Wie Phoenix aus der Asche
Wie oft ist der wunderschöne Märchenvogel schon zitiert worden, wenn irgendwo irgendetwas Altes neu entstanden ist. Phönix gilt als besonders rein, weil mit seiner Zerstörung auch seine Fehler zerstört werden und wird deshalb gerne und oft für alles mögliche ge- und missbraucht. Selten aber war die Bezeichnung "auferstanden wie Phönix aus der Asche" so zutreffend, wie auf den neuen deutschen Fussballmeister Borussia Dortmund.
Wir erinnern uns, so lange ist es nicht her, da lag der Patient Borussia im Vorzimmer der Pathologie. Die Fans, satt und verwöhnt von den Erfolgen der Vergangenheit, ruhten sich auf den Lorbeeren aus und schmückten sich mit dem Titel „beste Fans der Welt", den sie schon seit einer Weile nicht mehr verdienten. Trotz bis zu 83.000 Zuschauern im Schnitt, war die Stimmung im Westfalenstadion zusehends schlechter geworden. Auf dem Rasen bestand die Mannschaft teilweise aus Söldnern, die von der Geschichte des Vereins soviel Ahnung hatten, wie Kevin Grosskreutz von Quantenphysik und die bei Gelegenheit das Wappen auf dem Trikot, das sie noch gestern geküsst hatten, gerne gegen ein anderes tauschten. Die Geschäftsführung hatte geraume Zeit davor bereits den Überblick (und noch ein paar andere Dinge) verloren und war hauptsächlich noch damit beschäftigt, den eigenen Hintern und vielleicht noch ein paar Euros für sich selbst zu retten.
Es war in diesem Moment, als der Verein am Boden lag, zerstört war und nur noch von Grund auf neu aufgebaut werden konnte. Molsiris musste überstanden werden, wenn das klappte, dann bestünde die Möglichkeit eines Neuanfangs. So manch einer fragte sich damals, ob es vielleicht besser wäre, wegen dem „Phönix-Effekt", tatsächlich in einer unteren Liga neu anzufangen.Die Geschichte zeigte, dass es diesen Effekt auch ohne den kompletten Absturz und die gänzliche Zerstörung geben konnte. Der 14. März 2005 ging gut aus, es konnte Schritt für Schritt aufwärts gehen.
Das erste was diesem Fall, der bekanntlich nach dem Hochmut kommt, zum Opfer fiel, war die Arroganz der Fans. Noch im Moment der Zerstörung hatten sie begriffen und die Fehler bei sich selbst zu suchen begonnen. Es wurde eine Generalüberholung gemacht und neue Ziele definiert – und diese hiessen ab sofort: „Mit dem Verein wohin es auch geht!", wenn nötig in die 5. Liga zum Neuanfang!
Lieber ein kleiner, lauter Mob als eine Masse von Eventtouristen... Und so geschah es dann auch schnell, die Massen wurden etwas kleiner, doch die Stimmung wurde besser. Erst ernst („Meier raus!"), dann trotzig („2010, ihr werdet es schon sehn, dann sind wir wieder schuldenfrei und wir werden deutscher Meister!"), später leidenschaftlich und fanatisch („Wir steigen mit euch ab, Halleluja!") verfolgten die Anhänger konsequent den Weg zurück in den Fanolymp. Spätestens im Frühling 2008 hatten sich die BVB-Fans den alten Namen zurückerobert und durften den Titel „beste Fans der Liga" wieder mit Stolz und Recht tragen. Die ganze Nation blickte voller Verwunderung auf die 50.000 Borussen an der Spree, die so friedlich und leidenschaftlich ein Spiel feierten, das sie scheinbar nicht gewinnen konnten und letztendlich auch nicht gewonnen haben. Doch der erste Teil des schlafenden Riesen war wieder erwacht, die erste Feder des Phönix nachgewachsen. Die Seele des Vereins war wieder in seiner strahlenden Schönheit auferstanden.
Der zweite Teil, das Hirn des BVB, wurde in der Zwischenzeit langsam aufgebaut: die Geschäftsführung und der Verein selbst. Ohne grosses Tamtam und Trara, sachlich und westfälisch nüchtern wurden die nötigen Massnahmen getroffen und dabei die eine oder andere heilige Kuh geschlachtet, immer in voller Offenheit und einem klaren Ziel vor Augen: die Entschuldung. Noch ist dieser Prozess nicht abgeschlossen, noch drückt ein kleiner Schuldenberg den grossen Verein, doch schon lange ist er nicht mehr erdrückend, der BVB ist soweit hergestellt, lebendig und in sich gesund! Er hat nicht nur den Vorraum der Pathologie, sondern auch die Intensivstation lange verlassen und kann seit einigen Jahren ambulant behandelt werden. Der grösste Coup der neuen Geschäftsführung war vielleicht der Abschluss des neuen Trainingsgeländes. In der Zeit des Sparens an allen Ecken und Enden war es die einzige Ausgabe, die man sich leisten wollte, leisten musste. Es wurde damit eine Basis geschaffen für alles, was danach kam und noch kommen wird. Investition in die eigene Jugend.
Als letzte und langwierigste Massnahme konnte auch die Mannschaft, das Herz des Vereins, aufgebaut werden. Die Söldner waren bei den ersten Gerüchten weg, teure verdiente Spieler wurden zwangsläufig verkauft und einmal mehr und einmal weniger euphorisch verabschiedet.
In den ersten Jahren musste der BVB, nebst seiner Jugend, das nehmen, was auf dem Transfermarkt für nahezu kein Geld zu haben war und dementsprechend teilweise mässiges Talent aufzuweisen hatte. Dennoch gab es auch in den schlechteren Jahren einige Charakterspieler, die ihre mangelnde Qualität zumindest mit Einsatz gut machten. Man erinnere zum Beispiel an einen Ebi Smolarek.
2008 waren die ersten grossen Schritte getan, Phönix war am Auferstehen, man konnte es spüren. Doch noch war er hässlich und fast ohne Federn, so wie Vögel eben geboren werden. Abstiegskampf oder tristes Mittelmass definierten die Jahre der Erneuerung.
Mit Jürgen Klopp gelang ein Transfer, der auf den ersten Moment wenig spektakulär schien und doch so perfekt war. „Er passt diesem Verein wie ein Latexanzug" meinte unlängst ein Reporter in Anspielung auf Van Gaals Aussage, der FC Bayern passe ihm wie ein warmer Wintermantel. Ein etwas kurioser und doch so treffender Vergleich! Mit seiner ehrlichen Leidenschaft und seinem Sachverstand vereint Klopp zwei Gegensätze, die symbolisch sind für das, was in Dortmund in den letzten Jahren entstanden ist: eine Kombination aus scheinbaren Unvereinbarkeiten. Jugendliche Abgeklärtheit, defensiver Angriffsfussball, nüchterne Leidenschaft, bescheidener Stolz, fussballspielende Fans, intelligente Fussballspieler und nicht zuletzt das vielleicht grösste Paradox: Erfolg ohne Geld.
Dadurch, dass dem Verein die Mittel genommen wurden – und wir wollen hier natürlich nicht soweit gehen zu behaupten, der BVB hätte seine Meisterelf ganz ohne Geld aufgebaut – wurde er gezwungen, sich von den kommerzialisierten Teilen den Fussballs grösstenteils zu verabschieden und auf das zu setzen, was noch übrig bleibt: Talent, Einsatz und harte Arbeit.
11 Freunde, ein leidenschaftlicher Anhang, Zauberfussball und der verdiente Erfolg klingen in der Tat, wenn auch vielleicht nicht nach Romantik, so doch nach einem wahrhaften Fussballmärchen.
Rein wie der auferstandene Phönix steht der BVB und mit ihm der Fussball, den er verkörpert, vor der Welt und sagt: „Es geht auch anders!".
geschrieben von Nadja Luck
In der Rubrik „Eua Senf“ veröffentlichen wir in unregelmäßigen Abständen Texte, die uns von unseren Lesern zugesandt wurden.
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