"Borussia, wir sind immer für dich da!"
Ein Reisebericht, der nicht nur das Sportliche betrachtet Samstag, früh am Morgen.
Samstag, früh am Morgen. Der Wecker klingelt, der erste Gedanke ist
schwarzgelb. „Heute Derby, endlich!“ Die ersten wachen Synapsen teilen
mir mit, dass dieser heutiger Tag ein ganz besonderer werden könnte.
Immerhin haben wir dem ukrainischen Millionenclub „Schwarze Pumpe
Donetzk“ ganz gehörig gezeigt wie man guten und erfolgreichen Fußball
spielt. Wer mit so einer spielerischen Leichtigkeit und geradezu
anmutend ins Viertelfinale einzieht, der lässt sich doch von ein paar
Schlümpfen aus einer unbedeutenden Stadt des Ruhrgebiets nicht das
Wochenende versauen!
Mit einem fröhlichen „Gelsenk*rchen, Stadt
der Liebe […]“ leise vor mich hin pfeifend ging es ab zum Bahnhof. Ab in
den Zug, Freunde einsammeln, das erste Bier trinken, es macht sich
Vorfreude breit. So richtig zweifelt niemand daran, dass das Spiel heute
siegreich bestritten wird.
Die Fahrt mit dem Sonderzug gestaltete
sich durchaus angenehm, da auch die unserem Abteil zugeteilten
Schutzkräfte der deutschen Exekutive relativ gut gelaunt und entspannt
daherkamen. „Hey, Hey, Raucherabteil, Raucherabteil“
Bei zur
Schönheit der Stadt passendem Wetter am Ziel angekommen und einen mit
Aufklebern in die richtigen Farben getauchten Zug hinter uns lassend,
wurde der Bahnhof stimmgewaltig in Beschlag genommen. Bis hierhin war
alles durchaus friedlich, gut gelaunt und lief halbwegs organisiert ab,
wenn man von einigen unverbesserlichen absieht, die natürlich kurz vor
dem Derby noch eine Lustreise nach Polen unternahmen und dort
wahrscheinlich die Hälfte der in dem Lande produzierten Böller, Blinker
und dergleichen mitbrachten, um sie umgehend nach Ankunft
auszuprobieren. Wie laut so ein polnisches Qualitätsprodukt der Marke
„atomarer Erstschlag“ wirklich ist, durfte ich am eigenen Leibe erfahren
und ganz im Ernst, das ist wirklich kein Spaß.
Nachdem die
fragwürdige Abstammung der ortsansässigen Menschen, des Vereins und die
Prophezeiung, dass sich eine gewisse Schale in absehbarer Zeit nicht in
diese Stadt verirrt nun ausgiebig besungen wurde, ging es nach und nach
in die Busse und das Spiel rückte immer näher, die Anspannung wurde
größer und die Blase immer voller.
Am Gästeblock angekommen hatte
man aufgrund des geringen Andrangs noch die Hoffnung möglichst schnell
ins Stadion zu kommen. Schließlich möchte man ja auch halbwegs gute
Plätze ergattern. Bei der Einlass-/Kontrollpolitik haben sich die
Gastgeber wieder einmal etwas ganz Besonderes ausgedacht. Scheinbar hat
man nicht daraus gelernt, dass die Eintracht-Fans (ich benutze diesen
Ausdruck einfach mal) bei ihrem Gastspiel und den scheinbar gleichen
Voraussetzungen, hier den kompletten Eingangsbereich zerlegt und sich
benommen haben wie die Axt im Wald(stadion).
Grund dafür war,
dass sich das Drehkreuz, bei den eh schon viel zu gering bemessenen vier
Eingängen, nur gefühlt dreimal pro Stunde bewegte und man so das Gefühl
bekam, dass die Ordner bei strömendem Regen lieber nach jedem Einlass
die Scharniere des Drehkreuzes nachölten um die stetige Gefahr des
Festrostens zu verhindern, anstatt mal ein wenig den Hebel zu ziehen um
die Sache zu beschleunigen. So stand man im strömenden Regen und musste
dabei zuschauen, wie Besucher für Besucher in Super-Slow-Motion
eingelassen wurde – dies aber immerhin friedlich und nur leise murrend.
Angekommen
– endlich! Ab in den Block, Plätze suchen, warmsingen, aufs Bier
verzichten, mit dem Speichel haushalten. Wer schiebt diesem Verein schon
gerne noch unnötig Geld in den brauen Salon? Wäre nicht zu allem
Überfluss noch die Nötigung sich eine „Knappenkarte“ zu kaufen – allein
der Name lässt meine Zehennägel hochrollen – um sich mit Bier und
Wurstwaren einzudecken, wäre es vielleicht noch zu überlegen gewesen.
Nein, so aber nicht! Da schnapp ich mir lieber die durch die Luft
fliegenden Biertropfen nach jedem Tor, schließlich würden wir heute ja
ein paar schießen!
Ernüchterung … Wer spielt hier eigentlich? Wer
sind diese kopflos wandelnden Gestalten in den schwarzgelben Trikots?
Wo sind unsere Borussen, die vergangenen Dienstag noch wussten wie man
einen Ball über drei Meter zum Mitspieler spielt? Normalerweise gehen
Kleinigkeiten gerne mal unter wenn man aus voller Kehle singt, brüllt,
die Mannschaft nach vorne peitscht, da wundert man sich Abends in der
Sportschau über Szenen, bei den man schwören könnte, dass sie sich nicht
in dem Spiel abgespielt haben. Dieses Mal war es ein wenig anders. Mich
selbst stört so etwas nur am Rande, wäre da nicht mein Stehnachbar
gewesen, der seit Minuten an der ganzen Mannschaft nicht ein gutes Haar
ließ. Wild gestikulierend und pöbelnd wie Rumpelstilzchen nahm er mir
meine letzte innere Ruhe und ich kam nicht umher ihn zu fragen, wie
lange er denn schon Borusse sei. Schließlich haben wir bis vor wenigen
Jahren diese Art Fußball als normal empfunden.
Kaum hat die
Mannschaft mal wieder Erfolg, lässt uns rauschende Feste feiern, lädt
ein zu der ein oder anderen Vollgasveranstaltung, wird so ein Spiel
direkt wieder als ein Rückfall in die Ära Doll verflucht. Seine patzige
Antwort werde ich hier nicht niederschreiben, aber in mir verfestigte
sich mal wieder die Meinung, dass viele einfach nicht begreifen, dass es
nicht selbstverständlich ist jede Woche 100% zu zeigen, den Gegner an
die Wand zu spielen und es in aller Regelmäßigkeit so aussehen zu
lassen, als könnte man nebenher noch ne Runde Doppelkopf spielen!
Natürlich,
es ist Derby und keiner möchte verlieren. Gerade hier möchte jeder
sehen wie gekämpft und gekratzt wird, es soll jeder Grashalm umgegraben
werden, aber auch ein Fußballspiel ist kein Wunschkonzert!
Jeder
sollte das Recht haben sich auch mal kritisch zu äußern, zu meckern und
zu maulen, keine Frage – aber während des Spiels ist es eines jeden
gottverdammte Pflicht(!!) die Mannschaft nach vorne zu peitschen, alles
aus meinen Lungen herauszuholen um zu zeigen, dass wir hinter ihr
stehen! Pöbeleien und abfällige Gesten helfen niemandem, den Spielern
erst Recht nicht. Hier sollte sich doch wirklich mal jeder hinterfragen,
ob er nicht vielleicht besser auf dem Sofa aufgehoben wäre um Marcel
Reif bei seinen geistigen Ergüssen zu lauschen.
Was mich
allerdings völlig schockierte und für mich einfach nicht
nachzuvollziehen war, war das Verhalten einiger Ultras inkl. unseres
Capos direkt nach Abpfiff. Die Mannschaft kam in unsere Ecke, holte sich
zurecht ein paar Pfiffe ab und bedanke sich für unseren Support und die
feinen Herren in schwarz (von der Pyronummer zu Spielbeginn will ich
gar nicht reden) meinten, sie müssten ihrem Ärger ganz besonders kreativ
Luft machen und schickten ein paar Gesten und Sprüche zu den Spielern,
bei denen selbst ich einen roten Kopf bekam.
Ich finde es
ungeheuerlich, einfach eine riesige Frechheit seinem Ärger auf solche
eine pubertierende und schlichtweg dumme Art Luft zu machen. Hier
schämte ich mich dann zum gefühlten dritten Mal am heutigen Tage, die
gleichen Farben zu tragen wie diese vermeintlichen Edelfans. Liebe
Ultras, euren Fanatismus in allen Ehren, aber zu dem eben beschriebenen
auch noch alles war als Wurfgeschoss dienen kann in den Block der Blauen
zu werfen und dort wirklich Menschen verletzen zu wollen, unerträglich.
Ich kann die Blauen auch nicht leiden, nicht mal annähernd, aber mit so
einem Verhalten seid ihr kein Stück besser! Ich möchte auch nicht von
einem Trommelstock, Münzen, vollen Bechern oder Stücken einer
zerbrochenen Fahnenstange getroffen werden. Erbärmlich, wie man sich
trotz der Rivalität als solche ein schlechter Verlierer präsentieren
kann.
Die Schokostreusel auf der Kirsche auf der Sahnehaube war
dann aber noch nach Spielende zu erwarten, als ca. 60 schwarzgekleidete
(wer hätte das nur erwartet) völlig hemmungslos auf am Absperrzaun
stehende Ordner einprügelten um offensichtlich den Zaun durchbrechen zu
können und einigen Fans der Fehlfarben mal Licht ans Fahrrad zu machen.
Dieser
Tag war wirklich gebraucht, nicht nur vom Ergebnis. Jeder sollte doch
mal in einer ruhigen Minute in sich gehen und sich fragen, ob sein
Verhalten hier und da wirklich angebracht ist. Ich bin auch kein Kind
von Traurikgeit, pöbel gerne und raste aus im Block, aber bei
körperlicher Gewalt hört es einfach auf! Jeder der dort beteiligt war
und vielleicht zum Dank einen Gummiknüppel spüren musste – selber
schuld, kein Mitleid. Ihr stellt euch alle auf die gleiche Stufe wie
die, die man doch immer so verurteilt.
Wo ist eigentlich der gesunde
Fanatismus hin? Schreit euch die Seele aus dem Hals, bringt die
Mannschaft nach vorne, gebt alles – aber bitte im Block! Wer nach dem
Spiel noch so viel Kraft für diese scheiß Aktionen hat, der hat
irgendwas falsch gemacht.
geschrieben von Sven D.
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