Kuba, der grosse Melancholiker
Es ist Mitte April 2008, der BVB spielt sein erstes Pokalfinale seit 1989. Rund 40.000 BVB-Fans haben sich auf die Reise gemacht, färben die nasskalte Hauptstadt an diesem Wochenende in schwatzgelb. Die Woche vorher hatte es Klatschen gesetzt. Das 0-5 beim Endspielgegner Bayern wurde unter der Woche noch durch eine 1-3 Heimniederlage gegen Hannover getoppt. Kurz vor dem Spiel kommt erstmals ein Gerücht auf: Jürgen Klopp wird zur Saison 2008/2009 Thomas Doll ablösen. Noch ist es nur ein Gerücht, doch es macht schnell die Runde. Lieber heute als morgen wollen wir erlöst werden. Doch erst einmal geht es ins Olympiastadion. 120 Minuten die Mannschaft unterstützen. Auf dem Platz stehen: Ziegler, Rukavina, Wörns, Kovac, Dede, Kehl, Kuba, Tinga, Kringe, Petric, Frei. Auf der Bank sitzen: Bade, Degen, Kruska, Hummels.
Anfang April 2011. Es war kein gutes Jahr für den letzten Überlebenden aus der Pokalfinalstartelf. Kuba, mittlerweile Kapitän der polnischen Nationalelf, hat im Laufe der Saison seinen Stammplatz auf der rechten Seite verloren. Zwar wird er am Ende der Saison auf 29 Bundesligaeinsätze kommen. Doch nur 6 Spiele davon wird er über die volle Distanz bestreiten, 14x kommt er als Einwechselspieler aufs Feld, 9x wird er ausgewechselt. In der Rückrunde erzielt Kuba genau ein Tor, nachdem er in der Hinrunde auf gute 2 Tore und 4 Assists kam. Wieder wird ihm das Ende seiner Zeit im Dortmunder Dress angedichtet. Er sei zu langsam geworden, zu ängstlich, seine gefürchteten Flankenläufe ohnehin immer nur Legende gewesen. Der bei seiner Verpflichtung im Sommer 2007 mit reichlichen Vorschusslorbeeren ausgestattete Kuba kämpft nunmehr schon seit gefühlten drei Jahren mit seiner Form. Auf den Tribünen raufen sich die Fans bei jeder Ballberührung die Haare. „Und der will der polnische Figo sein? Dann sollte der mal schleunigst zurücktreten.“ „Recht haste, da nehme ich doch lieber den Dortmunder Messi!“ Und schon bejubeln sie wieder eine neue Aktion von Mario Götze. Der Shootingstar hat Kuba im Laufe der Saison auf die Bank gedrängt, und trotz des Ausfalls von Kagawa belässt Klopp Götze auf der Außenbahn und bringt dafür Kubas Landsmann Lewandowski in der Zentrale.
Vergessen sind da im frühen April 2011 bereits Kubas großartige Auftritte in der Hinrunde, mit einer Glanzleistung im Auswärtsderby und dem entscheidenden Schwung beim 4-0 Auswärtserfolg bei Hannover. Der große Melancholiker im Team der Young Guns, dessen Lachen bislang nur die wenigsten Menschen überhaupt je gesehen haben, dessen Gesichtszüge immer den Hang zum Schwermütigen haben, hat immer noch an einer der Szenen der Saison zu knappern. Völlig freistehend vergibt Kuba auf Vorarbeit von Lewandowski das 3-1 beim Auswärtsspiel in Freiburg. Nicht nur Kuba, sondern die ganze Liga erinnert sich an diesen Augenblick. Am Elfmeterpunkt steht der erst in der 61.Minute eingewechselte Kuba völlig blank, Freiburgs Keeper liegt nach einem verlorenen Duell gegen Lewandowski geschlagen an der Strafraumkante. Doch in Rücklage versagen dem damals 24jährigen Polen die Nerven. Aus 11 Metern zimmert er den Ball in den Freiburger Himmel. Am Netradio stockt Norbert Dickel die Stimme, die diversen youtube-Videos haben bis heute annähernd 1.000.000 Klicks. „Das darf nicht wahr sein. Es ist niemand mehr da, kein Torwart gar nichts mehr, und Kuba schießt ihn übers Tor… Das erinnerte mich an 1986, Frank Mill im Olympistadion in München. Wie er ihn an den Pfosten schießt. Aber das jetzt, das jetzt war noch schwieriger“, erklärt der entgeisterte Norbert Dickel nach unendlichen Sekunden der Stille. Kuba wird sich davon so schnell nicht mehr erholen. Bis zum 09.04.2011. Und noch Wochen später, auf dem Meistertruck hängt ihm die Szene nach. Anstatt die Feier genießen zu dürfen, sortiert ihn der knallharte Trainer Klopp gemeinsam mit Barrios, Sahin und Dede zum Elfmeterschießen üben aus.