Serie

Dembowski und die Wachablösung im deutschen Fußball

24.11.2011, 12:13 Uhr von:  Redaktion

Es waren seltsame Zeiten für Dembowski. Der ruhelose Ermittler hatte sich nach einem Streit mit Redermann aus Dortmund verabschieden müssen. Jetzt saß er in der Bundeshauptstadt fest und jagte dem Besitzer eines verlorenen Fingers hinterher. So ganz aber konnte er sich nicht vom Fußball lösen. Und schon gar nicht von der Borussia, seiner großen Liebe. Aus dem Klammergriff von Reiser gelöst, fühlte er sich unendlich frei. Da waren auch die Unstimmigkeiten mit den Dortmunder Konstrukteuren schnell vergessen. In dieser Angelegenheit waren sich alle einig: Der Ballspielverein war auf dem richtigen Weg.

Amok, der alte Mann aus der östlichen Vorstadt Dortmunds, hatte sich schon länger auf den Hoppenheimer Fall eingeschossen. Wöchentlich übermittelte er seine Ergebnisse an die Zentrale in Polen. Immer noch liefen dort alle Fäden zusammen. Dembowski hatte es sich derweilen im Hinterzimmer einer Weddinger Samenhandlung eingerichtet. Auf sein Kronen konnte er dabei nicht verzichten. Nach wochenlanger Recherche war es ihm gelungen, sämtliche Kronen-Kisten der Hauptstadt aufzukaufen. Die Kohle war weg, aber nicht verloren. Hätte ich in Staatsanleihen gemacht, sagte er sich, wäre am Ende nicht einmal Pfand übrig geblieben und ich wäre bei der Geldvernichtung sogar nüchtern gewesen. Es ging dem Ermittler gut. Klar, Redermann nervte ihn hin und wieder. Aber Redermann machte jetzt eben in Chef-Konstrukteur in Dortmund. Das war sein gutes Recht. Niemand wollte es ihm streitig machen. Und, das musste Dembowski zugeben, so schlecht füllte er diese Rollen nicht aus.

Mit Amok und Redermann hatte er also ein verlässliches Team und Reiser war dem Ermittler mittlerweile fast egal. Wenn er Reisers Hasstexte lass, kam ihm immer noch das kalte Kotzen und wenn er sich Reisers Gesicht vorstellte, wurde ihm immer noch schlecht. Manche Dinge ändern sich nie. Aber Dembowksi hatte Abstand gewonnen. Auch „Der Samstag!", das Wochenblatt der Konstrukteure, lief immer besser. Mit ihren Kommentaren hatten sie schon so manch einen verlogenen Typen aufschrecken lassen und mit ihren Recherchen ein paar dicke Hunde auffliegen lassen. Es war alles gut. Auch seine Plattensammlung war in der Bundeshauptstadt angekommen. Konnte das Leben besser sein? Die Dinge, die sich vor seinen Augen abspielten, meist zwar nur noch vor dem TV-Schirm verzückten Dembowski. Das war seine Borussia, das war der Verein, den er liebte. Das war der Verein, den er noch im letzten Jahr hatte bekämpfen müssen. Doch nun hatten sich die Umstände geändert. Jetzt konnte er ganz andere Dinge bekämpfen.

Natürlich: Dieser Finger beschäftigte ihn auch. Aber für einen ausgewachsenen Kriminalfall war der Ermittler nicht geboren. Manchmal fragte er sich dann, ob die Bezeichnung Ermittler überhaupt auf ihn zutrifft, doch spätestens am Abend bei Kronen und Ernte und auch bei seinen Ausflügen ins Weddinger Nachtleben war ihm das egal. Er war eine Marke. Auch ohne Dienstmarke. Die Anfeindungen der zugezogenen Bayern.Fans prallten an ihm ab. Sie waren seine Zeit nicht wert. Alles, also wirklich alles lief nach seinen Vorstellungen. Ein perfektes Leben. Hin und wieder legte der Ermittler noch Tony Joe White auf, doch er brauchte ihn nicht mehr unbedingt. Er hatte sich anderen Quellen zugewandt. Sogar Soul stand jetzt in seinem Plattenschrank, mit Gil-Scott Heron hatte er Redermann sei Dank auch seinen Frieden geschlossen.

Am Mittwoch dann hatte Dembowski alleine im Hinterzimmer gesessen. Champions League. Den Tag über verfolgte er die Webcam an der Abbey Road. Man konnte nie wissen ,wer da gerade vorbeiläuft. Man konnte nie wissen, ob sich da nicht was ereignen würde. Und gab es an Tagen wie diesen überhaupt einen besseren Zeittotschläger? Mitnichten! Näher zum Spiel hatte er mit Redermann telefoniert, sie waren noch einmal das Extrablatt durchgegangen. „Da muss ein Kommentar von Dir kommen, Dembowski!, hatte Redermann gesagt. Dembowski würde sich nicht lumpen lassen und genau dies tun.

Das Spiel begann. Arsenal lief ins Leere oder gegen Bender. Wie immer, dachte Dembowski. Doch dann: Ah. Tat das weh! Schon beim Hinsehen. Wie der Fuß im Flug den Kiefer bricht. Unfassbar weh! Aber Bender wäre nicht Bender gewesen, wenn er nicht direkt aus dem OP-Saal eine "Alles halb so schlimm"-Nachricht übermittelt hätte. Guter Mann. Könnte auch Konstrukteur sein, deachte Dembowski. Vielleicht war er es? Niemand wußte es. Nur Piotr. Nur Bender!

Nach dem Spiel ging der Ermittler auf die Straßen der Stadt. Aus dem Hinterzimmer zurück in die Wohnung. Er hatte ein paar Platten aufgelegt. Erst wollte er Denis Leary auflegen. Life's Gonna Suck When You Grow Up. Aber es hatte nicht seiner Stimmung. Das Leben saugte nicht. Nicht jetzt. Und nicht in Zukunft. Das hatte er sich vorgenommen. Das hielt er jetzt auch durch. Er holte Woody Guthrie aus dem Regal. Die Library Of Congress Recordings. So Long It's Been Good To Know Yuh! Es war nicht das Ende der Welt, und als er noch einmal die Tabellen durchging, nicht einmal das Ende der Champions League-Kampagne. Den Kommentar musste er trotzdem noch verfassen. Und so schrieb er:

Reifs Kritik - ein verzweifelter Rettungsversuch
(berlin) Was war eigentlich? Was ist an diesem 23.11.2011 eigentlich passiert? Drüben in Britanien, wo die Fans an einem Strang zogen? Neben der beeindruckenden Invasion der knapp 10.000 Schwatzgelben, haben wir eine erstaunlich abgeklärte Borussia gesehen. Von der Anfangsnaivität war im Emirates nichts mehr zu sehen.Dann die Verletzungen. Der Verlust der Ordnung. Doch auf dem Weg der Borussia wird nicht geklagt. Trotz Bender, trotz Götze. Die Qualität kommt von der Bank. Auch wenn die Umstellung während des Spiels nicht gelang. Der Deutsche Meister hat Qualität. Der Deutsche Meister wird, da lege ich mich fest, in dieser Form wieder Deutscher Meister. Während im Süden der Ausfall eines Spielers beklagt wird, macht der Ballspielverein nach zwei wichtigen Ausfällen einfach weiter. Die zürnende Kritik Marcel Reifs verhallt da als verzweifelter Rettungsversuch einer untergehenden Großmacht. So absurd es klingt. Der 23.11.2011 war die endgültige Wachablösung im deutschen Fußball. (dembowski / Der Samstag!)

dembowski, 23.11.2011

dembowski ermittelt täglich hier. die handelnden personen werden im dembowski-universum erklärt.

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