Dichte Denker: die SG Redaktion zum Bayernspiel
Für uns alle war der vergangene Mittwoch wohl etwas besonderes, so auch, trotz des nahenden Derbys, das natürlich noch auf einem anderen Level steht, für die schwatzgelb.de Redaktion. Wie sich einige von uns fühlten, haben einige von uns für Euch niedergeschrieben:
Die Knie stoßen immer wieder unter die Schreibtischplatte. Denn die
Beine können einfach nicht stillhalten. Abwechselnd geht der Blick auf
die Uhr und ins Internet. Beide Quellen bieten wenig Neues, nur ein paar
zu langsam drehende Zeiger und übertriebene Schlagzeilen über das
Gipfel-Duell, den Hammer-Showdown, den Klassenkampf. Medienhype ist das
eine, die innere Nervosität das andere. Eigentlich kann man gar nicht so
oft hintereinander gut gegen die Bayern aussehen. Bitte, nur noch
dieses eine Mal. Und dann halt im Pokalfinale. Bittebitte.
Ich rufe meinen Opa an und gratuliere ihm zum 91. Geburtstag. Trotz
seiner Gladbacher Vergangenheit (Netzer! Weisweiler!) denkt auch er
zwischen all den Händeschüttlern oft an den Abend. Vielleicht besser,
dass er das Spiel nicht live sehen kann. Noch so ein Kick wie gegen
Stuttgart und auch ich fühle mich wie 91.
Endlich Feierabend, Autobahn. Und Opas Worte im Ohr: „Das wird sicher nicht leicht für den BVB.“
Felix, 16.04.2012
Ein
Donnerstag. Das Wetter ist irgendwie schmuddelig, es nieselt und
eine
Wolkendecke hängt - ganz in Grau - tief über dem Dortmunder
Hauptbahnhof. Eigentlich ist es für meinen Geschmack auch noch
viel
zu früh. Ich stehe am Gleis 6 habe ein Kratzen im Hals, es zwickt
und zwackt an der einen oder anderen Stelle; ich habe mich
definitiv
schon fitter gefühlt. Meine Laune: ausgezeichnet.
Es ist
jetzt gute 10 Stunden her, dass Knut Kircher zum letzten Mal seine
Pfeife an den Mund gehoben und mit seinem Pfiff das Spiel beendet
und
einen weiteren Jubelsturm entfacht hat. Zum dritten mal lies ich
mich
treiben in einer Jubeltraube, grölte mir die Seele aus dem Leib
und
fand mich am Ende einige Stufen weiter unten wieder, mehr oder
weniger voll Bier, Arm in Arm mit Freunden und Fremden.
Ein
intensives Spiel ging in diesem Moment zu ende. Eine gigantische
Energieleistung sowohl unserer Young Guns, als auch der Tribünen
im
Westfalenstadion, die mal wieder gezeigt haben, wieviel Potential
in
dieser Schüssel steckt; die ausgerastet sind, die Jungs nach vorne
gepeitscht haben, die gesungen, gejohlt, gebrüllt, gepfiffen und
so
die Hölle Westfalenstadion entfesselt haben. Am Ende fühlte ich
mich so, als wäre ich selbst 90 Minuten über den Platz gerannt.
Seit dem Abpfiff in Wolfsburg am Samstag hatte ich an nicht viel
anderes denken können als dieses Spiel und auch während der
gestrigen 90 Minuten lagen meine Nerven völlig blank.
Nach einer
Dusche und einem letzten Union Export zum Runterkommen, war es
verdammt spät, als ich endlich den Weg ins Bett fand. Als heute
morgen der Wecker klingelte war ich zwar noch immer überglücklich,
aber alles andere als ausgeschlafen.
Wenn ich mich am
Bahnsteig umsehe, entdecke ich viele Gesichter, aus denen
ähnliches
spricht. Wir sind fertig mit den Nerven, ein Stück weit körperlich
erschöpft, aber vor allem von Stolz und Euphorie getränkt.
Auf
dem Kirchenplatz in unserer Straße standen früher Laternen, die
schon anfingen zu Glimmen, bevor es richtig dunkel wurde. Erst
nach
1-2 Stunden hatten sie ihre volle Leuchtkraft entfaltet. Ungefähr
so
sieht es gerade in Dortmund aus. Die Stadt wurde angeknipst und
beginnt auf's Neue zu leuchten. Wenn jetzt nichts mehr schief geht
wird dieses Leuchten – so wie im letzten Jahr – bald wieder die
ganze Region erhellen. Am 12. Mai leuchtet sie vielleicht so hell,
dass man nicht direkt ins Licht schauen kann, ohne Blinzeln zu
müssen
und noch Stunden später Lichtflecken vor den Augen zu haben.
Ich
steige in den Regionalexpress und mache mich wie so oft auf den
Weg
durch's Ruhrgebiet. Der Zug fährt am U-Turm vorbei und die
Videoinstallation von Adolf Winkelmann zeigt gerade zahllose
Einsen
und Nullen, die durch den Raum fliegen und höchstwahrscheinlich
nur
eine Anspielung auf unser digitales Zeitalter im Binärcode
darstellen. Für mich fliegt dort dutzendfach unser gestriges Eins
zu
Null. Der Zug fährt weiter Richtung Bochum. Mit einem Lächeln
schaue ich aus dem Zugfenster auf der anderen Seite; dort ziehen
meterhohe Buchstaben vorbei, die im letzten Jahr dort auf die Wand
gerollt wurden: Deutscher Meister ist nur der BVB!
Tobi, 16.04.2012
In den Tagen vor dem so oft hoch deklarierten „Spiel des Jahres“ war ich eigentlich recht ruhig. Im Vergleich zu meinem Umfeld war ich schon fast so etwas wie ein Ruhepol, der sich eigentlich nicht vorstellen konnte, dass wir das Spiel gegen die Bajuvaren verlieren könnten. Ein zu großes Vertrauen hatte ich in die Mannschaft, auch wenn mir bewusst war, dass es prinzipiell ein total offenes Spiel war. So ging ich auch den Mittwoch noch recht ruhig an, auch wenn ich schon bei der Morgenhygiene im Radio daran erinnert wurde, welche Bedeutung der „Titanengipfel“ haben könnte. Doch auch davon ließ ich mich nicht beirren, ging ruhig einkaufen, frühstückte ausgiebig, arbeitete an meiner Hausarbeit für die Uni. Doch so um die Mittagsstunden herum begann die Anspannung mich doch zu packen. Meine Facebook-Timeline war geflutet mit Beiträgen zum Spiel, fast minütlich wurde ich daran erinnert, wie lange es noch bis zum Anpfiff dauert. Schlussendlich legte ich meine Uni-Unterlagen an die Seite und widmete mich mehr und mehr dem Spiel. Auch ich rechnete die Zeit bis zum Anstoß herunter und war eigentlich und seltsamerweise froh darüber, an diesem Tag noch kurz in die Uni zu müssen. Und die war tatsächlich eine kleine Ablenkung.
Wieder zu Hause angekommen gab es dann aber nur noch einen Gedanken. Borussia. Gipfeltreffen. Also das erste Bier geköpft und Borussia-Musik angemacht. Ein kurzer Anruf bei meinem Vater verdeutlichte mir schließlich, dass ich wohl lang nicht der einzige Borusse war, der das Spiel nicht mehr abwarten konnte. Dumm nur: Es war immer noch erst 17.20 Uhr. Mit Bier und BVB-Musik vertrieb ich mir noch ein wenig Zeit, kam aber irgendwann nicht mehr um den Gedanken rum, dass ich es in den eigenen vier Wänden nicht mehr aushalte und zum Stadion müsse. Und so machte ich mich wohl so früh wie noch nie auf den Weg. Bereits in der sonst spärlich gefüllten U42 wurde mir wieder klar, dass ich nicht alleine bin, denn dort musste man sich schon ein wenig in die Bahn zwängen. Am Stadion angekommen hielt ich zunächst noch vor den Toren der Südtribüne inne und sog die Atmosphäre für ein paar Minuten ein. Sah auf die japanischen Journalisten, die von jedem Passanten mit Kagawa-Gesängen begrüßt wurden, sah auf vereinzelte Bayern-Fans, die sich offensichtlich verirrt hat, sah auf Leute, die offensichtlich zum ersten Mal im Westfalenstadion zu Gast waren. Gegen 18.20 Uhr stand ich schließlich auf der größten Stehplatz-Tribüne Europas und wartete auf bekannte Gesichter. Die trafen irgendwann ein, die Anspannung wuchs minütlich. Und während um mich rum teilweise doch auch noch mentale Ruhe statt Aufregung herrschte, wollte ich meinen Blutdruck zu diesem Zeitpunkt keineswegs messen. Ich war froh, als schließlich die ersten Gesänge einsetzten, dienten sie doch als perfekter Katalysator und Möglichkeit, seine Gefühle wenigstens rauszulassen. Als dann Nobby schließlich das ganze Stadion auf die Beine forderte und „Nur der BVB“ ertönte, war ich bereit. Bereit, 90 Minuten alles für den BVB zu geben, bereit, die Mannschaft mit allem, was ich habe, zu unterstützen.
Die Geschichte des Spiels wurde wohl ausreichend erzählt. In der 77. Minute fiel die gesamte Anspannung von mir ab, Leute segelten links und rechts von mir reihenweise die Stufen hinunter, man sah nur noch ein schwarz-gelbes Freudenbündel. Ich schaffte es irgendwie halbwegs auf meinem Platz zu bleiben und herzte dabei alle, die um mich herum standen, vollkommen egal, ob ich sie kannte oder nicht. Ich war Teil des Freudenbündels, ich war Teil des BVB. Mal wieder kredenzte der BVB einen dieser Momente, die ich in meinem gesamten Leben nie vergessen werde. Robben scheitert, Neven lacht, über Dortmund scheint die Sonne – zumindest metaphorisch. Den ganzen Abend lang bis tief in die Nacht hinein behielt ich ein Dauergrinsen auf den Lippen, ganz so wie Jürgen Klopp im Interview bei Sky. Ein großartiger Tag in Dortmund. Für mich unvergessen, vielleicht von historischer Bedeutung. Definitiv aber eine der Gründe, warum ich diesen Verein so sehr liebe. Danke Borussia!
Vanni, 16.04.2012
Am Morgen nach dem großen Spiel kämpfe ich mich durch den Berliner Ersatzverkehr zum Roten Rathaus. Das alte Rathaus, auf das man hier beim Bau der U5-Verlängerungen gestoßen ist, versperrt mir in Form mächtiger, von Ausflugplakaten der BVG (nur wech hier, wieso nicht nach Lübars? Mit dem 222er ab Waidmannslust) gesäumten Bauzäune den Weg. „Kommst Du abends besoffen nach Haus“ singend drehe ich eine Ehrenrunde. Auf halber Strecke weist mich die freundliche Dame auf meinen Irrtum hin. „Da müssen se zum Haupteingang“. Ich mache die Runde voll. Durchschreite die Türen und sehe oben am Treppenabsatz bereits die Kamerateams.
Im Empfangsraum schnappe ich mir eine Cola und lasse mein Blick umherschweifen. Da steht Niersbach, da Klaus Fischer und ganz hinten in der Ecke gibt Nerlinger gerade ein Interview. Ich stelle mich ein wenig näher an Nerlinger. Natürlich geht es um das Spiel, doch seine Phrasen, Durchhalteparolen und Würdigungen der Borussia klingen wie auswendig gelernt. Sein Blick geht am Interviewer vorbei, in die Weite des Raums. Dort wartet alles auf Aki Watzke. Der fehlt. Auch Wowereit ist noch nicht da. Erst kommt Wowereit. Dann Watzke. Schnell noch ein paar Statements (bis zum 5.Mai konzentrieren wir uns auf die Meisterschaft. Ja, es wäre schön, den Pott in den Pott zu holen. In die schönere Stadt) und schon geht es los.
Ein großer Raum. An der Wand ein Gemälde des Berliner Kongress aus einem vergangenen Jahrhundert. Darauf weist DFB-Stadionsprecher und Moderator Andreas Wenzel hin. In der ersten Reihe sitzen Henkel, Niersbach, Wowereit (links) und Watzke, Fischer, Nerlinger (rechts). Es ist eine fade Veranstaltung. Gerade richtig, um Luft zu holen, nach diesem Spiel. Erst spielen sich Wowereit und Niersbach ein paar Bälle zu. Niersbach sagt: „Berlin hat mehr Ausstrahlung als Wembley“. Die Anwesenden beklatschen das. Wowereit merkt an, dass Uli Hoeneß ihn neulich noch beschimpft habe. Da seien die Sympathien dann doch eher auf Dortmunder Seite. Als es um den Austragungsort Berlin geht, Niersbach sich über die Baustelle vor dem Rathaus beschwert, versichert Wowereit, der die ganze Zeit wie ein knuffiger, aber auch trauriger Bär aussieht, dass die U-Bahn hier mit Sicherheit nie bis 2016 fertiggestellt würde. Niersbach ist enttäuscht.
Eine Leere liegt über den Raum, die auch der von Klaus Fischer unter lautem Getöse hereingetragene Pokal nicht füllen kann.
Hier geht es nicht um den Pokal, und das ist jedem klar. Und auch wenn wir jetzt die Bilder der Pokal-Saison sehen, wird es nicht interessanter. Da sind bereits 30 Minuten vergangen. Erst der Ballspielverein.. Immer wieder Lewandowski. Weidenfeller in der Kurve. Langerak im Tor. Gündogan ins Glück. Dann die Bayern. Robben in Bochum sogar mal in der letzten Minute. Das Ende von Gladbach. Auftritt Watzke und Nerlinger. Es geht um das Spiel. Es wird wieder analysiert. Die zwei verschiedenen Halbzeiten. Das unglückliche Ende. Das Unentschieden, das eigentlich verdient gewesen wäre. Der Sieg, der wirklich verdient war.
Es sind keine Neuigkeiten, die da erzählt werden. Die Farblosigkeit des unentwegt am Hemdkragen nestelnden Nerlinger ist erschreckend. Wenn das das neue Bayern ist, haben sie ein Problem, denke ich und lache dann doch, als Nerlinger sich gegen den Leverkusen-Vergleich wehrt: „So schlimm, dass sie uns jetzt mit Bayer Leverkusen 2002 vergleichen, ist die Situation bei Bayern noch nicht“, sagt er da und weiß nicht, dass es ja sogar schlimmer kommen könnte. Bayer stand immerhin im Finale gegen Real, sie stehen nur im Halbfinale gegen Real. Und so geht das weiter. Bis zum Gruppenbild, in dem Watzke in Montgomery Burns-Manier seine Finger spreizt. Watzke erklärt noch schnell die Bedeutung Berlins als Pokalstadt und weist auf das Endspieltrikot im Form eines Berliner Bären hin. Das könnte interessant werden.
Der traurige Bär schnappt sich dann den Pokal, die Kameras knipsen, Nerlinger spricht mit ein paar Leuten, ein Großteil aber will einen O-Ton von Watzke. Ich will nur raus. Die Häppchen lass ich Häppchen bleiben. Nerlinger lass ich Nerlinger bleiben. Er tut der Liga gut. Mir aber tat das Spiel gut. Gesehen in meiner überfüllten Berliner Stammkneipe. Mich längst meinem Exilanten-Schicksal gefügt. Wenn man nicht im Stadion sein kann, macht man sich sein eigenes Stadion. Dafür braucht es keine Pressekonferenzen und gelangweilte Pressevertreter auf der Suche nach den verlorenen Emotionen. Die, wenn sie auf dem Platz ausgelebt werden, auch nur noch kritisiert werden. Es ist langweilig geworden. Nur nicht als Borussia-Fan.
steph, 16.04.2012
Die Fotos vom Heimsieg gegen den FC Bayern gibt es wie gewohnt auf unserer BVB-Fotoseite unter diesem Link.