Das Ende des Fußballs
Die Realität ist immer noch mal schlimmer als jegliche Idee. Das musste am gestrigen Samstag auch schwatzgelb.de erfahren. Trotz Boykottaufruf der UvdA wollten wir uns in Leipzig mal aus der Nähe angucken, ob es denn wirklich so furchtbar ist beim umstrittensten „Verein“ in Fußball-Deutschland. Lest hier unseren Krisenbericht über eine Dystopie.
Zunächst ein Hinweis in eigener Sache: Redaktionsintern können wir den Boykottaufruf der UvdA ganz klar nachvollziehen. Erst in jüngster Vergangenheit haben wir die Machenschaften des Brausekonzerns mit angeschlossener Betriebsmannschaft mal wieder kritisch beleuchtet. Da wir uns aber zugleich als Fanzine für alle BVB-Anhänger verstehen, haben wir uns letztlich dazu entschlossen, trotzdem in den Osten zu fahren. Ähnlich sind wir beispielsweise schon bei einem „Kein Zwanni“-Boykott vorgegangen, um weniger das Spiel als die Begleitumstände in und außerhalb des Stadions kritisch zu beleuchten.
Am Hauptbahnhof zu Leipzig erwartete einen zunächst direkt die berüchtigte sächsische Hundertschaft. Hätte man denken können. Die Staatsgewalt war jedoch dafür da, die Fans von Chemie Leipzig in der Bezirksliga Nord zum SC Hartenfels Torgau 04 zu begleiten. Hoffen wir mal, dass diesmal keine Polizeigewalt gegen die überwiegend linksorientierten und antifaschistischen Chemie-Fans ausgeübt wurde. Auf dem Weg zum Stadion fielen viele schwarzgelbe Farben und Trikots auf. Der MDR sprach hernach von 1.000 Gästefans, was deutlich zu hoch gegriffen scheint. Höchstens die Hälfte sollte den Weg in den Gästeblock gefunden haben, wo durch verkehrt herum aufgehängte Zaunfahnen ebenfalls auf andere Art und Weise gegen den heimischen Spitzenverein protestiert wurde.
Bei Betrachten und Durchschreiten des Stadions kamen einem mental schon ein paar Tränen, wenn man bedenkt, welchen Charme das altehrwürdige Zentralstadion in Leipzig einst ausstrahlte und nun in jeder Ecke vom österreichischen Brausekonzern in Beschlag genommen wurde. Dass es sich zusätzlich um eines der standardisierten 08/15-Hellmich-Zweckbauten handelt, ist da fast schon geschenkt. Die Wegeführung in der Arena ist mit „sinnlos“ noch euphemistisch formuliert und auch die Hostessen halfen nur in Ausnahmefällen weiter. Was auch kein Wunder ist, wenn man wahrscheinlich sonst in ostdeutschen Einkaufszentren Promo-Aktionen für ScheissBull machen muss.
Was macht Kubald?
Während die Damen wenigstens noch hübsch anzusehen waren, wirkten die anwesenden Ordner deutlich gefährlicher. Vorsichtig ausgedrückt: Sie machten nicht unbedingt den Eindruck, als ob sie zum Wählerpotential der Partei Die Linke gehörten. Das mag unter anderem auch daran liegen, dass Steffen Kubald, Ex-Chef von Lok Leipzig und bekennender Alt-Hool, inzwischen mit einer exponierten Ordnertätigkeit bei dem ach so dollen supi Familienprojekt RB Leipzig betraut worden ist. Nach Augenzeugenbericht aus dem Gästeblock kann er durchaus als eine Art „Bereichsleiter“ eingestuft werden. Zudem wurden dort auch bekannte Lok-Hooligans gesichtet, die zum Teil „Thor Steinar“-Klamotten trugen. Vielleicht wären diese Zusammenhänge auch mal interessant für überregionale Medien, aber so lange ScheissBull dort ohne Ende Werbeanzeigen schaltet, kehrt man diese Dinge anscheinend lieber unter den Teppich in unserer sogenannten freien und vielfältigen Presselandschaft.
Neben dieser politisch fragwürdigen Aspekte kamen einem in Leipzig spätestens mit Blick auf das Heimspiel-Flugblatt die labbrigen Brötchen aus dem Presseraum wieder hoch. Denn nicht nur die zusammengekauften Spieler (Sebastian, Coltorti, Röttger, Poulsen) und Trainer (Bodog, Bräutigam, Tim Lobinger!) fielen ins Auge, sondern auch der Punkt „Gemeinsame Tradition.“ Dort entblödete sich doch tatsächlich ein wahrscheinlich voll smarter Marketing-Hospitant nicht, darauf hinzuweisen, dass RB Leipzig 2009 und damit genau 100 Jahre nach unserem glorreichen Ballspielverein gegründet wurde. Was soll man bitte dazu noch sagen?
Ernsthaft wurde in dieser Broschüre auch die inzwischen „fantastische Fangemeinde“ gelobt. Von der war vor dem Spiel aber leider nichts zu hören. Ebenso wenig von den verbliebenen BVB-Fans im Gästeblock. Das lag nicht am mangelnden Willen, sondern einzig und allein an der Tatsache, dass der ultra-hippe Stadion-DJ mit seiner Bullendose in der Hand die ekelhafte Techno-Musik bis zum Anschluss aufdrehte. Dazu kam dann noch der Stadionsprecher, der von seinen Gesten und vom Auftreten her eher an den ehemaligen Ehrenbürger Rheydts oder Volkskommentatoren der 40er-Jahre erinnerte. Noch ein bisschen Nebel und Disco-Licht beim Einlauf der Mannschaften und man war endgültig in einer Dystopie des Fußballs angekommen, die so hoffentlich nie, nie, nie Fuß fassen wird.
Alomerovic mit dickem Patzer
Ehrlicherweise war dem Autor dieser Zeilen nach all diesen Begleitumständen die Lust am eigentlichen Sport endgültig vergangen. Dem Boykottaufruf hätte so vielleicht doch gefolgt werden sollen. Deshalb soll der sportliche Teil auch entsprechend kurz abgehandelt werden. Nach zwölf Minuten schätzte Alomerovic einen langen Ball an der Torauslinie falsch ein und wollte Poulsen souverän ablaufen. Der schnappte sich jedoch das Leder und lief parallel zur Grundlinie aufs Tor zu. Zwischen Sarr und dem kurzen Pfosten schob der junge Däne zur Führung ein. In der Folgezeit vergaben für den BVB Harder (15.) und Treude (40.) sowie Frahn (23., 33.) auf der anderen Seite gute Möglichkeiten für weitere Torerfolge.
Erneut gekotzt werden durfte dann beim Halbzeitpfiff, als der Stadionsprecher die Verbandsvorgaben in der Form einhielt, als dass er tatsächlich „Liebe Freunde des gepflegten Rasenballsports“ ins Mikrofon schrie. Dagegen war der sinnfreie Schlachtruf „Hurra, das ganze Dorf ist da!“ aus der RBL-Heimkurve noch harmlos. Die zweite Hälfte war dann etwas ausgeglichener, wenngleich auch der eingewechselte Bajner auf BVB-Seite durch seine ungeschickte und tapsige Spielweise das Tor des vor allem in der Luft bärenstarken Coltorti nicht zwingend gefährden konnte.
Auf der Gegenseite vergaben Kimmich (62.) und Poulsen (65.) hervorragende Möglichkeiten, die auch von Alomerovic zunichte gemacht wurden, der mal wieder innerhalb von 90 Minuten zwischen Welt- und Kreisklasse pendelte. Sehenswert dann eine RBL-Ecke vor dem Gästeblock. Dort stehen bei jedem Heimspiel standardmäßig Regenschirme für die Ordner zur Verfügung, damit die Brausespieler ohne Angst vor Wurfgeschossen die Eckstöße ausführen können. Das monatliche Gehalt tröstet diese im Profibereich überwiegend gescheiterten, charakterlosen Akteure sicher über dieses Unbill hinweg.
Was soll der Blödsinn?
Vor der Heimkurve hätte Ducksch den „Stolz Leipzigs“ © dann zum Schweigen bringen können, wenn er aus spitzem Winkel nicht den gut reagierenden Coltorti zu einer leider tollen Parade verführt hätte (73.). Dann war der Schiedsrichter auch noch zu feige, einen Elfmeter nach Foul an Bajner zu pfeifen und die unglückliche Niederlage war perfekt. Ähnlich wie die Mannschaft wollten wohl auch alle anderen Schwarzgelben nur noch rasch wieder heim. Warum beim Gang in die Fankurve ein Böller in Richtung der eigenen Akteure geworfen wurde, erschließt sich wohl keinem normal denkenden Mensch. Oder ist das jetzt DER neue Trend innerhalb der BVB-Fanszene?
Nach dem Spiel gab es dann noch Leipziger Allerlei mal anders: Kleinere Scharmützel zwischen RB-Konsumenten und der Staatsmacht einerseits sowie Lok- und BVB-Anhängern andererseits an der Straßenbahnstation vor dem Sportforum. Auseinandersetzungen zwischen BVB- und Lok-Fans am Bahnhof. So richtig verstehen muss man dieses Leipzig mit all seinen Facetten wohl nicht. Spätestens beim Duell zwischen Hoppenheim und diesem Verein in zwei, drei Jahren in der Bundesliga sollte man sich jedenfalls Frau und Kinder für einen ausgedehnten Spaziergang durch die heimischen Wälder schnappen. Denn spätestens dann hat nämlich der Fußball, den wir alle so lieben, verloren.
Stimmen zum Spiel
David Solga: Wir haben heute den Unterschied zwischen einer abgezockten und jungen Mannschaft gesehen, aber wir haben trotzdem alles gegeben und wir hätten in der zweiten Halbzeit auch einen Elfmeter verdient gehabt und im Endeffekt steht jetzt eine Niederlage. Leider musste ich in der Halbzeit verletzt raus. Ich hatte irgendwas an den Bauchmuskeln und konnte nicht mehr schießen und sprinten. Das ist dann halt nicht so gut beim Fußball. Dass unsere Ultras heute nicht da sind, habe ich auch gewusst. Das haben wir alle gewusst. Nichtsdestotrotz waren ja einige Fans da und wir haben uns über die gefreut, die hier sind. Wir haben aber auch die verstanden, die es boykottiert haben.
Alexander Zorniger (Trainer RBL): Muh!
David Wagner: Glückwunsch an meinen Kollegen. Ich bin grenzwertig verärgert über diese Niederlage. Wir haben wegen einer schlechten ersten Hälfte verloren, wo wir das Spiel nach gutem Beginn total aus der Hand gegeben haben. Da haben wir uns abkochen lassen und alle 50:50-Bälle gingen an Leipzig. In der zweiten Hälfte dann hatten wir Phasen, wo ich dachte, dass wir durchaus Druck ausgeübt hatten. Da waren wir dann etwas schärfer, auch wenn die 1000%-Chance nicht gekommen ist. Trotzdem haben wir leider verloren und sicher nicht, weil wir einen glasklaren Elfer nicht bekommen haben. Aber es wäre schon spielentscheidend für das Resultat gewesen, da es das 1:1 hätte sein können. Bajner wird da klar gefoult. Das wäre dann nämlich auch die 1000%-Chance gewesen. Alomerovic war wie wir alle über die Schnelligkeit von Poulsen im Bilde und hat in dieser Situation vor dem 0:1 leider falsch reagiert. Bei einem Schiedsrichter würde man von einem Wahrnehmungsfehler sprechen, aber solche Fehler muss man so jungen Burschen einfach zugestehen. Zudem hat er uns anschließend ja auch mehrfach im Spiel gehalten.
Daten zum Spiel
SSV Markranstädt (4-3-3): Coltorti – Judt, Willers, Franke, Heidinger – Ernst, Kimmich (86. Sebastian), Kaiser – Poulsen, Thomalla (79. Fandrich), Frahn (90. Schulz)
BVB II (4-2-3-1): Alomerovic – Hornschuh, Meißner, Sarr, Bandowski – Solga (46. Bajner), Amini (79. Nyarko) – Treude (86. Özbek), Harder, Jordanov – Ducksch
Tor: 1:0 Poulsen (12., Rechtsschuss, ohne Vorarbeit)
SR: Stein (Mühlheim am Main)
Zuschauer: 11.477
Chancen: 7:3
Ecken: 4:5
Gelbe Karten für den BVB: Solga (44., Unsportlichkeit), Ducksch (78., Meckern)
Malte D., 3.11.2013