Früher war mehr Familie
Endlich wieder Borussia, dachten sich am gestrigen Sonntag rund 40.000 Fans des Deutschen Meisters und bekamen dafür ein laut plärrendes Kommerzprogramm geboten. Und so war es auch wenig erstaunlich, dass bereits weit vor dem eigentlichen Höhepunkt des Familientages, der Rückkehr der Meisterhelden, viele der Besucher den Heimweg angetreten hatten.
Irgendwas ist hier nicht in Ordnung, war dann auch der erste Eindruck beim Betreten des Westfalenstadions. Sieben Wochen nach der größten Feier der Geschichte endlich wieder ins Stadion, einer der Beweggründe, sicher! Und wenn man dann in Dortmund ankommt, am Hauptbahnhof die glücklichen Gesichter sieht, der Bahnhof und in der Folge die Stadt und die Bahnen in Richtung Stadion alle erneut in den schönsten Farben der Welt erleuchten, kehrt die Freude zurück. Endlich wieder Fußball und vor allen Dingen: Endlich wieder Borussia. Klar, hier und heute sind es wahnsinnig viele Familien und in der Bahn erzählt der Freund (mit Borussia-Trikot) seiner Freundin (mit Borussia-Trikot), dass sie fortan immer und immer wieder ins Stadion zurückkehren wird. Betrittst Du den Tempel einmal, sagt er, wird er Dich nie wieder loslassen. Im Namen der Liebe: Möge die Freundin ihrem Freund noch einmal verzeihen. Unbekannte Dame im schwarzen Borussia-Trikot, ich rufe Dir zu: Das hatte niemand erwartet, verzeih ihm noch einmal!
Einmal aus der Bahn ausgespuckt geht es in Richtung Stadion. Anders als an Spieltagen für mich unten an Süd. Schon dort ist irgendwas massiv nicht in Ordnung. Nur zwei Eingänge sind geöffnet. Optimistisch, denke ich und stecke sofort im Gegenverkehr fest. Durch beide Eingänge kommen mir gefühlte 200 Kinderwagen entgegen. Hinter mir bildet sich eine Schlange. Vor mir auch. Niemand kann etwas dafür, niemand ist genervt, nur die Blicke der herausgehenden Kleinfamilien vielleicht ein wenig, doch anstatt Verärgerung verspüre ich immer noch große Vorfreude. Die Heimkehr. „Frohes Neues", ruft man sich im Stadion zu. Und erst wundere ich mich über die Lautstärke, doch schnell wundert mich gar nichts mehr. Aus Rufen werde Schreie. Die Blicke schweifen zur Westtribüne, dort steht die Autogrammbar oder besser dort stehen die vier Tische, die von verschiedenen Seiten bedient werden. Eine Bar scheint weniger interessant, dort ist niemand. Im Südwestbereich knubbeln sich die Leute, direkt neben ihnen sind Lautsprecher, aus denen in einer Tour Stimmungsmusik schallt, aufgebaut. Bis zu 90 Minuten stehen die Fans dort und warten auf Einlaß zur Autogrammbar.
Die Runde weiterdrehen. Auf der Süd stehen wahnsinnig viele Kinderwagen. Als Kind bin ich mit meinem Vater gekommen, die alte Tradition lebt. Es ist schön zu sehen, wie der Nachwuchs hier bereits schwatzgelbe Luft atmen kann und es ist wunderbar, in die glücklichen Augen der Väter und auch der zahlreichen Mütter zu blicken. Sie sind voller Stolz. Hier, sagen sie ihren Kindern, steht Papa immer. Heja BVB, antworten die Kleinen und träumen von ihren ersten Besuchen auf der Süd. Geht doch, so ergibt das alles wieder Sinn, denke ich und habe wohl für den kürzesten Moment meine Ohren ausgeschaltet. Auf dem Rasen hampelt seit geraumer Zeit eine Band rum, von der man sich fragt, was sie da eigentlich machen. Sie sind gelangweilt, provozieren den nahezu komplett besetzten Unterrang der Ost mit sinnfreien Sprüchen und desinteressierten „Wer ist Deutscher Meister"-Sprechchören und geben sonst den, wie sie später selbst anmerken werden, Pausenclown. Es ist furchtbar. Das hat nicht einmal das Wolfsburger Publikum verdient, denke ich.
Ich schaffe es in den Funpark, auf dem Parkplatz hinter der West. Von der Süd kommend geht es gleich gut los. Aki Schmidt und Casino Express spielen noch schnell einen Shanty auf der Kinderlachen-Bühne und kommen dann gleich zur Sache. Mit „Die heißen Jungs sind wieder da" haben sie bereits einen nächsten BVB-Hit aus dem Hut gezaubert, doch natürlich wartet hier jeder auf Rubbeldikatz und rubbeldikatz kommt der Hit der Meisterschaft dann auch. Angekommen. Für einen Moment zumindest, denn direkt im Anschluß kündigt sich Tim Toupet an. Das kann niemand ernst meinen. Im Fun-Park selbst das gewohnte Bild. Schlange, Schlange, Schlange. Sicher: Da ist für jeden was dabei, aber für jeden ist eben auch eine Schlange dabei. Immer und zu jeder Zeit. Sicher nicht ungewöhnlich, wenn man die Zuschauerzahlen bedenkt. Und immerhin gab es Casino Express und eigentlich, gestehe ich mir ein, war ich noch nie ein Typ, den Großveranstaltungen sonderlich interessiert haben.
Doch dieses Eingeständnis schmerzt. Denn eigentlich sollte dies hier doch keine Großveranstaltung sein, auf der man sich gegen Geld mit der Meisterschale fotografieren lassen und auf der man sich in einer Pizzaschachtel ein Stück des Meisterrasens sichern kann, der fein säuberlich direkt vor der Nord rausgestochen wurde. Eigentlich sollte das hier doch was für die Kinder sein, aber wenn diese Band nach meiner Rückkehr aus dem Funpark immer noch auf Clown macht und einfach nicht klein beigeben will und in nervtötender Lautstärke beinnahe jedes Gespräch zunichte macht, bin ich mir ziemlich sicher: Auch Kinder werden daran wenig Freude haben.
Gegen 15.40 dann doch noch der Einmarsch der Meister. Ich hatte schon die Befürchtung, sie kommen einfach nicht mehr, raunt mir mein Nebenmann zu. Ich habe mich mittlerweile an den Rand der Ost verdrückt und beobachte das Spektakel. Nobby ruft die Spieler raus und da ist wieder das Gefühl: Borussia, ist das Beste, was der Menschheit jemals passiert ist. Wenn alleine der erste Auftritt der Spieler wahre Emotionen freiruft, bei Götze die Teenies grölen, bei Kuba die Melancholiker respektvoll klatschen, bei Shinji alle durchdrehen und am Ende bei Klopp, dem großen Meister aller Klassen, das Stadion Kopf steht. Mit wenigen Worten hat Klopp das Publikum wieder unter Kontrolle. Ein eleganter Menschenfänger. Nachdem auch die Neuzugänge präsentiert sind, merkt Klopp kurz an, dass diese auch ganz gut kicken können. Man glaubt es ihm aufs Wort.
Danach beginnen die Spiele ohne Grenzen. 12 Fans, die aber eigentlich nur mit 10 Mann + 1 Frau angetreten sind, dürfen sich in verschiedenen Spielen mit der Mannschaft messen. Doch die Luft ist jetzt raus, die Tribünen leeren sich. Manchmal reicht auch einfach: Mannschaft sehen und gehen. Früher war eindeutig mehr Herz und weniger Krach!
steph, 04.07.2011