Ich weiß nicht, was der Junge noch alles machen soll, um international zu spielen…
Mal wieder ist Nationalmannschaftspause und Roman Weidenfeller schaut vor dem Fernseher zu, wie die Elf von Jogi Löw sich für Brasilien qualifiziert. Denn trotz der alle Jahre wiederkehrenden „positiven Signale" aus dem Trainerteam bleibt am Ende alles beim Alten: Für den BVB-Keeper ist kein Platz in der Nationalmannschaft. Gleiches gilt für Kevin Großkreutz, der zwar schon als Linksaußen zu einigen Einsätzen kam, der aber trotz seiner fehlerlosen Vorstellung gegen die TSG Hoffenheim im vergangenen Jahr im Tor weiter unberücksichtigt bleibt.
Ein Blick zurück zeigt, dass die beiden keineswegs die einzigen Schlussmänner in der Geschichte des BVBs sind, die sich trotz starker Leistungen schwer tun, in der Nationalmannschaft Fuß zu fassen. Manchen gelang es gar nicht, wie den beiden ersten überragenden Torhütern der Dortmunder Nachkriegsgeschichte Willi Kronsbein und Günter „Bubi" Rau. Ersterer saß zwar während des Krieges bei mindestens einem Spiel auf der Bank (damals noch in Diensten von Arminia Marten), doch eine achtjährige Länderspielpause zwischen 1942 und 1950 verhinderte seine Nationalmannschaftskarriere. „Bubi" Rau hingegen kam trotz starker Leistungen bei der Borussia über eine Lehrgangsnominierung 1949 nicht hinaus. In die Reihe der knapp gescheiterten gehört auch Stefan Klos, der sichere Rückhalt der Schwatzgelben in den 1990er Jahre. Besonders nah kam er einer Nationalmannschaftskarriere 1996, als er als dritter Torhüter zur EM in England eingeladen wurde. Er brach sich allerdings vor dem Turnier den Daumen und es blieb seine einzige Chance auf ein Länderspiel.
Dortmunder meist nur Ersatz
Andere kamen zwar zu mehreren Einsätzen in der Nationalmannschaft, mussten sich aber zumindest in ihrer Dortmunder Karriere mit der Position des Ersatztorhüters begnügen. Dies gilt beispielsweise für den ersten Dortmunder Nationaltorhüter Heinrich „Heinz" Kwiatkowski, der immerhin 1954 Weltmeister wurde. Seinen wichtigsten Beitrag lieferte er während des Vorrundenmatchs gegen den Turnierfavoriten Ungarn, als er den geschonten Toni Turek vertrat und beim 3:8 ordentlich eingeschenkt bekam. Das größte Täuschungsmanöver der Fußballgeschichte gelang und im Finale siegte die deutsche Elf, dieses Mal mit Turek im Tor, bekanntlich mit 3:2.
Auch Eike Immel und Jens Lehmann wurden erst nach ihren jeweiligen Abschieden aus Dortmund Stammkeeper der Nationalmannschaft. Immel, der immerhin 247 BL-Spiele für den BVB absolvierte, war 1988 bereits Torhüter des VfB Stuttgart, als er sein einziges Turnier als Stammspieler bestritt. Jens Lehmann lieferte sich in seinen Dortmunder Jahren zwar einen nahezu epischen Kampf mit Oliver Kahn um Deutschlands Trikot mit der Nr. 1, aber auch wenn ihn der damalige Teamchef Rudi Völler zur Nr. 1b ausrief, konnte Lehmann erst unter Jürgen Klinsmann den Titan im deutschen Tor verdrängen. Der ehemalige Schalker, der trotz der Meisterschaft 2002 nie richtig beim BVB angekommen war, spielte mittlerweile beim Arsenal FC.
DIE Dortmunder Torhüter-Legende – Hans Tilkowski
Und so ist letztlich bis heute Hans Tilkowski der einzige Keeper, der es zeitgleich in Dortmund und im DFB-Dress zur deutschen Nr. 1 brachte. Allerdings hat auch er eine durchaus wechselhafte Karriere in der Nationalmannschaft vorzuweisen. Der „schwarze Hans", der 1963 von Westfalia Herne zum amtierenden Deutschen Meister kam, war wie viele seiner Zunft durchaus streitfreudig, und bei seiner Ankunft in Dortmund war er genau genommen bereits ein „ehemaliger" Nationaltorhüter. Obwohl er sämtliche Quali-Spiele für die DFB-Elf absolviert hatte, teilte ihm Nationaltrainer Sepp Herberger vor dem ersten WM-Spiel 1962 in Chile mit, dass der Zweitligaspieler Wolfgang Fahrian im Tor stehen werde. Für Tilkowski eine Demütigung, auf die er mit der sofortigen Ankündigung, nicht mehr für Deutschland spielen zu wollen, reagierte. Auch seinen Reisepass und das Rückflugticket forderte er ein, Herberger konnte ihn aber zum Bleiben überreden. Trotzdem war Tilkowskis Nationalmannschaftskarriere erst einmal vorbei.
Der Rücktritt blieb aber Episode. Nach dem Jahrhundertspiel des BVB gegen Lissabon im Europapokal der Landesmeister 1963 wurden die öffentlichen Forderungen nach einer Rückkehr Tilkowskis ins Nationalteam immer lauter und auch Erfolgstrainer Sepp Herberger kam an Tilkowski nicht mehr vorbei. Ohne großes Aufheben und ohne Aussprache lud er ihn zum nächsten Länderspiel ein. Der BVB-Keeper akzeptierte ebenso umstandslos und stand auch bei der Weltmeisterschaft 1966 im Tor, wo ihm die Geschichte seines Lebens passierte:
„Und dann die 101. Minute. Alan Ball, der kleine Rechtsaußen, flankt zur Mitte, wo Hurst keinen Moment zögert, voll draufhält. Eine richtige Granate kommt auf mich zu. Ich kann den Ball mit den Fingerspitzen noch etwas nach oben lenken. Er kracht an die Unterkante der Latte, prallt zurück auf den Boden. Und Wolfgang Weber ist zur Stelle, köpft das Leder über das Tor ins Aus. Eckball. Glauben wir. Nein – ich und auch Wolfgang Weber glauben es nicht nur. Wir sind uns hundertprozentig sicher. [...] Als ich beim Schuss von Hurst die Flugbahn des Leders noch etwas verändern kann, drehe ich im Fallen den Kopf in Richtung meines Tores. [...] Über meine Schulter sehe ich, wie der Ball von der Latte nach unten fällt und eindeutig nicht hinter der Linie landet."
Neben der roten Karte für Zidane 2006 handelt es sich bei der beschriebenen Szene wohl um die berühmteste Fehlentscheidung in einem WM-Finale: Das Wembley-Tor zum 3:2 für England. Nach dem verlorenen Finale trat Tilkowski nur noch einmal zwischen die Pfosten der National-Elf, um als damaliger Rekordtorhüter 1967 in den Ruhestand zu treten.
Es ist wohl eine sichere Wette, dass es Roman Weidenfeller nicht mehr gelingen wird, eine ähnliche Nationalmannschaftskarriere wie Hans Tilkowski hinzulegen. Aber schon wenige Spiele würden seine Bedeutung in der Ahnengalerie des BVB angemessen unterstreichen. Und sollte es bis zur WM 2014 trotzdem zu keiner Nominierung kommen, müssen wir mal ein Wörtchen mit Schmelle oder Hummels reden. Da der Bundestrainer ihnen nach dem Ausscheiden in der KO-Runde ohnehin die Verantwortung zusprechen wird, könnten sie diese ja einfach schon mal in der Vorrunde übernehmen. Unter einem neuen Trainer klappt's dann vielleicht auch für Roman mit der Nationalelf – wenn ihm nicht Kevin Großkreutz dazwischen kommt.
PatBorm, 15.10.2013