...dem Heinrich-Czerkus-Fanclub: "Kampf gegen Rassismus muss selbstverständlich werden"
Am Freitagmittag steigt an der altehrwürdigen Roten Erde zum achten Mal der Heinrich-Czerkus-Gedächtnislauf. Heinrich Czerkus, geboren 1894, war nicht nur Hüter von Borussias erstem Fußballplatz, der Weißen Wiese, sondern als bekennender Kommunist auch Widerstandskämpfer gegen die Nationalsozialisten. 1945 wurde Czerkus von ihnen im Rombergpark ermordet. Seit fast auf den Tag genau drei Jahren ist er zudem offizieller Namensgeber des Heinrich-Czerkus-Fanclubs. Zu diesem Anlass sprachen wir mit zwei Vertretern über die Geschichte des Laufs, das Zusammenspiel zwischen Fußball und Politik und vieles mehr.
schwatzgelb.de: Unter den interessierten BVB-Fans ist der Name Heinrich Czerkus mittlerweile wieder geläufig. Früher war das allerdings nicht der Fall. Wie kam es zum Heinrich-Czerkus-Lauf und wieso habt ihr ausgerechnet ihn zu eurem Namensgeber gemacht?
Wilfried: Die Idee zu dem Heinrich-Czerkus-Lauf ist bei den Dortmunder Naturfreunden* im Kreuzviertel entstanden. Ausgangspunkt war das Buch „Der BVB in der NS-Zeit" von Gerd Kolbe. Denn der hatte als erster die Bedeutung von Heinrich Czerkus, sowohl für den Widerstand als auch für die BVB-Vereinsgeschichte, heraus gearbeitet und das ist bei den Naturfreunden, die während der NS-Zeit ebenfalls im Widerstand waren, auf fruchtbaren Boden gefallen. Damals sind wir mit den Naturfreunden regelmäßig durch den Rombergpark und die Bittermark gejoggt. Weil wir alle um die Verbrechen von 1945 wussten, kam uns die Idee eines Gedächtnislaufs, der 2005 zum ersten Mal gestartet ist. Damals waren es lediglich 20 Mann. Wir haben natürlich von Anfang an versucht, den BVB mit ins Boot zu bekommen. Erst die Mitarbeit des Fanprojekts hat es uns ermöglicht, den Lauf auch in der Fanszene bekannt zu machen.
Rüdiger: Das ganze war anfangs weder groß angelegt, noch geplant. Aus dem Lauf und der Tatsache, dass wir alle gemeinsam auf der Südtribüne stehen, ist dann unser Fanclub entstanden. Die kleinsten gemeinsamen Nenner der Gründer waren die Naturfreunde, ihr Engagement gegen Rassisten und für Borussia. Heute sehen wir uns als ein kleines Bindeglied in der Dortmunder Fanfamilie.
schwatzgelb.de: Gibt es bestimmte Ziele, die ihr euch auf die Fahnen geschrieben habt? Auf eurer Homepage positioniert euch zum Beispiel recht deutlich für eine gerechtere Bezahlung von Arbeitnehmern. Für einen Fanclub eigentlich recht ungewöhnlich.
Rüdiger: Das bezieht sich größtenteils auf das politische Engagement einzelner Mitglieder. Der Lauf ist grundsätzlicher Bestandteil unserer Fanclub-Arbeit. Darüber hinaus sind Einzelpersonen von uns bei IG-Metall oder ver.di aktiv. Ein Großteil von uns kommt aus der Gewerkschafts-Bewegung, deshalb ist es ganz natürlich, dass sich zum Beispiel für gerechte Löhne einsetzt.
schwatzgelb.de: Wie steht ihr generell zum Zusammenspiel zwischen Fußball und Politik. Wo würdet ihr die Trennlinie ziehen?
Rüdiger: Wir sind alle Fans vom BVB und wenn wir uns zusammen setzen, dann drehen sich die Diskussionen nicht um Politik, sondern hauptsächlich um den Fußball. Deshalb steht Politik auch nicht im Vordergrund, wenn wir ins Stadion gehen. Allgemein ist es schwer, zwischen diesen beiden Feldern eine Trennlinie zu ziehen. Hinter „Kein Zwanni" als sozialer Kampagne stehen wir zum Beispiel voll und ganz.
Wilfried: Auch Heinrich Czerkus ist nicht aus politischen Gründen zum Fußball gegangen, sondern weil er von dem Spiel zu 100 Prozent fasziniert war. Damals hatte der Fußball überhaupt nicht den heutigen Stellenwert. Andere Sportarten, wie Turnen und Leichtathletik, waren viel wichtiger. Wer in den 20er Jahren zum Fußball gegangen ist, war wirklich ein absoluter Fan. Zumal der BVB damals weder im Ruhrgebiet, noch in Dortmund die Nummer eins war. Ersteres war Schalke.
schwatzgelb.de: Nach eurer Gründung, die gerade einmal drei Jahre her ist, hattet ihr sehr schnell einen beachtlichen Mitgliederzuwachs. Wie erklärt ihr euch den?
Rüdiger: Schwer zu sagen, das spricht sich einfach rum. Wir haben mittlerweile fünf Mitglieder in Berlin und als einer von ihnen dort mit unserem Fanclub-Schal in eine Borussen-Kneipe gegangen ist und ein paar interessierten Mitfans auf Nachfrage erklärt hat, worum es bei uns geht, hatten wir direkt drei neue Anmeldungen. Angefangen sind wir mit 18 Leuten und sind jetzt 76, ohne viel Werbung zu machen. Mit unseren Fanclub-Schals könnten wir übrigens ein Schweinegeld machen, wenn wir sie verkauften. Aber das wollen wir nicht, deshalb kriegen ihn nur Mitglieder.
Wilfried: Ich glaube, in erster Linie spielt auch die Faszination, die von der Person Heinrich Czerkus ausgeht, eine große Rolle. Damit werden Leute angesprochen, die auch über den Tellerrand des Fußballs gucken und denen Dinge wie Rassismus im Stadion auf den Keks gehen. Das sprechen wir klar an. Andere Fanclubs wie BVB International tun das natürlich auch...
Rüdiger: ...zum Beispiel Totale Offensive, die Sonnenkönige mit ihrer Behinderten-Arbeit oder auch TU und die Ausschwitz-Fahrt im vergangenen Sommer. Ein Alleinstellungsmerkmal haben wir natürlich nicht.
schwatzgelb.de: Seit zwei Jahren veranstaltet der BVB unter anderem den Tag gegen das Vergessen im Borusseum. Allgemein: Wie seht ihr eure Ziele von Borussia vertreten?
Rüdiger: Zweimal wurden wir vom Verein eingeladen, den Tag gegen das Vergessen mit zu gestalten. Das, was wir mit Borussia in dieser Richtung zu tun haben, ist für uns sehr zufriedenstellend. Ob Fanbeauftragte, Museum oder andere – ich kann da nicht klagen. Bei den Vorbereitungen zum nächsten Heinrich-Czerkus-Lauf waren zum Beispiel Jens Volke und Sebastian Walleit mit dabei.
Wilfried: Allerdings muss man sagen, dass Veranstaltungen gegen Rechts, auch nicht zu oft stattfinden sollten. Gedenkveranstaltungen natürlich ausgenommen. So wichtig sie auch sind,ihr Ziel ist es, Rassismus kalt zu stellen. Viel wichtiger ist es deshalb, dass dieses Handeln im Fan-Alltag selbstverständlich wird.
Rüdiger: Mit manchen Veranstaltungen erreicht man irgendwann nur noch die gleichen Leute, die man ohnehin nicht mehr überzeugen muss.
schwatzgelb.de: Außerdem muss man aufpassen, dass man die Geschichte von Heinrich Czerkus nicht allzu inflationär benutzt, bis man sie irgendwann platt getreten hat.
Rüdiger: So ist es. Es gibt mittlerweile eine Heinrich-Czerkus-Allee in der Nähe des Trainingsgeländes, da hat die Bezirksvertretung in Brackel eine hervorragende Arbeit gemacht. Darüber hinaus gibt es den wichtigen Heinrich-Czerkus-Lauf und die Gedenkveranstaltungen. Aber: Man darf es wirklich nicht übertreiben.
schwatzgelb.de: Gibt es auf diesem Gebiet eine alternative Themenvielfalt im Umfeld des BVB, auf die man zukünftig zurück greifen könnte?
Wilfried: Ich könnte mir vorstellen, dass man im nächsten Jahr den Franz Hippler etwas mehr in den Mittelpunkt stellt. Dessen Geschichte ist mittlerweile intensiver recherchiert worden und auch ihm könnte man einen Stolperstein zum Gedenken legen. Franz Hippler hat ursprünglich in der Wambeler Straße 11 gewohnt. Nach seiner Entlassung aus Buchenwald 1944 hat er als Kommunist ausgerechnet vom Nationalsozialisten und BVB-Mitglied Röhr eine Wohnung in dessen Haus bekommen. Warum, das versuchen wir gerade zu klären.
Rüdiger: Mein Traum ist es, dass die BVB-Fans in 20 Jahren regelmäßig und ohne einen großen Aufruf gemeinsam zur Bittermark wandern, laufen oder Rad fahren.
schwatzgelb.de: Während des Heimspiels gegen Werder Bremen gab es ja leider einige unerfreuliche Vorkommnisse, als in Block 13 Banner mit offenbar schwulen- und lesbenfeindlichen Inhalten in die Höhe gehalten wurden. Wie habt ihr das ganze erlebt.
Rüdiger: Viele von uns stehen in Block zehn und ich selbst habe davon erst am Sonntagmorgen erfahren.
schwatzgelb.de: Wie war eure erste Reaktion?
Rüdiger: Die, die diese Plakate in die Höhe gehalten haben, sind Idioten. Obwohl wir die Aktion bezüglich ihrer Hintergründe anfangs nicht einordnen konnten. Letztendlich schaden sie dem Verein und der Fanszene.
Wilfried: Da können sie auch zehn schwarzgelbe Schals um haben...
schwatzgelb.de: Wie ordnet ihr das ein, dass sich da zwar letztlich unter den 25.000 Fans auf der Südtribüne nur wenige derart geäußert haben, aber doch eine der in Dortmund führenden Fangruppierungen dahinter steht und ein derartiges Gedankengut äußert?
schwatzgelb.de: Wie kann man das regeln?
Rüdiger: Das weiß ich auch nicht. Meiner Meinung darf das allerdings nicht von außen geschehen.
schwatzgelb.de: Was heißt von außen? Ist der Verein Borussia Dortmund schon außen?
Rüdiger: Nein, Borussia Dortmund ist Bestandteil. Wir finden es gut, dass die vom Verein angekündigten Maßnahmen auch durchgezogen werden. Wir stehen hinter der Erklärung der Fan&Förderabteilung und auch hinter den Äußerungen von Watzke und Rauball.
schwatzgelb.de: Abschließend noch die Frage, wie ihr mit dem Fanclub Heinrich Czerkus weitermachen wollt. Wie seht ihr die Zukunft des Fanclubs?
Wilfried: Möglichst viele Meisterfeiern!
Rüdiger: Zurzeit haben wir einen Mitglieder Aufnahmestopp mindestens bis zum Ende der Saison. Wir möchten nicht unkontrolliert weiter wachsen, denn das ist auch alles Arbeit. Wir sind ja jetzt schon quasi bundesweit organisiert. (lacht) Viele Meisterfeiern und einen erfolgreichen Heinrich Czerkus Lauf organisieren.
* Die Naturfreunde sind eine in der Arbeiterbewegung bundesweit entstandene, politisch-überparteiliche Organisation. In Dortmund gibt es sechs Gruppen.