Projekt 81 in Gefahr
Da haben sich am Samstag doch glatt wieder Gästefans in die Südwestecke geschlichen. Direkt vor mir sitzen sie. Es sind nur zwei. Und bevor ich ausfällig werde, bitte ich natürlich vorher bereits um Verzeihung. Aber eins ist eben klar: Die Kurve gehört uns und nich den Gegnern - auch wenn sie erst 12 Jahre alt sind. Nach der Halbzeit ist der HSV-Schal dann auch gegen einen Scha-La-La-La eingetauscht. Alles richtig gemacht. Wie natürlich auch die Jungs unten auf dem Spielfeld. Welch grandiose Mannschaftsleistung. Da gibt es keinen Egomanen. Alle laufen um ihr Leben, in aller Ruhe dirigiert vom jüngsten Kapitän seit langer, langer Zeit. Mir fällt da jetzt, zurückblickend, auf die schnelle niemand ein. An seiner Seite der unglaubliche Bender. Hinten abgesichert von Subotic und Hummels, die mit ihren langen Bällen tief in die Hamburger Hälfte die zweiten Bälle erzwingen. Einer davon fällt Valdez vor die Füße. Treffer versenkt! Und das ganz ohne Aufregung. Auch auf den Tribünen. Denn dort ist ja schon länger klar: Hat Valdez den Ball, ist gleich der Gegner in Ballbesitz. Samstag auch. Aber an der Mittellinie eben. Bevor jetzt aber hier das komplette Team und jeder einzelne Zuschauer sein ihm gebührendes Lob ausgeprochen bekommt, schnell der Schwenk zur nächste Szene.
Bürgermeister Lindemann: Gut eine Stunde nach Spielende sind sich in - zugegeben, siegestrunkener - Umgebung alle einig. Das heute war phänomenal, etwas ganz besonders. Und die Tribünen, so erzählt man sich, waren nicht einmal in Bestform. Da geht noch was.. Auf den Bildschirmen wird das Valdez-Tor gefühlte 100x wiederholt. Vor den Bildschirmen werden Pläne für die Meisterfeier geschmiedet. Wann und wo die Schale übergeben wird, ist in diesem Moment noch nicht klar. Aber dass die Meisterschale an uns übergeben wird, daran bestehen in dieser Januar-Nacht nicht die geringsten Zweifel. Auch ein paar Dänen, die nach einer 900km-Reise in das schönste Stadion der Welt (die Geschichte, warum das so ist, muss dringend noch erzählt werden) schwer enttäuscht von einem Spiel auf unterstem Niveau reden und aber, das zur Beruhigung aller!, extrem begeistert von der Westtribüne sind, können die unbändige Kraft der allgemeinen Euphorie nicht brechen. Samstag ist klar: Deutscher Meister wird nur der BVB!
Doch dann der Schock: Projekt 81 ist in Gefahr. Wieso? 12 Spiele ist Borussia doch jetzt mittlerweile ungeschlagen, die letzten sechs Spiele konnte allesamt gewonnen werden und es sind nur 15 Spiele. Das, so erkennt sogar der größte Optimist, ist doch keine Raketentechnik mehr. Klar! Ist es auch nicht. Schaut man sich aber mal genauer an, warum diese beeindruckende Serie immer noch Bestand hat, fällt einem recht schnell auf: Diese Siege wurden von einer Mannschaft eingefahren und nicht von Einzelspielern. Unten auf dem Rasen befindet sich nach etlichen Jahren wieder eine Einheit auf dem Platz. Eine eingeschworene Gemeinschaft, die genau das auch immer wieder nach außen kommuniziert. Für den Erfolg räumen Spieler wie Dede, Zidan oder Valdez ihr Ego zumindest in den letzten Wochen in die hinterste Ecke ihrer Gefühlsschublade. Alles gut also? Nichts da. Vorsicht walten lassen, ist jetzt allererstes Gebot. Nicht vom Weg abringen lassen. Mit dem Erfolg, das konnten wir Schwatzgelben in den letzten Jahren leicht vergessen, kommen zwangsläufig auch die Jubelperser. Da bastelt man sich schnell eine heile Welt, die so, auch wenn es bei uns gerade danach aussieht, wohl in keiner Profimannschaft dieser Welt existiert. Und lässt sich von all den schönen Medienberichten vereinnahmen und auch benutzen. Die Wechselwirkung Meinungsäußerung - Boulevardmedien ist hinlänglich bekannt. Genau an dieser Schwelle stehen wir nun.
Es werden vollkommen unnötige Nebenkriegsschauplätze aufgemacht. Da entsteht auf der einen Seite ein Wettbewerb in der Kategorie “wer liebt unseren Verein mehr (und muss daher spielen)” und auf der anderen Seite lassen wir uns in Grabenkämpfe hineinziehen, die wir nicht gewinnen können und auch wenn wir dies tun könnten, nicht unbedingt gewinnen wollen sollten. Das Stichwort natürlich: Mats Hummels und sein vergeblicher Kampf um die Nominierung zum Leistungstest der Nationalmannschaft. So absurd die Entscheidung auf den ersten Blick auch anmutet und so unverständlich die Löwsche Begründung auch ist, es ändert nichts an der Tatsache, dass die Entscheidung so getroffen wurde. Was durften wir aber in den letzten Tage nicht alles lesen, über unseren kommenden Nationalspieler und die Ungerechtigkeit des Lebens. Meint hier: Die Ungerechtigkeit der Nominierungspolitik. Da werden Huth, Tasci, Arne Friedrich, Träsch und wie sie alle heißen über den U21-Kapitän gestellt. Mehr Erfahrung hätten sie und die Zeit von Hummels käme noch nach der WM. Der Aufschrei ist groß im schwatzgelben Land. Nicht nur dort, auch die Medien beginnen sich nun für das Thema zu interessieren. Die Statistiken sprechen für Hummels. Die Zukunft spricht für Hummels. Die Spielanlage spricht für Hummels. Ja, sogar die Erfahrung spricht für Hummels. Alles spricht also für Hummels, den überragenden Mann der jugendwahnsinnigen Mannschaft, die sich in den letzten Wochen von Platz 15 auf Platz 4 gespielt hat.
Zr. Zr. Zr. Zr. Zr. Störgeräusche. Zr. Zr. Zr. Zr. Zr. Jubelperser. Zr. Zr. Zr. Zr. Zr. Vorsicht! Walten! Lassen! Zumindest bis zum 8.Mai geht es nicht um Nationalmannschaften, um Einzelschicksale, es geht um Borussia. Ob auf dem Platz oder auf der Tribüne: Lasst Euch nicht ablenken. Die Kritiker wetzen weiter ihre Messer. Mögen sie in ihren sorgsamen Händen stumpf werden.
Steph, 29.01.2010