morgen um einige Stunden verschoben werden.
Am 4.7. war es dann so weit, das Ziel unserer Reise war erreicht. Auch wenn das Maracana wohl einiges an Flair durch die Umbauten der letzten Jahre verloren haben dürfte, so löst alleine der Name schon einiges an Kribbeln aus. Eines der Stadien, die man als hoppender Fußballfan wohl einmal im Leben gesehen haben sollte.
Viel Polizei am Maracana
Der Weg zum Stadion war durch viele Sicherheitskontrollen geprägt. Fünf Mal musste man die Karte an diversen Kontrollen im Abstand von nur wenigen Metern vorzeigen. Polizei und Militär standen an jeder Ecke mit kompletter Kampfmontur. Offensichtlich herrschte hier nach dem Sturm der Chilenen zu Beginn des Turniers Angst vor einem ähnlichen Vorfall. Getränkeverkäufer konnten dieses Mal nicht gesichtet werden, dafür aber einige deutsche Fans, die noch eine Karte suchten.
Zum Spiel gibt es nicht viel zu sagen. Die Stimmung war ok, aber nicht überragend. Das lag wohl auch daran, dass wir unsere Karten auf der französischen Seite hatten und grundsätzlich der Fananteil der beteiligten Mannschaften eher gering war. Lediglich Polizei und Ordner sorgten mal wieder für Aufsehen. Eine Gruppe von 20-30 Franzosen wollte das Spiel gerne im Stehen sehen. Ordner konnten sie auch nicht davon überzeugen, sich hinzusetzen. Eine Gruppe von 7 oder 8 Polizisten kam hinzu und wedelte schon am Anfang ordentlich mit den Schlagstöcken, allerdings nur in der Luft über den eigenen Köpfen. In einem kleinen Gemenge wurde dann auch zugeschlagen. Die Folge war eine Platzwunde am Kopf eines Franzosen. Daraufhin wurden die Polizisten anscheinend von einigen FIFA-Verantwortlichen wieder aus dem Block gebeten und die Franzosen blieben stehen. Allerdings nur für wenige Minuten, denn die dahinter sitzenden Leute machten nun ihrem Unmut Luft und konnten sich schlussendlich mit Worten durchsetzen.
Straßenfest und Dachparty
Nach dem Spiel war der Abtransport ins Zentrum gut geregelt. So waren wir schon ca. 45 Minuten vor dem Brasilien Spiel zurück in Lapa. Unsere Gastgeberin lud uns ein, auf eine Straßenparty mitzukommen. Vor einer engen Gasse mit leichtem Anstieg waren ein paar Leinwände aufgestellt und es drängten sich die Menschen. Neben ein paar Franzosen haben wir hier keine weiteren Ausländer gesehen. Fleisch vom Grill, Trauben mit Schokolade überzogen und einige weiteren lokalen Gebäcke gab es hier umsonst. Bei ausgelassener Stimmung feierten hier Jung und Alt gemeinsam den brasilianischen Sieg. Nach dem Schlusspfiff tanzten die Menschen weiter, während unsere Gastgeberin uns auf eine Dachparty mitnahm. Auf dem Weg dorthin musste uns jeder Brasilianer natürlich daran erinnern, dass wir als nächstes dran sind.
Von dem WM Aus von Brasilien Held Neymar erfuhren wir auf der Dachparty. Man schien jedoch nicht sehr geschockt zu sein. In einigen Diskussionen wurde der Respekt gegenüber der deutschen Mannschaft sehr deutlich. Bewundert wurde vor allem die mannschaftliche Geschlossenheit. In Brasilien gäbe es viele gute Einzelspieler, aber eben keine Mannschaft, die gut zusammenspielt. Trotzdem war man optimistisch. Uns wurde aber auch gesagt: Falls wir gewinnen sollten, dann müssten wir wenigstens dafür sorgen, dass nicht Argentinien Weltmeister wird. Für viele ist das ein absolutes Horrorszenario: Argentinien wird in Brasilien Weltmeister. Angesprochen auf die Proteste im Land, wurde unser Eindruck bestätigt. Während der WM gab es kaum noch Proteste. Nachdem das Turnier begonnen hatte, haben sich einfach alle auf den Fußball gefreut, war die Aussage.
Am letzten Tag unserer Reise gab es dann Sightseeing. So waren wir an einem Tag an der Christusstatue und auf dem Zuckerhut. Wer mal in Rio ist, sollte unbedingt den Sonnenuntergang auf dem Zuckerhut verfolgen und beobachten wie Rio in die Nacht eintaucht. Auf der Zwischenstation am Zuckerhut haben wir dann noch die Verlängerung und das Elfmeterschießen der Holländer verfolgen können und eine der letzten Seilbahnen nach unten genommen.
Nach 3,5 schönen Wochen heißt unsere Endstation nun Rio de Janeiro. Auch wenn wir das Finale hier nun nicht mehr miterleben dürfen, so überwiegt aber doch die Freude. Das Erlebte zu konservieren und zu verarbeiten wird wohl noch eine ganze Zeit dauern. Das wunderschöne Land, die herzlichen Menschen und die überall greifbare Lebensfreude haben uns begeistert. Alle logistischen Herausforderungen konnten gemeistert werden. Die Warnungen vor der hohen Kriminalität sind hier durchaus Ernst zu nehmen. Mit der nötigen Vorsicht haben wir aber auch hier keine brenzlige Situation erleben müssen.
Patrick & René, 10.07.2014