Mondiali Antirazzisti: Vielfalt ohne Grenzen
In der vergangenen Woche fand im italienischen Bosco Albergati die Mondiali Antirazzisti statt, ein buntes und unkommerzielles Fußballfestival gegen Diskriminierung jeglicher Art. Unter den rund tausend teilnehmen Fans war auch eine Gruppe aus Dortmund.
Fußball Weltmeisterschaft 2014, welcher Spieler würde schon eine Einladung, dort mitspielen zu dürfen, ablehnen? Da ich glücklicher war als der Kollege Schmelzer, dem zu den langweiligen Testkicks bei der falschen WM keine Einladung in den Briefkasten geflattert war, durfte ich also mitfahren. Obwohl die ersten Veranstaltungen bereits mittwochsabends begonnen hatten, machten wir uns arbeitnehmerfreundlich erst an jenem Tag gegen 22:00 Uhr auf den Weg in Richtung „Parco Di Bosco“. Wir erreichten den in der Nähe von Modena gelegenen Veranstaltungsort nach einer lustigen und zu später Stunde sehr verschlafenen Busfahrt in den Mittagsstunden am Donnerstag. Jedem, der Panoramafahrten genauso faszinierend findet wie ich, sei diese Reiseroute ans Herz gelegt. Mehrere Stunden durch die Schweizer Alpen, Sternenhimmel zum Anfassen und kristallklare Seen, in denen sich der Mond spiegelt, kann was!
Nach der Ankunft begrüßten wir kurz die bereits mit einem 9er angereisten Borussen und bauten höchstprofessionell unsere Zelte auf. Nachdem auch die Stühle und das Planschbecken standen, rüsteten wir uns mit unseren Outfits für die am Nachmittag stattfindenden Vorrundenspiele aus. Das weiße Ausweichtrikot traf bei vielen eher auf Ablehnung, ich finde aber alleine die Bereitstellung der Trikots von Borussia schon recht geil. So liefen wir nun also in den „Dortmunder Union“-Shirts auf und hatten daher immerhin unseren Teamnamen auf dem Trikot festgeschrieben.
Bereits als wir zu unserem Standplatz über das Gelände gelaufen waren, war uns der Zeltplatz der „Schalkis“ ins Auge gefallen. Ich bin wahrlich der letzte, der auf einer Veranstaltung wie der Mondiali oder einem Fankongress die große Rivalitätsschiene fahren möchte und hasserfüllt jeden Schalker verflucht. Aber was die Jungs und Mädels hier abgezogen haben, war echt nicht mehr feierlich. Natürlich waren wir hier auch auf einer Art Festival und natürlich haben wir auch das eine oder andere Birra vernascht. Aber die Mallorca-Suff- und Goa-Trance-Party war schon reichlich hart. Eigentlich kann unser erster Eindruck stehen bleiben: Ein blau bemalter Typ macht auf einer Bierbank mit einem 5-Liter-Fass auf dem Rücken vor einem S04-Graffiti Liegestütze und beginnt, als wir vorbeilaufen, von 108 aufwärts zu zählen. Helden! Am dritten Tag hatten auch einige umliegend Zeltende die Schnauze voll und beendeten, unter tätiger Mithilfe einiger blau-weißer Gesinnungsgenossen, die Ballermann-Sause.
Ansonsten war die Atmosphäre auf dem Gelände mehr als angenehm. An jeder Ecke quatschten Leute unterschiedlichster Herkunft, rauchten zusammen (Zigaretten) oder lagen einfach in der Sonne. Es war schon sehr geil, während des Schland- und WM-Fiebers aus dem tristen (Schwarz-Rot-)Grau auszubrechen und mit antirassistischen Leuten aus aller Welt zusammenzusitzen. Ob abends im Bierzelt, bei den Konzerten oder auf dem Fußallplatz, überall waren die Leute offen und herzlich gegenüber allen anderen. Ich kann gar nicht aufzählen, mit wie vielen Leuten aus wie vielen Ländern und Städten ich während der Mondiali gequatscht habe. Besonders genoss ich an der Vielfältigkeit der Anwesenden mein ansteigendes Vergessen von nationalen Zugehörigkeiten. Leute waren einfach Leute, verstanden hat man sich schon irgendwie und mit dem Ball am Fuß ist so oder so jeder gleich. Wenn ich dann nach meiner Rückankunft wieder von den Fascho-Angriffen in Aachen und dem Parteitag von „Die Rechte“ in meiner Heimatstadt lese, könnte ich wieder drauf los kotzen. Leute, macht die Augen auf und stellt euch diesem Scheiß in den Weg!
Große Themenvielfalt beim Europäischen Fankongress
Aber was wäre eine Weltmeisterschaft ohne Fußball? Das Turnier begann zunächst mit einer Gruppenphase, in der über 200 Teams in 6er Gruppen gegeneinander antraten. Wir hatten an unserem ersten Tag zunächst ein Spiel, freitags drei und am Samstag sollte die Finalrunde mit einem entscheidenden letzten Gruppenspiel erreicht werden. Unglücklicherweise kam es anders als noch vor dem letzten Gruppenspiel erwartet, als wir noch mit zehn Punkten die Tabelle vor dem Zweit- und Drittplatzierten mit je neun Punkten angeführt hatten. Leider verloren wir diese Partie und schieden, obwohl zuvor unter anderem die Jungs aus Manchester mit 6:2 vom Platz kombiniert hatten, aus. Schuld trifft uns in keinem Falle, der Ball war zu rund, der Platz zu schlecht, der Schiedsrichter blind und das Bier am Vortag zu gut.
Auf die „Dortmunder Union“ werden nach dieser herben Enttäuschung nun wohl Umstrukturierungsmaßnahmen zukommen und auch der Einstieg eines bekannten Brauseherstellers ist bereits so gut wie beschlossene Sache. Nächstes Jahr wird dann alles besser! Union plus sozusagen. Erwähnen möchte ich noch unbedingt den Turniersieg der „Zwoten“, einer Truppe aus Enger, die auch durch einige Dortmunder tatkräftig unterstützt wurde. Glückwunsch, habt ihr verdient!
Erstmals war in diesem Jahr auch eine zweite Veranstaltung in das Programm auf dem Gelände integriert, der Europäische Fußballfankongress (EFFC) von FSE. Hier gab es Diskussionen und Workshops, deren gesamte Inhalte aufzuführen, würde aber den Rahmen dieses Beitrages definitiv sprengen. Ich möchte aber festhalten, dass die Bandbreite und personelle Besetzung definitiv gelungen war. Von Berichten und Diskussionen von Fans in sozialen Bewegungen (Ägypten, Türkei, Spanien & Ukraine) bis hin zu Workshops zur Gegenwart und Zukunft antidiskriminierender Fanarbeit waren viele Themenschwerpunkte präsent. Vor allem die Vorstellung von Initiativen aus Zagreb, Verona, Wien und Malmö sind mir sehr positiv im Gedächtnis geblieben. Dies gilt auch für das aus Malmö gekommene Update im Falle Showan, einem antifaschistischen Ultra von Malmö FF, der von Nazis nach einer Demo beinahe ermordet worden wäre. Mittlerweile geht es Showan laut einem Diskussionsteilnehmenden aus Malmö wieder deutlich besser und er konnte bereits das Krankenhaus verlassen. Kämpa Showan, werde schnell wieder vollständig gesund!
Auch aus Dortmund waren Teilnehmende an dem Gelingen der Veranstaltungen maßgebend beteiligt, saßen zum Teil mit auf den Podien oder gestalteten den Dortmunder Teil der Ausstellung auf der Piazza Antirazzista. Auch diesen Akteuren gebührt mein Dank für das Ermöglichen einer inhaltsvollen Mondiali und mein Respekt für eure Leistungen. Bei dem oben genannten Workshop wurde daher neben den bereits genannten Aktionen auch die Initiative ballspiel.vereint! vorgestellt. Ich hoffe, dass mit der dort geleisteten Arbeit, aber auch durch stetige Arbeit von vielen anderen Akteuren ein antirassistischer Grundkonsens in der Dortmunder Fanszene verankert werden und sich jeder im Westfalenstadion heimisch fühlen kann. Unabhängig von Geschlecht, sexueller Orientierung, Religion, Hautfarbe oder was auch immer.
Vor allem die Abende waren nach den Hitzeschlachten auf dem Rasen oder den hitzigen Diskussionen bei 30 Grad im Schatten eine willkommene Abkühlung. Bei ebenso kühlen Getränken und heißen Konzertrhythmen ließen wir die Tage gemütlich ausklingen und feierten bis teils spät in die Nacht mit Leuten aus aller Welt. Besonders ein einstündiger Wechselgesang mit mehreren Dutzend Singenden aus genau so vielen Vereinen bringt mir noch jetzt ein Lächeln ins Gesicht. Aber auch die Menschen, die wir kennengelernt haben, werden diese Fahrt tief in mein Gedächtnis einbrennen und geben mir bei immer wiederkehrenden rassistischen, homophoben oder antisemitischen Übergriffen das Gefühl, viele Mitstreitende im Kampf gegen die verschiedensten Ausgrenzungsmechanismen zu haben.
Nach all den positiven Eindrücken möchte ich aber auch etwas Kritik loswerden. Es gibt wenige Dinge, die mir so sehr aufstoßen wie undifferenzierte Sichtweisen. Dazu gehören auch Nationalflaggen auf antifaschistischen Veranstaltungen. Dies gilt sowohl für die DDR Fahne am Schlagzeug beim Konzert von Banda Bassotti als auch für die des Öfteren aufgehängten Palästina-Fahnen. Auch wenn für die eine oder den anderen Kritik an der Politik Israels durchaus angebracht seien mag, finde ich eine solch einseitige aber eindeutige Positionierung sehr fragwürdig. Vor allem während des nun wieder verstärkt aufkommenden Konflikts sollte sich jeder, meiner Meinung nach, lieber etwas mit vorschnellen Meinungsäußerungen diesbezüglich zurückhalten. Weiterhin empfand ich die Essensauswahl als etwas mager. Vor allem fehlte eine größere Auswahl an veganen und vegetarischen Gerichten, aber vor allem auch eine Kennzeichnung. Da mein Italienisch auch nicht das allerbeste ist, musste ich das eine oder andere Mal schon grübeln, ob für mich als Vegetarier das angepeilte Menü auch „essbar“ war. Allerdings haben wir für uns das beste aus der Situation gemacht. Die zwei Grills und unser Gaskocher bescherten uns dank der Fahrbereitschaft der Bullibesatzung sehr passables Essen neben dem veranstaltungseigenen Catering. Danke nochmal an unsere 9er-Crew für eure tatkräftige Unterstützung in unzähligen Fällen. Ihr habt uns echt den Hintern ein paar Mal aus dem Feuer geholt. Natürlich darf hier auch unser Meisterkoch nicht unerwähnt bleiben, denn Herr S. konnte mit seinem gekonnten Tomatensalat bei mir auf jeden Fall den Tag retten und für den kulinarischen Höhepunkt der Fahrt sorgen!
Beenden möchte ich diesen Artikel mit einer Ermunterung zu mehr Courage gegenüber allen Formen von Diskriminierung und Ausgrenzung. Das große Problem der heutigen Zeit sind nicht nur die verschallerten Nazi-Hohlbirnen, sondern alles in der viel zitierten „Mitte der Gesellschaft“ verankerte ausgrenzende Gedankengut. Steht auf, seid laut, nehmt nicht alles hin, was um euch herum passiert. Und nach den Tagen auf der Mondiali ist mir nun eines definitiv klar: mit dieser Meinung ist man nicht allein. Kein Platz den Faschist/innen, weder im Fußball, noch irgendwo sonst!
Gerne möchte ich mich an dieser Stelle für die Möglichkeit bedanken, meine Erlebnisse, Gefühle und Gedanken, die ich bei der achtzehnten Ausgabe der Mondiali Antirazzisti sammeln konnte, mit euch allen teilen zu dürfen .Ich habe beim Verfassen dieses Textes auf die Verwendung des Binnen-I´s sowie auf Gender Gaps verzichtet. Ich möchte damit keinesfalls irgendjemanden mit meinen Ausführungen ausschließen, beziehungsweise nicht ansprechen, sondern lediglich die Lesefreundlichkeit erhalten und die Gepflogenheiten bei schwatzgelb.de einhalten. Ich bitte daher um Verständnis für das fehlende Gendern.
Liebe Grüße
geschrieben von ms von den 023(8)1ern
Die Fotos wurden uns von Jens Volke zur Verfügung gestellt. Vielen Dank dafür!
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