Tabellenplatz 5? Trainer raus!
Die Eventmaschinerie Europameisterschaft ist vorbei, die Nationalspieler sind längst daheim. Viel wichtiger aber ist: Der Spielplan für die neue Saison ist raus, der Auftaktgegner steht fest und so langsam nimmt die Spielzeit 2012/13 klare Konturen an. Bevor es dann so richtig losgeht mit dem heutigen Trainingsauftakt im reduzierten Kreise, Trainingslagern, Testspielen und dem lang ersehnten Pflichtspielauftakt in die Jubiläumssaison der Bundesliga ist es wohl an der Zeit, sich mit den Zielsetzungen für die neue Saison zu beschäftigen. „Quo vadis – schwarzgelb?“. Oder: Was können wir, was müssen wir, was sollen wir?
Borussia Dortmund startet als Titelverteidiger – schon wieder. Borussia Dortmund startet als amtierender Pokalsieger. Und Borussia Dortmund startet mit einem Stern mehr auf der Brust. So viel dürfte allen klar sein. Der BVB startet aber auch mit neuen Gesichtern an Bord und einer Erwartungshaltung im Umfeld, die wahrscheinlich noch nie so gigantisch daherkam. Und genau hierin liegt die größte Gefahr. Der Druck ist enorm, die Angst vorm Versagen könnte sich unweigerlich in den Köpfen des jungen Kaders abzeichnen, sobald sich Negativerlebnisse häufen. Der schwarzgelbe Anhang spielt in diesem ganzen Konstrukt nicht gerade eine untergeordnete Rolle, ebenso wenig wie das mediale Umfeld.
Jeder weiß doch, was passieren wird, wenn unsere Jungs mal wieder Punkte in fußballerisch eher düsteren Partien liegen lassen oder sich in einem Auswärtsspiel zu einem torlosen Unentschieden quälen. Die Pfiffe werden kommen. Sogenannte Fans werden ihrem Unmut Ausdruck verleihen. Das Gemurmel bei Ballverlusten wird stetig zunehmen. Schlecht benotete Spieler werden bei ihren Auswechslungen von wüsten Gesten begleitet werden. Und das alles nur, weil wir uns die Ärsche auf dem schwarzgelben Erfolg der letzten Jahre fett gesessen haben. Weil wir verwöhnt sind, wie Kinder mit dem Silberlöffel im Schlund. Weil wir vergessen haben, was es heißt für den Erfolg zu leiden, um ihn zu zittern. Weil wir nicht mehr wissen wie es ist, trostlos und mausgrau durch die Liga zu wanken. Weil wir uns an Zeiten gewöhnt haben, in denen alle Träume erfüllt werden und es keinen Kummer mehr gibt. Wir sind Meister, wir sind Pokalsieger. Und alles, was wir richtig gut können, ist uns zu beschweren und besorgt in die Zukunft zu schauen. Solche Probleme würden sich andere wünschen. Mir gehen sie einfach nur noch auf den Sack – die Ausdrucksweise sei an dieser Stelle entschuldigt, ich bin wohl emotional kompromittiert.
Es gab diese Spiele schon im letzten Jahr. Ich erinnere nur in geradezu trauriger und beschämter Verfassung an Spieltag fünf. Wir hatten den Berliner Sportclub zu Gast und lagen mit zwei Toren im Hintertreffen. Und dann, noch bevor die 80. Minute anlief, verließen nicht wenige zornig und gebeutelt den Tempel, der Frust war wohl einfach zu groß. Peinlich, ein solches Szenario, aber leider wohl in heutigen Zeiten an der Tagesordnung. Als der Gästeanhang im Mai in Kaiserslautern lauthals nach dem frühen Rückstand durch ein Tele-Eigentor „Wir haben die Schnauze voll“ skandierte (Achtung: das war rein ironisch gemeint), bin ich mir ziemlich sicher, dass durchaus einige unter den mehreren tausend diesen Spruch völlig ernst gemeint durch ihre Kehlen peitschten.
Die Tendenz ist vorgegeben, und sie wird sich auch in dieser neuen Saison nicht auflösen. Im Gegenteil. Der Anteil jener, deren Herz in Folge des Double-Gewinns aus völliger Überzeugung schwarzgelb eingefärbt wurde, ist mit Sicherheit massiv angestiegen. Man beachte nur einmal die riesige Zahl an „Like“-Klicks für den BVB auf Facebook, mit denen sich der Verein auch noch in aller Regelmäßigkeit rühmt – vielleicht spricht da aber auch nur der pure Neid aus uns Schwatzgelben, mit unseren dagegen fast schon mickrigen Zahl an „Gefällt mir“-Angaben bei sg.de.
Nur mal rein hypothetisch, denn diese global-sozial bindende Menschenfressmaschine namens „Gesichtsbuch“ gibt es ja noch nicht allzu lange: Wie viele neue „Gefällt mir“-Klicks hätte es denn vor einigen Jahren nach einer verdienten Niederlage auf der Bielefelder Alm gegeben? Bestimmt gaaaaanz viele. Oder wir machen die Rechnung einfach mal umgekehrt auf: Der BVB patzt in der neuen Saison im Heimspiel gegen den wahrscheinlich dörflichen Punktelieferanten Greuther Fürth. Ich schätze nicht weniger als 500.000 „Fans“ würden spätestens sofort nach Abpfiff ihren Maus-Cursor über dem „Gefällt mir nicht mehr“-Kästchen platzieren, den Rest erledigt dann der rechte Zeigefinger. So schnelllebig ist unsere heutige Zeit nun einmal. Kann ja sein. Aber so ist der Fußball nicht. So ist Tradition nicht. So ist Fansein nicht! Wer damit nicht umgehen kann, sollte es besser von Anfang an bleiben lassen. Fakt ist, unsere Young Guns werden auch in der kommenden Saison wieder bedingungslose Unterstützung von den Rängen nötig haben. Und das zu allen Spielen, nicht nur während der Schönwetterhighlights. Die Mannschaft baut auf den treuen Anhang. Aber um welches Ziel zu realisieren?
Nun, das ist allgemeinhin eine gute wie gleichzeitig auch schwierige Frage. Es wird sicherlich nicht überraschend kommen, dass auch für die Spielzeit 12/13 wieder ein Saisonziel ausgegeben werden wird: Die Qualifikation für einen internationalen Wettbewerb. Das schließt logischerweise mindestens die Plätze vier bis sechs mit ein, vielleicht ja auch je nach Pokalkonstellation Tabellenplatz sieben. In jedem Fall werden die bevorstehenden 34 Spiele in der Liga kein Spaziergang, aber das waren sie in den letzten Jahren ja ohnehin nicht. Es ist nicht zwangsläufig so, dass das Team wieder seinen Stiefel aufs Parkett bringt und jeden Gegner in jedem Spiel dominiert und demontiert. Man muss sich erst wieder finden. Die letzte Saison war lang, und danach war für einige immer noch nicht Schluss. Die Nationalspieler werden körperlich zu Beginn nicht gleich am Limit spielen können, das liegt in der Natur der Sache. Doch die Zeit dafür werden sie bekommen, auch die Neuzugänge natürlich. Dafür steht Jürgen Klopp, dafür steht das derzeitige Konzept Dortmund.
Von einer erneuten Titelverteidigung zu sprechen, dieses Fass möchte ich an dieser Stelle nicht aufmachen. Es wäre schier viel zu wahnsinnig. Doch das war es vor der letzten Saison auch. Letztlich wollen wir alle leidenschaftlichen und ehrlichen Fußball sehen, so wie unter Klopp immer praktiziert. Der Tabellenplatz am Ende, kann dann eigentlich erst mal egal sein. Und wenn Platz sechs dabei herausspringt, würden wir uns alle freuen – aber das ist keinesfalls Voraussetzung.
Generell wird es darum gehen, wie schnell sich die Mannschaft nach der langen Sommerpause findet und die Neuzugänge in den schwarzgelben Powerfußball integriert werden. Und wenn dann noch kleinere Rückschläge wie in der letzten Spielzeit schnell verdaut werden und keine Folgeschäden entstehen, dann kann es wieder zügig in höhere Tabellenbahnen gehen. Das Gute daran ist: Wir brauchen uns nichts mehr zusammen zu träumen. Wir haben unsere Träume bereits gelebt. Wir können in alle Ruhe schauen, wie sich unsere Verfolger die Finger wund bezahlen um am perfekten Kader für die Aufholjagd zu basteln. Wir sind der Gejagte und nicht in der Pflicht unsere überirdischen Leistungen der Vorjahre zu wiederholen.
Und in Pokal und Champions League?
Nun ja, wenn überhaupt eine klitzekleine Prise an negativen Ereignissen der letzten Saison hängen geblieben ist, dann war es das frühe Ausscheiden aus der Königsklasse. Wahrscheinlich werden wir auch diesmal wieder in einer Gruppe landen, die mindestens zwei namhafte Gegner von internationalem Weltformat ausweisen wird. Angst brauchen wir keine zu haben. Im Gegenteil: Wir suchen die Herausforderung. Die junge Truppe ist heiß auf möglichst viele Dienstag- und Mittwochabende um 20.45 Uhr. Jeder einzelne Spieler hat durch die Erfahrungen der Vergangenheit gewonnen und möchte nun einige Dinge besser gestalten. Wichtig dabei ist, das eigene Spiel, den eigenen Fußball nicht zu verraten. Wenn man dann nicht mehr ganz so naiv an die Aufgaben geht, sollte die CL-Hymne auch noch im kommenden Februar durch die Stadionanlage des Westfalenstadions schallen – K.o.-Spiele wären doch mal wieder was Schönes.
Was den DFB-Pokal angeht, so kann es in diesem Wettbewerb für jede ambitionierte Mannschaft doch eigentlich nur ein Ziel geben. Als gebrandmarkte Borussen gehen wir aber üblicherweise etwas bescheidener an dieses Unterfangen. Schließlich war ja auch gerne mal der ein oder andere Außenseiter Endstation. Man muss halt einfach sehen, wir weit uns die Runden tragen. Ich persönlich hätte nichts dagegen, die Reise bis in den Juni andauern zu lassen. Berlin war doch so schön…
Egal, was uns die Saison 2012/13 auch bringen wird, wir alle sind heiß auf den Start und weitere geile zehn Monate mit unserem Ballspielverein. Wichtig ist dabei nur eins, wir dürfen nie vergessen, welchen Spaß uns diese Truppe in den letzten Jahren bereitet hat. Wir dürfen nie vergessen, worauf wir so stolz sein dürfen. Und spätestens wenn der Ball am 24. August gegen 20.30 Uhr endlich wieder rollt, werden wir es wissen!
Tim, 03+1.07.2012