Unsa Senf

Humorvoller Einzeltäter oder konzertierte Aktion Hoffenheims? - die Hintergründe

16.08.2011, 14:20 Uhr von:  Redaktion

Da war es dahin, das blitzsaubere Image des Sinsheimer Saubermannclubs. Zumindest für einen halben Tag. Zehn Stunden lang prasselte auf die TSG 1899(!) Hoffenheim ein Schlagzeilenschauer nieder, auf den die Verantwortlichen des Clubs nur allzu gern verzichtet hätten. Auf einmal waren sie alle da. Spiegel, Süddeutsche, WDR, SWR, Bild und Co. rückten den Verein und seine Mitarbeiter in ein denkbar schlechtes Licht. Binnen 24 Stunden erfuhr die von der TSG - wohlgemerkt ein professionell geführtes Fußballunternehmen in der ersten Bundesliga - nach außen kommunizierte Darstellung des Vorfalls eine blitzsaubere 180-Grad-Kehrtwende. Wurde der Vorwurf eines vorsätzlichen Handelns des Veranstalters am Sonntag noch als „haltlos" abgetan, berief man einen Tag später aufgrund des brisanten Beweismaterials und des wachsenden medialen Drucks eine Krisensitzung im sonst so beschaulichen Sinsheim ein. Der Arsch dürfte so manch Anzug tragender Dorfnase mächtig auf Grundeis gegangen sein.

Von der zunächst in einer Pressemitteilung geäußerten Behauptung „ein Zuschauer habe eine lautstarke Fanfare in das Stadion eingebracht und diese insbesondere – nicht aber ausschließlich - bei diffamierenden Gesängen der Gästefans eingesetzt" war jedenfalls nach der Besprechung keine Rede mehr. Am Ende entschied man sich für die ziemlich naiv anmutende Bauernopfer-Strategie. In einer offiziellen Pressemitteilung heißt es, ein Mitarbeiter der TSG habe am Samstag eigenmächtig von der hölzernen Apparatur unterhalb des Gästeblocks Gebrauch gemacht, um die Schmähgesänge gegen Mäzen Dietmar Hopp und den Verein zu übertünchen. Die meisten Medienschaffenden übernahmen zur abendlichen Stunde die darauf folgende Meldung des Sport-Informations-Dienstes (SID), ohne die Schilderungen der Hoffenheimer vor dem Hintergrund des bis dahin zum Vorschein gekommenen Beweismaterials zu reflektieren (als positive Ausnahme sei hier Freddie Röckenhaus von der SZ zu nennen). Schade.

Denn auf dem Bildmaterial sind eindeutig drei Personen in unmittelbarer Nähe der Akustikwaffe zu erkennen. Einer von ihnen gehört zum Sicherheitsdienst und hat die Beschallung des Gästeblocks mit äußerst unangenehmen und möglicherweise auch gesundheitsgefährdenden Störgeräuschen offenbar geduldet. Ein anderer trägt – ebenfalls deutlich sichtbar – Ohrenschützer, um zumindest das eigene Gehör zu schonen.

Die Frage, ob es sich tatsächlich nur um einen einzelnen Mitarbeiter handelt, der diese Aktion „eigenmächtig", wie von der TSG behauptet, geplant und durchgeführt hat, ist daher mehr als berechtigt. Wie konnte es einer Einzelperson gelingen, die Apparatur durch die Sicherheitskontrollen in einen Fluchttunnel unter den Gästeblock zu schleusen und dort an die Stromversorgung anzuschließen? Warum wurde besagte Person von den Umstehenden kein einziges Mal daran gehindert, den Gästeblock mit den unangenehmen Störlauten zu beschallen? Wie ist es zu erklären, dass die Töne bereits vor Öffnung der Stadiontore von einigen Fans deutlich vernommen wurden? Entweder war es dem Sicherheitsdienst egal oder er war eingeweiht und hatte „von oben" die Order bekommen, nicht einzugreifen. Beide Optionen sind höchst bedenklich.

BVB-Fans kein Einzelfall, auch Frankfurter beschallt

Photo zu Verfügung gestellt von Ultras FrankfurtDoch damit nicht genug: Offenbar waren wir Dortmunder nicht die ersten, die Opfer der Hopp'schen „Ich mach mir die Welt, widdewidde wie sie mir gefällt"-Beschallung geworden sind. Auf Fotos vom Sinsheimer Gastspiel der Frankfurter Eintracht aus der letzten Saison ist eindeutig die gleiche Signalanlage zu sehen, wie sie gegen Dortmund zum Einsatz kam (Vielen Dank an die Ultras Frankfurt, die uns das Foto zur Verfügung gestellt haben). Auch in Eintracht-Foren haben sich damals auch bereits Fans über die Störgeräusche beschwert. Auch von Kölner Seite wurden Störgeräusche geschildert und nach Abpfiff unseres Spiels in Sinsheim im letzten Jahr wurden auch Störgeräusche vernommen, wenn auch deutlich leiser.

Die immer wiederkehrenden persönlichen Angriffe gegen Dietmar Hopp sind fragwürdig und es gibt mit Sicherheit weitaus kreativere Möglichkeiten, seinen Protest gegen diese Form des Mäzenatentums kundzutun. Doch, seien wir mal ehrlich: Wann war das letzte Mal ein Fußballspiel frei von persönlichen Anfeindungen und (beleidigenden) Schmähgesängen. Auch unsere Mütter werden auswärts regelmäßig ins horizontale Gewerbe gesungen. Deshalb ist es immer wieder erstaunlich, dass die entsprechenden Gesänge der Dortmunder Fans ein derartiges mediales Echo bekommen, während entsprechendes Liedgut von Seiten der TSG-Kunden völlig ignoriert wird.

So bekam man auch bei diesem Auswärtsspiel in Sinsheim wieder das übliche Potpourri aus „Dortmunder-A...löcher", „Sch... BVB" und den immer wieder gern genommenen „BVB-H...söhnen" zu hören. Als Fan nimmt man so etwas eher belustigt zur Kenntnis, es ist jedenfalls noch keine Anzeige bekannt geworden, die aufgrund solcher Sprechchöre getätigt oder auch nur angedroht wurde.

Dietmar Hopp hat die Gepflogenheiten in der Bundesliga von Anfang an nicht verstanden. Offenbar ist er es nicht mehr gewohnt, dass seiner Person mit Kritik begegnet wird. Schon gar nicht in einem derart rauen Umgangston, wie er in den Bundesligastadien Gang und Gäbe ist. Anders ist wohl nicht nachzuvollziehen, dass er sich diese plakative Kritik derart zu Herzen nimmt. Einmal verlangte er sogar vom DFB, die Anfeindungen gegen seine Person genauso konsequent wie Rassismus zu ahnden. Zitat: „Jedermann ist glücklich darüber, dass der Deutsche Fußball Bund und die DFL mit konsequenter Härte gegen Rassismus vorgehen. Wir würden uns wünschen, dass man Diskriminierung mit der gleichen Konsequenz verfolgt." (Rhein Zeitung online) Damals hatte Christian Heidel, Manager des FSV Mainz 05, Kritik am Modell Hoffenheim geäußert (siehe unten).

Vermutlich hätten die persönlichen Angriffe gegen ihn inzwischen aufgehört, wenn sie sich nicht als ein so zuverlässiges Mittel erwiesen hätten, Reaktionen von Hoffenheimer Seite zu provozieren und dadurch mediale Aufmerksamkeit zu erregen. Erfahrungsgemäß ist diese Aufmerksamkeit mit einem inhaltlich fundierten und kreativen Protest nicht zu erlangen. Hopps extremer Geltungsdrang bietet wohl einen möglichen Erklärungsansatz für sein Verhalten.

Wohl kaum ein anderer Mensch hat zu seinen Lebzeiten derartig viele Dinge nach sich benennen lassen: Straßen, Sporthallen, Stadien, ja sogar ein Kleinplanet tragen inzwischen seinen Namen. In seiner Metropolregion hat er inzwischen einen solch unantastbaren Ruf als Wohltäter, dass es ihm unvorstellbar erscheint, im Rest der Republik plötzlich auf Ablehnung zu stoßen. Der Versuch, Fans via Fanfare mundtot zu machen, passt gut zum Umgang mit anderen Kritikern, wie ihn zum Beispiel Christian Heidel eindrücklich in einer Reportage des WDR Magazins „Sport Inside" schilderte.

Die Geschehnisse am Samstagnachmittag entlarven auf eindrucksvolle Weise die mehr als fragwürdige Philosophie des Projekts Hoffenheim. Dort wird der Fan nur als stiller Beobachter oder Claqueur gern gesehen, während versucht wird, das Produkt Fußball so sauber wie möglich zu halten. Kritik, ja selbst ohne persönliche Diffamierung („Fußballhure Hoffenheim"), ist dort Fehl am Platz. Denn irgendwo im Stadion saß jemand am Buzzer und entschied darüber, ob die Äußerungen der gegnerischen Fans nun zum makellosen Image des Vereins passen oder nicht. Daher sind auch nach dem letzten Erklärungsversuch der TSG noch viele Fragen offen. Es bleibt zu hoffen, dass das kurzfristig aufgeflammte mediale Interesse anhält, bis geklärt ist, was und wer wirklich hinter der Lärmattacke auf Dortmunder Fans steht. Denn es ist eine beunruhigende Vorstellung, dass so etwas in einem deutschen Fußballstadion möglich ist.

Werden in Zukunft vielleicht auch andere kritische Äußerungen der Fankurven, welche sich möglicherweise gegen Trainer und Funktionäre richten, übertönt? Das ist für so manchen Verantwortlichen sicherlich eine verlockende Vorstellung.
Besonders für Dietmar Hopp, der am Montag wie ein gekränkter Rüde in den medialen Blätterwald zurück kläffte: „Wer mich 90 Minuten lang permanent beleidigt, sollte nicht so empfindlich reagieren. Wenn die BVB-Fans Anzeige erstatten, dann müsste ich 200 Anzeigen wegen Beleidigung erstatten." Zunächst mal ist verwunderlich, wie selbstverständlich Hopp sich mit denjenigen auf eine Stufe stellt, die er bislang nur als unverbesserliche Chaoten wahrgenommen und ins schlechte Licht gerückt hat. Wenn er – seiner Ansicht nach - mit unlauteren Mitteln angegriffen wird, hat er anscheinend keine Probleme damit, sich auf dasselbe Niveau zu begeben und mit gleicher Münze zurück zu schlagen.

Stopp! Gleiche Münze? Nicht einmal das ist haltbar. Denn eine Beleidigung mag den Stolz des Adressaten zwar verletzen, nicht aber seine Gesundheit. Ob das Gerät, mit dem die Fans in Sinsheim beschallt wurden, dazu geeignet ist, die Gesundheit von in der Nähe befindlichen Personen zu schädigen, werden die polizeilichen Ermittlungen zeigen. Erste Schilderungen von Tinnitus-Geräuschen und die Medienberichte über den Hörsturz eines Fans (Süddeutsche Zeitung) lassen in dieser Hinsicht aber nichts Gutes vermuten.

Doch auch unabhängig davon bleibt eins festzuhalten: Der Schutz der Besucher vor körperlicher Beeinträchtigung durch den Veranstalter ist in der Sinsheimer Arena sträflich vernachlässigt worden. Der wiederholte Einsatz der Signalanlage ist nicht unbemerkt geblieben. Trotzdem hat sich niemand, weder Sicherheitsdienst noch andere Verantwortliche gegen das wiederholte Einsetzen der Signalanlage gewehrt. Das ist schwer zu bestreiten.
Die Verantwortung für diese Missstände möchte der Veranstalter nun einem einzelnem Hausmeister, einem Bauernopfer zuschieben, um von den eigenen Organisations- und Sicherheitsmängeln abzulenken. So gewinnt man den Eindruck, die TSG wolle die wirklichen Hintergründe dieser Aktion verschleiern. Nun liegt es an den Hoffenheimern, diesem Eindruck durch eine lückenlose Aufklärung der Vorfälle entgegen zu treten.

Während der letzten beiden Tage landeten in unserem Redaktions-Postfach auch Mails, in denen wir aufgefordert wurden, unser „hochnotpeinliches Gejammer" einzustellen und die 1:0-Niederlage endlich zu akzeptieren. Doch glaubt uns. Es geht nicht darum, den sportlichen Ausrutscher in irgendeiner Art und Weise (und so schon gar nicht) zu korrigieren. Niemand hat ein Problem damit, die Niederlage zu akzeptieren. Hier geht es um Vorfälle abseits des Platzes, die uns erneut in unserer fundamentalen Ablehnung des Hoffenheimer Projekts bestätigen. Die TSG entlarvt sich mehr und mehr als Spielzeug eines allmächtigen Mäzens und passt als solches nicht in unsere Fußballwelt.

MalteS/Web/Daniel W., 16.08.2011

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