Im Gespräch mit...

...Gutachter Dr. Jürgen Maue: "Im Prinzip war es ein iPad, von dem das Signal erzeugt wurde."

16.12.2011, 20:41 Uhr von:  Redaktion
...Gutachter Dr. Jürgen Maue: "Im Prinzip war es ein iPad, von dem das Signal erzeugt wurde."

Dr. Jürgen Maue vom Institut für Arbeitsschutz in St. Augustin hat das Gutachten zur Hoffenheimer Lärmaffäre geschrieben und das eingesetzte Störgeräusch bewertet. Nach seinen Erkenntnissen ist das Geräusch ungefährlich gewesen. Wir sprachen mit ihm.

schwatzgelb.de: Herr Maue, Sie haben das Gutachten für die Staatsanwaltschaft in der sogenannten "Lärmaffäre" erstellt. Können Sie uns sagen, wie laut die Apparatur denn nun war?"

Dr. Jürgen Maue: Es gab an den am stärksten belasteten Stellen auf der Tribüne einen kurzzeitigen Pegel von 92 dB(A), der vier Sekunden lang gehalten wurde, dann für etwa eine Sekunde unterbrochen wurde und sich dann wiederholte. Gemittelt waren es etwa 91 dB(A), an den meisten Orten aber sogar zehn dB(A) weniger. Außerdem musste die Anlage immer wieder neu gestartet werden, sodass sich größere Pausen ergeben.

Wie muss man sich die Apparatur denn vorstellen?

Dr. Jürgen Maue: Im Prinzip war es ein iPad, von dem das Signal erzeugt wurde. Daran waren ein Verstärker und schließlich handelsübliche Stadionlautsprecher älterer Bauart angeschlossen.

Wie genau sah denn Ihr Versuch aus?

Dr. Jürgen Maue: Wir haben das Gerät im leeren Stadion unmittelbar im Bereich der Fankurve aufgebaut. Den genauen Aufstellungsort haben uns die Verantwortlichen der TSG Hoffenheim gezeigt, wir haben ihn aber auch mit uns vorliegenden Fotos aus dem Internet verglichen.

Besteht denn die Möglichkeit durch Modifikation der Anlage lauter zu werden, als in Ihrem Versuch?

Dr. Jürgen Maue: Nein, sowohl das iIPad als auch der eingesetzte Verstärker wurden auf die maximale Leistung eingestellt. Mit den hier eingesetzten Druckkammer-Lautsprechern lassen sich keine nennenswert höhere Lautstärken erreichen.

Sie sagen, dass derartige Lautstärken ungefährlich sind. Warum ist denn dann im Berufsleben ab 85 dB(A) das Tragen von Gehörschutz Pflicht?

Dr. Jürgen Maue: Diese 85 dB(A) sind ein Mittelwert für den Lärmpegel, der den ganzen Tag über an einem Arbeitsplatz herrscht. Über kurze Zeit sind auch höhere Lautstärken möglich und ungefährlich.

Nun existiert im Stadion eine gewisse Grundlautstärke. Ergeben sich nicht wesentlich höhere Pegel, wenn dieser Lärm zu der Apparatur hinzukommt?

Dr. Jürgen Maue: Im Stadion können durchaus mehr als 100 dB(A) auftreten, das entspricht einer zehnmal höheren Schallenergie als bei 90 dB(A). Deshalb lässt sich mit der untersuchten Apparatur keine messbare Erhöhung der Gesamtbelastung erreichen. Zum Vergleich: Ein laut singender Fan erzeugt auch schon einen Schalldruckpegel von etwa 90 dB(A).

Ein singender Fan ist aus der Masse aber nicht heraus zu hören, die Lautsprecher waren es schon. Wie erklären Sie sich das?

Dr. Jürgen Maue: Weil die Frequenz eine andere ist. Das abgegebene Geräusch wechselte zwischen 900 und 1100 Hertz. In diesem Frequenzbereich mag sich das erzeugte Störgeräusch durchaus von dem durch Fangesänge erzeugten breitspektralen Geräuschspektrum abgehoben haben, obwohl der Gesamtpegel der Anlage unter dem von den Besuchern erzeugten Pegel auf der Tribüne lag.

Und die Frequenz hat keine Auswirkungen auf einen möglichen Gehörschaden?

Dr. Jürgen Maue: Doch, grundsätzlich schon. Dafür gibt es sogenannte „Bewertungsfilter“ bei der Messung. Durch das hier angewendete A-Bewertungsfilter bewertet man Töne unterschiedlicher Frequenz und Intensität so, wie sie auch vom menschlichen Gehör wahrgenommen werden. Tieffrequente und sehr hochfrequente Geräuschanteile oberhalb von 5000 Hertz gehen dabei in geringerem Maße in das Messergebnis ein, während die etwa 1000 Hertz der untersuchten Anlage nahezu unverändert zum Gesamtergebnis beitragen.

Wenn man also bei 1000 Hertz ein Signal mit zirka 90 dB erzeugt, misst man einen A-bewerteten Pegel von etwa 90 dB(A). Akute Gehörschäden können bei dieser Frequenz aber erst bei einem Schalldruckpegel oberhalb von 120 dB und Einwirkungen über Minuten entstehen. Das entspricht einer tausendmal höheren Schallenergie als bei 90 dB(A). Als Grundlage für die entsprechende Beurteilung lässt sich die VDI-Richlinie 2058 Blatt 2 „Beurteilung von Lärm hinsichtlich Gehörgefährdung“ heranziehen.

Ich habe gerade mit einem der Geschädigten gesprochen. Er hat bei diesem Spiel einen Hörsturz erlitten und leidet seitdem unter Tinnitus. Außerdem hat er mir versichert, bis zu besagtem Spiel keinerlei Probleme mit dem Gehör gehabt zu haben. Was sagen Sie dazu?

Dr. Jürgen Maue: Aus meiner Sicht ist es gut möglich, dass so etwas durch den Lärm im Stadion ausgelöst wird, etwa wenn jemand direkt neben einer Trommel steht. Auch Vuvuzelas oder Gasfanfaren (in der Regel im Stadion verboten, Anm. d. Redaktion) erreichen da sehr hohe und potentiell gefährliche Lautstärken. Aber dass die Lautsprecherapparatur dafür verantwortlich ist, kann ich nach meinen Ergebnissen ausschließen.

Herr Dr. Maue, wir danken für das Gespräch!

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