Die einzige große Liebe heißt Borussia
Es ist schon verrückt. Heutzutage kann man seine politische Einstellung ohne Angst ändern, sich scheiden lassen und neu heiraten, auch die Religionszugehörigkeit und selbst das Geschlecht ist jederzeit änderbar. Alles schon geschehen, alles letztlich unproblematisch. Nur beim Fußballverein ist es schlechterdings nicht möglich, sich loszusagen und die Leidenschaft neu zu justieren.
Machen wir uns nix vor. Frauen kommen und gehen, doch bei der Borussia wissen wir: Jeden Samstag wartet sie auf uns. Gut, manchmal ist auch sie etwas mehr rattig und man muss schon am Abend vorher ran. Oder sie ist wie jede gute Frau zickig und lässt einen teils bis Sonntagabend warten. Doch ist die Sehnsucht auf beiden Seiten an jedem Wochenende so stark, dass man ohne den anderen nicht kann.
Ich bin schon mit ihr zusammen seit ich acht bin und noch heute froh, dass ich mich ausgerechnet in sie verliebt habe. Zum Glück wurde ich damals ins Westfalenstadion zu meinem ersten Mal mitgenommen. In dem Alter ist man leicht empfänglich und wäre wohl für jeden anderen Verein auch leicht entflammbar gewesen. Ich habe keine Probleme damit, meine Liebe mit Tausenden von anderen Menschen zu teilen. Denn an sie darf jeder ran. Dabei ist sie keine Schlampe. Nein, im Gegenteil! Bei ihr ist es so, dass der Orgasmus am schönsten ist, wenn fast 80.000 andere Menschen dabei mitmachen.
Und in letzter Zeit ist die Beziehung so gut wie lange nicht mehr. Denn plötzlich haben wir sogar die Möglichkeit, uns auch vermehrt unter der Woche zu sehen. Auch wenn die romantischen Ausflüge nach Frankreich, Griechenland und England nicht so schön waren wie die Liebe im Alltag, stellten sie doch eine nette Abwechslung dar.
Wie in jeder guten Beziehung gab es jedoch auch oft Streit und den Wunsch, die Partnerin erst einmal nicht mehr zu sehen. Bei mir kam dieses Gefühl in meiner kindlichen Naivität bei geringer Frusttoleranz sehr schnell auf. Ich ging einige Wochen fremd mit einem norddeutschen Verein, weil ich deren Mittelstürmer so toll fand. Andere hätten sich für diesen Lapsus vielleicht von mir getrennt. Doch meine Borussia verzieh mir.
Vor sieben Jahren waren wir in Angst, denn meine Liebe lag auf der Intensivstation und es sah sehr, sehr schlecht um sie aus. Die Ärzte hatten sie schon aufgegeben und erst durch ein mittleres Wunder konnte sie gerade noch einmal auf die Beine gebracht werden. Seitdem wissen wir, was wirklich zählt im Leben und genießen gemeinsam jeden Spieltag.
Dieses Jahr sind wir schon fast 18 Jahre zusammen. Wir werden also gemeinsam volljährig. Eine stolze Zahl in der heutigen Zeit. Über Enttäuschungen hilft sie einem hinweg. Wenn man Gefahr läuft abzuheben oder zu euphorisch zu werden, holt sie einen auf den Boden der Tatsachen zurück. Jede Woche. Nur im Sommer und Winter brauchen wir immer etwas Abstand zueinander und fahren getrennt in den Urlaub.
Doch die Sehnsucht zueinander kommt immer wieder zurück. Noch stärker als vorher.
Malte D., 21.02.2012