Der titelverteidigende Titelverteidiger und seine Personalplanung
Mit dem Vollzug in Sachen Julian Schieber dürften wohl alle Transferplanungen beim Deutschen Meister abgeschlossen sein. Der Wunschstürmer hat nach kleinerem Verhandlungsmarathon unterschrieben und vervollständigt die Liste der Neulinge. Betrachtet man die Transfers und den Mix ihrer personellen Bandbreite, könnte man wie üblicherweise zwei Kategorien erstellen. Zum einen die Spieler, deren Verpflichtungen dem Zweck der nominellen Kadererweiterung entsprechen. Und auf der anderen Seite die Spieler, die explizit einen abgewanderten Akteur möglichst positionsgetreu ersetzen sollen.
Zunächst soll der Fokus auf die namentliche Gestaltung gerichtet werden. Teuerster und wahrscheinlich spektakulärster Sommertransfer ist natürlich Marco Reus. Der Dortmunder Jung‘ stellt gleichzeitig auch den „schwierigsten Fall“ dar, wenn es um eine Einteilung in die oben genannten Kategorien geht. Schließlich wurde Reus bereits im Winter verpflichtet, von einem Kagawa-Ersatz kann also eigentlich keine Rede sein. Nachdem Shinji aber seinen Weggang zum englischen Vize bekannt gegeben hat, glühen die Foren und auch Experten denken mit rauchenden Köpfen über die zukünftige Besetzung der Zehner-Position beim BVB nach. Und da gibt es unterschiedlichste, zum Teil fantasievolle Überlegungen. Manchmal hat man das Gefühl, dass bisher einzig Roman Weidenfeller keine Alternative als neuer Fädenzieher im Mittelfeld darstellt – alles andere dagegen scheint möglich. Im Endeffekt liegt es – und das dürfte nun keine große Überraschung sein – an Jürgen Klopp und seinem Trainerteam, die richtige Lösung zu finden. Die Vorbereitung und viele Testspiele bieten sich dafür unweigerlich an.
Auch von einem Wechsel im Spielsystem war schon zu lesen, doch diesen Gedanken kann und will ich nicht teilen. Warum sollte die in den letzten beiden Spielzeiten so erfolgreiche taktische Ausrichtung verändert werden, nur weil ein Spieler den Verein verlassen hat. Zumal Marco Reus durchaus auch die Position des zentral-offensiven Mittelfeldspielers bekleiden kann. Und mit Mario Götze steht der nächste technisch hochversierte Offensivmann bereit, dieses Loch zu stopfen. „Wenn das doch nur alles wär‘“, möchte man fast schon schmunzelnd einwerfen! Die Aufzählung kann geradezu beliebig ergänz werden. Moritz Leitner, Ilkay Gündogan, Ivan Perisic oder Neu-Borusse Leonardo Bittencourt, sie alle können als Zehner agieren – und das sicherlich auch sehr überzeugend. Würde Mats nicht so sehr in der Abwehr gebraucht werden, brächte auch er die notwendigen spielerischen Voraussetzungen für einen Spielmacher mit. Als perfekter verkappter Spieleröffner kann er so aber gerne weitermachen. Das nur als kurzer Exkurs.
Der nächste neue Name im schwarzgelben Meisterkader fiel bereits. Die Rede ist von Leonardo Bittencourt. Als hochgelobtes Talent hat er den nächsten Schritt seiner hoffentlich erfolgreichen Karriere gewagt und verlässt die Lausitz und Energie Cottbus um sich dem BVB anzuschließen. Dieser Transfer ist ganz klar als sinnvolle Erweiterung des Kaders anzusehen. Bittencourt ist erst mal als Ergänzung des Stammes gedacht und wird sich sicherlich dieser Rolle in den Anfangsmonaten ohne Probleme hingeben. Das Beispiel Leitner aus der letzten Saison hat wiederum gezeigt, wie schnell manchmal der (Spiel)tag kommt, an dem man auf den Punkt da sein muss und mit großem Vertrauensvorschub von Jürgen Klopp ins kalte Wasser geworfen wird. Wenn Bittencourt so etwas überhaupt nötig hat, ist der Fall Leitner sein kleiner Mutmacher. Auf jeden Fall wird Leonardo (welch schöner, so lang nicht mehr gehörter Name) alle Zeit der Welt für eine tolle Entwicklung bekommen. Da passt es auch ganz gut, dass die Zweite künftig in Liga Drei antreten wird (ja, ja…, ohne Polizei!). Bei den namhaften Weggängen der Reserve ist es auch wahrscheinlich, dass der Ex-Cottbusser die ein oder andere Einsatzzeit gegen Rostock, Aachen oder Bielefeld sammeln wird. Insgesamt aber ein Transfer, der absolut Sinn hat und sich vielleicht schon kurz-, auf jeden Fall aber langfristig auszahlen wird.
Ähnlich gestaltet sich das Ganze mit der Neu-Personalie Mustafa Amini. Der australische Rotschopf ist mit seinen technischen Fähigkeiten sicherlich auch eine gutdurchdachte Investition in die kommenden Jahre und soll mittel- oder langfristig helfen. Schon der Fakt, dass zunächst über eine Ausleihe nachgedacht wurde, verdeutlicht die weitere Planung und das bedachte Vorgehen mit Amini.
Oliver Kirch dagegen, als Backup für die rechte Seite verpflichtet, könnte mit seiner ausgeprägten Bundesligaerfahrung sofort aushelfen, sollte Not am Mann sein. Zorc und Klopp scheinen ein Faible für eher unbekannte oder graue Größen des Fußballgeschäfts zu haben, die sie dann nach eigenem Ermessen formen und fördern. Die guten Beispiele aus der jüngeren Vergangenheit brauchen an dieser Stelle zur Untermalung nicht einzeln aufgeführt werden. Kirch wird sich mit großer Wahrscheinlichkeit sehr schnell in das bestehende Gefüge integrieren und seinen Beitrag für den Erfolg der gesamten Mannschaft leisten.
Der letzte und auch aktuellste Name, der in der Spalte „Neuzugänge BVB“ auftaucht, ist Julian Schieber. Die „Akte Schieber“ zog sich nun über ein paar Wochen während des Sommerlochs hin, seitdem erstmals lauter über einen Wechsel nachgedacht und ein erstes Angebot unterbreitet wurde. Schieber ist ganz klar als Ersatz für den nach China abgewanderten Lucas Barrios zu sehen. Mit nur einem Stürmer in die neue Saison zu gehen, erschien den Verantwortlichen zu Recht wohl als zu riskant. Denn wenn sich (bitte bloß nicht) Lewandowski doch einmal verletzen und länger ausfallen sollte, wäre ich kein Freund des spanischen Tikki-Takka-Tukka-Irgendwas Modells, das ganz ohne nominelle Spitze auskommt. So ein Stürmer im gegnerischen Strafraum hat doch was für sich, oder. Nun ist es also Schieber geworden. Der 23-jährige, der in der letzten Saison vor allem beim spektakulären 4:4 im Westfalenstadion auffiel, stammt aus der Stuttgarter Jugend und gilt als Wunschspieler von Klopp und Co. Er ist also der Ersatzmann für 22-Tore-Robert. Doch bei so vielen Spielen und einer für die Borussia hoffentlich lang andauernden Champions League Saison, werden auch Starteinsätze für ihn keine Fremdwörter sein. Man kann gespannt sein, wie er sich im Dortmunder Dress präsentieren wird. Als Spielertyp jedenfalls erfüllt er vom Papier her alle Voraussetzungen, um Barrios würdig zu vertreten und Dortmunds Offensivlust weiterhin zu befriedigen.
Die Abgänge von Kagawa und Barrios haben sich quantitativ in diesem Sommer ja eher in Grenzen gehalten, qualitativ dagegen schlagen sie schon kleinere oder auch größere Lücken ins Dortmunder Spiel. Vor allem Kagawa wird anfangs relativ schwer zu ersetzen sein. Lewandowski wird ihn wohl auf dem Feld am meisten Vermissen. Es wird wieder einmal eine Kollektivaufgabe sein, den Weggang dieses genialen Fußballers zu kompensieren. Der große Vorteil ist, dass die Situation nicht unbekannt ist – Nuri Sahin bleibt unvergessen, aber nicht unersetzbar. Gündogan bekam nach Anfangsproblemen die notwendige Zeit um sich selbst zurechtzufinden und in der Rückrunde die passende Antwort zu geben. Bis dahin wurde er von vielen anderen Mannschaftskollegen hilfreich unterstützt. Er sollte Sahin gar nicht eins zu eins ersetzen, doch er tat es in außergewöhnlicher Art und Weise und ließ Nuri überragende Leistungen teilweise noch in den Schatten treten. Ähnliches erhofft man sich nun in der „Causa Shinji“. Die Last dieses Abgangs kann auch in der neuen Saison wieder auf mehrere Schultern verteilt werden und ich bin mir sicher, dass sich von den vielen genannten Namen mindestens einer als würdiger Kagawa-Ersatz herauskristallisiere wird.
Fünf Neuzugänge sind es also geworden, die entweder perspektivisch oder gleich auf den Punkt das Team weiter voran bringen sollen. Aber was heißt eigentlich weiter voran bringen. Wembley als Ziel, möchte man schon fast meinen. Denn national sind die höchsten Berge bereits erklommen. Aber die derzeit vielleicht schon viel zu hohe Erwartungshaltung mal beiseite geschoben, kann es auch in dieser Saison wieder ein klar formuliertes Ziel geben: Qualifikation für einen internationalen Wettbewerb, und da dann natürlich wenn möglich die Champions League. Der zur Verfügung stehende Kader für diese Zielvorgabe erfüllt die Voraussetzungen dafür ohne jegliche Abstriche. Das hat er in den letzten zwei Jahren mehr als nur verdeutlicht. Es gibt eigentlich keine Position innerhalb dieser Mannschaft und dieses Spielsystems, die zwangsläufig anders besetzt werden müsste. Jeder einzelne Spieler ist fußballerisch und vor allem charakterlich stark genug, um dem BVB eine weitere großartige Saison zu bescheren. Auf die beiden hochkarätigen Abgänge wurden meiner Meinung nach die passenden Antworten geliefert. Die Kaderergänzungen betrachte ich auch sehr wohlwollend, vor allem im Hinblick auf die Zukunft. Es muss also abschließend heißen: Alles richtig gemacht, die Herren Offiziellen!
Das Vertrauen in Klopp, Zorc und Watzke jedenfalls ist riesengroß. Drei Titel in zwei Jahren können einfach nicht lügen. Und ich persönlich freue mich wahnsinnig auf die neue Spielzeit und auf ambitionierte Neuzugänge in den schönsten Farben der Welt…
Tim, 21.06.2012