High Level
Der BVB zieht einsam seine Bahnen und im Westfalenstadion wie in den anderen Stadien reibt man sich verwundert die Augen. Sieben Rückrundenspiele, sieben Siege – das ist eine Ansage, die es in sich hat. Mehr noch als die bloße Serie sorgt dabei aber auch die Art und Weise für Aufsehen, denn es scheint fast so, als dominiere der BVB seine Gegner nach Belieben.
Wie kommentierte Redaktionskollege Sascha nach dem Schlusspfiff am Samstag treffend die Tabellensituation der Liga? „So langsam trennt sich die Spreu von Borussia.“ Das war spaßig gemeint, enthält jedoch auch einige Körnchen Wahrheit. Denn derzeit existiert da oben an der Tabellenspitze nur noch ein Team, das seine enormen Pferdestärken auch auf die Straße zu bringen vermag.
Welch hohes Level die Borussen inzwischen innehaben, zeigt sich vor allem auch an der Zeit, die Neuzugänge und Rekonvaleszenten mittlerweile benötigen, um sich an das Spiel des BVB (wieder) heranzuarbeiten. Lucas Barrios hatte nach seiner Verpflichtung nur zirka ein Vierteljahr dafür gebraucht, tut sich jetzt nach überstandener Verletzung aber umso schwerer. Robert Lewandowski benötigte weite Strecken der abgelaufenen Meistersaison, um körperlich und taktisch der wichtige Spieler zu werden, der er heute ist. Shinji Kagawas schleppte seine halbjährige Ausfallzeit noch die gesamte Hinrunde mit sich herum und vermag erst jetzt wieder so aufzutrumpfen, wie man es aus der letzten Saison bereits kannte. Und Neuzugang Gündogan scheint auch erst jetzt die Schnelligkeit, Athletik und das nötige Verständnis für das Borussenspiel zu besitzen, um sich nahtlos in die Mannschaft einfügen und diese nach vorn bringen zu können. Ähnliches dürfte für Ivan Perisic gelten, dem es in der Vorrunde noch an der Bindung zum Spiel fehlte und für den sich seither in der Rückrunde keine rechte Gelegenheit ergeben hat, sein Können unter Beweis zu stellen. Und ganz sicher gilt die Beobachtung auch für Sebastian Kehl, der noch in der vergangenen Spielzeit zumeist zum Zuschauen verdammt war und auch erst gegen Mitte der Hinrunde so langsam auf Touren kam. Bei Marcel Schmelzer schließlich ist schon die gesamte Saison über deutlich erkennbar, dass die Blessuren in beiden Vorbereitungen nicht ganz folgenlos geblieben sind.
Die Schattenseite der Medaille, wenn man denn eine solche sehen will, ist also, dass nur ein absolut fitter Spieler dem Team wirklich weiterzuhelfen vermag. Dass Neuzugänge eben nicht sofort weiterhelfen und dass in der Folge Indisponiertheiten gleich mehrerer Spieler durchaus problematisch sein können. Gut zu sehen war das noch in der Hinrunde: Lucas Barrios verletzt, Nuri Sahin verkauft, diverse Mittelfeldspieler mit Blessuren und nicht im Vollbesitz der Kräfte, während ein hoffnungsfroher Neuzugang wie Ilkay Gündogan nicht im Ansatz mitzuhalten vermochte.
In die Zukunft gerichtet - Achtung: mahnender Aufruf! – sollten wir das auch im kommenden Sommer im Gedächtnis behalten. Denn auch Marco Reus wird vermutlich die ein oder andere Woche der Eingewöhnung benötigen.
Aktuell läuft es aber eben deutlich besser als zu Saisonbeginn: Vom Mannschaftsstamm fehlt allein Mario Götze, dessen Lücke von Kuba in Top-Form bestens ausgefüllt wird. Sporadische Ausfälle von Bender oder Kehl können durch einen deutlich verbesserten Ilkay Gündogan und auch durch Moritz Leitner inzwischen aufgefangen werden.
Das Gebilde ist zwar stabiler, unerschütterlich ist es nicht. Lukasz Piszczek dürfte in dieser Form kaum ersetzbar sein. Lucas Barrios fehlen, das zeigen die bisherigen Einsätze in der Rückrunde, durchaus noch einige Prozent, um im Fall der Fälle Robert Lewandowski zu ersetzen. Und ob in der offensiven Mittelfeld-Dreierreihe ein weiterer Ausfall auffangbar wäre, darf ebenfalls durchaus bezweifelt werden.
Die Borussia profitiert daher im Moment auch davon, dass sich Verletzungspech nur partiell offenbart und angeschlagene Spieler meist schnell und ohne große Ausfallzeit wieder zur Verfügung stehen. Wahrscheinlich haben Jürgen Klopp und Co. genau das vor Augen, wenn sie nach wie vor jede Favoritenrolle auf den Titel ablehnen. Und es ist ja auch richtig, denn Phasen wie die aktuelle, in denen alles wie am Schnürchen läuft, Ausfälle 1:1 kompensiert werden können und einem das gesamte Geschehen in die Karten spielt, sind erfahrungsgemäß erstens selten und zweitens vergänglich.
Andererseits: Mutmaßlich 17 Bundesligisten hätten diese Sorgen gerade wohl auch nur allzu gern.